OLG Celle 09. Januar 2024
6 W 175/23
BGB § 138

Sittenwidrigkeit eines notariellen Testaments zugunsten der Berufsbetreuerin

letzte Aktualisierung: 24.6.2024
OLG Celle, Beschl. v. 9.1.2024 – 6 W 175/23

BGB § 138
Sittenwidrigkeit eines notariellen Testaments zugunsten der Berufsbetreuerin

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (6 U 22/20, Urteil vom 7. Januar 2021) fest, dass ein
(notarielles) Testament sittenwidrig sein kann, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene
Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt,
gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem
von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen (hier: 92-jährige, kranke
Erblasserin, nach dem unmittelbar vor Einrichtung der Betreuung eingetretenen Tod ihrer Tochter
ohne Angehörige, testiert vor einem von der Betreuerin beauftragten Notar zwei Wochen nach
Einrichtung der Betreuung zugunsten der Betreuerin).

Gründe

I.
Die am #.#.1930 geborene Erblasserin, deren Ehemann 2004 verstorben war, lebte mit ihrer
einzigen Tochter zusammen. Weitere nähere Angehörige hatte die Erblasserin nicht. Die
Tochter, geschieden und kinderlos, verstarb nach längerer Krankheit am 24. September 2022 im
Alter von 71 Jahren im Klinikum N. in H..

Die Erblasserin befand sich vom 2. September bis 3. Oktober 2022 im Klinikum N., und zwar
in den letzten Tagen vor dem Tod der Tochter mit dieser in einem Krankenzimmer. Zwei Tage
nach dem Tod der Tochter, die sich um die Angelegenheiten der Erblasserin gekümmert hatte,
wurde für die Erblasserin auf Anregung des Krankenhauses N. eine Betreuung eingerichtet und
die der Erblasserin bis dahin unbekannte Beteiligte zu 1, die nach eigenen Angaben seit
9. Dezember 2022 ihren jetzigen Namen trägt, zur Betreuerin der Erblasserin bestellt (AG
Hannover, ####). Bei ihrer Anhörung durch die Betreuungsrichterin am 23. September 2022
hatte die Erblasserin, dort als "sehr verzweifelt" beschrieben, angegeben, sie beabsichtige, ein
Testament zugunsten der Kirche zu machen (Anhörungsprotokoll Bl. 42 in 51 IV ###
Amtsgericht Hannover). Vom 3. bis zum 18. Oktober 2022 befand sich die Erblasserin im
DRK-Krankenhaus C. in H.; dort war sie mit Notarztbegleitung eingeliefert worden (Bl. 19).
Nur kurz war sie zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung
untergebracht.

Die Beteiligte zu 1 beauftragte den Notar P. mit der Erstellung eines notariellen Testaments der
Erblasserin. Zu diesem Zweck begab sich der Notar am 11. Oktober 2022 ins Krankenhaus und
beurkundete ein Testament, das dem Senat im Original vorliegt (51 IV ### AG
Hannover, S. 19 ff.). In diesem setzte die Erblasserin die Beteiligte zu 1 zu ihrer "alleinigen und
uneingeschränkten Erbin meines gesamten Nachlasses ein. Hintergrund der Erbeinsetzung ist
die Dankbarkeit über die Pflege, welche die Erbin mir seit ihrer Bestellung als Betreuerin
zukommen lässt." Der Ev.-luth. N. Kirchengemeinde in H. wandte sie einen Betrag von 10.000
€ als Vermächtnis zu. Den Reinwert ihres Vermögens gab die Erblasserin mit ca. 350.000 € an.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 18. Oktober 2022 nahm die Beteiligte zu 1 die
Erblasserin bei sich zu Hause auf. Mit notarieller Urkunde des Notars P. vom 20. Oktober 2022
beantragte die Beteiligte zu 1 in ihrer Eigenschaft als Betreuerin der Erblasserin einen
Erbschein, wonach die Tochter der Erblasserin von dieser allein beerbt worden sei; der
Erbschein wurde mit Datum vom 7. Dezember 2022 antragsgemäß erteilt (56 VI ###
Amtsgericht Hannover, wo sich Bl. 21 auch der Hinweis findet, dass die Beteiligte zu 1 den Tod
der Erblasserin dem Nachlassgericht nicht angezeigt habe). Die Erblasserin starb am
22. Oktober 2022 im Haus der Beteiligten zu 1.

