OLG Celle 04. Mai 2011
10 UF 78/11
BGB §§ 1909 Abs. 1 S. 1; FamFG 41 Abs. 3

Erbausschlagungsverfahren: Mangels Vertretungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter Bestellung eines Ergänzungspflegers für Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses erforderlich

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 10uf78_11
letzte Aktualisierung: 08.07.2011
OLG Celle, 04.05.2011 - 10 UF 78/11
BGB §§ 1909 Abs. 1 S. 1; FamFG 41 Abs. 3
Erbausschlagungsverfahren: Mangels Vertretungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter
Bestellung eines Ergänzungspflegers für Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses
erforderlich
Für die Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht
genehmigt wird, ist grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen, da - unabhängig vom
Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes im Sinne von §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs.
2 BGB - die Eltern bzw. der allein sorgeberechtigte Elternteil gemäß § 41 Abs. 3 FamFG
verhindert sind.


Page 1 of 4
Gericht:
Typ, AZ:
Datum:
Sachgebiet:
Normen:
Leitsatz:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Beschluss, 10 UF 78/11
04.05.2011
Bürgerliches Recht
BGB § 1909 Abs 1 S 1, FamFG § 41 Abs 3
Für die Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht
genehmigt wird, ist grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen, da - unabhängig vom
Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes im Sinne von §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796
Abs. 2 BGB - der Beschluss dem Kind gemäß § 41 Abs. 3 FamFG bekannt zu geben ist und
die Bekanntgabe an das Kind nicht durch Zustellung an die Eltern bzw. den
sorgeberechtigten Elternteil erfolgen kann.
Volltext:
10 UF 78/11
615 F 6102/10 Amtsgericht Hannover
Beschluss
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für das beteiligte Kind J. L. H., geb. am ….. 2004,
weitere Beteiligte:
1. Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Jugend und Familie,
Ergänzungspflegerin und Beschwerdeführerin,
2. C. C. H.,
Kindesmutter,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der
Ergänzungspflegerin vom 5. April 2011 gegen den Ergänzungspflegschaft anordnenden Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 15. März 2011 in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses vom 25. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W.,
den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 4. Mai 2011 beschlossen:
I.
Die Beschwerde der Ergänzungspflegerin wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
II.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
III.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Das betroffene Kind J. L. H., geboren am ….. 2004, ist aus einer Verbindung seiner Mutter mit Herrn A. V.,
geboren am …. in …. , verstorben am …. in …. , hervorgegangen. Die Kindeseltern waren nicht miteinander
verheiratet.
Aufgrund der Anordnung in seinem Testament ist die Kindesmutter Alleinerbin nach dem verstorbenen
Kindesvater geworden. Sie hat die Erbschaft am 13. Dezember 2010 beim Amtsgericht - Nachlassgericht Hannover (Az.: 50 VI 5113/10) ausgeschlagen. Die Erbschaft ist daraufhin dem betroffenen Kind angefallen.
Die Kindesmutter hat deshalb am 13. Dezember 2010 die Erbschaft auch als gesetzliche Vertreterin des
betroffenen Kindes ausgeschlagen und die Genehmigung der Erbschaftsausschlagung beim zuständigen
Familiengericht beantragt.
http://app.olg-ol.niedersachsen.de/efundus/volltext.php4?id=5634&ident=
08.07.2011
Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat am 15. März 2011 für das betroffene Kind
Ergänzungspflegschaft angeordnet und die Landeshauptstadt Hannover zum Ergänzungspfleger bestellt,
wobei der Beschluss auf den Antrag der Kindesmutter vom 24. März 2011 hinsichtlich des Datums der
Erbausschlagung sowie des Vornamens des betroffenen Kindes durch den Beschluss vom 25. März 2011
berichtigt worden ist. Als Wirkungskreis der Ergänzungspflegerin ist die Entgegennahme der Zustellung des
noch zu erlassenden Beschlusses über die Genehmigung der Erbausschlagung vom 13. Dezember 2010
gegenüber dem zuständigen Amtsgericht - Nachlassgericht - Hannover (50 VI 5113/10) und die Erklärung
eines Rechtsmittelverzichts bzw. Einlegung eines Rechtsmittels gegen diesen Beschluss für den
Minderjährigen bestimmt worden.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ergänzungspflegerin, die geltend macht, dass das Kind auch im
Wirkungskreis der Ergänzungspflegschaft von der sorgeberechtigten Mutter vertreten werden könne.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form und fristgerecht eingelegt. sie hat jedoch in der Sache
