LG Stuttgart 01. April 2021
14 O 528/20
BGB §§ 1020, 1023, 1027, 1028; EGBGB Art. 184, 189; AGBGB BW § 31; GBVO BW § 21

Erlöschen einer vor Inkrafttreten des BGB entstandenen Dienstbarkeit nach württembergischem Recht

letzte Aktualisierung: 23.2.2022
LG Stuttgart, Urt. v. 1.4.2021 – 14 O 528/20

BGB §§ 1020, 1023, 1027, 1028; EGBGB Art. 184, 189; AGBGB BW § 31; GBVO BW § 21
Erlöschen einer vor Inkrafttreten des BGB entstandenen Dienstbarkeit nach
württembergischem Recht

1. Eine schon vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Dienstbarkeit nach
württembergischen Recht erlischt nach diesem Recht nicht durch Nichtgebrauch, wenn sie in das
Güterbuch eingetragen ist. Es besteht eine tatsächliche Vermutung für die Eintragung ins
Güterbuch, wenn die Dienstbarkeit entsprechend der damaligen Vorschriften zur Entlastung des
Güterbuchs in ein gesondertes Servitutenbuch eingetragen ist.
2. Ist eine Dienstbarkeit gemäß § 1028 BGB wegen einer ihrer Ausübung entgegenstehenden Anlage
teilweise erloschen und baut der Eigentümer des dienenden Grundstücks die Anlage in unverjährter
Zeit um, so hängt die Frage, ob die Beseitigung des Umbaus verlangt werden kann, davon ab, ob die
von der umgebauten Anlage ausgehende Beeinträchtigung der Dienstbarkeit die bisherige
Beeinträchtigung übersteigt (Anschluss OLG Hamburg, Urteil v. 8. April 1998 – 13 U 52/15).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten den Rückbau der Garage
und des Zauns einschließlich des Betonsockels gemäß §§ 1027, 1004 Abs. 1 BGB verlangen.

I.
Das Grundstück des Beklagten mit der Hausnummer Y ist zulasten des Grundstücks der Klägerin
mit der Hausnummer X mit einer Dienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrrechts belastet.
Das Bestehen dieser Dienstbarkeit ist im Grundbuch eingetragen unter Verweis auf Bl. BL1 des
Servitutenbuchs, wo diese ebenfalls eingetragen ist.

Das Gericht hat auch keine Zweifel, dass die alten Parzellenbezeichnungen neuerdings so lauten,
wie in lateinischer Schrift im Servitutenbuch angegeben. Denn bereits zum Zeitpunkt von dessen
Erstellung Ende des 19. Jahrhunderts war die Familie […, Nachname der Klägerin] laut
Servitutenbuch bereits „Besitzerin“ der hier streitgegenständlichen Parzellen-Nr. A/B. Dass das
Grundstück des Beklagten die Parzellen-Nr. C trug, bestreitet er selbst nicht.
Soweit der Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit nicht nachgelassenem
Schriftsatz erstmalig bestreitet, dass zugunsten des klägerischen Grundstücks jemals ein
Überfahrtsrecht bestanden hätte, ist das Gericht – unabhängig von der Frage, ob das Vorbringen
nicht ohnehin wegen § 296a ZPO zurückzuweisen ist, weil es bis zur mündlichen Verhandlung
hätte vorgetragen werden müssen – hiervon nicht überzeugt. Die ehemalige Parzelle Nr. …, zu
deren Gunsten das Geh- und Tragrecht gemäß Bl. … des Servitutenbuchs besteht, befindet sich,
wie sich aus dem Plan in Anl. K10 ergibt, hinter dem Haus mit der Hausnummer … und damit von
der Straße aus betrachtet hinter dem Grundstück der Klägerin. Dies erklärt auch zwanglos, warum
die Dienstbarkeit zugunsten der Parzelle Nr. … nicht nur das Grundstück des Beklagten sondern
insbesondere auch das Grundstück der Klägerin mit einem Geh- und Tragrecht belastet.
Den genauen Umfang der ursprünglichen Dienstbarkeit entnimmt das Gericht dem vom Notariat
W.– Grundbuchamt stammenden Lageplan (Anl. K9).

