Entgeltliche Veräußerung einer Nachlass-Immobilie durch befreiten Vorerben
letzte Aktualisierung: 2.2.2022
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.9.2021 – 3 Wx 125/21
Entgeltliche Veräußerung einer Nachlass-Immobilie durch befreiten Vorerben
1. Ob die Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie durch den befreiten Vorerben
entgeltlich war, d.h. ihr eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand, hat das Grundbuchamt
ohne Bindung an die Beweisvorschrift des
würdigen.
2. Entgeltlichkeit ist zu bejahen, wenn die für die Bestimmung des Entgelts maßgebenden
Beweggründe im Einzelnen angegeben werden und verständlich sowie der Wirklichkeit gerecht
werdend erscheinen, und wenn begründete Zweifel an der Pflichtmäßigkeit der Handlung nicht
ersichtlich sind.
3. Die Prüfung der Entgeltlichkeit der Veräußerung beschränkt sich nach allgemeinen Grundsätzen
auf die dem Nachlassgericht vorgelegten Eintragungsunterlagen und sonstige offenkundige
Tatsachen. Dem Grundbuchamt ist es verwehrt, eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen
vorzunehmen.
4. Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe denjenigen Kaufpreis
vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode
maximal vertreten lässt. Zweifel an der Pflichtgemäßheit der Übertragung ergeben sich nämlich im
Allgemeinen nicht alleine aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen
Schätzpreisen gelangen.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 1. erstrebt die Löschung des Nacherbenvermerks, der in Abteilung II Nr. 5
des Grundbuchs von ……….., zugunsten der Beteiligten zu 2. und zu 3. eingetragen ist.
Dem Löschungsantrag liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Beteiligten zu 2. und zu 3. sind Nacherben nach dem Tod ihres Vaters ……... Dessen
zwischenzeitlich ebenfalls verstorbene Ehefrau ……… (nachfolgend: Erblasserin) war
befreite Vorerbin ihres Ehemannes. Die Eheleute waren hälftige Miteigentümer einer neu
errichteten, 90 qm großen Eigentumswohnung im Hause …….., die sie im Jahr 2004 zum
Preis von 209.900 Euro erworben hatten.
Mit notariellem Kaufvertrag des Notars ……… vom 28. Januar 2015 (UR-Nr. …….) hat der
Beteiligte zu 1. von der Erblasserin die vorgenannte Eigentumswohnung zu Eigentum
erworben, und zwar deren eigenen Miteigentumsanteil schenkweise und den unter die
befreite Vorerbschaft fallenden Miteigentumsanteil gegen Zahlung eines Barkaufpreises
von 100.000 Euro. Jener Kaufpreis war in Höhe eines Betrages von 50.000 Euro zur
Ablösung eines auf dem Wohnungseigentum noch eingetragenen Grundpfandrechts zu
entrichten und im Übrigen in monatlichen Raten von 900 Euro zu zahlen. Der Notarvertrag
sieht darüber hinaus ein lebenslanges Wohnungsrecht der Erblasserin an den Räumen der
Eigentumswohnung vor.
Der Beteiligte zu 1. hat unter Vorlage eines D…..-Wertgutachtens, das den Verkehrswert
des Wohnungseigentums zum 28. Januar 2015 unbelastet auf 191.000 Euro und unter
Berücksichtigung des eingeräumten Wohnungsrechts auf 105.000 Euro veranschlagt, die
Löschung des Nacherbenvermerks beantragt. Die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem
entgegen getreten. Sie verweisen auf ein von ihnen eingeholtes Wertgutachten des
Sachverständigen V……, das den unbelasteten Verkehrswert der Eigentumswohnung und
eines Tiefgaragen-Stellplatzes auf 258.000 Euro beziffert. Sie sind der Auffassung, das
Wohnungseigentum sei unter Wert veräußert worden und deshalb nicht aus der
Nacherbschaft frei geworden.