Unter Verweis darauf, dass die Erblasserin im Betreuungsverfahren geäußert habe, sie
beabsichtige, ein Testament zu Gunsten der Kirche zu machen, sowie darauf, dass die
Errichtung des Testaments sehr früh nach Beginn der Betreuung und der Kontaktaufnahme der
Betreuerin, der Beteiligten zu 1, zur Erblasserin erfolgt sei, sodass das notarielle Testament
sittenwidrig sein könne, ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. Februar 2023
Nachlasspflegschaft an und bestellte den Beteiligten zu 2, Rechtsanwalt, zum Nachlasspfleger
mit den Aufgabenkreisen Sicherung sowie Verwaltung des Nachlasses. Mit Beschluss vom
20. Juli 2023 erweiterte das Amtsgericht den Wirkungskreis auf die Erbenermittlung.
Beschwerde wurde dagegen nicht eingelegt.

Den notariellen Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 31. August 2023 hat das Amtsgericht
mit Beschluss vom 10. Oktober 2023 zurückgewiesen. Das notarielle Testament sei sittenwidrig,
was näher ausgeführt wird.

Gegen den Beschluss hat die Beteiligte zu 1 unter dem 2. November 2023 Beschwerde eingelegt
und diese mit Schriftsatz vom 30. November 2023 begründet.

II.
Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Senat folgt nicht der Auffassung der Beschwerde, dass es keine Zweifel an der
Testierfähigkeit der Erblasserin gebe.

Nach § 2229 Abs. 4 BGB "kann ein Testament nicht errichten", "wer wegen krankhafter
Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in
der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach
dieser Einsicht zu handeln".

a) Konkrete Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin am 11. Oktober 2022 ergeben sich
aus verschiedenen Arztberichten. So findet sich im Arztbrief des C.hauses vom
14. Oktober 2022 (drei Tage nach Beurkundung des Testaments) der Hinweis auf den Verdacht
einer senilen Depression, weswegen eine antidepressive Therapie mit Mirtazapin eingeleitet
worden sei. In seiner ärztlichen Bescheinigung vom 14. September 2023 hat Dr. P., nach
eigenen Angaben seit April 2015 betreuender Hausarzt der Erblasserin, sich zur Testierfähigkeit
wie folgt geäußert: "Sollte das Testament im Oktober unterzeichnet worden sein, so kann man
nach meiner Einschätzung schon Zweifel an der Testierfähigkeit haben, alleine aufgrund des
schlechten Allgemeinzustandes mit Todeswunsch (stand im Entlassungsbrief der Klinik) und
unter der bestehenden Medikation."

b) Einer Entscheidung über die Testierfähigkeit der Erblasserin bedarf es allerdings nicht.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde kommt es für die im Anschluss zu erörternde Frage
der Sittenwidrigkeit auch nicht auf eine fortbestehende Testierfähigkeit der Erblasserin an. Zwar
hat der Senat in seinem Urteil vom 7. Januar 2021 (6 U 22/20) vor Erörterung und Bejahung der
Sittenwidrigkeit auch die Testierunfähigkeit des Erblassers bejaht. Allerdings hat er dabei in
keiner Weise einen Zusammenhang dergestalt hergestellt, dass die Annahme der Sittenwidrigkeit
die Feststellung der Testierunfähigkeit voraussetzt.

2. Das notarielle Testament der Erblasserin vom 11. Oktober 2022 ist unter Würdigung aller
konkreten Umstände des Falls sittenwidrig, § 138 BGB, und damit nichtig, sodass die Beteiligte
zu 1 daraus nichts für sich herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten
kann.

a) In seinem - rechtskräftigen - Urteil vom 7. Januar 2021 in 6 U 22/20 hat der Senat die
Auffassung vertreten, dass ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers,
dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, ein
notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin sittenwidrig sein kann, wenn eine
Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren,
kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren
Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in
ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. Daran hält der Senat fest.

