Abwendungsbefugnis des Eigentümers nach § 27 Abs. 3 ErbbauRG; Abbedingung im Erbbaurechtsvertrag
letzte Aktualisierung: 18.4.2019
BGH, Urt. v. 23.11.2018 – V ZR 33/18
Abwendungsbefugnis des Eigentümers nach
Erbbaurechtsvertrag
Eine in einem Erbbaurechtsvertrag formularmäßig verwendete Klausel, wonach die
Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers nach
oder als In halt des Erbbaurechts ausgeschlossen ist, widerspricht dem gesetzlichen Leitbild des
Erbbaurechts und ist nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel unwirksam. Das gilt auch
dann, wenn in dem Erbbaurechtsvertrag die Entschädigung, die der Grundstückseigentümer dem
Erbbaube-rechtigten nach Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf zu leisten hat, auf zwei
Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks begrenzt wird.
Entscheidungsgründe:
I.
Das sachverständig beratene Berufungsgericht meint, die Klägerin könne
nach § 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG i.V.m. Abschnitt III § 6 Abs. 3 ErbbV die
Zahlung einer Entschädigung in Höhe von zwei Dritteln des gerichtlich ermittelten
Verkehrswertes in Höhe von 318.626,92 € verlangen. Der Entschädigungsanspruch
sei nicht durch das Angebot der Beklagten auf Verlängerung des Erbbaurechts
gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 ErbbauRG erloschen, da die gesetzliche
Bestimmung im Erbbaurechtsvertrag wirksam abbedungen worden sei. Es könne
offen bleiben, ob es sich bei der Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung
oder vorformulierte Vertragsbedingung handele und ob eine inhaltliche
Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB überhaupt zulässig sei. Die Regelung halte
einer solchen Kontrolle jedenfalls stand, da sie die Beklagten als Grundstückseigentümer
nicht unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 1
BGB benachteilige. Wesentlicher Grundgedanke des
Zahlung einer Entschädigung an den Erbbauberechtigten als Ausgleich für die
auf dem Grundstück errichteten Bauwerke. Je länger das Erbbaurecht bestehe,
desto geringer sei der Entschädigungsanspruch. Es obliege somit grundsätzlich
den Vertragsparteien, die Dauer des Erbbaurechts und damit die Höhe der Entschädigung
festzulegen. Durch
lediglich die Möglichkeit der Abwendung der Entschädigungszahlung
eröffnet, um sich vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bewahren, die
sich aus der Entschädigungspflicht namentlich bei gleichzeitigem Ablauf mehrerer
Erbbaurechte ergeben könnten. Der Ausschluss der Abwendungsbefugnis
unter gleichzeitiger Reduzierung des Entschädigungsanspruchs auf zwei Drittel
des Verkehrswertes sei jedenfalls nicht als unbillig anzusehen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die
gesetzliche Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers nach § 27
Abs. 3 ErbbauRG dispositiv ist und daher von den Parteien vertraglich abbedungen
werden kann.
a) Erlischt das Erbbaurecht durch Zeitablauf, so hat der Grundstückseigentümer
dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für das Bauwerk zu
leisten (§ 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG). Nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1
ErbbauRG kann der Grundstückseigentümer seine Verpflichtung zur Zahlung
der Entschädigung dadurch abwenden, dass er dem Erbbauberechtigten das
Erbbaurecht vor dessen Ablauf für die voraussichtliche Standdauer des Bauwerks
verlängert. Lehnt der Erbbauberechtigte die Verlängerung ab, so erlischt
der Anspruch auf Entschädigung (§ 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ErbbauRG).
b) Nach allgemeiner und zutreffender Ansicht kann das Recht des
Grundstückseigentümers, die Zahlung der Entschädigung gemäß § 27 Abs. 3
ErbbauRG abzuwenden, modifiziert oder ganz ausgeschlossen werden (vgl.
