BGH 09. Dezember 2021
V ZB 25/21
BNotO § 15; BeurkG § 53

Wucherähnliches Geschäft; Vollzug eines Kaufvertrags bei Vorliegen eines entsprechenden Verkehrswertgutachtens

BNotO § 15; BeurkG § 53
Wucherähnliches Geschäft; Vollzug eines Kaufvertrags bei Vorliegen eines entsprechenden Verkehrswertgutachtens

1. Die Beschwerde nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNotO kann auf neue Tatsachen gestützt werden (§ 65 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO). Unabhängig davon hat das Beschwerdegericht die Beschwerde wie ein Erstgericht auf alle Gründe zu prüfen, die ihr zum Erfolg verhelfen können (§ 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO); dabei hat es auch nach der Entscheidung des Notars bekanntgewordene Umstände zu berücksichtigen.

2. Bescheide oder Gutachten über den Wert eines verkauften Grundstücks sind grundsätzlich ungeeignet, die evidente Unwirksamkeit eines über das Grundstück geschlossenen Kaufvertrags unter dem Gesichtspunkt eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gegenüber dem Notar zu belegen; er muss sie daher im Rahmen seiner Vollzugstätigkeit nach § 53 BeurkG nicht prüfen. Entsprechendes gilt für das Beschwerdegericht, das im Rahmen einer Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO nur zu entscheiden hat, ob der Notar pflichtwidrig handelt.

BGH, Beschl. v. 9.12.2021 – V ZB 25/21

Problem
Die Beteiligten schlossen einen notariellen Grundstückskaufvertrag. Nach Beurkundung, aber vor Vollzug teilte die Verkäuferin der Notarin mit, der Käufer habe ihr – außerhalb der Urkunde – zugesichert, für sie eine Eigentumswohnung zu suchen und ihr beim Umzug behilflich zu sein. Die Notarin kündigte daraufhin mittels Vorbescheides an, den Vollzug nicht weiter zu betreiben, da die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Vertrag wegen nicht beurkundeter Nebenabreden nichtig sei. Nach Stellungnahme des Käufers erließ die Notarin einen Abhilfebescheid, in dem sie ankündigte, die Urkunde nun doch zu vollziehen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Verkäuferin, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstmalig geltend macht, es liege ein wucherähnliches Geschäft vor.

Entscheidung
Der BGH bestätigt die Entscheidung des Beschwerdegerichts, das davon ausging, dass die Auflassung dem Grundbuchamt zum Vollzug vorzulegen sei. Es sei nicht Aufgabe des Notars und damit auch nicht des Beschwerdegerichts, über die materiell-rechtliche Wirksamkeit einer beurkundeten Willenserklärung zu befinden. Von einem Vollzug dürfe der Notar nur absehen, wenn die Unwirksamkeit für ihn ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar sei.

Dies sei hier weder wegen nicht beurkundeter Nebenabreden offensichtlich, noch liege ersichtlich ein wucherähnliches Geschäft vor. Ob die Zusage, eine Eigentumswohnung für die Verkäuferin zu suchen, mit Rechtsbindungswillen gegeben worden sei, lasse sich nur im Rahmen eines Zivilverfahrens klären. Das Gleiche gelte für die Frage, ob ein wucherähnliches Geschäft vorliege. Aus dem vorgelegten Verkehrswertgutachten könne zwar entnommen werden, dass der Kaufpreis in auffälligem Missverhältnis zur Gegenleistung stehe. Das Geschäft sei aber nur dann gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn neben dem auffälligen Missverhältnis auch ein subjektives Element gegeben sei (i. d. R. verwerfliche Gesinnung des Begünstigten). Dies könne einem Verkehrswertgutachten nicht entnommen werden. Hinzu komme, dass selbst bei Vorlage eines Gutachtens für den Notar nur ausnahmsweise mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennbar sei, dass die darin getroffenen Einschätzungen zum Verkehrswert zutreffend seien. Ein Verkehrswertgutachten sei deshalb grundsätzlich ungeeignet, die evidente Unwirksamkeit eines über ein Grundstück geschlossenen Kaufvertrags zu belegen. Der Notar müsse die mögliche Unwirksamkeit im Rahmen des Vollzugs daher nicht aufgrund der Vorlage eines Verkehrswertgutachtens prüfen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

09.12.2021

Aktenzeichen:

V ZB 25/21

Rechtsgebiete:

Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 31

Normen in Titel:

BNotO § 15; BeurkG § 53