Anforderungen an ein „Verlangen“ in der Pflichtteilsstrafklausel
letzte Aktualisierung: 1.2.2019
OLG München, Beschl. v. 6.12.2018 – 31 Wx 374/17
BGB §§ 2075, 2094, 2269
Anforderungen an ein „Verlangen“ in der Pflichtteilsstrafklausel
Eine Pflichtteilsklausel, die auf ein „Verlangen“ des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden
Ehegatten abstellt, greift nicht bereits dann ein, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Erbenstellung
des Überlebenden angreift (im Anschluss und in Abgrenzung zu OLG München Beschluss vom
7.4.2011 – 31 Wx 227/10).
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 1 und der Beteiligte zu 2 (= Beschwerdeführer) sind die Abkömmlinge der Erblasserin und
deren im Jahr 2008 vorverstorbenen Ehemanns.
Es liegt ein (undatiertes) gemeinschaftliches Testament vor, das u.a. folgende letztwillige Verfügungen
enthält:
1. Wir (…) setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein. Schlusserben bei Tod des Überlebenden von
uns und Erben von uns beiden im Falle gleichzeitigen Versterbens sind unsere Kinder (…) und (…) zu
gleichen Teilen alein Erben!
2. Verlangt einer unserer Abkömmlinge auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil, so sind er und
seine Nachkommen von der Erbfolge auf Ableben des Längerlebenden (Längstlebenden) ausgeschlossen.
Ferner erhalten in diesem Falle unser anderes Kind und seine Abkömmlinge aus dem Nachlaß des
Erstversterbenden ein Geldvermächtnis in Höhe des Wertes seines gesetzlichen Erbteils auf Ableben des
Erstversterbenden, wenn dieser erst beim Tod des Längerlebenden (Längstlebenden) verstorben wäre,
berechnet aus dem zum Zeitpunkt des Todes des Längerlebenden noch vorhandenen Nachlass des
Erstversterbenden. Diese Vermächtnisse Fallen erst mit dem Tod des Längerlebenden an und nur an zu
diesem Zeitpunkt noch lebende Bedachte. … Die Beteiligte zu 1 hat in dem Nachlassverfahren betreffend
den vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom
16.4.2016 beantragt, den der Erblasserin am 4.9.2009 erteilten Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist,
einzuziehen. Darin hat sie Einwände gegen die Wirksamkeit des Testaments angebracht (Hinweise auf
Auffälligkeiten betreffend die Testamentsurkunde sowie des Vorliegens eines Testierwillens des Erblassers).
Mit Beschluss vom 30.8.2016 hat das Nachlassgericht den Antrag der Beteiligte zu 1 zurückgewiesen.
Mit Antrag vom 5.9.2017 beantragte die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins, der sie zusammen
mit dem Beteiligten zu 2 aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Ehegatten als Miterbin der
Erblasserin zu je ½ ausweist. Demgegenüber hat der Beteiligte zu 2 den Antrag auf Erteilung eines
Erbscheins gestellt, dass die Erblasserin von ihm allein beerbt wird. Er ist der Auffassung, dass die
Pflichtteilsklausel in dem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten greift, da die Beteiligte zu 1 im
Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen Ehemann durch das Einziehungsverfahrens hinsichtlich
des der Erblasserin erteilten Alleinerbscheins versucht hat, die Alleinerbenstellung der Erblasserin zu
bekämpfen und die Klausel dahingehend ausgelegt werden kann, dass unter „Verlangen“ im Sinne der
Pflichtteilsklausel auch ein Bekämpfen der Alleinerbenstellung des überlebenden Ehegattens fällt.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 13.9.2017 die Voraussetzungen für die Erteilung des von der
Beteiligten zu 1 beantragten Erbscheins als festgestellt erachtet, den Antrag des Beteiligten zu 2 hingegen
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 2.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des
Nachlassgerichts, dass die Beteiligten zu 1 und 2 Miterben zu je ½ der Erblasserin sind.
1. Zu Recht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Ziffer 2 des gemeinschaftlichen
Testaments angeordnete Pflichtteilsklausel vorliegend nicht greift und insofern nicht den Wegfall der in Ziffer
1 angeordneten Miterbenstellung der Beteiligten zu 1 bedingt. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers stellt die von der Beteiligten zu 1 im Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen
Ehemann der Erblasserin beantragte Einziehung des der Erblasserin am 4.9.2009 erteilten Erbscheins kein
„Verlangen“ im Sinne der von den Ehegatten angeordneten Pflichtteilsklausel dar.