aa) Reichenberg verkennt in seiner Anmerkung (NJW 2021, 1686 [OLG Celle 07.01.2021 - 6 U
22/20]), von der Fragwürdigkeit der Bedeutung seines "Rechtsgefühls" ganz abgesehen, dass der
von ihm gewählte Obersatz, die Verfügung des Erblassers selbst müsse sittenwidrig sein, zu kurz
greift. Es geht auch nicht um die Frage, ob es eine allgemeine Wertung gibt, wonach die
Erbeinsetzung eines Berufsbetreuers (objektiv) sittenwidrig ist. Es geht darum, ob im konkret zu
betrachtenden Fall Sittenwidrigkeit aufgrund der Gesamtumstände angenommen werden muss.
Anerkanntermaßen kann sich Sittenwidrigkeit aus einer Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts
ergeben, in die Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts einzubeziehen sind (vgl. nur
BGH, IVb ZR 91/88, Urteil vom 19. Dezember 1989, juris), womit einem Abstellen allein auf
den Inhalt des Rechtsgeschäfts eine Absage erteilt ist. Zu berücksichtigen sind bei der Prüfung
der Sittenwidrigkeit auch die Umstände, die zur Vornahme des Rechtsgeschäfts geführt haben,
wohingegen das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit und eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich
sind (vgl. nur BGH, IX ZR 199/91, Urteil vom 7. Januar 1999, juris).

Die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts kann sich auch aus den Umständen ergeben, in
welche das Rechtsgeschäft eingebettet ist. "So können Rechtsgeschäfte mit dem gleichen
unmittelbaren Inhalt je nach den Umständen sittenwidrig oder gültig sein" (Flume, Allgemeiner
Teil des Bürgerlichen Rechts, II. Band, 4. Aufl. 1992, § 18 2. c), S. 372). Wird die Möglichkeit
einer solchen Umstandssittenwidrigkeit anerkannt (so auch Leipold, ZEV 2021, 485), ist der
oben genannte Obersatz, die Verfügung des Erblassers selbst müsse sittenwidrig sein, unrichtig.
Die Möglichkeit der Sittenwidrigkeit eines Testaments im Sinne einer Umstandssittenwidrigkeit
findet sich bereits in der Entscheidung des BayObLG vom 18. Dezember 1997 in 1 Z BR
73/97. Dort allerdings bedurfte die Frage, "unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall
Sittenwidrigkeit anzunehmen ist, wenn der Betreuer seine Stellung dazu missbraucht hat, die
Entscheidungsfreiheit des Betreuten in rechtlich anstößiger Weise zu beeinträchtigen", keiner
Entscheidung.

Und in der vom Senat bereits in seinem Urteil vom 7. Januar 2021 zitierten BGH-Entscheidung
vom 4. Juli 1990 in IV ZR 121/89 heißt es: "Auch unentgeltliche Geschäfte der hier
vorliegenden Art können im Einzelfall durchaus sittenwidrig und gemäß § 138 Abs. 1 BGB
ohne rechtliche Wirkung sein. Maßgebend für ein derartiges Unwerturteil sind hier allerdings
weniger der objektive Inhalt der Geschäfte als solcher oder die Motive und die damit verfolgten
Zwecke der Erblasserin als vielmehr die Motive des Beklagten, die von ihm verfolgten Zwecke
und die Art und Weise seines Vorgehens. Wie das Berufungsgericht im Ansatz erkannt hat (...),
kann es sich um einen Fall handeln, in dem aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise
Vorteile gezogen werden (...). Hier kann es darauf ankommen, ob die Erblasserin sich etwa den
Wünschen des Beklagten nach vermögenswerten Zuwendungen nach ihrer
Persönlichkeitsstruktur (ihrem Zustand) seinerzeit nicht (oder kaum) hätte entziehen können, ob
der Beklagte dies gewusst (oder sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschlossen) hat
und ob er eine etwa fehlende (oder geschwächte) Widerstandskraft (gesteigerte
Beeinflussbarkeit) der Erblasserin eigensüchtig ausgenutzt (oder es sogar darauf angelegt) hat."
bb) Auch die Kritik von Litzenburger (FD-ErbR 2021, 437206) an der Senatsentscheidung
überzeugt nicht. Es gibt keinen überzeugenden Grund, die Umstandssittenwidrigkeit überhaupt
zu leugnen oder auf mehrseitige Rechtsgeschäfte zu beschränken (auch Flume, a. a. O., nimmt
eine solche Beschränkung nicht vor, s. außerdem Leipold, ZEV 2021, 485, 486). Dann könnte
ein Erbvertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein, ein Testament aber nicht, was nicht
einleuchtet.