Das Amtsgericht hat den Löschungsantrag zurückgewiesen. Es hat seiner Beurteilung das
Wertgutachten V….. zugrunde gelegt und den – unstreitig nicht der Nacherbschaft
unterfallenden – Garagenplatz mit 5.000 Euro in Abzug gebracht. Dementsprechend hat
es den Verkehrswert des verkauften Miteigentumsanteil auf 126.500 Euro (258.000 Euro
abzüglich 5.000 Euro : 2 = 126.500 Euro) veranschlagt. Gegengerechnet hat das
Amtsgericht den hälftigen Betrag zur Ablösung des Grundpfandrechts (= 25.000 Euro), die
zweite Kaufpreisrate (= 50.000 Euro) in voller Höhe sowie den hälftigen Wert des
Wohnungsrechts mit 40.000 Euro, mithin einen Betrag von insgesamt 115.000 Euro.
Aufgrund der rechnerisch verbleibenden Differenz zwischen dem Verkehrswert (126.500
Euro) und den Leistungen des Beteiligten zu 1. (115.000 Euro) in Höhe von 11.500 Euro
hat es angenommen, dass der hälftige Miteigentumsanteil nicht zu einem marktüblichen
Preis an den Beteiligten zu 1. verkauft worden sei.
Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1. mit seiner Beschwerde, der das Amtsgericht
nicht abgeholfen hat.
II.
Der Rechtsbehelf hat Erfolg.
Das Amtsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Beteiligte zu 1. den unter die
Vorerbschaft fallenden hälftigen Miteigentumsanteil nicht entgeltlich erworben habe und
dieser deshalb nicht von der Nacherbenbindung frei geworden sei. Bei der zutreffenden
rechtlichen Beurteilung liegen die Voraussetzungen für die Löschung des
Nacherbenvermerks vor. Das Grundbuchamt darf daher den Löschungsantrag des
Beteiligten zu 1. nicht mangels nachgewiesener Entgeltlichkeit zurückweisen. Von einer
Weisung, den Nacherbenvermerk zu löschen, sieht der Senat ab, weil er eine
zwischenzeitliche Änderung der Grundbuchlage nicht ausschließen kann.
A. Durch Löschung des Nacherbenvermerks berichtigt werden kann das Grundbuch, wenn
entweder derjenige sie bewilligt, dessen Recht von der Löschung betroffen ist (§ 19 i.V.m.
§ 22 Abs. 1 GBO) oder wenn – was vorliegend alleine in Betracht kommt – die
Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird (§ 22 Abs. 1 GBO). An den
Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs sind strenge Anforderungen zu stellen. Der
Antragsteller hat nicht nur darzutun, dass das Grundbuch hinsichtlich der derzeitigen
Eintragung unrichtig ist; er hat vielmehr darüber hinaus alle ernsthaft in Frage kommenden
Möglichkeiten auszuräumen, die der beantragten Löschung entgegenstehen könnten. Ein
gewisser Grad von Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Soweit es nicht um bei dem
Grundbuchamt offenkundig bekannte Umstände geht, ist der Nachweis der Unrichtigkeit in
der Form des § 29 Abs.1 GBO, mithin durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte
Urkunden, zu führen.
1. Geht es – wie im Entscheidungsfall – um die Veräußerung einer zum Nachlass
gehörenden Immobilie durch den befreiten Nacherben, kommt es für die Unrichtigkeit des
im Grundbuch eingetragenen Nacherbenvermerks darauf an, ob der Grundbesitz vom
Vorerben entgeltlich übertragen worden ist. Nach
befreite Vorerbe nämlich befugt, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück
zu verfügen. Eine solche Verfügung ist dem Nacherben gegenüber auch dann wirksam,
wenn er ihr nicht zugestimmt hat, mit der weiteren Konsequenz, dass die Immobilie mit
dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem
Nachlass ausscheidet und der Nacherbenvermerk im Grundbuch zu löschen ist. Anstelle
des vom Vorerben veräußerten Grundstücks fällt die im Grundstückskaufvertrag
vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass. Ist sie beim Tod des Vorerben
noch (ganz oder teilweise) in dessen Vermögen vorhanden, steht sie den Nacherben zu.
