OLG Hamm 01. April 2020
15 W 479/19
BGB §§ 2265, 2271, 2274, 2278 Abs. 1, 2084, 2296

Ehegattentestament statt Erbvertrag bei frei widerruflicher gegenseitiger Erbeinsetzung

letzte Aktualisierung: 26.08.2020
OLG Hamm, Beschl. v. 1.4.2020 – 15 W 479/19

BGB §§ 2265, 2271, 2274, 2278 Abs. 1, 2084, 2296
Ehegattentestament statt Erbvertrag bei frei widerruflicher gegenseitiger Erbeinsetzung

Ein Erbvertrag erfordert mindestens eine vertragsmäßige Verfügung i. S. v. § 2278 Abs. 1 BGB. Die
gegenseitige Erbeinsetzung von Eheleuten in Verbindung mit einem bedingungslosen
Abänderungsvorbehalt ist kein Erbvertrag, sondern ein gemeinschaftliches Ehegattentestament. (Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Die Beteiligte zu 1) ist die Ehefrau des Erblassers.
In der notariellen Urkunde vom 3.03.1967 (UR-Nr.##/1937 des Notars Dr. Dr. F in W) haben die Eheleute H neben
ehevertraglichen Regelungen auch die folgenden letztwilligen Verfügungen getroffen.

§ 3
Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein, so dass der Letztlebende von uns der Alleinerbe des Erstversterbenden
sein soll.

§ 4
Jeder von uns ist berechtigt, vorstehende letztwillige Verfügung zu Lebzeiten beider Eheleute allein und ohne
dass ein besonderer Grund aufgetreten ist, nach Belieben zu ändern.
Am 23.07.2015 hat der Erblasser in einem formwirksam errichteten handschriftlichen Testament unter anderem
die folgenden Verfügungen getroffen.

Unter Widerruf der vorgenannten letztwilligen Verfügung setzte der Erblasser zu seinem „alleinigen Erben“ die „I
Stiftung Sonderfonds der Bürgerstiftung der Stadt W“ ein. Er ordnete Testamentsvollstreckung an und ernannte
den Beteiligten zu 2) zu seinem Testamentsvollstrecker. Die Beteiligte zu 1) bedachte der Erblasser mit
Vermächtnissen.

Der Beteiligte zu 2) hat sein Amt als Testamentsvollstrecker durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht
vom 25.04.2019 angenommen (AG Ahaus 18 VI 200/19).

Am 17.07.2019 hat die Beteiligte zu 1) beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin nach dem
Erblasser ausweist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es sich bei dem notariellen Vertrag vom 3.03.1967
um einen Erbvertrag handele, den der Erblasser mit seinem handschriftlich errichteten Testament vom
23.07.2015 nicht wirksam widerrufen habe.

Am 30.07.2019 hat der Beteiligte zu 2) beantragt, einen Erbschein zu erteilen, der die I Stiftung Sonderfonds der
Bürgerstiftung der Stadt W als Alleinerbin und die Anordnung der Testamentsvollstreckung ausweist.
Mit Beschluss vom 18.10.2019 hat das Nachlassgericht die zur Begründung des von dem Beteiligten zu 2)
gestellten Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den Erbscheinsantrag der
Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 19.11.2019, der das
Nachlassgericht mit Beschluss vom 25.11.2019 nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung
vorgelegt hat.

Nach dem rechtlichen Hinweis des Senats hat der Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz vom 5.02.2020 mitgeteilt, dass
es keine rechtsfähige Stiftung I Sonderfond gebe. Es gebe nur eine rechtsfähige Stiftung privaten Rechts
„Bürgerstiftung W“ mit Sitz in W, die von der Bezirksregierung N am 12.08.2005 anerkannt worden sei. In der
Bürgerstiftung W sei das Fondsvermögen I bilanztechnisch getrennt aufgeführt. Der Erblasser habe die
Bürgerstiftung W zu seiner Alleinerbin ernennen wollen. Diese habe die Erbschaft angenommen.
Es werde daher hilfsweise der Antrag gestellt, einen Erbschein zu erteilen, der die Bürgerstiftung W als
Alleinerbin und die Anordnung der Testamentsvollstreckung ausweise.

Der Senat hat diesen hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) und der Bürgerstiftung W
zugeleitet.

II.
Die zulässige Beschwerde ist in der Sache teilweise begründet.

Sie führt in Abänderung des Beschlusses des Nachlassgerichts vom 18.10.2019 zur Zurückweisung des
Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2) vom 30.07.2019. Es hat allerdings auch bei der Zurückweisung des
Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 1) zu verbleiben.