Die Möglichkeit der Anfechtung gemäß § 2078 BGB schließt die Annahme der Sittenwidrigkeit
nicht notwendigerweise aus; jedenfalls kann der Vorrang nur so weit gehen, wie der
Anwendungsbereich von § 2078 BGB reicht. Die Vorschrift schützt aber nicht vor der
Entstehung psychischer Zwangslagen (s. a. BVerfG, 1 BvR 434/98, Beschluss vom 3. Juli 1998,
juris).

cc) Mit dem Hinweis der Beschwerde darauf, dass die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen
nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden könne (so auch Centner, ZEV 2021,
392, unter Verweis auf BGH, IV ZR 231/92, wo sich diese Begrifflichkeit allerdings nicht
findet), ist für die praktische Rechtsanwendung wenig geholfen. In BGH, IV ZR 231/92, ging es
um die Frage der Sittenwidrigkeit von Behindertentestamenten. Um Fälle, in denen die
Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung aufgrund einer (angeblich) verwerflichen Gesinnung
des Testierenden selbst, wie etwa auch in der (früheren) Fallgruppe der sog.
"Geliebtentestamente" (vgl. nur BGHZ 53, 369), in Rede steht, geht es vorliegend aber nicht.
dd) Soweit die Beschwerde die Entscheidung des OLG Nürnberg vom 19. Juli 2023 (15 Wx
988/23) in Bezug nimmt, überzeugt dies nicht. Die Kritik an der Senatsentscheidung vom
7. Januar 2021 beschränkt sich dort im Wesentlichen auf die Feststellung, dass die Entscheidung
"in der Kommentierung und Literatur mit nachvollziehbarer Begründung auf Ablehnung
gestoßen" sei. Der Senat beschränkt sich daher auf den Verweis auf die kritische Anmerkung
von Leipold (ZEV 2023, 823 f.).

ee) Auch der wiederholt erfolgte Hinweis auf den Schutz der Testierfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG,
überzeugt nicht.

Die Testierfreiheit schützt das Recht des Erblassers, die Erbfolge selbst durch Verfügung von
Todes wegen weitgehend nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen zu regeln
(BVerfG, 1 BvR 2248/01, Beschluss vom 22. März 2004, juris). Von der verfassungsrechtlichen
Gewährleistung der Testierfreiheit geschützt werden nur selbstbestimmte und
selbstverantwortete letztwillige Erklärungen. Selbstbestimmung setzt
Selbstbestimmungsfähigkeit voraus. Nur wenn der Einzelne in der Lage ist, selbstbestimmt zu
handeln und im wirtschaftlichen Bereich eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen,
können seine letztwilligen Verfügungen grundrechtlichen Schutz beanspruchen (BVerfG, 1 BvR
2161/94, Beschluss vom 19. Januar 1999, juris). Dabei können auch Testierverbote Ausdruck
der Testierfreiheit sein (BVerfG, 1 BvR 434/98, Beschluss vom 3. Juli 1998 zu § 14 HeimG:
"Die [verfassungsgemäße] Vorschrift soll alte Menschen davor bewahren, dass ihr Recht auf
freie Verfügung von Todes wegen durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet
wird.").