2. Ob die Veräußerung entgeltlich war, d.h. ihr eine gleichwertige Gegenleistung
gegenüberstand, hat das Grundbuchamt ohne Bindung an die Beweisvorschrift des § 29
Abs. 1 GBO an Hand aller Umstände frei zu würdigen (zu Allem: OLG Rostock, Beschluss
vom 25.7.2016, 3 W 136/13; OLG München, Beschluss vom 5.7.2013, 34 Wx 191/13;
BayObLG, Beschluss vom 30.1.1991, BReg 2 Z 1/91 m.w.N.). Die Entgeltlichkeit der
Verfügung des Vorerben kann regelmäßig nicht durch öffentliche oder öffentlich
beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden. Deshalb sind unter Berücksichtigung der
natürlichen Gegebenheiten die gesamten Umstände des Falles unter dem Gesichtspunkt
zu prüfen, ob die Entgeltlichkeit im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO offenkundig ist.
Dabei können auch Wahrscheinlichkeitserwägungen angestellt werden, die sich auf
allgemeine Erfahrungssätze stützen. Der Offenkundigkeit sind solche Fälle gleichzustellen,
in denen die Unentgeltlichkeit durch die Natur der Sache oder die Sachlage
ausgeschlossen wird. An den Nachweis der Entgeltlichkeit dürfen nicht zu geringe
Anforderungen gestellt werden (OLG Rostock, Beschluss vom 25.7.2016, 3 W 136/13;
OLG Hamm, Beschluss vom 21. Mai 1996, 15 W 109/96). Sie ist zu bejahen, wenn die
dafür maßgebenden Beweggründe im Einzelnen angegeben werden und verständlich
sowie der Wirklichkeit gerecht werdend erscheinen, und wenn begründete Zweifel an der
Pflichtmäßigkeit der Handlung nicht ersichtlich sind (Demharter, Grundbuchordnung, 31.
Aufl. 2018, § 51 Rn. 42.2, § 52 Rn. 23 m.w.N.).
Auch wenn dem Grundbuchamt bei der Prüfung der Entgeltlichkeit einer Verfügung des
befreiten Vorerben damit eine erweiterte tatsächliche Prüfungsmöglichkeit zusteht,
beschränkt sich seine Prüfung nach allgemeinen Grundsätzen auf die ihm vorgelegten
Eintragungsunterlagen und sonstige offenkundige Tatsachen. Das Verfahren über einen
Grundbuchberichtigungsantrag nach § 22 Abs. 1 GBO ist ein Antragsverfahren der
Grundbuchordnung. Die für die Feststellung der Unrichtigkeit des Grundbuchs
erforderlichen Tatsachen müssen deshalb von dem Antragsteller nachgewiesen werden.
Reichen die vorgelegten Unterlagen für den Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs
nicht aus, kann die begehrte Grundbuchberichtigung auf dieser Grundlage nicht
vorgenommen werden. Dem Grundbuchamt – und demzufolge auch dem
Beschwerdegericht – ist es verwehrt, eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen
vorzunehmen (OLG Hamm, Beschluss vom 21.5.1996, 15 W 109/96 m.w.N.).
B. Bei dieser rechtlichen Ausgangslage kann die Löschung des streitgegenständlichen
Nacherbenvermerks nicht mit dem Argument der fehlenden Entgeltlichkeit versagt werden.
1. Der Erfolg des zur Entscheidung stehenden Löschungsantrags hängt davon ab, ob die
Erblasserin den hälftigen Miteigentumsanteil ihres vorverstorbenen Ehemannes entgeltlich
an den Beteiligten zu 1. veräußert hat. Es kommt demgegenüber nicht darauf an, ob – wie
der Beteiligte zu 2. in Zweifel zieht – der Beteiligte zu 1. den vollen Kaufpreis an die
Erblasserin entrichtet hat. Sollte dies nicht der Fall sein, stünde der restliche
Kaufpreisanspruch den Nacherben zu. Eine restliche Kaufpreisschuld des Beteiligten zu 1.