BeckOK BGB/Maaß [1.11.2018],
15. Aufl.,
11. Aufl., § 27 Rn. 33; MüKoBGB/Heinemann, 7. Aufl.,
Palandt/Wicke, BGB, 78. Aufl.,
[2017],
6. Aufl., § 5 Rn. 222; Lemke/Czub, Immobilienrecht, 2. Aufl., § 27
ErbbauRG Rn. 15 a.E.; Ott,
Glaß/Scheidt, Erbbaurecht, 2. Aufl., S. 171; Planck/Strecker, BGB, 5. Aufl., § 27
ErbbauVO Anm. 2c; RGRK/Räfle, BGB, 12. Aufl., § 27 ErbbauVO Rn. 12). Das
ergibt sich aus § 27 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG. Etwas anderes folgt entgegen der
Auffassung der Revision nicht daraus, dass
Vorschrift nicht ausdrücklich verweist.
aa) Mit der Einführung von § 27 Abs. 1 ErbbauRG wollte der Gesetzgeber
die Entschädigung des Erbbauberechtigten für das Bauwerk zum Regelfall
machen. Gleichzeitig bestimmte er, dass Vereinbarungen über die Höhe der
Entschädigung, die Art ihrer Zahlung sowie über ihren Ausschluss als Inhalt des
Erbbaurechts getroffen werden können. Eine Mindestentschädigung legte er in
§ 27 Abs. 2 ErbbauRG für den Fall fest, dass das Erbbaurecht, was hier nicht
einschlägig ist, zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses minderbemittelter Bevölkerungskreise
bestellt wurde. Mit diesen Regelungen wollte er das Erbbaurecht
attraktiver machen und dessen Beleihbarkeit fördern (vgl. RAnz Nr. 26
vom 31. Januar 1919 zu §§ 26 bis 29 ErbbauVO). Der Regelungsgehalt von
§ 27 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG besteht also nicht in erster Linie darin, die Disposivität
der Entschädigung herauszustellen, sondern zu bestimmen, dass die
Höhe der Entschädigung, die Art ihrer Zahlung sowie ihre Ausschließung als
Inhalt des Erbbaurechts vereinbart werden können und damit dingliche Wirkung
erhalten. Die Parteien des Erbbaurechtsvertrags können sich aber auf schuld-
rechtliche Absprachen beschränken (Lemke/Czub, Immobilienrecht, 2. Aufl.,
§ 27 Rn. 10).
bb) Die Abwendungsbefugnis gemäß
ein Schutzrecht des Grundstückseigentümers gegen den Entschädigungsanspruch
(vgl. MüKoBGB/Heinemann, 7. Aufl.,
Der Eigentümer kann durch das Angebot auf Verlängerung des Erbbaurechts
seiner Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung entgehen. Auf diesen
Schutz kann er nach allgemeinen Grundsätzen verzichten (vgl. Ott, notar 2015,
75, 82) und mit dem Erbbauberechtigten den Ausschluss der Abwendungsbefugnis
vereinbaren. Mit einer solchen Vereinbarung wird dessen Entschädigungsanspruch
nach § 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG gesichert. Sie kann deshalb
nach § 27 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG wie eine Vereinbarung über die Entschädigung
nicht nur mit schuldrechtlicher, sondern auch mit dinglicher Wirkung getroffen
werden. Als Inhalt des Erbbaurechts kann vereinbart werden, dass das
Recht des Grundstückseigentümers gemäß
zur Zahlung der Entschädigung durch Verlängerung des Erbbaurechts
abzuwenden, ausgeschlossen ist (vgl. auch Eichel in Beck’sches Notar-
Handbuch, 6. Aufl., A.IV.4 Rn. 49a; Ingenstau/Hustedt/Bardenhewer, ErbbauRG,
11. Aufl., § 27 Rn. 33; Lemke/Czub, Immobilienrecht, 2. Aufl., § 27
ErbbauRG Rn. 15; Maaß in Würzburger Notarhandbuch, 4. Aufl. Teil 2 Kap. 5
Rn. 86 f.; MüKoBGB/Heinemann, 7. Aufl.,
2015, 75, 82; Staudinger/Rapp, BGB [2017],
Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl., § 5 Rn. 222). Die Parteien
können sich aber auch insoweit auf eine schuldrechtliche Vereinbarung beschränken
(vgl. Lemke/Czub, aaO Rn. 15).
2. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht jedoch an, dass die Abwendungsbefugnis
der Beklagten nach
sam vertraglich ausgeschlossen ist, wenn es sich - was das Berufungsgericht
offen gelassen hat und weshalb davon im Revisionsverfahren zugunsten der
Beklagten auszugehen ist - bei der Regelung in Abschnitt III § 6 Nr. 3 ErbbV um
eine von der Rechtsvorgängerin der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung
handeln sollte.
a) Als Allgemeine Geschäftsbedingung unterliegt die Regelung einer
Kontrolle nach Maßgabe der Vorschrift des § 9 AGBG (heute: § 307 BGB), die
für bis zum 31. Dezember 2001 geschlossene Verträge und damit auch für den
in Rede stehenden Erbbaurechtsvertrag vom 28. Januar 1983 gilt. Art. 229 § 5
Satz 1 EGBGB, wonach für Dauerschuldverhältnisse vom 1. Januar 2003 an
nur das Bürgerliche Gesetzbuch und damit die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB
anzuwenden sind, ist nicht einschlägig. Der Vertrag über die Bestellung eines
Erbbaurechts ist ein Rechtskauf (§ 453 BGB) und begründet kein Dauerschuldverhältnis
(vgl. Senat, Urteil vom 15. März 2013 - V ZR 201/11,
Rn. 27 mwN). Für die Beurteilung der hier maßgeblichen Rechtsfrage wirkt sich
das indes nicht aus, da
und 2 Nr. 1 BGB im Wesentlichen inhaltsgleich sind (vgl. BGH, Urteil vom 18.
April 2002 - III ZR 199/01,
b) Die Regelung in Abschnitt III § 6 Nr. 3 ErbbV hält der Inhaltskontrolle
nach
nicht stand.
aa) Für den Entschädigungsanspruch des Erbbauberechtigten nach § 27
Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG ist allerdings umstritten, ob dieser durch Allgemeine
Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Das wird teilweise verneint
mit der Begründung, der Entschädigungsanspruch des Erbbauberechtigten
habe Leitbildfunktion im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit der Folge,
dass eine Klausel über den Ausschluss der Entschädigung unwirksam wäre,
soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände die Abweichung vom gesetzlichen
Grundgedanken rechtfertigten (vgl. Palandt/Wicke, BGB, 77. Aufl., § 27
ErbbauRG Rn. 3; Boemke/Purrmann,
Ansicht gehört der Entschädigungsanspruch des Erbbauberechtigten nicht zum
gesetzlichen Leitbild des Erbbaurechts. Ein vollständiger Ausschluss des Entschädigungsanspruchs
durch Allgemeine Geschäftsbedingungen sei zulässig;
die Missbrauchsgrenze stelle das Gesetz in § 27 Abs. 2 ErbbauRG auf (vgl.
BeckOK BGB/Maaß [1.11.2018],
7. Aufl.,
Rn. 8; von Oefele/Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl., § 4
Rn. 116; Ott,
Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 307 Abs. 1 BGB
unwirksam sein (Lemke/Czub, Immobilienrecht, 2. Aufl.,
wohl auch Ingenstau/Hustedt/Bardenhewer, ErbbauRG, 11. Aufl., § 27 Rn. 13; von Oefele/
Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl., § 5 Rn. 122). Diese Frage
bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.