II.
Die Dienstbarkeit ist, auch nicht im Umfang der Garage und des Zauns erloschen.

1.
Grundsätzlich bestimmt sich das Erlöschen von Rechten an einem Grundstück, die vor
Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1.1.1900 entstanden sind, gemäß Art. 189 Abs. 3
EGBGB primär nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden alten Recht, vorliegend dem
Zivilrecht des Königreichs Württemberg. Dessen Erlöschenstatbestände liegen hier allerdings
nicht vor.

a)
Ein Erlöschen der streitgegenständlichen Dienstbarkeit nach altem Recht infolge eines
gutgläubigen lastenfreien Erwerbs scheidet von vornherein aus. Nach altem Recht konnte ein
lastenfreier Erwerb überhaupt nur bezogen auf solche Belastungen stattfinden, welche den
Gebrauch und die Nutzungsziehung dem Eigentümer gänzlich oder zum großen Teil entzogen.
Dies trifft auf gewöhnliche Dienstbarkeiten, wie auch das streitgegenständliche Geh- und
Fahrrecht, nicht zu (vgl. Lang, Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden
Sachenrechts, 1876, Bd. I, § 94).

b)
Auch ein Erlöschen nach altem Recht durch Nichtgebrauch der Dienstbarkeit scheidet vorliegend
aus.

Zwar käme altrechtlich ein Erlöschen durch Ersitzung durch den gutgläubigen Eigentümer des
dienenden Grundstücks binnen 10 Jahren in Betracht, wenn die Ausübung der Dienstbarkeit durch
einen bestehenden Zustand faktisch ausgeschlossen ist. In diesem Fall ist auch eine (nur)
teilweise Ersitzung möglich (Lang, a.a.O., § 95). Allerdings schied eine Ersitzung nach den obigen
Regeln gemäß Art. 15 und 20 Gesetzes betreffend die vollständige Entwickelung des Pfand-
Systems – Pfand-Entwicklungs-Gesetz – vom 21.5.1828 (Regierungsblatt für das Königreich
Württemberg, S. 361) in Verbindung mit Art. 65 des Pfand-Gesetzes vom 25.4.1825 (RegBl., S.
193) dann aus, wenn die Dienstbarkeit ins Güterbuch eingetragen war.

Zwar liegt dem Gericht nicht das Güterbuch, sondern nur das Servitutenbuch vor, allerdings
bestimmte Ziffer 6 der Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern vom 6.12.1836 (RegBl.
S. 670), dass zur Entlastung der Güterbücher getrennte Servitutenbücher anzulegen waren, auf
die wiederum im Güterbuch Bezug zu nehmen war, mit dem Effekt, dass die Eintragungen im
Servitutenbuch Eintragungen im Güterbuch gleichstanden.

Nachdem sich in dem vorliegenden Servitutenbuch Verweise auf die fraglichen Stellen des
jeweiligen Güterbuchs finden, verbleibt beim Gericht kein vernünftiger Zweifel daran, dass die
Eintragungen im Servitutenbuch dem öffentlichen Glauben gemäß Art. 15 und 20 Pfand-
Entwicklungs-Gesetz unterfallen.

2.
Unabhängig von etwaigen Erlöschenstatbeständen nach altem Recht ist jedoch gemäß Art. 184
Satz 2 EGBGB seit Inkrafttreten des BGB zugleich auch § 1028 BGB anzuwenden.

Gemäß § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB erlischt eine Dienstbarkeit insoweit, wie ihre Ausübung durch
eine Anlage verhindert wird, deren Beseitigung nicht mehr verlangt werden kann, weil der
Beseitigungsanspruch verjährt ist. Die maßgebliche Verjährungsfrist beträgt gemäß § 197 Abs. 1
Nr. 2 BGB analog 30 Jahre, wenn die Verwirklichung des Rechts aus der Dienstbarkeit insgesamt
gefährdet ist und nicht nur eine Störung einer bestimmten Nutzung vorliegt (BGH NJW 2014,
3780).

a)
Bei dem ehemaligen Garten handelt es sich um eine Anlage im Sinne der Vorschrift, nämlich um
eine dauerhafte, von Menschenhand geschaffene Einrichtung. Auch dass es sich bei diesem im
Wesentlichen um Pflanzen handelt, steht nicht entgegen (vgl. auch § 907 Abs. 2 BGB, BGH NJW
2014, 3780), wobei es darauf schon deswegen nicht ankommen dürfte, weil der Garten, wie auf
dem Foto B4 zu sehen, von einem Bordstein eingefasst war.

