BGH 28. Januar 2021
IX ZR 55/20
HGB §§ 128, 161 Abs. 2, 171, 172 Abs. 4; InsO § 55 Abs. 4

Kommanditistenhaftung in der Insolvenz der Gesellschaft

letzte Aktualisierung: 30.9.2021
BGH, Urt. v. 28.1.2021 – IX ZR 55/20

HGB §§ 128, 161 Abs. 2, 171, 172 Abs. 4; InsO § 55 Abs. 4
Kommanditistenhaftung in der Insolvenz der Gesellschaft

1. Die Haftung des Kommanditisten für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in der Insolvenz der
Gesellschaft ist nicht ausgeschlossen, wenn die Ansprüche des Gläubigers Masseverbindlichkeiten
darstellen. Vielmehr ist die Kommanditistenhaftung nicht auf zur Insolvenztabelle angemeldete
Forderungen beschränkt.
2. Der Haftung des beklagten Kommanditisten steht nicht entgegen, dass der Kommanditist, der
eine Verbindlichkeit der Gesellschaft befriedigt, unter Umständen einen Regressanspruch gegen die
Gesellschaft erwirbt.

(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung
des Beklagten.

I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Haftung des Beklagten sei zwar
aufgrund der Ausschüttungen gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB wieder aufgelebt.
Jedoch hafte der Beklagte nicht für die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts
Bremen.

Die Haftung des Kommanditisten für durch Handlungen des Insolvenzverwalters
oder durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründete
Masseverbindlichkeiten sei ausgeschlossen. Diese Haftungsbeschränkung
erfasse auch die gemäß § 55 Abs. 4 InsO aufgrund gesetzlicher Fiktion zur Masseschuld
umqualifizierte Gewerbesteuerforderung. § 55 Abs. 4 InsO erstrecke
sich auf alle Steuerarten. Zwar sei die Begründung der immanenten Haftungsbeschränkung
für Masseverbindlichkeiten nur eingeschränkt geeignet, eine Haftungsbeschränkung
in den Fällen zu rechtfertigen, in denen die Masseverbindlichkeit
nach § 55 Abs. 4 InsO auf der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
beruhe. Die von § 55 Abs. 4 InsO vorgesehene gesetzliche Gleichstel-
lung mit den Fällen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO rechtfertige jedoch die Übertragung
dieser Grundsätze. Behandle man die Steuerverbindlichkeit in Ansehung
der Haftung der Kommanditisten als Insolvenzforderung und im Übrigen als Masseverbindlichkeit,
laufe dies der gesetzlichen Regelung zuwider und führe zu einer
systemwidrigen Aufspaltung.

Die Gewerbesteuerforderung aus der Veräußerung des Schiffes stelle
eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO dar. Maßgeblich sei die Veräußerung
des Schiffs. Es handele sich um keine aufoktroyierte Verbindlichkeit,
weil die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters rechtlich nicht zwingend
gewesen sei.

II.
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Der Beklagte haftet den Gläubigern der Schuldnerin als Kommanditist
gemäß § 171 Abs. 1 HGB unmittelbar. Aufgrund der erhaltenen Ausschüttungen
ist die Haftung des Beklagten nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 9.970,19 € wieder aufgelebt.

2. Die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 stellt
eine Gesellschaftsverbindlichkeit dar. Wie der Senat mit Urteil vom 28. Januar
2021 (IX ZR 54/20, zVb) ausgeführt und näher begründet hat, stellen Gewerbesteuerforderungen
aus dem Geschäftsbetrieb einer Kommanditgesellschaft auch
dann eine Gesellschaftsverbindlichkeit dar, wenn es sich um Masseverbindlichkeiten
handelt.

3. Der Beklagte haftet gemäß §§ 128, 161 Abs. 2, § 171 Abs. 1 HGB auch
für die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016. Dies ergibt
sich aus den allgemeinen Grundsätzen für die Haftung eines Kommanditisten.
Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht, dass die Haftung des Kommanditisten
für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in der Insolvenz der Gesellschaft
ausgeschlossen sei, wenn die Ansprüche des Gläubigers Masseverbindlichkeiten
darstellen. Vielmehr ist die Kommanditistenhaftung nicht auf zur Insolvenztabelle
angemeldete Forderungen beschränkt.

a) Der Senat hat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) näher
ausgeführt, dass bei bestimmten Masseverbindlichkeiten die Haftung des
Schuldners gegenständlich beschränkt sein kann. Eine solche gegenständlich
beschränkte Haftung des Schuldners für bestimmte Masseverbindlichkeiten gebietet
es jedoch nicht, die Haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten
in der Insolvenz der Gesellschaft aus insolvenzrechtlichen Gründen
einzuschränken. Dies hat der Senat im Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20,
zVb) begründet und dabei an der entgegenstehenden Rechtsprechung (BGH,
Urteil vom 24. September 2009 - IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204) nicht festgehalten.

b) Der Beklagte haftet als Kommanditist für solche Masseverbindlichkeiten,
welche die Schuldnerin begründet hat. Dies trifft auf die Gewerbesteuerforderung
des Finanzamts aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 zu. Es besteht - wie
der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) weiter entschieden
und im Einzelnen begründet hat - kein Anlass, die Haftung eines Kommanditisten
nach §§ 128, 161 Abs. 2, §§ 171, 172 Abs. 4 HGB für Masseverbindlichkeiten
nach § 55 Abs. 4 InsO einzuschränken, welche vom Schuldner begründet worden
sind. Wie der Senat in der Parallelsache mit Urteil vom 28. Januar 2021
(IX ZR 54/20, zVb) ausgeführt hat, stellt die Gewerbesteuerforderung aus dem
Bescheid vom 3. Juni 2016 eine von der Schuldnerin begründete Verbindlichkeit
dar.

4. Der Kläger kann gemäß § 171 Abs. 2 HGB die persönliche Haftung des
Beklagten für die Verbindlichkeit der Schuldnerin geltend machen. Für § 93 InsO
ist es unerheblich, ob die Verbindlichkeit der Gesellschaft eine Masseverbindlichkeit
darstellt. Das gleiche gilt für § 171 Abs. 2 HGB. Dies hat der Senat mit Urteil
vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) entschieden und näher begründet.

5. Der Haftung des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Kommanditist,
der eine Verbindlichkeit der Gesellschaft befriedigt, unter Umständen einen
Regressanspruch gegen die Gesellschaft erwirbt (§ 110 HGB; vgl. Baumbach/
Hopt/Roth, HGB, 39. Aufl., § 128 Rn. 25). Dies hat der Senat mit Urteil vom
28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) entschieden und näher begründet.

III.
Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden. Die Aufhebung des
Berufungsurteils erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes
auf das festgestellte Sachverhältnis; nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung
reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
die Insolvenzmasse nicht genügt, um die Forderung des Finanz-
amts zu erfüllen, ist der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Zinsanspruch
folgt aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

28.01.2021

Aktenzeichen:

IX ZR 55/20

Rechtsgebiete:

Handelsregisterrecht und allgemeines Gesellschaftsrecht
Kommanditgesellschaft (KG)
Allgemeines Schuldrecht
OHG
Insolvenzrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

HGB §§ 128, 161 Abs. 2, 171, 172 Abs. 4; InsO § 55 Abs. 4