Sozialversicherungspflicht eines zu 50 % beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers
letzte Aktualisierung: 4.4.2024
SG Landshut, Urt. v. 11.1.2024 – S 1 BA 23/23
SGB IV §§ 7, 28p;
Sozialversicherungspflicht eines zu 50 % beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, der 50 vH der Anteile am Stammkapital hält, ist
ausnahmsweise dann nicht selbstständig, wenn dem anderen Gesellschafter bei Stimmengleichheit
(Pattsituation) das Recht zusteht, im Wege eines Stichentscheides eine Entscheidung in der
Gesellschafterversammlung herbeizuführen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.10.2022 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
I.
Im Rahmen der Betriebsprüfung hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass der Beigeladene zu 2) in der
Zeit vom 01.01.2018 bis zum 31.05.2022 aufgrund abhängiger Beschäftigung versicherungspflichtig war. Der
Beigeladene zu 2) unterlag im streitigen Zeitraum in seiner für die Klägerin verrichteten Tätigkeit als im
Handelsregister eingetragener GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Beklagte hat die
erhobene Beitragsnachforderung gegenüber der Klägerin daher zu Recht festgesetzt.
1. Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
IV). Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern unter
anderem, ob diese ihre Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem
Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Insbesondere prüfen sie die Richtigkeit
der Beitragszahlungen. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung
Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und
Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung, § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV.
2. Versicherungspflichtig sind in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes
Buch (SGB VI) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Drittes Buch (SGB III) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen.
a) Beschäftigung ist gem. § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem
Arbeitsverhältnis (S. 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S. 2). Nach der ständigen Rechtsprechung
des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin
persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der
Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem nach Zeit Dauer, Ort und Art der Ausführung
umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich
bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“
verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene
Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die
eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob
jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der
Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die
Statusbeurteilung vom BSG entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl.
[Honorararzt]) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl. BSG 29.6.2021 –
B 12 R 8/19 R,
2021, 1980).
Ist ein GmbH-Geschäftsführer – wie vorliegend – zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft
beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden
Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung
und selbstständiger Tätigkeit (zu den ähnlichen Kriterien des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs EuGH =
Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu
werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die
Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche
Rechtsmacht ist grundsätzlich bei Gesellschaftern gegeben, die zumindest 50% der Anteile am
Stammkapital halten (BSG 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R, Rn. 21). Dagegen sind Minderheitsgeschäftsführer
grundsätzlich abhängig beschäftigt (BSG 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R). Sie sind ausnahmsweise nur dann
als Selbstständige anzusehen, wenn ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder
„qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist.
Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen dabei also in der Lage sein, einen
maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse ausüben und dadurch die Ausrichtung der
Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese
Mitbestimmungsmöglichkeit sind (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführer nicht im „eigenen“
Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (
die GmbH als ihre Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine „unechte“, nur auf bestimmte Gegenstände
begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr; vgl. zB BSG,
Urteil vom 1.2.2022 – B 12 R 19/19 R,
– B 12 R 4/19 R,
unternehmerisch, wenn er auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen kann.
Gesellschafter-Geschäftsführer müssen daher Gewinnchancen und Unternehmensrisiken mitbestimmen und
damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem
Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschaftssowie Personalpolitik (vgl. BSG DStR
2022, 1624 =
Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführte Angelegenheiten besteht,
auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollten. Nur wenn der
Geschäftsführer aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung über die Rechtsmacht verfügt, ihm nicht
genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern, scheidet abhängige Beschäftigung aus.
b) Über solche, einem Selbstständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und
Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügt der Beigeladene zu 2) in der klagenden Gesellschaft nach dem
Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Grundsätzlich reichen zwar
bei zwei GmbH-Gesellschaftern 50% Anteile am Stammkapital der Gesellschaft aus, um statusrechtlich als
selbständiger GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer eingestuft zu werden. Dies gilt jedoch nur solange, als
die daraus resultierende Verhinderungsmacht nicht durch andere gesellschaftsrechtlich verankerte
Stimmrechtsregelungen in der Gesellschafterversammlung wieder aufgehoben werden. Entscheidend ist,
dass für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer die notwendige
Rechtsmacht durch Gesellschaftsvertrag haben muss, die ihn in die Lage versetzt, die Geschicke der
Gesellschaft zu bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung
verhindern zu können. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Beschlüsse der
Gesellschaft gemäß § 6 Nr. 1 GV mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden. Zu
beachten ist hierbei jedoch, dass nach § 6 Nr. 2 GV im Falle der Stimmengleichheit, dem Gesellschafter Z.
