FG Köln 14. Juni 2023
5 K 308/22
GrEStG §§ 1, 16 Abs. 1 Nr. 1

Grunderwerbsteuer; Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs

letzte Aktualisierung: 26.2.2024
FG Köln, Urt. v. 14.6.2023 – 5 K 308/22

GrEStG §§ 1, 16 Abs. 1 Nr. 1
Grunderwerbsteuer; Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs

Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses
weiterveräußert, liegt eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG nicht vor, wenn für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit
der Verwertung einer aus dem Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der
Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen war. Dies ist jedenfalls dann der Fall,
wenn der Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde
zusammengefasst sind.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die Grunderwerbsteuerfestsetzung gegen die Klägerin vom
14.4.2020 war auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aufzuheben, weil der
Erwerbsvorgang der Klägerin im Sinne dieser Vorschrift rückgängig gemacht wurde,
obwohl das Ausscheiden der Klägerin und der Weiterverkauf des von ihr ursprünglich
erworbenen Miteigentumsanteils durch die Grundstücksverkäufer in einer notariellen
Urkunde zusammengefasst worden sind.

1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird auf Antrag eine Steuerfestsetzung u.a. aufgehoben,
wenn ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück
auf den Erwerber übergegangen ist und wenn die Rückgängigmachung innerhalb von zwei
Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet.

2. Da die Steuertatbestände des § 1 GrEStG an Rechtsvorgänge anknüpfen, ist für die
einmal entstandene Steuer ohne Belang, ob die mit diesen Rechtsvorgängen intendierten
Änderungen der (eigentumsmäßigen) Zuordnung von Grundstücken wirtschaftlich auch
tatsächlich eintreten und bestehen bleiben. Dies kann zu vom Steuerzweck nicht
gedeckten Härten führen, da nur der wirtschaftliche Grundstücksumsatz besteuert werden
soll. Zur Vermeidung solcher Härten ist § 16 GrEStG eine am Besteuerungszweck
orientierte Korrekturvorschrift zu § 1 GrEStG (BFH v. 9.3.1994 - II R 86/90, BFHE 173,
568, BStBl II 1994, 413; ferner BFH v. 29.9.2005 - II R 36/04 BFHE 210, 535, BStBl II
2006, 43).

3. "Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung
des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich
derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur
Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer
seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (BFH v. 5.9.2013 - II R 16/12, BFHE 242,
181, BStBl II 2014, 42 m.w.N.).

a) Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück
dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend,
ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung
einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition
verblieben und der Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen war (BFH
v. 19.9.2018 - II R 10/16, BFHE 2019, 465, BStBl II 2019, 176; v. 5.9.2013 - II R 16/12,
BFHE 242, 181, BStBl II 2014, 42; v. 28.3.2012 - II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486).
b) Dem früheren Erwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem
"rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition jedenfalls dann,
wenn der Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde
zusammengefasst sind. In diesem Fall hat er die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des
ursprünglichen Kaufvertrags zum anschließenden Erwerb des Grundstücks durch eine von
ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Denn der Veräußerer wird aus seiner
Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung
des Vertrags durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in
dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber
gebunden ist (BFH v. 19.9.2018 - II R 10/16, BFHE 2019, 465, BStBl II 2019, 176; v.
5.9.2013 - II R 16/12, BFHE 242, 181, BStBl II 2014, 42; v. 28.3.2012 - II R 42/11, BFH/NV
2012, 1486).

Da sich diese Schlussfolgerung trotz gleicher Beweggründe der Parteien mühelos
umgehen lässt, indem die Aufhebung des ursprünglichen und der Abschluss des neuen
Kaufvertrags nacheinander beurkundet werden, kann der Abschluss beider Verträge in
aufeinanderfolgenden Urkunden nicht anders beurteilt werden als ihre Zusammenfassung
in einer Urkunde (BFH v. 28.3.2012 - II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486; v. 25.08.2010 - II R
35/08, BFH/NV 2010, 2301; v. 25.4.2007 - II R 18/05, BFHE 217, 276, BFH/NV 2007,
1792).