würde indes nichts an der Tatsache ändern, dass der auf den Beteiligten zu 1. entgeltlich
übertragene hälftige Miteigentumsanteil mit wirksamer Auflassung von der
Nacherbenbindung frei geworden ist. Aus Rechtsgründen kommt es für die Löschung des
Nacherbenvermerks ebenso wenig auf die zahlreichen weiteren Gesichtspunkte – etwa zur
Bedürftigkeit der Erblasserin, den Überlegungen der Eheleute …… hinsichtlich einer
etwaigen Pflichtteilsanforderung oder den Zeitpunkt der Antragstellung zur Löschung des
Nacherbenvermerks – an, die der Beteiligte zu 2. im Beschwerdeverfahren vorträgt. Das
liegt nach den vorstehenden rechtlichen Ausführungen auf der Hand und bedarf keiner
näheren Darlegung.
2. Der Beteiligte zu 1. hat den hälftigen Miteigentumsanteil von der Erblasserin in vollem
Umfang entgeltlich erworben.
a) Die entgegenstehende Beurteilung des Amtsgerichts kann schon deshalb keinen
Bestand haben, weil das Grundbuchamt die Entgeltlichkeit auf der Grundlage des von dem
Beteiligten vorgelegten Privatgutachtens V…. und nicht – wie es rechtlich geboten
gewesen wäre – anhand des vom Beteiligten zu 1. mit seinem Löschungsantrag
eingereichten D……-Gutachtens beurteilt hat. Es ist vorstehend ausgeführt worden, dass
der Antragsteller des Löschungsantrags die für die Feststellung der Unrichtigkeit des
Grundbuchs erforderlichen Tatsachen nachweisen muss und weder dem Grundbuchamt
noch dem Beschwerdegericht eigene Ermittlungsbefugnisse zustehen. Dementsprechend
ist im Streitfall alleine zu prüfen, ob das von dem Beteiligten zu 1. vorgelegte D….-
Wertgutachten die Entgeltlichkeit des von der Erblasserin getätigten
Übertragungsgeschäfts nachweist. Das von den Beteiligten vorgelegte Privatgutachten
V….. ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung alleine bei der Frage zu berücksichtigen,
ob es die Beweiskraft des D….-Gutachtens derart erschüttert, dass unter Berücksichtigung
aller Umstände des Falles von einer gleichwertigen Gegenleistung des Beteiligten zu 1.
nicht ausgegangen werden kann.
b) Das ist nicht der Fall.
aa) Das D….-Gutachten beziffert den Wert der in Rede stehenden Eigentumswohnung im
Hause ……. zum 28. Januar 2015 ohne eine Berücksichtigung des für die Erblasserin
eingetragenen lebenslangen Wohnungsrechts nachvollziehbar auf 191.000 Euro. Dagegen
bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
(1) Zweifel an der Objektivität und Fachkunde des D…..-Sachverständigen sind nicht
angezeigt. Sie werden weder von den Beteiligten zu 2. und zu 3. geltend gemacht noch
sind sie sonst ersichtlich.
(2) Der D….-Schätzwert basiert auf dem Ergebnis einer Ertragswertberechnung. Das ist
nachvollziehbar und wird auch von dem Privatgutachten V….. als solches nicht in Frage
gestellt.
(3) Unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen in den §§ 17 bis 20 ImmoWertV
hat der D….-Gutachter einen Ertragswert der Eigentumswohnung in Höhe von 162.667
Euro und einen Bodenwert von 27.945 Euro ermittelt. Die Richtigkeit dieser
Vorgehensweise wird von dem Privatgutachter des Beteiligten zu 2. gleichfalls nicht
bezweifelt.
Das Privatgutachten V…… kommt allerdings zu einem höheren Ertragswert von 254.000
Euro, weil es einen Tiefgaragenplatz in die Bewertung einbezieht, ferner höhere
Verwaltungskosten in Ansatz bringt, nämlich statt des in Anlage 1 der Ertragswertrichtlinie
vorgesehenen Modellwerts von 280 Euro Kosten in Höhe von 355 Euro, und schließlich
einen Liegenschaftszins von 3,2 % anstelle der im D….-Gutachten angesetzten 4,0 % in
die Berechnung einstellt. Die diesbezüglichen Abweichungen ziehen die Beweiskraft des
D…..-Gutachtens nicht in Zweifel.