keinen Erfolg.
Der angefochtene Beschluss ist zwar formell fehlerhaft, weil das Amtsgericht entgegen § 160 Abs. 2 S. 1
FamFG die Kindesmutter nicht angehört hat, denn sie hat vor Erlass des Beschlusses keine Gelegenheit zur
Stellungnahme erhalten. Bei der Bestellung eines Ergänzungspflegers handelt es sich nach § 151 Nr. 5
FamFG um eine Kindschaftssache, so dass die Eltern grundsätzlich anzuhören sind. Anderenfalls wird der
in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz normierte Anspruch der Eltern auf rechtliches Gehör nicht beachtet. Dieser
Verfahrensfehler ist aber durch die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Kindesmutter und
deren Berichtigungsantrag vom 24. März 2011 geheilt worden.
Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ergänzungspflegschaft angeordnet.
Nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, wer unter elterlicher Sorge steht, für Angelegenheiten, an deren
Besorgung die Eltern verhindert sind, einen Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder - wie hier - eines
allein sorgeberechtigten Elternteils ist gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB
insbesondere gegeben, wenn das Interesse des betroffenen Kindes zu dem Interesse der Kindesmutter in
erheblichem Gegensatz steht.
Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein allein sorgeberechtigter Elternteil könne das Kind grundsätzlich
nicht in einem Erbausschlagungsverfahren vertreten, weil das Interesse des Kindes zu demjenigen der
Mutter in erheblichem Gegensatz stehe, so dass die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig sei
(vgl. KG Berlin - Beschluss vom 4. März 2010 - 17 UF 5/10 - FamRZ 2010, 11711173). In Verfahren, die die
Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand haben, könne das rechtliche Gehör nicht durch den
Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Es sei nicht
zu erwarten, dass der Elternteil, wenn die zu erlassende Entscheidung seinem Antrag entspricht, den
Beschluss noch einmal unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls prüft (vgl. KG Berlin a.a.O.).
Das Kammergericht stützt seine Entscheidung zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers
maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unter dem Gesichtspunkt des
fairen Verfahrens das rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden kann, dessen
Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden soll (vgl. BVerfG - Beschluss vom 18. Januar 2000 1 BvR 321/96 - NJW 2000, 17091711). Die nachlassgerichtliche Genehmigung eines von einem
Nachlasspfleger abgeschlossenen Erbauseinandersetzungsvertrages ohne Anhörung der Erben verletzt
danach die Grundsätze des fairen Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden,
dass ein Dritter das rechtliche Gehör nur vermitteln kann, wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt
oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht unterworfen ist (vgl. BVerfG - Beschluss vom 30.
Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - NJW 1991, 1283 ff.).
Nach anderer Auffassung ist dem Kind in einem Erbausschlagungsverfahren nicht grundsätzlich zur
Wahrnehmung der Verfahrensrechte ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Die Entziehung der
Vertretungsmacht komme nur in Betracht, wenn im Einzelfall - über eine allgemeine typische Risikolage
hinaus - konkrete Hinweise auf einen Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind gegeben sind
und wenn aufgrund konkreter Umstände nicht zu erwarten ist, dass die Kindesmutter unabhängig vom
Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des betroffenen Kindes wahrzunehmen bereit und in
der Lage ist (vgl. Brandenburgisches OLG - Beschluss vom 6. Dezember 2010 - 9 UF 61/10 - juris).
Der Senat schließt sich im Ergebnis der zuerst genannten Auffassung an.
Es ist zwar kein erheblicher Interessengegensatz im Sinne von § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2
http://app.olg-ol.niedersachsen.de/efundus/volltext.php4?id=5634&ident=
08.07.2011
BGB gegeben. Entscheidend ist insoweit, dass die vorrangig als Erbin berufene Kindesmutter im Hinblick
auf den offensichtlich überschuldeten Nachlass bereits die Erbschaft ausgeschlagen und selbst keinen
wirtschaftlichen Vorteil durch die nachfolgende Ausschlagung der Erbschaft für das betroffene Kind hat.
Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter ist aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die
Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, verhindert.
Nach § 41 Abs. 3 FamFG ist ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand
hat, auch demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Die Vorschrift trägt