a) Eine Pflichtteilsklausel, wie sie hier das gemeinschaftliche Testament enthält, ist eine typische letztwillige
Anordnung, durch die gemeinschaftlich testierende und sich gegenseitig als Erben, ihre Abkömmlinge als
Schlusserben einsetzende Ehegatten sicherstellen wollen, dass dem Überlebenden bis zu seinem Tod der
Nachlass ungeschmälert verbleibt und er nicht durch das Pflichtteilsverlangen eines Schlusserben gestört
wird (vgl.
beanstandende Ziel, den Nachlass zunächst dem überlebenden Ehegatten ungeschmälert zukommen zu
lassen (vgl. NK-Erbrecht/Gierl 5. Auflage <2018> § 2269 Rn. 88). Im Zusammenhang mit der
Schlusserbenregelung soll die Verwirkungsklausel auch das Interesse der Ehepartner, insbesondere des
Erstversterbenden, daran sichern, dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des elterlichen
Gesamtnachlasses bevorteilt wird (
werden, dass die Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder unter die auflösende Bedingung eines
Verlangens des Pflichtteils nach dem Erstversterbenden gestellt wird. Verlangt ein Schlusserbe den
Pflichtteil nach dem ersten Todesfall, so entfällt seine Einsetzung als Schlusserbe, und zwar regelmäßig mit
Wirkung auch für seine Abkömmlinge (BayObLG
Auslegungsregel des
b) Welche konkreten Voraussetzungen für die Verwirklichung der Pflichtteilsausschlussklausel erfüllt sein
müssen, hängt im Einzelfall von der Gestaltung bzw. Formulierung und dem Willen der Erblasser ab, der
gegebenenfalls im Wege der Auslegung festzustellen ist (
Pflichtteilsklausel auch dann eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des
gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert (OLG München NJWRR
2011, 1164).
2. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers kann der Pflichtteilsklausel in dem gemeinschaftlichen
Testament jedoch nicht die Willensrichtung der Ehegatten entnommen werden, dass bereits die von der
Beteiligten zu 1 beantragte Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Erbscheins von der Klausel
mitumfasst wird.
a) Nach dem Wortsinn sanktioniert die Formulierung bereits einen ausdrücklichen und ernsthaften, auch
außergerichtlichen Versuch, den Pflichtteil zu erhalten, unabhängig davon, ob der Fordernde den Pflichtteil
beziffert oder diesen tatsächlich erhält (vgl. näher NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2269 Rn. 99).
Diesem kann jedoch nicht der Antrag auf Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Erbscheins
gleichgestellt werden. Denn damit ist noch kein aktiver Zugriff der Beteiligten zu 1 auf das
Nachlassvermögen des Erstversterbenden verbunden, den die von den Ehegatten verwendete Fassung der
Klausel („verlangt“) erfordert. Im Hinblick auf diese gewählte Fassung (zu den sonstigen möglichen
Auslegungsvarianten vgl. NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2269 Rn. 98) genügt es für den Eintritt der Klausel nicht
bereits, dass die erstrebte Einziehung des Erbscheins letztendlich auch den Verlust der Alleinerbenstellung
der Erblasserin zur Folge haben kann. Wenngleich nach Sinn und Zweck der Klausel sichergestellt werden
soll, dass dem überlebenden Ehegatten bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt, wird mit
der Klausel nicht jedes Verhalten eines Schlusserbens gegen die in der letztwilligen Verfügung getroffenen
Anordnungen sanktioniert, sondern nur solches, dem ein aktives Verlangen nach Erhalt eines Anteils an
dem Nachlassvermögen des Erstversterbenen inne wohnt. Eine Willensrichtung der Ehegatten, die allein
das Bestreiten der von den Ehegatten angeordneten Alleinerbenstellung des überlebenden durch ein
Verhalten des Schlusserben sanktioniert, mag zwar der Formulierung „wer das Testament anficht“
entnommen werden können (vgl. dazu OLG Dresden
finden sich in der von den Ehegatten verwendeten Formulierung der Klausel jedoch keine Anhaltspunkte.
b) Aus der Entscheidung des Senats (OLG München
Insoweit erkannte der Senat ein Eingreifen der Pflichtteilsklausel, wenn der Pflichtteilsberechtigte die
Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert. Im
Gegensatz dazu hat die Beteiligte zu 1 hier eine solche Forderung aber nicht erhoben.
III.
Der Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Die Anordnung
der Erstattung der der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten
beruht auf
IV.
Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten, da eine
abschließende Feststellung des Nachlasswertes durch das Nachlassgericht noch nicht erfolgt ist.
V.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Erlass des Beschlusses (
Geschäftsstelle am 11.12.2018.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:06.12.2018
Aktenzeichen:31 Wx 374/17
Rechtsgebiete:
Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
MittBayNot 2019, 165-166
NJW-RR 2019, 456-457
ZEV 2019, 33-35
Zerb 2019, 36-38
BGB §§ 2075, 2094, 2269