Die Testierfreiheit des Erblassers wird nicht durch eine formale Betrachtungsweise geschützt,
die letztlich nur darauf hinausläuft, auf die nicht widerlegte Testierfähigkeit abzustellen und
Umstände außerhalb der Urkunde auszublenden, obwohl sie Einfluss auf das Zustandekommen
bzw. den Inhalt der Urkunde genommen haben. Mit einer rein formalen Argumentation wird die
Testierfreiheit in Fällen wie dem vorliegenden in ihr Gegenteil verkehrt. Geschützt werden muss
die "faktische Testierfreiheit" (BVerfG, 1 BvR 434/98, Beschluss vom 3. Juli 1998, juris).
Formalismus verbietet sich anerkanntermaßen im Hinblick darauf, dass sich in den
Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes eine objektive Wertordnung verkörpert, die als
verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und der vor allem
auch bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln maßgebliche Bedeutung zukommt;
indem solche Generalklauseln wie § 138 BGB ganz allgemein etwa auf die guten Sitten
verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von
Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung
bestimmt werden (st. Rspr. seit BVerfGE 7, 198 ff. [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51]:
"Lüth"). Bedeutung entfaltet diese Rechtsprechung etwa bei der Inhaltskontrolle von
Bürgschaften naher, aber einkommens- und vermögensloser Angehöriger (BVerfGE 89, 215 ff.
[BVerfG 19.10.1993 - 1 BvR 567/89]); das BVerfG sah in der bewusst unterlassenen
Inhaltskontrolle durch den BGH eine Verkennung der grundrechtlich gewährleisteten
Privatautonomie. Diese Grundsätze finden Anwendung auch im Erbrecht (1 BvR 2248/01,
Beschluss vom 22. März 2004, juris: "Hohenzollern": die "Ebenbürtigkeitsklausel" darf keinen
unzumutbaren Druck bei Eingehung einer Ehe erzeugen). Dabei gibt es keinen Grund, die
Rechtsprechung zur objektiven Wertordnung der Grundrechte auf Verträge zu begrenzen (1
BvR 112/65, Beschluss vom 14. Februar 1973, juris: "Soraya"). Ein Verzicht auf die Kontrolle
von Inhalt und Abschlussbedingungen von Rechtsgeschäften kann damit nie allein mit dem
formalen Verweis auf Grundrechtsbestimmungen begründet werden.

ff) Bestätigt sieht sich der Senat (mit Leipold, ZEV 2023, 824) durch ein neueres Urteil des
BGH vom 15. November 2022 (X ZR 40/20). Dort heißt es für einen Schenkungsvertrag, dass
sich die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB nicht nur aus
Motiven des Zuwendenden, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des
Zuwendungsempfängers ergeben könne. So könne es sich um einen Fall handeln, indem aus
fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen würden. Hierfür könne von
Bedeutung sein, ob der Schenker sich den Wünschen des Beschenkten aufgrund seiner
Persönlichkeitsstruktur nicht oder kaum hätte entziehen können, ob der Beschenkte dies
gewusst oder sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschlossen habe und ob er die
fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigensüchtig ausgenutzt oder es
sogar darauf angelegt habe. In diesem Zusammenhang könnten die in § 138 Abs. 2 BGB
besonders hervorgehobenen Gesichtspunkte insbesondere im Hinblick auf das Verhalten des
Zuwendungsempfängers auch im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB von Bedeutung sein. Es
handele sich um einen Nichtigkeitsgrund, der gegebenenfalls auch die (bloße) Anfechtbarkeit
nach § 123 Abs. 1 BGB überlagere, weil nicht die Drohung mit einem künftigen Übel, sondern
die Ausnutzung der vorhandenen Zwangslage im Vordergrund stehe oder hinzutrete.
Diese Überlegungen lassen sich ohne weiteres auch auf die Beurteilung von Zuwendungen
durch letztwillige Verfügung übertragen, zu denen der Anstoß vom Zuwendungsempfänger
(also dem Berufsbetreuer) unter Ausnutzung der Situation des Erblassers ausging (so auch
Leipold, ZEV 2023, 824).

b) Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen ist für vorliegenden Sachverhalt in Anknüpfung
an das Senatsurteil vom 7. Januar 2021 von einer Sittenwidrigkeit des notariellen Testaments
vom 11. Oktober 2022 auszugehen.

