ErbbauRG § 27 Abs. 3; BGB § 307 Abs. 1 u. 2 Nr. 1
Abbedingung der Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers im formularmäßigen Erbbaurechtsvertrag
Eine in einem Erbbaurechtsvertrag formularmäßig verwendete Klausel, wonach die Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers nach § 27 Abs. 3 ErbbauRG schuldrechtlich oder als Inhalt des Erbbaurechts ausgeschlossen ist, widerspricht dem gesetzlichen Leitbild des Erbbaurechts und ist nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel unwirksam. Das gilt auch dann, wenn in dem Erbbaurechtsvertrag die Entschädigung, die der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten nach Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf zu leisten hat, auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks begrenzt wird.
BGH, Urt. v. 23.11.2018 – V ZR 33/18
Problem
Erlischt das Erbbaurecht durch Zeitablauf, hat der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für das Bauwerk zu leisten (§ 27 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG). Nach § 27 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 ErbbauRG hat der Grundstückseigentümer indes ein Schutzrecht gegen diesen potentiellen Entschädigungsanspruch: Er kann seine Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung dadurch abwenden, dass er dem Erbbauberechtigten das Erbbaurecht vor dessen Ablauf für die voraussichtliche Standdauer des Bauwerks verlängert. Damit kann der Grundstückseigentümer seiner Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung entgehen, denn: Lehnt der Erbbauberechtigte die Verlängerung ab, so erlischt der Anspruch auf Entschädigung (§ 27 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 ErbbauRG). Der BGH hatte nun Gelegenheit, über die Reichweite der Disponibilität dieses Schutzrechts des Grundstückseigentümers zu entscheiden.
Dem lag (verkürzt) ein Sachverhalt zugrunde, in welchem die Rechtsvorgänger der Beklagten – die in ungeteilter Erbengemeinschaft Miteigentümer zweier Grundstücke sind – an diesen Grundstücken ein Gesamterbbaurecht für die Dauer von mindestens 30 Jahren bestellt hatten; im zugrundeliegenden Erbbaurechtsvertrag wurde die Höhe des Entschädigungsanspruchs des Erbbauberechtigten nach Zeitablauf in Abweichung von § 27 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG auf zwei Drittel des Verkehrswerts der errichteten Bauten und Anlagen beschränkt und zugleich die Abwendungsbefugnis der Beklagten als Grundstückseigentümer durch Abbedingung des § 27 Abs. 3 S. 1 ErbbauRG ausgeschlossen. Während nach allgemeiner Literaturansicht das Schutzrecht des Grundstückseigentümers – also die Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 3 ErbbauRG – im Individualvertrag vollumfänglich dispositiv ist, d. h. abgeändert oder gänzlich ausgeschlossen werden kann, war bislang nicht geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen über die Abwendungsbefugnis formularmäßig (mittels AGB) disponiert werden kann.
Am Ende der Laufzeit des Erbbaurechtsvertrages boten die Beklagten der Klägerin, die das Erbbaurecht erworben und auf den Grundstücken einen Verbrauchermarkt errichtet hatte, an, das Gesamterbbaurecht um zehn Jahre zu verlängern, was diese jedoch ablehnte. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin Entschädigungszahlung in Höhe von zwei Dritteln des gerichtlich zu ermittelnden Verkehrswerts nach § 27 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG i. V. m. der einschlägigen (die Verkehrsbeschränkung enthaltenden) Bestimmung im Erbbaurechtsvertrag. Im Streit stand, ob der Entschädigungsanspruch durch das Angebot der Beklagten auf Verlängerung des Erbbaurechts nach der Vorgabe des § 27 Abs. 3 S. 1 ErbbauRG erloschen war. Davon wäre nur ausgehen, wenn § 27 Abs. 3 S. 1 ErbbauRG nicht wirksam abbedungen worden wäre.