der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die
Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen
(vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197). Anders als in anderen Verfahren kann die Gewährung rechtlichen
Gehörs bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung
in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber wollte gewährleisten, dass der
Rechtsinhaber selbst von der Entscheidung frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er selbst fristgerecht
Rechtsmittel einlegen sowie einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zügig widerrufen kann (vgl. BTDrucksache
16/6308 S. 197).
Die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts ist also auch dem Kind bekannt zu geben (vgl. Keidel16–
MeyerHolz, FamFG, § 41 Rdn 4. Heinemann, DNotZ 2009, 6,17). Da das hier betroffene Kind gemäß § 9
Abs. 1 FamFG nicht verfahrensfähig ist, kommt eine unmittelbare Bekanntgabe an das Kind nicht in
Betracht. Soweit ein Kind nicht verfahrensfähig ist, handeln gemäß § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1629 Abs. 1
S. 1 BGB grundsätzlich die Eltern für das Kind. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der
Erbausschlagung an die sorgeberechtigten Elternteile genügt aber nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3
FamFG. Aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 3 FamFG, wonach der Beschluss ´auch´ demjenigen bekannt zu
geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, ergibt sich, dass die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3
FamFG neben die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 FamFG tritt (vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197).
Außerdem wollte der Gesetzgeber etwaigen Widersprüchen zu § 1828 BGB vorbeugen, wonach das
Familiengericht die Genehmigung zu einer Erbausschlagung (§ 1822 Nr. 1 BGB) nur den Eltern bzw. dem
allein sorgeberechtigten Elternteil gegenüber erklären kann.
Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes kommt nicht als milderes Mittel statt einer Anordnung der
Ergänzungspflegschaft in Betracht (anders: Zöller28–Feskorn, ZPO, § 41 FamFG Rdn. 8. Heinemann DNotZ
2009, 6, 17. Harders DNotZ 2009, 725, 730). Zustellungen an nicht verfahrensfähige Personen sind gemäß
§§ 41 Abs. 3, 15 Abs. 1 und 2, 9 Abs. 2 FamFG, § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Händen des gesetzlichen
Vertreters zu bewirken. Die Ergänzungspflegerin vertritt das Kind gemäß §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1793 Abs. 1
S. 1 BGB. Im Gegensatz dazu ist der Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG nicht gesetzlicher
Vertreter des Kindes, so dass Zustellungen für das Kind nicht an den Verfahrensbeistand bewirkt werden
können (vgl. ebenso OLG Köln - Beschluss vom 10. August 2010 4 UF 127/10 - FamRZ 2011, 231
(Leitsatz). OLG Oldenburg - Beschluss vom 26. November 2009 - 14 UF 149/09 - FamRZ 2010, 660662).
Da eine als ehrenamtlicher Ergänzungspfleger geeignete Einzelperson nicht vorhanden ist, hat das
Amtsgericht zu Recht das Jugendamt der Landeshauptstadt Hannover als Ergänzungspfleger bestellt (§§
1915 Abs. 1 S. 1, 1791 b Abs. 1 S. 1 BGB).
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zuzulassen, weil die Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte nicht einheitlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über den Verfahrenswert auf § 45 Abs. 1
S. 1 FamGKG.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Dieser Beschluss ist mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Diese ist binnen einer Frist von einem Monat
nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem
Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen bei dem
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen. Behörden und juristische Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder
juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen
Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Die zur Vertretung berechtigten Personen
müssen die Befähigung zum Richteramt haben.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
http://app.olg-ol.niedersachsen.de/efundus/volltext.php4?id=5634&ident=
08.07.2011
2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung
oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.
W. H. C.
http://app.olg-ol.niedersachsen.de/efundus/volltext.php4?id=5634&ident=
08.07.2011

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Celle

Erscheinungsdatum:

04.05.2011

Aktenzeichen:

10 UF 78/11

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)

Erschienen in:

Rpfleger 2011, 436-437
Zerb 2011, 198-200

Normen in Titel:

BGB §§ 1909 Abs. 1 S. 1; FamFG 41 Abs. 3