Die Erblasserin war bei Beurkundung des notariellen Testaments 92 Jahre alt. Angehörige hatte
sie, nachdem ihre Tochter als ihre einzige Angehörige wenige Wochen zuvor verstorben war,
nicht mehr. Sie hatte schon vor dem Tod ihrer Tochter "keinen Lebenswillen mehr"
(Stellungnahme des Krankenhauses N. vom 14. September 2023 (Bl. 78). Die Tochter war es
gewesen, "die sich um die finanziellen Belange einschließlich der Verwaltung von Eigentum
kümmerte" (Stellungnahme des Klinikums N. vom 21. September 2022 gegenüber dem
Betreuungsgericht, Bl. 14). Die Erblasserin hielt sich seit mehreren Wochen in verschiedenen
Krankenhäusern auf. Ihr Gesundheitszustand war schlecht. Im Arztbrief des Klinikums N. vom
30. September 2022 (Bl. 79 ff.) ist neben Herzinsuffizienz von Aorteninsuffizienz und
Hypertonie sowie Vorhofflimmern die Rede, außerdem von einer chronisch depressiven
Erkrankung und einer derzeit schweren Episode in Kombination mit Trauerreaktion. "Zur
bereits bestehenden schweren depressiven Episode kam somit eine Trauerreaktion der Patientin
hinzu" (Bl. 80 Rück). Im Arztbrief des C.hauses vom 14. Oktober 2022 (Bl. 18 ff.) heißt es unter
Vordiagnosen u. a.: "Herzinsuffizienz mit schwer eingeschränkter Pumpfunktion, paroxysmales
Vorhofflimmern, schwere depressive Episode nach Verlust der Tochter". Es könne bereits
vorher eine senile Depression bestanden haben. Eine Medikation mit Mirtazapin, einem
Antidepressivum, sei indiziert. In Anwesenheit der Berufsbetreuerin sei mit der Patientin eine
Therapielimitierung besprochen worden. "Hinweise auf schwere depressive Symptome" wurden
vom Krankenhaus N. bereits bei einem psychologischen Gespräch am 15. September 2022
gefunden (Bl. 78). In der "ärztlichen Bescheinigung" des behandelnden Hausarztes Dr. P. vom
14. September 2023 (Bl. 82 f.) heißt es unter anderem, er habe die Erblasserin seit April 2015,
vorwiegend per Hausbesuch, betreut. "Sie war über die Jahre hin weltfremd geworden, konnte
schlecht hören und lebte mit ihrer psychisch kranken und körperlich immer mehr verfallenden
Tochter in einer Wohnung."

Von Bedeutung für die Annahme der Sittenwidrigkeit ist für den Senat weiter, dass die
Beauftragung des Notars P. nicht durch die Erblasserin erfolgte, obwohl diese unter
Zugrundelegung des gesamten Akteninhalts dazu ohne Weiteres in der Lage gewesen wäre,
sondern durch die Beteiligte zu 1. Nach Angaben des beurkundenden Notars in seiner
Stellungnahme vom 9. Februar 2023 gegenüber dem Nachlassgericht (Bl. 8) hatte sie ihn nicht
nur kontaktiert, ihm Unterlagen zur Verfügung gestellt und ihm das Anliegen geschildert,
sondern auch bereits den Wunsch der Erblasserin mitgeteilt, dass sie, die Beteiligte zu 1, als
Erbin eingesetzt werden solle. Bestätigt hat der Notar dies in seiner weiteren Stellungnahme
vom 12. April 2023 (Bl. 46), wo es heißt, die Beteiligte zu 1 "hat gewusst, dass sie als Erbin
eingesetzt werden soll, dies hat sie mir schon bei der Terminvereinbarung für die
Vorbesprechung telefonisch berichtet". Weiter heißt es in den Stellungnahmen des Notars, dass
sie "flankierend dabei" gewesen sei, ihn im Krankenhaus angemeldet und zum Krankenzimmer
gebracht habe. Sie habe ihn bei der Vorbesprechung kurz bei der Erblasserin als Notar
vorgestellt, dann aber das Zimmer verlassen. Weiter heißt es in der Stellungnahme vom
12. April 2023, die Beteiligte zu 1 habe eine Bankvollmacht gehabt (Bl. 46). Folglich kannte die
Beteiligte zu 1 auch die finanziellen Verhältnisse der nicht unvermögenden Erblasserin.
Zwar heißt es am Schluss der Stellungnahme des Notars, er habe "keinen Anhaltspunkt für eine
Sittenwidrigkeit gefunden", er macht dabei aber nicht deutlich, was er in diesem Zusammenhang
konkret geprüft haben will, um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen. Dies ist umso
bemerkenswerter, als der Notar selbst davon ausgegangen war, dass es sich um einen "sehr
ungewöhnlichen Vorgang" handelte (Bl. 9).

In Anbetracht der Angaben des Notars kann der Senat der schriftlichen Erklärung der
Beteiligten zu 1 vom 13. Februar 2023 gegenüber dem Nachlassgericht (Bl. 10 ff.) keinen
Glauben schenken, wonach ihr "definitiv nicht bewusst" gewesen sei, dass die Erblasserin sie als
Alleinerbin eingesetzt habe. Der Senat sieht darin den Versuch, ihren Einfluss auf die
Erblasserin zu verschleiern.