Der Garten liegt auch im Bereich der Dienstbarkeit. Die Dienstbarkeit verläuft, wie auf dem
Lageplan K9 ersichtlich von der Grundstücksgrenze bis direkt ans Wohnhaus des Beklagten.
Lediglich in der Mitte zwischen den heutigen Häusern Nr. Y und … findet sich eine Aussparung
an einer mit „Aborte“ beschriebenen Stelle, sodass sich für die Dienstbarkeit die Form eines „C“
ergibt. Auf dem Foto B4 ist zu erkennen, dass der Garten, der – wohl auf der Höhe der ehemaligen
Aborte befindliche – Schuppen mit Thujahecke und der Zaun nunmehr eine einheitliche Gerade
bilden. Die C-Form, wie sie aus dem Lageplan Anl. K9 ersichtlich ist, wird dadurch zu einem
Rechteck.

Die 30-jährige Verjährungsfrist ist auch verstrichen, nachdem zwischen den Parteien unstreitig ist,
dass sich der Garten an dieser Stelle seit jeher befand.

Allerdings bedeutet der Untergang der Dienstbarkeit im Umfang des ehemaligen Gartens nicht,
dass der Beklagte nunmehr unbelastet von der Dienstbarkeit die streitgegenständliche Garage
errichten konnte. Denn maßgeblich ist nicht, ob der Grundriss flächenmäßig mit dem Anteil
übereinstimmt, für den die Dienstbarkeit erloschen ist, sondern die von der Anlage ausgehende
Störung der Dienstbarkeit. Denn einerseits soll der Eigentümer eine bestehende Anlage, für die
die Dienstbarkeit erloschen ist, weiter erhalten dürfen, aber andererseits soll verhindert werden,
dass der Eigentümer die Dienstbarkeit scheibchenweise durch kleinere Veränderungen letztlich
aushöhlt (so auch OLG Hamburg, Urteil v. 8.4.1998 – 13 U 52/95).

Gemessen an diesen Grundsätzen beeinträchtigt die Garage die Dienstbarkeit in einer anderen
Form als der bisherige Garten. Denn sowohl auf dem von Klägerseite eingereichten Luftbild K1
als auch auf dem von Beklagtenseite eingereichten Luftbild B2 lässt sich erkennen, dass der
Garten an der vorderen Ecke leicht abgeschrägt ist, wohingegen die Garage, wie auf Anlage K6
ersichtlich, rechtwinklig ist, sodass jedenfalls die, von der Straße aus betrachtet, vordere rechte
Ecke über den bisherigen Gartenbereich hinausragt und damit auf eine Weise in den Weg hinein,
wie es der bisherige Garten nicht getan hat.

Unabhängig davon hat die Klägerin auch vorgetragen, dass die Einfriedung des ehemaligen
Gartens niedrig genug gewesen sei, um diesen beim Vorbeifahren dergestalt zu schneiden, dass
der Spiegel über die Einfriedung in den Garten hineinragte. Dass dies zutreffend ist, ergibt sich
für das Gericht aus dem von Beklagtenseite eingereichten Fotografie B4. Darauf ist jedenfalls im
Bereich zur Straße hin zu erkennen, dass Palisaden, welche nach dem Vortrag des Beklagten
den ehemaligen Garten abgrenzen, nicht bündig mit dem Bordstein abschließen, der den
Zufahrtsweg abgrenzt, sondern nach hinten, in Richtung des Gebäudes des Beklagten versetzt
sind, sodass für den Seitenspiegel zusätzlicher Spielraum bestand.

Dass dort andere Utensilien gelagert worden sein sollen – auf dem Bild sind eine lose Palisade,
eine Mülltonne und eine Gehhilfe zu erkennen – steht nicht entgegen, da es sich hierbei, mangels
Dauerhaftigkeit der Konstruktion, nicht um eine Anlage im Sinne von § 1028 BGB handelt.

b)
Selbiges gilt im Ergebnis auch in Bezug auf den streitgegenständlichen Zaun.
Zwar ergibt sich aus den Lichtbildern, dass der Zaun exakt auf der Fläche der ehemaligen
Bodenplatte errichtet wurde.