(3.1) Der Ertragswert eines Tiefgaragenplatzes muss richtigerweise außer Betracht
bleiben, weil der Beteiligte zu 1. im Januar 2015 lediglich den hälftigen Miteigentumsanteil
an der Eigentumswohnung – ohne Tiefgaragenplatz – erworben hat. Nach den
Feststellungen des Amtsgerichts war der Tiefgaragenplatz im Januar 2015 nicht dem
Sondereigentum zugeordnet und deshalb auch nicht Gegenstand des Kaufvertrages vom
28. Januar 2015. Der Beteiligte zu 1. hat den Stellplatz vielmehr erst im Jahr 2017 durch
gesonderten Vertrag zum Preis von 15.000 Euro von der Erblasserin erworben.
(3.2) Der Ansatz von Verwalterkosten in Höhe von 280 Euro jährlich ist ebenfalls nicht zu
beanstanden. Er entspricht der Ertragswertrichtlinie, die nach ihrer Ziffer 1 (1) die
Ermittlung des Ertrags- und Verkehrswertes von Grundstücken nach einheitlichen und
marktgerechten Grundsätzen sicherstellen soll und die in der Präambel von Anlage 1
betont, dass mit den ausgewiesenen Modellwerten plausible und für die
Gutachterausschüsse handhabbare Werte vorgegeben werden sollen, um die Auswertung
der Kaufpreise und die Ermittlung der Liegenschaftszinssätze nach einheitlichen
Standards zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht fehlerhaft, wenn der
Ertragswert einer Eigentumswohnung unter Ansatz der vom Verordnungsgeber
vorgeschlagenen Modellwerte ermittelt wird. Die Berücksichtigung der Modellwerte schafft
im Gegenteil eine Vergleichbarkeit bei der Auswertung der Kaufpreise und Zinssätze.
Im Übrigen ist die in Rede stehende Betragsdifferenz von 75 Euro pro Jahr (355 Euro –
280 Euro) angesichts eines Immobilienwertes von 191.000 Euro (oder mehr) viel zu
gering, als dass sie bei vernünftiger Betrachtung irgendeinen relevanten Einfluss auf die
Frage besitzt, ob die Erblasserin den hälftigen Miteigentumsanteil entgeltlich an den
Beteiligten zu 1. übertragen hat.
(3.3) Die Überzeugungskraft des D….-Gutachtens wird ferner nicht dadurch in Frage
gestellt, dass der Privatgutachter V…. den Liegenschaftszins mit lediglich 3,2 %
veranschlagt hat. Denn die Abweichung vom D….-Gutachten bleibt ohne eine
nachvollziehbare Begründung. Das Privatgutachten V…. beschränkt sich auf die
substanzlose Aussage, dass unter
„.... Einbezug der vorhandenen Gegebenheiten ... beim Ertragswert ein modifizierter
Liegenschaftszins in Höhe von 3,2 % im Rahmen der vom Gutachterausschuss
angegebenen Standardabweichung .... sachverständig angenommen“
werde. Der Satz gibt nicht ansatzweise Aufschluss, welche konkreten objektspezifischen
Eigenschaften der verkauften Eigentumswohnung aufgrund welcher Erwägungen in
welchem jeweiligen Umfang die angenommene erhebliche Abweichung vom
Durchschnittswert rechtfertigen sollen. Gleiches gilt für den Hinweis des
Privatsachverständigen am Ende seines Gutachtens, dass er die wertrelevanten
Parameter wie Mieten, Liegenschaftszinssatz und Vergleichspreise in einem ausführlichen
Telefonat mit der Geschäftsstelle des Gutachterausschusses des Kreises …… erörtert und
plausibilisiert habe. Auch diese Bemerkung ist inhaltsleer und lässt nicht erkennen, welche
Fragen mit welchem Ergebnis erörtert worden sein sollen und durch welche Informationen
der Privatsachverständige seine Einschätzung plausibilisiert haben will.