Die persönliche Aufnahme der Erblasserin bei der Beteiligten zu 1 nach Entlassung aus dem
Krankenhaus für die letzten verbleibenden Tage wertet der Senat als ein mindestens
unprofessionelles Verhalten der Berufsbetreuerin (was sie möglicherweise gar nicht anders sieht,
wenn sie gegenüber dem Nachlassgericht schreibt, "das ging weit über die Tätigkeit der
Berufsbetreuung hinaus", Bl. 12). Ihre Aufgabe bestand nicht darin, sich persönlich wie eine
Pflegekraft um die Erblasserin zu kümmern (es war nach ihren eigenen Angaben ohnehin auch
ein ambulanter Pflegedienst beauftragt). Sie war, und das musste sie als Berufsbetreuerin auch
wissen, "nur" rechtliche Betreuerin. Des persönlichen Kontakts bedarf es nur, soweit dies für die
rechtliche Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten erforderlich ist. Dies bestimmt
ausdrücklich § 1816 Abs. 1 BGB n.F. Dass die Vorschrift erst ab 1. Januar 2023 gilt, ist dabei
ohne entscheidende Bedeutung, weil mit der Regelung keine wesentliche Veränderung der
bisherigen Rechtslage verbunden ist. Mit der Aufnahme bei ihr war es praktisch ausgeschlossen,
dass die Erblasserin, etwa ihrem am 23. September 2022 gegenüber der Betreuungsrichterin
geäußerten Wunsch entsprechend, anderweit testieren würde.

Die Beteiligte zu 1 kann sich auch nicht auf eine mit der Beschwerde behauptete Unerfahrenheit
stützen. Sie wurde mit Schreiben der Region Hannover vom 22. September 2022 dem
Betreuungsgericht als Betreuerin vorgeschlagen. Dort heißt es auch, sie führe aktuell 13
Betreuungen (Bl. 41 in 51 IV ### Amtsgericht Hannover).

Hinzu kommt der zeitliche Ablauf. Zwischen der Bestellung der Beteiligten zu 1 als Betreuerin
der Erblasserin und der Beurkundung des Testaments beim zweiten Besuch des Notars lagen
nur rund zwei Wochen. In dieser Zeit hielt sich die Erblasserin jedenfalls überwiegend im
Krankenhaus auf, sodass es besonders unverständlich erscheinen muss, dass es im Testament
heißt, die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 erfolge aus Dankbarkeit für die Pflege, welche die
Erbin ihr, der Erblasserin, seit ihrer Bestellung als Betreuerin habe zukommen lassen. Der Senat
kann auch nicht der Auffassung der Beteiligten zu 1 aus ihrem Schreiben vom 13. Februar 2023
an das Nachlassgericht folgen, wonach sich zwischen ihr und der Erblasserin "ein sehr inniges
und herzliches Verhältnis entwickelt" habe (Bl. 10). Darüber geht die Beschwerde sogar noch
hinaus, wenn es dort ungeachtet des zeitlichen Ablaufs heißt, es habe sich nach dem Tod der
Tochter "so etwas wie ein zweites Mutter-Tochter-Verhältnis entwickelt". Solche
beschönigenden Beschreibungen entbehren aber jeder tatsächlichen Grundlage. Der Erstkontakt
hatte nur zwei Wochen vor der Testamentserrichtung stattgefunden, und zwar in einer für die
Erblasserin besonders schwierigen Situation. Sie war nach dem Tod der Tochter vereinsamt,
ohne Angehörige, befand sich außerhalb der ihr bekannten und vertrauten Umgebung und war
auf die Beteiligte zu 1 angewiesen.

Der Nachlasspfleger hat sich in einer Mail vom 8. März 2023 (Bl. 36) an das Nachlassgericht
dahingehend geäußert, dass er ein längeres Gespräch mit der Beteiligten zu 1 geführt habe, er ihr
die Angabe, dass es ihr nicht ums Geld gehe und sie nur den Willen der Erblasserin durchsetzen
wolle, "schlicht und ergreifend nicht" geglaubt habe. Aus der Mail ergibt sich weiter, dass die
Beteiligte zu 1 100.000 € (zur Begleichung der Erbschaftsteuer) bereits auf ein separates Konto
übertragen habe. Die Rückzahlung habe die Beteiligte zu 1 zugesagt.