Allerdings ist bezüglich des Zauns bereits fraglich, ob die Dienstbarkeit überhaupt erloschen ist.
Denn der Beklagte macht selbst geltend, dass er sich zur Einzäunung gezwungen sah, um die
Klägerin daran zu hindern, die Betonplatte zu überfahren, weil dadurch Schäden an seinem
Gewölbekeller aufträten. Daraus ergibt sich allerdings im Umkehrschluss, dass die Dienstbarkeit
gerade ausgeübt wurde. Für ein Erlöschen aufgrund Nichtausübung ist dann kein Raum.
Selbst wenn man zugunsten des Beklagten unterstellen wollte, dass die Dienstbarkeit hinsichtlich
der Betonplatte erloschen ist, schränkt der Zaun das offenkundig zuvor trotzdem weiter mögliche
Überfahren der Platte ein, denn genau das zu verhindern, war Anlass für die Errichtung des
Zauns. Gleichzeitig verhindert der Zaun auch das Betreten in Ausübung des Gehrechts.

3.
Ein gutgläubig lastenfreier Erwerb des Grundstücks durch den Beklagten gemäß § 892 BGB ist
weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Insbesondere ist die Dienstbarkeit vorliegend gemäß der, jedenfalls für den hier relevanten,
ehemals württemberg-badischen Landesteil von Baden-Württemberg (vgl. § 31 Abs. 3 AGBGB)
geltenden, Vorschrift des § 31 Abs.1 AGBGB-BW ins Grundbuch eingetragen.
Der in der Grundbucheintragung enthaltene Verweis auf das Servitutenbuch gemäß § 3 Abs. 2
EGB-VO-BW in Verbindung mit § 21 der GBVO-BW ist auch wirksam.
Zwar ergibt sich die Wirksamkeit der Verweisung nicht aus §§ 145, 146 GBO, da diese
Vorschriften nur gestatten, alte Grundbücher weiter zu führen, nicht jedoch neue
Grundbuchblätter entgegen den in der Grundbuchordnung vorgesehenen Vorgaben anzulegen.
Das vorliegende Grundbuch wurde indes im Dezember 2010 in ein elektronisches Grundbuch
umgeschrieben, sodass spätestens mit dieser Umschreibung allein das formelle Grundbuchrecht
des Bundes vorrangig und abschließend (Art. 31 GG) maßgeblich gewesen ist.

Allerdings ist eine verfassungskonforme Auslegung von Bundesrecht entgegenstehendem
Landesrecht gleichwohl möglich und geboten, mit der Folge, dass die Bezugnahme auf ein
Servitutenbuch der Bezunahme auf die Eintragungsbewilligung gemäß § 874 BGB gleichsteht
(vgl. BGH NJW-RR 2012, 346 mwN.).

II.
Der Beklagte ist als Eigentümer der Garage und des Zauns auch Störer der Dienstbarkeit im Sinne
von §§ 1027, 1004 BGB.

Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die ihr zur Verfügung stehende
Zufahrtsbreite auf dem Grundstück des Beklagten lediglich 1,15 m betrage und ihr deshalb die
Zufahrt erschwert sei.

III.
Die Klägerin ist auch nicht zur Duldung der Störung verpflichtet. Insbesondere handelt sie nicht
treuwidrig, wenn sie vorliegend den Rückbau begehrt.

1.
Eine Duldungspflicht der Klägerin besteht zunächst nicht gemäß §§ 1027, 1004 Abs. 2, 1023 BGB,
im Hinblick auf den streitgegenständlichen Metallzaun.

Zwar ist der Dienstbarkeitsberechtigte gemäß § 1020 BGB zur schonenden Ausübung der Rechte
aus der Dienstbarkeit verpflichtet und kann insofern auch nicht verlangen, dass eine
schonungslose Nutzungsmöglichkeit bestehen bleiben müsste (BeckOGK-BGB/Kazele, Stand:
1.2.2021, § 1027, Rn. 26). Ob eine solche schonungslose Nutzung vorliegt, wie sie der Beklagte
in Form der von der Klägerin bestrittenen Schäden an seinem Gewölbekeller behauptet, kann hier
jedenfalls im Ergebnis offen bleiben. Denn auch aus § 1023 Abs. 1 BGB ergibt sich für den
Beklagten kein Recht, den Metallzaun aufzustellen.

