BGH 08. Mai 2024
XII ZB 577/23
BGB § 1815 Abs. 3; BGB § 1820 Abs. 3; BGB § 1814

Vorsorgevollmacht; mehrere einzelvertretungsberechtigte Bevollmächtigte; Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten; Einrichtung einer Vollbetreuung; Kontrollbetreuung für einen von mehreren Bevollmächtigten

letzte Aktualisierung: 13.9.2024
BGH, Beschl. v. 8.5.2024 – XII ZB 577/23

BGB §§ 1814 Abs. 3, 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3
Vorsorgevollmacht; mehrere einzelvertretungsberechtigte Bevollmächtigte; Ungeeignetheit
eines Bevollmächtigten; Einrichtung einer Vollbetreuung; Kontrollbetreuung für einen von
mehreren Bevollmächtigten

a) Sind in einer Vorsorgevollmacht mehrere einzelvertretungsberechtigte Bevollmächtigte bestellt
und erweist sich (nur) einer von ihnen als ungeeignet, kommt die Einrichtung einer Vollbetreuung in
den von der Vorsorgevollmacht umfassten Aufgabenbereichen regelmäßig nicht in Betracht, wenn
und soweit für die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen noch ein geeigneter
Bevollmächtigter mit Einzelvertretungsbefugnis zur Verfügung steht.
b) Die Einrichtung einer Kontrollbetreuung kann sich auch auf einen von mehreren Vorsorgebevollmächtigten
beziehen.

Gründe:

I.
Für den 1961 geborenen Betroffenen bestand eine Betreuung mit dem
Aufgabenkreis , Vertretung gegenüber Behörden, Gerichten
und anderen staatlichen Stellen und Gesundheitssorge , wobei die Ehefrau
des Betroffenen (Beteiligte zu 1) zur Betreuerin und eine Tochter des Betroffenen

(Beteiligte zu 2) zur Ersatzbetreuerin bestellt waren. Mit Beschluss vom 22. Dezember
2022 entließ das Amtsgericht die Beteiligten zu 1 und 2 hinsichtlich des
Aufgabenbereiches Vermögenssorge aus dem Betreueramt und bestellte statt
ihrer eine Berufsbetreuerin (Beteiligte zu 3). Mit demselben Beschluss erweiterte
das Amtsgericht die Betreuung um den Aufgabenbereich Geltendmachung von
Ansprüchen gegenüber der bisherigen Betreuerin und bestellte auch insoweit
die Beteiligte zu 3 zur beruflichen Betreuerin. Hintergrund dieser Anordnung waren
mehrfache gerichtliche Beanstandungen bei der Erstellung des Vermögensverzeichnisses
für den Betroffenen sowie Vermögensverfügungen, welche die
Beteiligte zu 1 zu eigenen Gunsten über ein gemeinsames Wertpapierkonto der
Ehegatten vorgenommen hatte. Eine dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten
zu 1 blieb ohne Erfolg.

Im vorliegenden Verfahren hat die Beteiligte zu 1 unter Hinweis auf eine
notarielle Vorsorgevollmacht, welche der Betroffene am 12. Dezember 2022 den
Beteiligten zu 1 und 2 erteilte, die Aufhebung der Betreuung begehrt. Mit Beschluss
vom 14. August 2023 hat das Amtsgericht, welches unter anderem Beweis
zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bei Errichtung der Vollmachtsurkunde
erhoben hat, in Abänderung und teilweiser Erweiterung seines
Beschlusses vom 22. Dezember 2022 angeordnet, dass die Bestellung der Beteiligten
zu
sprüchen gegenüber der bisherigen Betreuerin
-
schwerden des Betroffenen und der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht die Behenden
Rechtsmittel zurückgewiesen. Mit ihren Rechtsbeschwerden erstreben
der Betroffene und die Beteiligte zu 1 weiterhin die vollständige Aufhebung der
Betreuung.

II.
Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Bezüglich des Aufgabenbereichs

nach Mitteilung der Berufsbetreuerin die zuvor auf eigene Konten überwiesenen
Gelder wieder auf Konten des Betroffenen zurückerstattet habe. Im Übrigen sei
die Betreuung weiterhin erforderlich. Dies könne auch beim Vorliegen einer wirksam
erteilten Vorsorgevollmacht der Fall sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet
sei, insbesondere wenn erhebliche Bedenken an dessen Redlichkeit bestünden.
Angesichts der langjährig defizitären Betreuungsführung durch die Beteiligte
zu 1 sei zu befürchten, dass sie auch künftig im Rahmen der ihr erteilten
Vollmacht nicht willens oder nicht in der Lage sein werde, das Vermögen des
Betroffenen seinem Wohl entsprechend zu verwalten. Allein der Umstand, dass
die Beteiligte zu 1 die Vermögensverschiebungen zum Nachteil des Betroffenen
zwischenzeitlich wieder rückgängig gemacht habe, ändere nichts an dieser ungünstigen
Prognose.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Ein Betreuer darf nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bestellt werden,
wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten
des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt
werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB). Eine wirksame Vorsorgevollmacht
steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Eine
Betreuung kann aber gleichwohl erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet
ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere
weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen
durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres
ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher
Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint.

b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung schon deshalb
nicht gerecht, weil sie keine Ausführungen dazu enthält, warum die Angelegenheiten
des Betroffenen nicht wenigstens durch die Beteiligte zu 2 als Vorsorgebevollmächtigte
gleichermaßen wie durch einen Betreuer besorgt werden können.