Es kommt Folgendes hinzu: Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn
der Vorerbe denjenigen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im
Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Wie dargelegt,
kommt es für die Entgeltlichkeit der Veräußerung alleine darauf an, ob die Parteien eine
gleichwertige Gegenleistung vereinbart haben, was wiederum davon abhängt, ob bei
Würdigung aller Umstände des Falles unter Berücksichtigung der allgemeinen
Lebenserfahrung und einschlägiger Wahrscheinlichkeitserwägungen berechtigte Zweifel
an der Pflichtgemäßheit der Übertragung bestehen. Solche Zweifel ergeben sich im
Allgemeinen – und so auch hier – nicht alleine aus dem Umstand, dass verschiedene
Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen. Es gibt nicht den einen
angemessenen Preis für eine bestimmte Immobilie. Die Wertermittlung hängt vielmehr von
wertbildenden Parametern ab, die der Gutachter mit einem eigenen Beurteilungsspielraum
einzuschätzen und zu bewerten hat. Beim Ertragswertverfahren ist der ermittelte
Ertragswert beispielsweise von der Höhe des angesetzten Liegenschaftszinssatzes
abhängig. Im Entscheidungsfall liegt dieser nach den Angaben des Gutachterausschusses
für Grundstückswerte des Kreises …… bei der Objektart „Eigentumswohnung“ und für das
Jahr 2015 bei 4,2 % mit einer Standardabweichung von +/- 1,21 % (Seite 20 des D…..-
Gutachtens, GA 52). Welcher Zinssatz im konkreten Einzelfall anzusetzen ist, bestimmt
sich nach den objektspezifischen Eigenschaften des Bewertungsobjektes und unterliegt
der Beurteilung des Sachverständigen. Gleiches gilt für das Vergleichswertverfahren. So
liegt im Streitfall der Quadratmeterpreis bei Verkäufen von Wohnungseigentum in ….. nach
dem V…..-Gutachten zwischen 1.580 Euro und 3.680 Euro sowie im Mittelwert bei 2.750
Euro, und es hängt von der Bewertung des Sachverständigen ab, ob und gegebenenfalls
welcher Preis pro Quadratmeter Wohnfläche sich daraus für das streitbefangene Objekt
ableiten lässt. Schon aus der Natur einer solchen Wertschätzung folgt, dass es weder im
Ertragswert- noch im Vergleichswertverfahren den einen richtigen Immobilienpreis,
sondern eine ganze Bandbreite angemessener und damit auch vertretbarer Preise gibt, die
allesamt keine begründeten Zweifel an der Entgeltlichkeit des begutachteten
Veräußerungsvorgangs wecken. Das muss auch aus Rechtsgründen gelten. Der befreite
Vorerbe könnte rechtssicher so gut wie nie von seiner gesetzlichen Befugnis zur
entgeltlichen Verfügung über eine in den Nachlass gefallene Immobilie Gebrauch machen,
wenn er befürchten müsste, dass die Veräußerung später mit dem Argument angegriffen
werden kann, der Wert der Immobilie werde von einem anderen Gutachter höher als
angenommen veranschlagt. Angesichts dieser Erwägungen ist es schon im
Ausgangspunkt verfehlt, wenn der Beteiligte zu 2. reklamiert, die teilweise Unentgeltlichkeit
folge im Entscheidungsfall aus der Tatsache, dass der eigene Privatgutachter einen
höheren Verkehrswert geschätzt habe als der D…..-Gutachter.