§ 1023 Abs. 1 BGB sieht vor, dass eine Dienstbarkeit, die dem Eigentümer des dienenden
Grundstücks beschwerlich ist, verlegt werden kann, wenn die neue Stelle gleichermaßen geeignet
ist. Vorliegend will der Beklagte aber überhaupt nicht, dass die Klägerin ihr Geh- und Fahrrecht
auf einem anderen als dem ursprünglich vorgesehenen Teil seines Grundstücks ausübt, sondern
er beabsichtigt, sein Grundstück von der darauf lastenden Dienstbarkeit dadurch teilweise zu
befreien, dass er ihre Ausübung unmöglich macht. Hierauf besteht kein Rechtsanspruch (vgl. OLG
Koblenz NJW-RR 2014, 401, 403).

2.
Ferner ist die Klägerin auch nicht im Zusammenhang mit dem durchgeführten
Baugenehmigungsverfahren zur Duldung der Garage verpflichtet.
Im Ausgangspunkt wird eine Baugenehmigung gemäß § 58 Abs. 3 LBauO-BW unbeschadet
privater Rechte Dritter erteilt, sodass der Beklagte allein aus deren Erteilung keinen
Vertrauensschutz im Sinne eines Bestandsschutzes der Garage für sich ableiten kann.
Auch aus der Angrenzerbenachrichtigung lässt sich keine Duldungspflicht der Klägerin ableiten,
sodass im Ergebnis offen bleiben kann, ob die Klägerin dem Bauvorhaben tatsächlich zeitnah
widersprochen hat. Denn ein solcher Widerspruch wäre nur dann relevant, wenn die Klägerin
verpflichtet wäre, die Garage gemäß §§ 1027, 912 Abs. 1 BGB analog als Überbau zu dulden (zur
Anwendbarkeit des Überbaurechts auf Dienstbarkeiten: BGH NJW 2008, 3123). Dies ist jedoch
nicht der Fall, da dem Beklagten zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Baut ein
Eigentümer nämlich im Grenzbereich, so trifft ihn eine besondere Pflicht, sicherzustellen, dass der
zu bebauende Grund auch ihm gehört und er folglich zur Bebauung berechtigt ist. Unterlässt er
dies, handelt er grob fahrlässig (so für den Überbau auf ein Nachbargrundstück: OLG München,
Urteil v. 12.9.2012 – 20 U 1600/12; BGH NJW-RR 2009, 24). Für den hiesigen Fall des
Überbauens einer Grunddienstbarkeit gilt gemäß § 1027 Abs. 1 BGB nichts Anderes.

Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte auch im unmittelbaren Grenzbereich im obigen Sinne
gebaut, weil die Interessenlage insoweit vergleichbar ist. Denn entscheidend ist, dass sich der
Eigentümer beim Bauen im Grenzbereich der Gefahr eines Überbaus in besonderem Maße
bewusst sein muss, anders als der Eigentümer, der hauptsächlich auf seinem Grund baut und
daher, im Ausgangspunkt zurecht, davon ausgeht, hierzu gemäß § 903 BGB auch berechtigt zu
sein, aber gleichwohl die Grundstücksgrenze überschreitet (vgl. BGH NJW-RR 2009, 24, Tz. 13).
Vorliegend hat der Beklagte die Garage auf einem Teil des Grundstücks errichtet, der ursprünglich
komplett von der streitgegenständlichen Dienstbarkeit erfasst war. Frei von der Dienstbarkeit war
der für den Bau der Garage genutzte Grundstücksteil nur insoweit, als die Dienstbarkeit bereits
gemäß § 1028 Abs. 1 BGB wegen des dort früher befindlichen Gartens erloschen war. Damit
stellte sich für den Beklagten die Situation gerade nicht so dar, dass er grundsätzlich darauf
vertrauen konnte, gemäß § 903 BGB zur Bebauung berechtigt zu sein. Sondern im Gegenteil
hätte er sich in besonderem Maße vergewissern müssen, dass die Garage nicht weiter im
Widerspruch zur Dienstbarkeit steht als dies bereits zuvor der frühere Garten getan hat, da nur
insoweit ein Recht des Klägers zur Bebauung, infolge des Erlöschens der Dienstbarkeit,
überhaupt in Betracht kam. Dass der Beklagte dieser Pflicht genügt hätte, ist weder vorgetragen,
noch ersichtlich.