In der notariellen Vollmachtsurkunde vom 12. Dezember 2022 ist sowohl
der Beteiligten zu 1 als auch der Beteiligten zu 2 die Befugnis zur Einzelvertretung
eingeräumt. Zwar hat das Amtsgericht auch die Beteiligte zu 2 als ungeeignet
zur Ausübung der Vorsorgevollmacht angesehen, ohne diese Beurteilung
aber näher zu begründen. Soweit das Amtsgericht dabei möglicherweise auf die
Amtsführung der Beteiligten zu 2 als früherer Ersatzbetreuerin für den Aufgabenbereich
Vermögenssorge abstellen will, vermag dies ohne weitere tatrichterliche
Feststellungen keine Bedenken an der Befähigung oder Redlichkeit der Beteiligten
zu 2 zu begründen. Denn als Ersatz- oder Verhinderungsbetreuerin (§ 1899
Abs. 4 aF BGB; vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2019 - XII ZB 251/19 -
FamRZ 2020, 47 Rn. 11 f.; seit dem 1. Januar 2023: § 1817 Abs. 4 Satz 1 BGB)
kam der Beteiligten zu 2 nur dann eine vorübergehende Entscheidungsverantwortlichkeit
zu, wenn die Beteiligte zu 1 als Hauptbetreuerin aus tatsächlichen
oder rechtlichen Gründen an der Führung des Betreueramtes gehindert war. Es
ist weder festgestellt, dass ein solcher Verhinderungsfall überhaupt eingetreten
wäre, noch sind Feststellungen dazu getroffen, dass eine Amtsführung der Beteiligten
zu 2 im Aufgabenbereich Vermögenssorge während einer etwaigen Verhinderungszeit
besonderen Beanstandungen unterlegen hätte. Steht indessen
für die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen (zumindest) ein geeigneter
Bevollmächtigter mit Einzelvertretungsbefugnis zur Verfügung, kommt die
Einrichtung einer Vollbetreuung mit den von der Vorsorgevollmacht umfassten
Aufgabenbereichen nicht in Betracht.

3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben, da
das Beschwerdegericht weitere Feststellungen zur Eignung der Beteiligten zu 2
zu treffen hat. Für das weitere Verfahren sind noch die folgenden rechtlichen
Hinweise veranlasst:

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die dieser in Fortbildung
des bis zum 31. Dezember 2022 gültigen Rechts entwickelt hatte, durfte der Betreuer
zur Wahrung des aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Selbstbestimmungsrechts
des Betreuten und im Hinblick auf die Schwere des in der Ermächtigung
zum Vollmachtwiderruf liegenden Grundrechtseingriffs die Vorsorgevollmacht
nur dann widerrufen, wenn ihm die Befugnis hierzu durch das Betreuungsgericht
als eigenständiger Aufgabenbereich ausdrücklich zugewiesen worden war
(grundlegend Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 10 ff.).
Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber des reformierten Betreuungsrechts
nicht aufgegriffen, nachdem er den Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch den
Betreuer abweichend vom früheren Rechtszustand von der Erteilung der betreuungsgerichtlichen
Genehmigung abhängig gemacht hat (§ 1820 Abs. 5 Satz 2
BGB) und er danach eine zweifache Befassung des Betreuungsgerichts mit dem
Sachverhalt vermeiden wollte. Nach der Reform besitzen daher sowohl der Kontrollbetreuer
als auch jeder andere Betreuer im Rahmen des ihm übertragenen
Aufgabenkreises gleichzeitig die rechtliche Befugnis zum Widerruf einer Vorsorgevollmacht,
ohne dass dies bei der Betreuerbestellung besonders angeordnet
werden müsste (vgl. BT-Drucks. 19/24445 S. 248).

b) Sind mehrere einzelvertretungsberechtigte Bevollmächtigte vorhanden
und erweist sich (nur) einer von ihnen nicht als geeignet, kann grundsätzlich das
Bedürfnis nach einer Überwachung des ungeeigneten Bevollmächtigten und gegebenenfalls
einem auf ihn beschränkten Teilwiderruf der Vollmacht bestehen.

Ob die anderen Einzelbevollmächtigten hierzu befugt sind, ist eine Frage der
Auslegung der konkreten Vorsorgevollmacht, die in vielen Fällen dahingehend zu
beantworten sein dürfte, dass dem Bevollmächtigten jedenfalls die Möglichkeit
zum Widerruf der gleichrangigen Vollmacht eines anderen Bevollmächtigten
nicht eingeräumt werden soll (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2022, 736 f. und
FamRZ 2010, 1762, 1763; vgl. hierzu auch Spernath MittBayNot 2021, 425,
429 f., 436 f.; Stascheit RNotZ 2020, 61, 83 f. mwN). Dann kann die gerichtliche
Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 BGB geboten
sein, dessen Tätigkeit sich auch auf einen von mehreren Bevollmächtigten
beziehen kann (vgl. Zimmermann Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung,
Ehegattennotvertretungsrecht 4. Aufl. Rn. 124).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

08.05.2024

Aktenzeichen:

XII ZB 577/23

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)

Normen in Titel:

BGB § 1815 Abs. 3; BGB § 1820 Abs. 3; BGB § 1814