(3.4) Ohne Erfolg bleibt schließlich, dass der Privatgutachter V….. im Rahmen des
Vergleichswertverfahrens auf der Grundlage eines durchschnittlichen Quadratmeterpreises
von 2.750 Euro für die Eigentumswohnung der Erblasserin einen Quadratmeterpreis von
2.850 Euro veranschlagt hat. Der Gutachter führt dazu aus:
„Aufgrund der ruhigen Lage des Bewertungsobjektes zwischen der Innenstadt und dem
Rhein, der Struktur des Gesamtobjektes mit 2 x 6 Wohneinheiten als auch wegen der
guten Ausstattung der Wohnung mit Terrasse und eigenem südwestorientiertem
Gartenanteil, Tiefgaragenstellplatz, Aufzug, zwei Bädern etc. wird ein Vergleichswert von
2.850,00 €/qm Wohnfläche wertmäßig berücksichtigt.“
Diese Einschätzung mag bei isolierter und oberflächlicher Betrachtung plausibel
erscheinen, weil sich rein rechnerisch ein Verkehrswert von 256.500 Euro (2.850 Euro x 90
qm) ergibt. Bei näherer Prüfung tragen die Ausführungen des Privatgutachters indes nicht
die Feststellung, dass der im D……-Gutachten geschätzte niedrigere Verkehrswert nicht
zutreffend – d.h. nicht vertretbar – sein kann.
(a) Bereits die Aussagekraft des mit 2.750 Euro angesetzten durchschnittlichen
Verkaufspreises ist äußerst fragwürdig. Der Privatgutachter V….. hat in sein
Vergleichswertverfahren lediglich vier Veräußerungsvorgänge aus den Jahren 2000 bis
2012 einbezogen. Diese Verkäufe betreffen ganz unterschiedliche Verkaufsobjekte. Zwei
Veräußerungen beziehen sich jeweils auf eine Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche
zwischen 51 und 80 qm, zwei weitere Veräußerungen auf Wohnungseigentum mit einer
Wohnfläche von über 80 qm. Die dabei erzielten Verkaufspreise reichen von 1.580 Euro
bis 3.680 Euro pro Quadratmeter. Diese enorme Preisspanne legt den dringenden
Verdacht nahe, dass in das Vergleichswertverfahren die Verkaufserlöse von
Eigentumswohnungen eingeflossen sind, die nach Größe, Alter und/oder Ausstattung
grundverschieden waren. Es liegt auf der Hand, dass der aus den vier Verkäufen gebildete
ungewichtete Durchschnittspreis von 2.750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche nicht
geeignet ist, einen verlässlichen Aufschluss über den Verkehrswert der 90 qm großen
Eigentumswohnung der Erblasserin zum Stichtag Ende Januar 2015 zu geben.
(b) Es kommt hinzu, dass das Privatgutachten V….. keinerlei Ausführungen dazu enthält,
inwieweit die Vergleichswertbetrachtung geeignet sein soll, den nach dem
Ertragswertverfahren zugrunde zu legenden Verkehrswert zu modifizieren. Da der nach
dem Ertragswertverfahren geschätzte Wert der Eigentumswohnung der Erblasserin dem
D….-Gutachten folgend auf 191.000 Euro zu veranschlagen ist, weil das Gutachten V….
jene Wertschätzung nicht ernsthaft in Frage stellt, drängt sich die Frage auf, mit welchen
Erwägungen gleichwohl dem auf sehr schmaler und zweifelhafter Datenbasis ermittelten
Verkehrswert nach dem Vergleichswertverfahren in Höhe von 256.500 Euro der Vorrang
gebühren soll. Dazu schweigt das Privatgutachten Witte.
Nach alledem ist durch das D…..-Gutachten ein Verkehrswert von 191.000 Euro
nachgewiesen.
bb) Unter Berücksichtigung des der Erblasserin eingeräumten lebenslangen
Wohnungsrechts reduziert sich der Verkehrswert der Eigentumswohnung auf 105.000
Euro. Auch insoweit ist dem D….-Gutachten zu folgen.
Das der Erblasserin eingeräumte lebenslange Wohnungsrecht belastet sowohl den von der
Erblasserin überlassenen eigenen Miteigentumsanteil als auch den an den Beteiligten zu
1. verkauften Miteigentumsanteil. Es mindert den Verkehrswert der gesamten
Eigentumswohnung und ist mit dem im D…..-Gutachten ausgewiesenen Betrag von
(gerundet) 86.000 Euro in Ansatz zu bringen. Gegen diesen Schätzwert erhebt auch der
Privatgutachter V….. keine Einwände.