das gesellschaftsrechtlich unabdingbare Sonderrecht zusteht, eine Entscheidung im seinem Sinne
herbeizuführen. Gegen die Wirksamkeit der Stichentscheids-Klausel bestehen keine rechtlichen Bedenken
(mwH. MüKoGmbHG/Drescher, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 47 Rn. 55). Daraus ergibt sich, dass Beigeladene
zu 2) eben nicht die Rechtsmacht besitzt, Beschlüsse der Gesellschaftsversammlung gegen den Willen des
Gesellschafters Herrn Z. zu fassen. Oder anders ausgedrückt, dem Beigeladenen zu 2) steht keine
Verhinderungsmacht zu, Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Bei Stimmengleichheit
hat immer Herr Z. das letzte Entscheidungsrecht und damit Rechtsmacht alle wesentlichen Entscheidungen
in der Gesellschaft in seinem Sinne durchzusetzen. Somit war der Beigeladene zu 2) bis zur Änderung des
Gesellschaftsvertrages nicht in die Lage, Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall zu verhindern. Er war
vielmehr im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die Klägerin rechtlich an die Weisungen der
Gesellschafterversammlung gebunden. Damit wurde durch die Stichentscheids-Klausel dem Beigeladenen
zu 2) seine zunächst auf Grund seines 50% Anteils am Gesellschaftsvermögen bestehende Sperrminorität
wieder genommen. Nicht entscheidend ist, dass in der betrieblichen Praxis von der Stichentscheids-Klausel
tatsächlich kein Gebrauch gemacht wurde bzw. dass aufgrund familiärer Beziehungen faktisch eine
gleichberechtigte Geschäftsführung des Unternehmens gelebt wurde. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“
außerhalb gesellschaftsvertragsrechtlicher Bindungen ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit
sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren (stRspr; vgl zB BSG Urteil
vom 7.7.2020 – B 12 R 17/18 R – SozR 4-2400 § 7 Nr. 49 RdNr. 25 mwN). Es ist rechtlich daher
unbeachtlich, wenn es zwischen den Gesellschaftern nie zu erheblichen Differenzen gekommen ist und dass
im streitgegenständlichen Zeitraum alle Entscheidungen einvernehmlich getroffen wurden. Eine gegenseitige
Rücksichtnahme mag solange eine gewisse Bedeutung haben, wie das Einvernehmen der Beteiligten
gewahrt bleibt. Im Falle eines Zerwürfnisses wäre jedoch allein die dem Gesellschafter Z. zustehende
Rechtsmacht zum Tragen gekommen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze war der Beigeladene zu 2) nicht selbstständig tätig, sondern abhängig
beschäftigt.
c) Abgerundet wird dieses Ergebnis durch die Regelungen im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag. Nach § 1
Abs. 3 des Vertrages war der Beigeladene zu 2) verpflichtet, seine volle Arbeitskraft – neben seiner
selbständigen Tätigkeit im Rahmen eines Ingenieurbüros – in die Dienste der Gesellschaft zu stellen. Als
Vergütung erhielt der Beigeladene zu 2) nach § 3 des Vertrages für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt
i.H.v. zunächst 44.200,00 € brutto, zahlbar in 13 gleichen monatlichen Raten. Zudem hatte der Beigeladene
zu 2) nach § 4 Abs. 1 des Vertrages im Falle einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, die durch Krankheit,
Unfall oder aus einem anderen vom Beigeladenen zu 2) nicht zu vertretenden Grund eintrat, Anspruch auf
Fortzahlung seines Gehalts für die Dauer von bis zu 6 Monaten, längstens jedoch bis zur Beendigung des
Vertrages. Zudem stand dem Beigeladenen zu 2) nach § 5 Abs. 1 des Vertrages ein Anspruch auf bezahlten
Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen zu. Nach § 3 Abs. 3 des Vertrages erstattete die Klägerin dem
Beigeladenen zu 2) Aufwendungen, die ihm im Rahmen der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten
entstanden. Außerdem wurde ihm ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, den er dienstlich und privat
nutzen konnte (§ 3 Abs. 2 des Vertrages). Hierbei handelt es sich um typische Regelungen einer abhängigen
Beschäftigung. Ein unternehmerisches Risiko, die eingesetzte Arbeitskraft nicht vergütet zu bekommen, kann
hierin nicht gesehen werden.
Für die Kammer steht daher nach Abwägung sämtlicher Umstände und unter Berücksichtigung der
Regelungen im Gesellschaftsvertrag und in dem Geschäftsführeranstellungsvertrag fest, dass der
Beigeladene zu 2) in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die Klägerin im Zeitraum 01.01.2018 bis
31.05.2022 abhängig beschäftigt ist und daher Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.
3. Als Arbeitgeberin hat die Klägerin gem. § 28e Abs. 1, 28d SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag
für die bei ihr versicherungspflichtig beschäftigten Personen, somit auch für den Beigeladenen zu 2) zu
entrichten. Hinsichtlich der Höhe der Beitragsforderung sind Unrichtigkeiten nicht geltend gemacht worden
und auch nicht erkennbar.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf
(VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig noch sind diese mit
Kosten zu belasten, da sie von einer förmlichen Antragstellung in der mündlichen Verhandlung abgesehen
haben (vgl.
III.
Gemäß
den in
des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Da der Rechtsstreit eine bezifferte Geldleistung oder einen
hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, war der Streitwert in Höhe der Geldleistung festzusetzen (52 Abs.
1 und 3 GKG).
Entscheidung, Urteil
Erscheinungsdatum:11.01.2024
Aktenzeichen:S 1 BA 23/23
Rechtsgebiete:
GmbH
Sozialrecht
SGB IV §§ 7, 28p; GmbHG § 35