Auf den hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag vom 5.02.2020 war der aus dem Tenor ersichtliche
Feststellungsbeschluss zu erlassen.

Den erst in der Beschwerdeinstanz hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag erachtet der Senat in Fortführung
seiner Rechtsprechung (Beschluss vom 9.11.2011 – 15 W 635/10 = FGPrax 2012, 321) für zulässig.

1.
Der Erblasser hat mit seiner letztwilligen Verfügung vom 23.07.2015 die gemeinschaftlich in dem notariellen
Vertrag vom 3.03.1967 getroffene letztwillige Verfügung der Eheleute abgeändert.
Bei den notariell beurkundeten letztwilligen Verfügungen der Eheleute H vom 3.03.1967 handelt es sich nicht um
einen Erbvertrag nach §§ 2274 ff. BGB. Zwar haben die Eheleute H in der Einleitung zu ihren Verfügungen erklärt,
einen Ehe- und Erbvertrag beurkunden zu wollen. Sie haben unter den insoweit maßgeblichen §§ 3 und 4 der
notariellen Urkunde allerdings keinen den Anforderungen der §§ 2274 ff. BGB genügenden Erbvertrag
geschlossen. Ein Erbvertrag liegt nämlich nur dann vor, wenn in dem Vertrag zumindest eine vertragsmäßige
Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 1 BGB enthalten ist (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Auflage, § 2278 Rn.1).
Zwar haben die Eheleute H mit der gegenseitigen Erbeinsetzung in § 3 eine Verfügung getroffen, die als
vertragsmäßige Verfügung getroffen werden kann. Sie haben jedoch unter § 4 vereinbart, dass jeder Ehegatte zu
Lebzeiten des anderen berechtigt sein sollte, diese Erbeinsetzung allein und ohne besonderen Grund
abzuändern. Dieser bedingungslose Abänderungsvorbehalt ist mit einer vertragsmäßig getroffenen Verfügung
nicht zu vereinbaren. Damit fehlt es an einer vertragsmäßigen Verfügung und somit an einem Erbvertrag.
Es entspricht dem in der Urkunde zum Ausdruck kommenden Willen beider Eheleute die getroffenen letztwilligen
Verfügungen als Ehegattentestament nach §§ 2265 ff. BGB mit einem Abänderungsvorbehalt zu verstehen.
Anders als bei einem Erbvertrag können sich die Eheleute bei einem gemeinschaftlichen Testament nämlich
vorbehalten, dass sie die dort getroffenen Verfügungen auch durch ein einseitiges Testament abändern können
(vgl. Palandt/Weidlich, a. a. O., Rn.20-24). Dass die Eheleute H mit einer einseitigen Abänderungsbefugnis des
jeweiligen Ehepartners gerade einverstanden waren, haben sie in § 4 der notariellen Vereinbarung sehr deutlich
zum Ausdruck gebracht („allein“ und „ohne besonderen Grund“). Angesichts der notariellen Hilfestellung, derer
sich die Eheleute H bei der Errichtung ihrer letztwilligen Verfügung bedient haben, ist es auch fernliegend, in § 4
lediglich einen Rücktritts- oder Widerrufsvorbehalt nach §§ 2271, 2296 BGB zu sehen. Zum einen werden die
dem Notar bekannten juristischen Fachbegriffe nicht verwendet. Stattdessen wird nicht nur das einseitige
Außerkraftsetzen der gemeinsamen getroffenen Verfügung beschrieben, sondern bereits die diese ersetzende
anderweitige Verfügung („ändern“).

Von der ihm eingeräumten Abänderungsbefugnis hat der Erblasser mit der Errichtung des Testaments vom
23.07.2015 Gebrauch gemacht.

2.
In dem Testament vom 23.07.2015 hat der Erblasser die Bürgerstiftung W als Alleinerbin eingesetzt.
Nach dem Wortlaut des Testaments hat der Erblasser die I Stiftung Sonderfond der Bürgerstiftung der Stadt W
eingesetzt. Erbe kann jedoch nur eine rechtsfähige Person sein, so dass eine Erbenstellung des I Sonderfond
bzw. I Stiftung Sonderfond nicht in Betracht kommt.

Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom
Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser
benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit
ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256 m. w. N.).
Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH FamRZ 1987,
475, 476; Palandt-Weidlich, BGB, a. a. O., § 2084 Rn.1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen
Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher
außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH NJW 1993, 256 m. w. N.). Solche Umstände
können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des
Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Palandt-Weidlich, a. a. O., § 2084 BGB Rn.2 mit weiteren
Nachweisen). Kann sich der Richter auch unter Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen
wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muss er sich mit dem Sinn begnügen, der dem
Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH NJW 1993, 256).

Aus dem Testament kommt der Wille des Erblassers zum Ausdruck, dass sein Vermögen – soweit er darüber
nicht durch Aussetzung von Vermächtnissen anderweitig disponiert hat – dem I Sonderfond zugutekommen soll.
Dieses Ziel kann der Erblasser nur erreichen, wenn die Bürgerstiftung W, innerhalb derer der I Sonderfond
angelegt ist, sein Erbe wird.

Der Erblasser hat selbst an der Gründung der Bürgerstiftung W mitgewirkt. Er hat schon dabei Wert darauf gelegt,
dass das von ihm lebzeitig zur Verfügung gestellte Vermögen bilanztechnisch gesondert erfasst wird.
Rechtsinhaber des lebzeitig eingebrachten Vermögens ist aber auch insoweit bereits die Bürgerstiftung W
geworden. Die vom Erblasser vorgenommene Erbeinsetzung kann daher nur so verstanden werden, dass Erbe
die Bürgerstiftung W wird, verbunden mit der Auflage, auch das von Todes wegen erhaltene Vermögen
bilanztechnisch gesondert für den I Sonderfond auszuweisen.

Darüber hinaus hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet.

3.
Die Gerichtskosten erster Instanz sind für den von der Beteiligten zu 1) und den von dem Beteiligten zu 2)
gestellten Erbscheinsantrag jeweils separat zu erheben, da es sich um rechtlich selbständige Anträge handelt.
Eine Verbindung der Verfahren im Beschlusswege ist auch nicht erfolgt und wäre auch untunlich gewesen.
Vielmehr hätte nach dem Eingang des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2) ein gesondertes Verfahren
angelegt werden müssen. In der Folgezeit wäre es angemessen gewesen, nur ein Verfahren im Beschlusswege
abzuschließen und das andere bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss auszusetzen, da die zu treffende
Entscheidung für das andere Verfahren präjudiziell war.

Die Gerichtskosten sind nach § 22 GNotKG von dem jeweiligen Antragsteller zu erheben. Für eine anderweitige
Anordnung besteht keine Veranlassung.

Die Anordnung der Erstattung der den Beteiligten entstandenen außergerichtlichen Kosten entspricht nicht
billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Die Beteiligten haben ihren Anträgen jeweils diskutable
rechtliche Überlegungen zugrunde gelegt.

Die Gerichtskosten der Beschwerdeinstanz sind nicht zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Die Beschwerde
der Beteiligten zu 1) hatte in Bezug auf den in erster Instanz gestellten Antrag des Beteiligten zu 2) Erfolg, so
dass insoweit wegen § 84 FamFG keine Kosten angefallen wären. Soweit die Beteiligte zu 1) mit ihrer
Beschwerde ihren eigenen Erbscheinsantrag weiter verfolgt hat, hatte die Beschwerde zwar keinen Erfolg. Es ist
aber zu beachten, dass die Ursache für dieses Vorgehen das Nachlassgericht gesetzt hat, indem es über die
gegenläufigen Anträge zeitgleich entschieden hat. Eine Gerichtskostenerhebung erscheint daher unangebracht.
Die Anordnung der Erstattung der den Beteiligten in der Beschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen
Kosten entspricht nicht billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Letztlich hatten weder der von der
Beteiligten zu 1) noch der von dem Beteiligten zu 2) erstinstanzlich gestellte Erbscheinsantrag Erfolg. Der
Beteiligte zu 2) hatte erst mit einem in der Beschwerdeinstanz nach rechtlichem Hinweis abgeänderten
Erbscheinsantrag Erfolg.

4.
Die Festsetzung eines Geschäftswerts ist derzeit mangels Angaben zum Nachlasswert nicht möglich. Sie
erscheint angesichts der für die Beschwerdeinstanz getroffenen Kostenentscheidung auch entbehrlich.

5.
Die Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen ist, liegen
nicht vor.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

01.04.2020

Aktenzeichen:

15 W 479/19

Rechtsgebiete:

Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

RNotZ 2020, 513-515

Normen in Titel:

BGB §§ 2265, 2271, 2274, 2278 Abs. 1, 2084, 2296