Maßgeblich ist demgegenüber nicht – wie das Amtsgericht meint – der von den Parteien
im notariellen Übertragungsvertrag vom 28. Januar 2015 veranschlagte Wert der
dinglichen Belastung in Höhe von hochgerechnet 80.000 Euro (8.000 Euro x 10 Jahre
statistische Lebenserwartung). Die Unentgeltlichkeit der Verfügung über den verkauften
Miteigentumsanteil – und demzufolge auch der dafür maßgebliche Wert der
Eigentumswohnung – beurteilen sich nach objektiven Kriterien und nicht nach den
Wertvorstellungen der Parteien.
Freilich ist der Wertansatz der Vertragsparteien im Entscheidungsfall ein gewichtiges Indiz
für ihren Willen zu einer entgeltlichen Verfügung. Denn er kommt dem Jahre später
gutachtlich ermittelten Wert des Wohnungsrechts sehr nahe.
cc) Auf den vom Beteiligten zu 1. käuflich erworbenen hälftigen Miteigentumsanteil entfällt
somit ein Wert von 52.500 Euro (105.000 Euro : 2). Die im notariellen Übertragungsvertrag
vom 28. Januar 2015 übernommene Gegenleistung übersteigt diesen Betrag.
(1) Der Beteiligte zu 1. hat sich verpflichtet, das auf dem Grundbesitz mit einem Betrag von
50.000 Euro lastende Grundpfandrecht abzulösen. Da die Eigentumswohnung als solche –
und nicht nur der unter die Vorerbschaft fallende hälftige Miteigentumsanteil – mit jenem
Recht belastet war, hat der Beteiligte zu 1. die Ablösung des Grundpfandrechts zu
gleichen Teilen als Gegenleistung für die Übertragung der beiden Miteigentumshälften
übernommen. In Höhe von jeweils 25.000 Euro war die Ablöseverpflichtung Teil seiner
Kaufpreisschuld und Gegenleistung für den (ansonsten schenkweise) überlassenen
eigenen Miteigentumsanteil der Erblasserin. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der
erbrechtlich gebundenen Miteigentumshälfte hat der Beteiligte zu 1. somit eine
Zahlungsverpflichtung in Höhe von 25.000 Euro übernommen.
(2) Darüber hinaus hatte er weitere 50.000 Euro an die Erblasserin in monatlichen Raten
von 900 Euro zu zahlen. Insgesamt belief sich die Kaufpreisschuld des Beteiligten zu 1.
damit auf 75.000 Euro. Sie übersteigt den Wert des hälftigen Miteigentumsanteils.
Infolge dessen bestehen keine begründeten Zweifel an der Entgeltlichkeit der
streitgegenständlichen Veräußerung.
III.
Die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Auslagen ergeht in
entsprechender Anwendung des § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Es entspricht der Billigkeit,
dass der im Verfahren mit seinem Standpunkt unterlegene Beteiligte zu 2. dem Beteiligten
zu 1. seine in der Beschwerdeinstanz angefallenen notwendigen Auslagen erstattet. Den
Beteiligten zu 3. trifft demgegenüber keine Kostenlast, weil er sich am
Beschwerdeverfahren nicht beteiligt hat.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (
nicht vor.
Die Wertfestsetzung für das Verfahren der Beschwerde beruht auf §§ 51 Abs. 2, 61
GNotKG. Der Senat hat einen aktuellen Verkehrswert der streitbefangenen
Eigentumswohnung von 200.000 € zugrunde gelegt und das Interesse des Beteiligten zu
1. an der Löschung des Nacherbenvermerks als einer Verfügungsbeschränkung auf 30 %
des Wertes der mit dem Nacherbenvermerk belasteten Miteigentumshälfte veranschlagt.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Düsseldorf
Erscheinungsdatum:06.09.2021
Aktenzeichen:3 Wx 125/21
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Grundbuchrecht
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
GBO § 29 Abs. 1; BGB §§ 2113 Abs. 1 u. 2, 2136