Um eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
auszuschließen, muss bei beiden Vorgehensweisen, also auch im Falle der
Zusammenfassung von Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen
Urkunde, hinzukommen, dass der Ersterwerber die verbliebene Rechtsposition (auch) in
seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat. Eine Verwertung in diesem
Sinne liegt vor, wenn die Einflussnahme des Ersterwerbers auf die Weiterveräußerung
Ausfluss der ihm verbliebenen Rechtsposition ist. In diesem Fall sind die Interessen Dritter
an der Weiterveräußerung unbeachtlich (BFH v. 5.9.2013 - II R 16/12, BFHE 242, 181,
BStBl II 2014, 42, auch zur Zurechnung von Interessen ggf. beteiligter Personen; v.
28.3.2012 - II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486; ferner BFHv. 19.9.2018 - II R 10/16, BFHE
2019, 465, BStBl II 2019, 176: Rückgängigmachung der Grundstücksveräußerung durch
eine Gesellschaft bei gleichzeitiger Anteilsveräußerung; BFH v. 14.11.2007 - II R 2/06,
GmbHR 2008, 221 für den Fall des Zweiterwerbs durch eine Kapitalgesellschaft, an der
der Ersterwerber maßgeblich beteiligt ist). Dies gilt insbesondere dann, wenn bei einer
vom Verkäufer im Zusammenhang mit dem Rücktritt vorgenommenen Weiterveräußerung
an einen Dritten der Ersterwerber wie ein Zwischenhändler auftritt und im Ergebnis selbst
wie ein Veräußerer das Grundstück an den Dritten weiterverkaufen lässt (BFH v. 9.3.1994 -
II R 86/90, BFHE 173, 568, BStBl II 1994, 413).

c) Ist dem Ersterwerber das weitere Schicksal des Grundstücks indes gleichgültig, so
hindert die Benennung des Dritten als Ersatzkäufer nicht die Anwendung des § 16 Abs. 1
Nr. 1 GrEStG. Das gilt insbesondere dann, wenn der Eigentümer des Grundstücks dieses
auf jeden Fall verkaufen will und daher von dem Käufer die Benennung eines
Ersatzkäufers verlangt. Ob die Benennung des Ersatzkäufers auf Verlangen des
Verkäufers oder im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse des Ersterwerbers erfolgt ist, ist im
Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen festzustellen. Dabei begründet allein das
beim Ersterwerber vorhandene Ziel, den Kaufvertrag nicht erfüllen zu müssen und die mit
der Nichterfüllung des Vertrags verbundenen wirtschaftlichen, finanziellen und sonstigen
Folgen vermeiden zu wollen, kein der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
entgegenstehendes eigenes (wirtschaftliches) Interesse des Ersterwerbers an der
Weiterveräußerung des Grundbesitzes (so ausdrücklich BFH v. 5.9.2013 – II R 16/12,
BFHE 242, 181, BStBl II 2014, 42 unter Bezugnahme auf BFH v. 6.10.2010 - II R 31/09,
BFH/NV 2011, 306 insbesondere für den Fall, dass sich das Interesse des Ersterwerbers
an der Ersatzkäufergestellung in der Abwendung möglicher Schadensersatzforderungen
der Verkäuferseite erschöpft; grundlegend bereits BFH v. 4.12.1985 – II R 171/84, BFHE
145, 448, BStBl II 1986, 271).