bb) Der formularmäßige Ausschluss der Abwendungsbefugnis des
Grundstückseigentümers ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen
Regelung in
(§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Von einem wesentlichen Grundgedanken ist
auszugehen, wenn die gesetzliche Regelung, von der die Formularbestimmung
abweicht, nicht auf reinen Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern auf die Interessen
beider Parteien berücksichtigenden Gerechtigkeitserwägungen beruht
und deshalb zum gesetzlichen Leitbild gehört (st.Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom
8. November 2016 - XI ZR 552/15,
2017 - VIII ZR 13/17,
ErbbauRG vorgesehenen Abwendungsbefugnis handelt es sich um eine solche
Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots, denn die Regelung ist Ergebnis einer
von dem Gesetzgeber vorgenommenen Risikoverteilung hinsichtlich der Weiterverwendung
des Bauwerks nach Ablauf des Erbbaurechts. Eine in einem
Erbbaurechtsvertrag formularmäßig verwendete Klausel, wonach die Abwendungsbefugnis
des Grundstückseigentümers nach
schuldrechtlich oder - wovon der Senat hier wegen der Regelung in Abschnitt III
§ 14 Nr. 1 ErbbV i.V.m. Abschnitt III des notariellen Nachtrags vom 4. April
1984 ausgeht - als Inhalt des Erbbaurechts ausgeschlossen ist, widerspricht
deshalb dem gesetzlichen Leitbild des Erbbaurechts und ist nach § 307 Abs. 1,
Abs. 2 Nr. 1 BGB (hier nach
Das gilt auch dann, wenn in dem Erbbaurechtsvertrag die Entschädigung,
die der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten nach Erlöschen des
Erbbaurechts durch Zeitablauf zu leisten hat, auf zwei Drittel des Verkehrswerts
des Bauwerks begrenzt wird.
(1) Mit Ablauf des Erbbaurechts hat der Grundstückseigentümer dem
Erbbauberechtigten eine Entschädigung für den Verlust des Eigentums an den
auf dem Grundstück befindlichen Bauwerken (
(§ 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG). Dessen Höhe bestimmt sich, wenn nicht ein
anderes vereinbart ist, nach dem Verkehrswert des Bauwerks im Zeitpunkt des
Erlöschens des Erbbaurechts (vgl. Senat, Urteil vom 6. Dezember 1974 -
V ZR 95/73,
nach
das Erbbaurecht - ggf. wiederholt (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 ErbbauRG)
- vor dessen Ablauf verlängert. Lehnt der Erbbauberechtigte die Verlängerung
ab, erlischt der Anspruch auf Entschädigung (§ 27 Abs. 3 Satz 1
Halbsatz 2 ErbbauRG).
(2) Sinn und Zweck der Abwendungsbefugnis ist es, den Grundstückseigentümer
davor zu bewahren, durch die Entschädigungspflicht in wirtschaftliche
Schwierigkeiten zu geraten. Dabei hat der historische Gesetzgeber insbesondere
Gemeinden als schutzbedürftig angesehen, die eine größere Zahl von Erbbaurechten
zu Wohnzwecken mit gleicher Ablaufzeit bestellt haben und für die
deshalb bei Ablauf der Erbbaurechte eine Verpflichtung zur Zahlung von „ziemlich
bedeutenden“ Entschädigungssummen entsteht (vgl. RAnz Nr. 26 vom 31.
Januar 1919 zu §§ 27 bis 29 ErbbauVO). Er hat das Schutzrecht aber nicht auf
die Gemeinden beschränkt, sondern allen Grundstückseigentümern die Möglichkeit
eingeräumt, die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung durch
die Verlängerung des Erbbaurechts abzuwenden.
(3) Der Möglichkeit des Grundstückseigentümers, zwischen der Übernahme
des Bauwerks gegen Zahlung einer Entschädigungssumme und der
Verlängerung des Erbbaurechts zu wählen, kommt zentrale Bedeutung für den
Ausgleich seiner Interessen mit denen des Erbbauberechtigten am Ende der
Laufzeit des Erbbaurechts zu. Könnte der Grundstückseigentümer die Entschädigungspflicht
nicht abwenden, wäre der Ablauf des Erbbaurechts für ihn unter
Umständen mit erheblichen wirtschaftlichen Belastungen verbunden.
(a) Er müsste zum einen die Entschädigungssumme aufbringen. Dies
kann ihn in der konkreten Situation nach Vertragsablauf zur Unzeit treffen,
wenn es ihm nicht möglich ist, die Entschädigungssumme zu zahlen oder zu
finanzieren oder den damit verbundenen Liquiditätsabfluss zu verkraften. Dem
könnte der Grundstückseigentümer zwar dadurch vorbeugen, dass er rechtzeitig
ausreichende Rücklagen bildet. Das hätte aber beträchtliche Liquidationsverluste
während der gesamten Laufzeit des Erbbaurechts zur Folge und wäre, da
der Wert des Bauwerks erst am Ende der Laufzeit ermittelt wird, außerdem mit
Unsicherheiten verbunden. Sieht der Erbbaurechtsvertrag eine Verlängerungsoption
vor, weiß der Grundstückseigentümer zudem auch nicht, wann das
Erbbaurecht endet.
