Ein im Erbscheinsverfahren geschlossener Vergleich ist kein Vollstreckungstitel
letzte Aktualisierung: 24.3.2021
OLG München, Beschl. v. 28.5.2020 – 31 Wx 126/20
ZPO §§ 794 Abs. 1 Nr. 1, 887;
Ein im Erbscheinsverfahren geschlossener Vergleich ist kein Vollstreckungstitel
1. Der von den Beteiligten in einem Erbscheinserteilungsverfahren geschlossene Vergleich stellt
keinen Vollstreckungstitel im Sinne des
2. Soweit die Beteiligten einen Vergleich schließen, der auf die Erteilung eines Erbscheins abzielt,
kann diese Vereinbarung das materielle Erbrecht nicht umfassen (im Anschluss an BayObLGZ
1966, 233).
Entscheidungsgründe
I.
Die am xx.xx.2016 verstorbene Erblasserin errichtete am 1.1.2002 eine handschriftliche Verfügung von
Todes wegen mit folgendem Wortlaut:
„Testament
Zum alleinigen Erben meines Besitzes bestimme ich Herrn U. H. - ausgenommen ist das Haus. Hier erhält
Herr H. das Wohnrecht auf Lebenszeit.
Ich mache Herrn H. zur Auflage, daß er alle meine Tiere gut versorgt.
Das Haus erben zu gleichen Teilen
a) J. H. z. Z. wohnhaft …
b) M. S. z. Z. wohnhaft ….
Sollte Herr H. vor mir sterben, oder unsere Beziehung beendet sein, erhalten die Mädchen alles - inklusive
gleicher Auflage.
eigenhändige Unterschrift“
Mit Beschluss vom 12.6.2017 kündigte das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins zugunsten des
Beteiligten zu 1 an; der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 (= Beschwerdeführerin) wurde
zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 schlossen die Beteiligten vor dem Nachlassgericht am 12.12.2017
einen Vergleich mit folgendem Inhalt:
„1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Beteiligte H. einen Erbschein erhält.
Die Beteiligte K. nimmt zu diesem Zweck den Erbscheinsantrag vom 04.02.2017 zurück.
2. Der Beteiligte H. verpflichtet sich in Vollzug des Testaments der Erblasserin, der Beteiligten K. die Hälfte
des Eigentums an dem zum Nachlass gehörenden Grundbesitz bis sp. 28.02.2018 unentgeltlich zu
übertragen, die Auflassung zu erklären und die Eintragung in das Grundbuch zu beantragen.
3. Der Beteiligte H. verpflichtet sich eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Beteiligten K. für den Fall
seines Todes an seiner Miteigentumshälfte eintragen zu lassen.“
In der Folgezeit erteilte das Nachlassgericht dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein, der ihn als Alleinerben
ausweist und bezüglich des Vergleichs eine vollstreckbare Ausfertigung für die Beteiligte zu 2.
Nachdem die Ziffern 2 und 3 des Vergleichs bislang nicht umgesetzt worden sind, beantragte die
Beschwerdeführerin nunmehr beim Nachlassgericht, nach § 887 ZPO ermächtigt zu werden, die Auflassung
für das näher bezeichnete Grundstück zu erklären.
Das Nachlassgericht wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass der Vergleich vom 12.12.2017
keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und deswegen nicht Grundlage der Zwangsvollstreckung sein
kann.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde dürfte im Ergebnis ohne Erfolg bleiben.
1. Das Nachlassgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass sich eine
Vollstreckung nach § 888 ZPO richte und die Voraussetzungen insoweit nicht vorlägen, weil der Vergleich
keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe.
Die Entscheidung des Nachlassgerichts könnte sich im Ergebnis als richtig erweisen, ohne dass es auf die
vom Nachlassgericht erörterte (und verneinte) Frage, ob der Vergleich vom 12.12.2017 hinreichend bestimmt
ist, überhaupt ankommt.
2. Der Vergleich vom 12.12.2017 dürfte - im Gegensatz zur Ansicht des Nachlassgerichts - schon gar kein
Vollstreckungstitel im Sinne des
Der Senat teilt die Ansicht des BayObLG, das im Kern von folgendem ausgeht:
a) Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit können die Beteiligten, soweit der Gegenstand der
Vereinbarung ihrer Disposition unterliegt, einen Vergleich schließen (§ 36 FamFG). Dies gilt grundsätzlich
auch für das Erbscheinsverfahren. Insoweit können sich die Beteiligten verfahrensrechtlich über die
Zurücknahme eines Erbscheinsantrags oder eines Rechtsmittels oder auch über einen Rechtsmittelverzicht
einigen, materiell-rechtlich allerdings nicht über die Erbenstellung selbst (
Dabei können auch Gegenstände mit geregelt werden, die selbst nicht Verfahrensgegenstand sind, wie z.B.
die Zahlung einer Abfindung oder die Auseinandersetzung des Nachlasses. Dies folgt schon daraus, dass
auch die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Kern darauf abzielen, Rechtsfrieden unter den
Beteiligten zu schaffen. Eine Möglichkeit der Vollstreckung von Vergleichen nach § 36 FamFG unmittelbar
nach dem FamFG ist nicht vorgesehen, wie beispielsweise
795 ZPO verweisen.
b) Ob eine im Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht und protokollierte Vereinbarung als
Vollstreckungstitel i.S. von
kann, wird unterschiedlich beurteilt.
Der Senat ist wie das BayObLG der Auffassung, dass der von den Beteiligten in einem Erbscheinsverfahren
geschlossene Vergleich kein Vollstreckungstitel i.S. von
aa) Unmittelbar ist
nicht aber für Vergleiche nach § 36 FamFG gilt.
bb) Der Senat ist darüber hinaus der Ansicht, dass auch keine entsprechende Anwendbarkeit von § 794 Abs.