d) Den Steuerschuldner trifft hier eine erhöhte Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des
Sachverhalts und zur Bestimmung der wechselseitigen Interessenlagen; er trägt auch die
Feststellungslast (objektive Beweislast) dafür, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der
von ihm begehrten Nichtfestsetzung der Steuer oder Aufhebung der Steuerfestsetzung
nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllt sind (BFH v. 5.9.2013 - II R 16/12, BFHE 242, 181,
BStBl II 2014, 42; v. 4.12.1985 - II R 171/84, BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271).
e) Die Entscheidung des Streitfalls hängt damit maßgeblich von der Bestimmung der
Interessen der am Übertragungsvorgang beteiligten Personen ab. Soweit die Klägerin
auch nach dem Gang der mündlichen Verhandlung ein Interesse an der Bestimmung des
L, ihres früheren Lebensgefährten, als Erwerber hatte, ging es ihr offensichtlich nicht
darum, das weitere Schicksal des Grundstücks bestimmen zu wollen. Vielmehr erschöpfte
sich ihr Interesse in einer notwendigen Begleiterscheinung ihres etwaige weitere
Beweggründe überragenden Interesses, aus dem Vertrag herauszukommen. Denn L, der
nach wie vor das Grundstück erwerben wollte, hätte einer vollständigen Aufhebung des
Geschäfts ebenso wenig zugestimmt wie die Eheleute N als Verkäufer, denen daran lag,
das Grundstück auf jeden Fall zu veräußern. L hatte überdies ein Interesse daran, dass
der Anteil der Klägerin nicht an eine ihm fremde Person ging; er hätte also einem Verkauf
an einen beliebigen Dritten nicht zustimmen können. Diese - gegenläufigen - Interessen
der Klägerin, ihres früheren Lebensgefährten und der Grundstücksveräußerer waren unter
Herauslösung der Klägerin aus dem Erwerbsvorgang im Hinblick auf die erforderliche
Einverständlichkeit aus Sicht der Eheleute N als Veräußerer nur zu verwirklichen, wenn es
grundsätzlich bei der Grundstücksveräußerung blieb, und aus der Sicht des L nur dann,
wenn er nicht zu einer Eigentümergemeinschaft mit einer ihm fremden Person gezwungen
würde. Daher ändert die Einbeziehung des weiteren Erwerbsvorgangs in den
Rückabwicklungsvertrag nichts daran, dass der Klägerin das weitere Schicksal des
Grundstücks gleichgültig war und sie in erster Linie nur aus dem Grundstückserwerb
entlassen werden wollte.

f) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der
nicht veröffentlichten Entscheidung des FG Baden-Württemberg v. 18.9.2002 - 13 K
235/97. Denn der Streitfall ist anders als der vom FG Baden-Württemberg entschiedene
Fall dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin in erster Linie aus den Verpflichtungen des
Vertrages heraus wollte und sie kein Interesse daran hatte, das weitere Schicksal des
Grundstücks bestimmen zu wollen. Demgegenüber bestand die Lebensgemeinschaft der
Erwerber im Fall des FG Baden-Württemberg gerade fort. Beide Erwerber wollten den
gemeinsam erworbenen Grundbesitz auch nach dem Ausscheiden eines der Partner aus
dem Erwerbsvorgang gemeinsam bewohnen und die Partner setzten diese gemeinsame
Lebensplanung in der Folgezeit auch um. Der ausscheidende Partner hatte daher im Fall
des FG Baden-Württemberg ein über sein Ausscheiden hinaus bestehendes Interesse
daran, dass der verbleibende Partner das Volleigentum erwarb; ihm war das künftige
Schicksal seines ehemaligen Anteils gerade nicht gleichgültig, sodass der Streitfall mit
dem vom FG Baden-Württemberg entschiedenen Fall nicht vergleichbar ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung vor dem Hintergrund des in der
Bewertung der Rechtsfrage möglicherweise abweichenden Urteils des FG Baden-
Württemberg v. 18.9.2002 - 13 K 235/97 und der anschließenden BFH-Entscheidung v.
28.11.2003 - II B 143/02, BFH/NV 2004, 368 zuzulassen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

FG Köln

Erscheinungsdatum:

14.06.2023

Aktenzeichen:

5 K 308/22

Rechtsgebiete:

Grunderwerbsteuer
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

GrEStG §§ 1, 16 Abs. 1 Nr. 1