(b) Zum anderen müsste der Grundstückseigentümer eine neue Verwendung
für das Bauwerk finden. Dies kann insbesondere dann zu Schwierigkeiten
führen, wenn es infolge der Marktentwicklung oder seines Zustands nicht nachgefragt
ist. Zwar werden sich ungünstige Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten
des Bauwerks regelmäßig bei der Verkehrswertermittlung niederschlagen,
die Grundlage der Berechnung der Entschädigung ist. Das Risiko, den ermittelten
Verkehrs- bzw. Ertragswert zu realisieren, würde ohne die Regelung in
Grundstückseigentümer übergehen, obwohl er zuvor keinen Einfluss auf die
Instandhaltung und Bewirtschaftung und meist auch nicht auf die Nutzung des
Bauwerks hatte.
(c) Die Abwendungsbefugnis trägt damit einem wesentlichen Schutzbedürfnis
des Grundstückseigentümers Rechnung. Zugleich weist sie das Risiko
der weiteren Verwendung des Bauwerks dem Erbbauberechtigten als demjenigen
zu, der die baulichen Investitionen getätigt bzw. von seinem Rechtsvorgänger
übernommen hat (vgl. RAnz Nr. 26 vom 31. Januar 1919 zu §§ 26 bis 29
ErbbauVO) und der während der Laufzeit des Erbbaurechts für die wirtschaftliche
Ausrichtung und die Instandhaltung des Bauwerks verantwortlich war. Das
ist interessengerecht. Ist das Bauwerk gewinnbringend nutzbar, entsteht dem
Erbbauberechtigten durch die Verlängerung des Erbbaurechts kein wirtschaftlicher
Nachteil; sofern er es nicht selbst nutzen will, kann er es vermieten oder
aber das Erbbaurecht verkaufen. Ist dies nicht der Fall und hat der Erbbauberechtigte
deshalb kein Interesse an der Verlängerung des Erbbaurechts, ist es
sachgerecht, ihm die damit verbundenen Nachteile zuzuweisen. Andernfalls
würde das während der Laufzeit des Erbbaurechts grundsätzlich von ihm zu
tragende Ertragsrisiko (vgl. Senat, Urteil vom 15. April 2016 - V ZR 42/15, NJW
2016, 3100 Rn. 15) nach Ablauf der Zeit, für die das Erbbaurecht bestellt war,
zwangsläufig auf den Grundstückseigentümer übergehen.
(4) Der in
Grundstückseigentümer zwischen der Zahlung der Entschädigung und der Verlängerung
des Erbbaurechts entscheiden kann, gehört ebenfalls zu den wesentlichen
Grundgedanken der gesetzlichen Regelung. Sähe man in dem Ausschluss
der Abwendungsbefugnis bei Abschluss des Erbbaurechtsvertrages
lediglich eine zeitlich vorverlagerte Entscheidung zwischen Entschädigungszahlung
und Verlängerung des Erbbaurechts, würde sich der Grundstückseigentümer
zu einem Zeitpunkt seiner durch das Gesetz eingeräumten Wahlmöglichkeit
begeben, zu dem er die für die Wahl notwendigen Entscheidungsgrundlagen
(eigene wirtschaftliche Situation bei Ende des Erbbaurechts, Zustand des
Bauwerks, Verwertungsmöglichkeiten) nicht kennt. Angesichts der langen, typischerweise
mehrere Generationen überdauernden Laufzeit von Erbbaurechten
ist bei der Bestellung eines solchen Rechts regelmäßig nicht einmal vorhersehbar,
ob der Erbbaurechtsausgeber das Ende des Erbbaurechts noch erleben
wird, geschweige denn, ob sich für ihn dann die Übernahme des Bauwerks gegen
Entschädigungszahlung oder die Verlängerung des Erbbaurechts empfiehlt.