3.
Die Rückbaupflicht des Beklagten ist auch nicht gemäß § 275 Abs. 2 BGB ausgeschlossen (zur
kumulativen Anwendbarkeit von § 275 Abs. 2 BGB und § 912 Abs. 1 BGB: BGH NJW 2008, 3123),
weil die vorzunehmende Interessenabwägung vorliegend zulasten des Beklagten ausfällt.
Zwar dürfte der Rückbaupflicht insbesondere der Garage einen nicht nur unerheblichen Aufwand
bedeuten, allerdings ist zulasten des Beklagten zu berücksichtigen, dass ihm, wie oben
ausgeführt, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Demgegenüber hat die Klägerin
ihrerseits ein nicht unerhebliches Interesse, ihr Grundstück mit Fahrzeugen erreichen zu können,
sodass dieses Interesse und die Rückbaupflicht des Beklagten in keinem groben Missverhältnis
zu einander stehen. Im Gegenteil dürfte das Interesse der Klägerin am Rückbau der Garage in
gleichem Maße steigen, wie das Interesse des Klägers, die Garage nicht zurückbauen zu müssen.

4.
Auch wird das Rückbauverlangen im Hinblick auf Garage und Zaun nicht dadurch treuwidrig, dass
der vorhandene Weg grundsätzlich breit genug wäre, würde die Klägerin den zu Hausnummer Z
gehörenden Grundstücksteil mitnutzen.

a)
Dass der Klägerin ein entsprechendes Nutzungsrecht am Nachbargrundstück überhaupt zusteht,
ist nicht ersichtlich.
Auszüge aus dem Servitutenbuch oder dem Güterbuch, aus denen sich eine Dienstbarkeit
ergeben würde, liegen dem Gericht nicht vor.
Auch aus dem Grundbuch ergibt sich nichts. Zwar vermittelt § 891 Abs. 2 BGB, anders als etwa
§ 15 Abs. 1 HGB keine negative Publizität des Grundbuchs (Palandt/Herrler, 80. Aufl. 2021, § 891
Rn. 7; BeckOGK-BGB/Hertel, Stand 1.10.2019, § 891 Rn. 49), allerdings ist der Beklagte insoweit
beweisfällig geblieben.

Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung angebotene Zeuge … war auch nicht zu
vernehmen, da dieser Vortrag jedenfalls gemäß § 296 Abs. 2 ZPO wegen Verspätung
zurückzuweisen war. Der Beklagte hat auch trotz ausdrücklichem Hinweis des Gerichts nicht dazu
vorgetragen, weshalb ihm die Benennung dieses Beweismittels nicht schon im Rahmen der
Klageerwiderung möglich war, in der er den Vortrag der Klägerin, auf dem Nachbargrundstück
bestehe keine Dienstbarkeit, bereits pauschal bestritten hat, ohne Beweis anzubieten.

b)
Die Klägerin braucht sich auch nicht auf ein gegenüber dem Nachbargrundstück mit der
Hausnummer Z bestehendes Notwegerecht gemäß § 917 BGB verweisen zu lassen und zwar
schon deshalb nicht, weil sie dadurch entschädigungspflichtig würde. Die Dienstbarkeit dient
gerade dazu, zu verhindern, dass die Klägerin auf einen Notweg beschränkt wäre.

IV.
Die Verurteilung des Beklagten zum Rückbau von Garage, Betonsockel und Zaun ist schließlich
auch verhältnismäßig, da weniger einschneidende Alternativen für die Beseitigung der Störung
der Dienstbarkeit nicht ersichtlich sind.

V.
Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze geben, entsprechend
den obigen Ausführungen hierzu, keinen Anlass, die Verhandlung wieder zu eröffnen.
14 O 528/20 - 12 -
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit
ergibt sich aus § 709 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

LG Stuttgart

Erscheinungsdatum:

01.04.2021

Aktenzeichen:

14 O 528/20

Rechtsgebiete:

Dienstbarkeiten und Nießbrauch

Normen in Titel:

BGB §§ 1020, 1023, 1027, 1028; EGBGB Art. 184, 189; AGBGB BW § 31; GBVO BW § 21