Die genannten Umstände reichen im Rahmen einer Gesamtwürdigung dem Senat aus, um auch
für vorliegenden Sachverhalt zur Annahme der Sittenwidrigkeit und damit der Nichtigkeit des
notariellen Testaments zugunsten der Beteiligten zu 1 zu gelangen. Eine noch weitergehende
Aufklärung dazu, wie sich die Einwirkung der Beteiligten zu 1 auf die Erblasserin im Einzelnen
gestaltete, hält der Senat nicht für erforderlich (selbst im Strafverfahren wäre dies nicht
erforderlich, vgl. BGH, 3 StR 132/18, Beschluss vom 24. Juli 2018, Rn. 20 bei juris).

III.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1
FamFG nicht vorliegen. Die Möglichkeit, dass Testamente sittenwidrig sein können, dürfte
außer Frage stehen. Ob dies der Fall ist, ist letztlich eine Frage des konkreten Einzelfalls. Von
Entscheidungen anderer Gerichte zu vergleichbaren Sachverhalten weicht der Senat nicht ab.
Der bereits erwähnte Beschluss des BayObLG vom 18. Dezember 1997 in 1 Z BR 73/97 hat
die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung verneint, allerdings für einen Sachverhalt, der
unter anderem dadurch gekennzeichnet war, dass zwischen der Erblasserin und dem Betreuer
eine langdauernde Lebensgemeinschaft bestanden hatte und der Betreuer auf den
ausdrücklichen Wunsch der Erblasserin zu ihrem Betreuer bestellt worden war, weil er schon
bisher ihre Angelegenheiten in vermögensrechtlichen Fragen für sie erledigt hatte und sie ihm
vertraute.

Vom Beschluss des OLG Frankfurt vom 21. Dezember 2023 (21 W 91/23) liegt dem Senat nur
eine Presseerklärung des Gerichts vom 3. Januar 2024 vor. Danach soll die Erbeinsetzung eines
behandelnden Arztes nicht zur Nichtigkeit eines Testaments führen. Der Sachverhalt ist
allerdings nicht vergleichbar; die Beziehung zwischen Arzt und Patient unterscheidet sich
deutlich von dem Verhältnis zwischen Betreutem und (von dritter Seite ausgesuchtem)
Berufsbetreuer. Überdies lässt sich der Presseerklärung nicht entnehmen, dass § 138 BGB
überhaupt geprüft wurde.

Der Beteiligten zu 1 bleibt unbenommen, Erbenfeststellungsklage zu erheben.

IV.
Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es nicht. Die Pflicht, die Gerichtsgebühren des
erfolglosen Beschwerdeverfahrens zu tragen, folgt aus dem Gesetz (§ 25 Abs. 1, § 22 Abs. 1
GNotKG).

Die Erstattung notwendiger Aufwendungen kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil sich
niemand in einem der Beschwerde entgegengesetzten Sinn am Beschwerdeverfahren beteiligt
hat.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 61 Abs. 1, § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
GNotKG. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten zu 1, aufgrund
testamentarischer Erbfolge alleinige Erbin geworden zu sein. Der Senat hat den von der
Beteiligten zu 1 in ihrem notariellen Erbscheinsantrag vom 31. August 2023 angegebenen Wert
des reinen Nachlasses von ca. 350.000 € zugrunde gelegt, die Angaben des Beteiligten zu 2 im
vorläufigen Nachlassverzeichnis vom 6. Juni 2023 (353.000, Bl. 57 ff.) und der Beteiligten zu 1
in deren Nachlassverzeichnis vom 19. Februar 2023 (332.000 €, Bl. 31) weichen davon nicht
wesentlich ab. Von dem Betrag von 350.000 € war in Anlehnung an die ständige Praxis zur
Wertfestsetzung bei der positiven Feststellungsklage ein Drittel wegen der eingeschränkten
Funktion des Erbscheins (nur Legitimationswirkung) in Abzug zu bringen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Celle

Erscheinungsdatum:

09.01.2024

Aktenzeichen:

6 W 175/23

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testierfähigkeit

Normen in Titel:

BGB § 138