Entscheidung
Der BGH bekräftigt zunächst die allgemein konsentierte Ansicht, dass das Recht des Grundstückseigentümers, die Zahlung der Entschädigung gem. § 27 Abs. 3 ErbbauRG abzuwenden, durch einen Individualvertrag abbedungen werden kann (entweder gänzlich oder abändernd). Als Inhalt des Erbbaurechts – wollen sich die Parteien nicht auf eine schuldrechtliche Vereinbarung beschränken – könne demnach vereinbart werden, dass das Recht des Grundstückseigentümers, seine Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung durch Verlängerung des Erbbaurechts abzuwenden, ausgeschlossen ist. Die Abdingbarkeit ergebe sich bereits aus der Bestimmung des § 27 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG. Zwar erfasse diese Bestimmung (auf die § 27 Abs. 3 ErbbauRG nicht verweist) nur Vereinbarungen über die Höhe der Entschädigung, die Art ihrer Zahlung sowie über ihren Ausschluss, nicht hingegen unmittelbar Vereinbarungen über die Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers; auf sein Schutzrecht gegen den Entschädigungsanspruch könne der Grundstückseigentümer aber schon nach allgemeinen Grundsätzen als Betroffener verzichten und als Ausdruck dieser Verzichtbarkeit mit dem Erbbauberechtigten den Ausschluss der Abwendungsbefugnis vereinbaren, und zwar – ebenso wie bei einer Vereinbarung nach § 27 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG – auch mit dinglicher Wirkung, d. h. als Inhalt des Erbbaurechts.
Liege jedoch keine individualvertragliche Abbedingung vor, sondern eine solche durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (ob solche vorlagen, wird das OLG Zweibrücken, an das zwecks diesbezüglicher Ermittlung zurückverwiesen wurde, zu klären haben), halte die Abbedingung regelmäßig einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe des § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBGB (jetzt: § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht stand. Es könne offenbleiben, wie der Meinungsstreit bzgl. der Möglichkeit der formluarmäßigen Abbedingung des Entschädigungsanspruchs nach § 27 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG zu entscheiden sei. Jedenfalls der formularmäßige Ausschluss der Abwendungsbefugnis sei mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in § 27 Abs. 3 ErbbauRG unvereinbar und deshalb grundsätzlich unwirksam (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Dem liege zugrunde, dass die genannte Regelung nicht nur der Zweckmäßigkeit diene, sondern Gerechtigkeitsvorstellungen des Gesetzgebers durchsetzen wolle. Die Regelung sei Ergebnis einer vom Gesetzgeber vorgenommenen Risikoverteilung hinsichtlich der Weiterverwendung des Bauwerks nach Ablauf des Erbbaurechts. Deren formularmäßige Abbedingung widerspreche daher dem gesetzlichen Leitbild des Erbbaurechts und sei damit nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (hier nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG) im Zweifel unwirksam. Das gelte auch dann, wenn in dem Erbbaurechtsvertrag die Entschädigung, die der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten nach Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf zu leisten hat, auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks begrenzt sei. Sinn und Zweck der Abwendungsbefugnis sei es, den Grundstückseigentümer davor zu bewahren, durch die Entschädigungspflicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten; dies werde bewerkstelligt, indem er die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung durch die Verlängerung des Erbbaurechts abwenden könne. Dieser Möglichkeit des Grundstückseigentümers, zwischen der Übernahme des Bauwerks gegen Zahlung einer Entschädigungssumme und der Verlängerung des Erbbaurechts zu wählen, komme zentrale Bedeutung für den Ausgleich seiner Interessen mit denen des Erbbauberechtigten am Ende der Laufzeit des Erbbaurechts zu. Könnte dagegen der Grundstückseigentümer die Entschädigungspflicht nicht abwenden, wäre der Ablauf des Erbbaurechts für ihn unter Umständen mit erheblichen wirtschaftlichen Belastungen verbunden; so vor allem, wenn ihn die Pflicht, die Entschädigungssumme zu zahlen oder zu finanzieren oder den damit verbundenen Liquiditätsabfluss zu verkraften, zur Unzeit treffe. Zudem müsste der Eigentümer ohne Abwendungs- und damit Verlängerungsbefugnis das Risiko der Anschlussverwendung des Bauwerks tragen und dies, obgleich der Erbbauberechtigte als derjenige, der die baulichen Investitionen getätigt hat, dieses Risiko besser tragen könnte. Würden diese Nachteile, die eine Abbedingung der Abwendungsbefugnis für den Grundstückseigentümer mit sich brächten, nicht durch anderweitige Vereinbarungen kompensiert, sei die Abbedingung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen daher unwirksam.