1 Nr. 1 ZPO in Betracht kommt (so wohl auch: Wolfsteiner in: MüKo/ZPO 5. Auflage <2016> § 794 Rn. 115;
Lackmann in: Musielak/Voit ZPO 17. Auflage <2020> § 794 Rn. 49).
Umfang nach oder in betreff eines Teiles des Streitgegenstandes” geschlossen werden. Angesichts dieses
Wortlautes ging der ZPO-Gesetzgeber mithin davon aus, dass die Verfahrensbeteiligten über den
Verfahrensgegenstand im materiellen Sinn verfügen können.
(1) Im Erbscheinsverfahren fehlt es jedoch an einer solchen materiellen Befugnis (
Ulrici in: MüKoFamFG 3. Auflage <2018> § 36 Rn. 17; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11.
Auflage <2019> § 34 Rn. 2). Die beteiligten Erbprätendenten können über die Erbenstellung gerade nicht
verfügen, vielmehr können sie regelmäßig nur durch verfahrensrechtliche Handlungen und Erklärungen
darauf Einfluss nehmen, ob - und gegebenenfalls mit welchem Inhalt - ein Erbschein erteilt wird (BayObLG
a.a.O.; Gierl in: Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Auflage <2019> § 352e Rn. 165). Soweit der gerichtliche
Vergleich eine verfahrensrechtliche Verfügung der Beteiligten zum Gegenstand hat, bedarf es eines
Vollstreckungstitels aber nicht, da die entsprechenden Erklärungen, die in einem im Nachlassverfahren
geschlossenen Vergleich abgegeben werden, gegenüber dem Nachlassgericht unmittelbar wirksam werden
(z.B. Rücknahme eines Erbscheinsantrages). Ein Bedürfnis für die Anwendung des
besteht daher allenfalls insoweit, als im Vergleich andere vermögensrechtliche Positionen als die
Erbenstellung geregelt werden, die gerade nicht Gegenstand des Erbscheinsverfahrens sind, wie
Vermächtnisse, Abfindungen, Fragen der Auseinandersetzung oder Pflichtteilsansprüche (BayObLG a.a.O.).
Soweit sich die Beteiligten also vorliegend geeinigt haben, dass dem Beteiligten zu 1 ein Erbschein zu
erteilen ist, kann diese Regelung schon nicht Gegenstand eines Vergleichs in dem Sinne sein, dass damit
das materielle Erbrecht erfasst wird.
Ist eine (materiell-rechtliche) Einigung insoweit aber nicht möglich, kann sie insoweit auch nicht die
Grundlage einer Zwangsvollstreckung sein; darüber hinaus spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, dass
die unwirksame Einigung insoweit auch den restlichen Vergleich erfasst (
einem Titel überhaupt fehlen würde.
(2) Darüber hinaus sprechen nach Auffassung des Senats im Anschluss an die zutreffende Rechtsprechung
des BayObLG gegen die Anwendung des
auch die verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, die im Fall von Meinungsverschiedenheiten unter den
Beteiligten über den Vollzug des Vergleichs auftreten können. Dies gilt vor allem für die Frage, welches
Gericht über eine Vollstreckungsgegenklage (
Diesem Gesichtspunkt kommt schon deshalb besondere Bedeutung zu, weil bei gerichtlichen Vergleichen
die Präklusion gemäß
vollstreckbaren Anspruch in vollem Umfang geltend gemacht werden können. Die Vollstreckung aus
Vergleichen in Erbscheinsverfahren kann sich schon nach dem Ziel dieses Verfahrens, der Erteilung oder
Einziehung eines Erbscheins, ausschließlich auf Gegenstände beziehen, die ihrerseits nicht unmittelbarer
Gegenstand des Verfahrens sind. Eine Zuständigkeit des Nachlassgerichts, (auch) über solche Gegenstände
zu entscheiden, wäre keinesfalls sachgerecht, abgesehen davon, dass das Erbscheinsverfahren also
solches auch keine Rechtskraft kennt (BayObLG, a.a.O.).
Handelt es sich mithin bei dem Vergleich vom 12.12.2017 nicht um einen tauglichen Vollstreckungstitel, kann
er auch nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein.
Der Senat räumt der sofortigen Beschwerde deshalb keine Erfolgsaussichten ein.
Der Senat regt an, die Beschwerde zurückzunehmen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat - insoweit ohne Bindungswirkung - auf folgendes hin:
Im Hinblick auf die o.g. Ausführungen dürfte sich die Frage stellen, ob der am … erteilte Erbschein
einzuziehen ist (
was dem Senat zweifelhaft erscheint, insbesondere aufgrund der nur unzureichend durchgeführten
Ermittlungen zu den Wertverhältnissen der zugewendeten Nachlassgegenstände - dürfte seine Einziehung
allein aus verfahrensrechtlichen Gründen naheliegen, weil der geschlossene Vergleich über das materielle
Erbrecht nach Auffassung des Senats jedenfalls einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt.
Es besteht Gelegenheit, zu den Hinweisen des Senats bis einschließlich 26. Juni 2020 (Eingang beim Senat
Schleißheimer Straße 141) Stellung zu nehmen.
Anschließend muss jederzeit mit einer Entscheidung gerechnet werden.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:28.05.2020
Aktenzeichen:31 Wx 126/20
Rechtsgebiete:
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
ZPO §§ 794 Abs. 1 Nr. 1, 887; FamFG § 36