Teil des Leitbildes von
Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers am Ende der Laufzeit des
Erbbaurechts noch besteht.
cc) Der Verstoß der Allgemeinen Geschäftsbedingung gegen das gesetzliche
Leitbild führt im Zweifel zu deren Unwirksamkeit. Anderes gilt, wenn die
Leitbildabweichung sachlich gerechtfertigt ist und der gesetzliche Schutzzweck
auf andere Weise sichergestellt wird (Senat, Urteil vom 18. Juli 2014
- V ZR178/13,
- VII ZR 162/12,
vom 28. Januar 1983 enthält keine Regelung, die die mit dem
Ausschluss der Abwendungsbefugnis verbundenen Nachteile für den Grundstückseigentümer
ausgleicht oder aus sonstigen Gründen als ausnahmsweise
tragbar erscheinen lassen.
Eine solche Regelung liegt insbesondere nicht in der Reduzierung der
Entschädigungssumme auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks. Zwar
ist die Gefahr, dass der Grundstückseigentümer durch die Leistung der Entschädigung
in finanzielle Schwierigkeiten gerät, umso stärker, je höher diese
ist. Selbst eine auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks beschränkte
Entschädigung kann aber, insbesondere bei einem hohen Verkehrswert, zu einer
bedeutenden Entschädigungssumme führen, deren Zahlung bzw. Finanzierung
dem Grundstückseigentümer nicht möglich ist oder zu einem beträchtlichen
Liquiditätsverlust führt.
III.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben.
Der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da er
nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
ZPO). Es muss klären, ob es sich bei der Regelung in Abschnitt III § 6 ErbbV
um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Verzugszinsen ab dem 11. Mai 2014 kann die Klägerin nur verlangen,
wenn sich die Beklagen in Verzug befunden haben. Das setzt eine Mahnung
voraus (§ 284 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i.V.m. Art. 229 § 5 EGBGB). Eine solche
Mahnung war nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagten die Verlängerung
des Erbbaurechts angeboten haben. Zwar bedarf es nach ständiger Rechtspre-
chung für den Eintritt des Verzugs keiner Mahnung, wenn der Schuldner die
Erfüllung grundlos endgültig verweigert. Voraussetzung des Verzugs ist aber
auch in diesem Fall, dass die Leistung des Schuldners fällig ist (Senat, Urteil
vom 28. September 2007 - V ZR 139/06,
zum Zeitpunkt des Verlängerungsangebots der Klägerin noch nicht der Fall. Die
Entschädigungsforderung entsteht zwar bereits mit der Entstehung des Erbbaurechts
als bedingtes Recht. Ihre Fälligkeit ist aber bis zum Erlöschen des Erbbaurechts
aufgeschoben (Senat, Beschluss vom 11. April 2013 - V ZB 109/12,
Eine nach Fälligkeit erklärte Mahnung durch die Klägerin ist bislang nicht
festgestellt. Für sie wäre zu prüfen, ob sie trotz einer Zuvielforderung wirksam
wäre (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 1999 - V ZR 190/98,
mwN; Urteil vom 28. Januar 2000 - V ZR 252/98,
2. Im Rahmen der neu zu treffenden Kostenentscheidung wird das Berufungsgericht
bei der zu bildenden Kostenquote zu berücksichtigen haben, dass
- worauf die Revision zu Recht hinweist - die Klage gegen die in dem Rubrum
des Urteils des Landgerichts als Beklagte zu 3 bezeichnete Partei in erster Instanz
rechtskräftig als unzulässig abgewiesen worden ist (vgl. Zöller/Herget,
ZPO, 32. Aufl., § 100 Rn. 5 ff.).
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:23.11.2018
Aktenzeichen:V ZR 33/18
Rechtsgebiete:
AGB, Verbraucherschutz
Erbbaurecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
MittBayNot 2019, 571-574
NJW-RR 2019, 755-758
NotBZ 2019, 260-261
ErbbauRG § 27 Abs. 3; BGB § 307 Abs. 1 u. 2 Nr. 1