Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags bei Vertragsschluss nach Eheschließung
letzte Aktualisierung: 30.9.2021
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.3.2021 – 5 UF 125/20
BGB §§ 138 Abs. 1, 1408;
Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags bei Vertragsschluss nach Eheschließung
Dass ein Ehevertrag erst mehrere Monate nach der Heirat geschlossen wird, steht dessen
Beurteilung als sittenwidrig aufgrund einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände nicht
grundsätzlich entgegen.
Gründe
I.
Die beteiligten, zwischenzeitlich rechtskräftig geschiedenen, Ehegatten streiten um die Folgesachen
Zugewinnausgleich und nachehelichen Unterhalt.
Der Antragsteller ist Deutscher, die Antragsgegnerin, die (nur) die weißrussische Staatsangehörigkeit hat, lebte
in Weißrussland, sie ist studierte Physikerin. Die Beteiligten fanden über eine Kontaktanzeige zueinander. Im
Sommer 2002 hielt sich die Antragsgegnerin mit ihrem 1998 geborenen Sohn aus einer anderen Beziehung
erstmals beim Antragsteller mehrere Monate in Deutschland auf. Im Januar 2003 zogen sie und ihr Sohn
endgültig zum Antragsteller nach Deutschland um.
Die Beteiligten heirateten am 19.12.2003. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller 50 Jahre alt, die
Antragsgegnerin fast 39 Jahre. Der Antragsteller hat aus erster, kurz vor der Heirat mit der Antragsgegnerin
geschiedener Ehe zwei schon damals erwachsene Kinder.
Am 17.03.2004 schlossen die Ehegatten einen ersten notariellen Ehe- und Erbvertrag. Im eherechtlichen Teil
finden sich folgende Regelungen:
"Für unsere Ehe schließen wir den gesetzlichen Güterstand aus und vereinbaren den Güterstand der
Gütertrennung gem. § 1414 BGB.
1.
Im Fall einer Ehescheidung soll jedoch derjenige Ehegatte, der im letzten Jahr vor der Scheidung ein
geringeres Jahreseinkommen hatte als der andere von dem mehrverdienenden einen Betrag von 2.000,00
EUR erhalten, der bei Rechtskraft der Scheidung zu zahlen ist.
2.
Wir schließen den Versorgungsausgleich teilweise dahingehend aus, dass die in der Ehezeit bis zur
Einbürgerung der Ehefrau erworbenen Versorgungsanwartschaften nicht auszugleichen sind.
Auf die Vorschrift des § 1408 Abs. 2 wurde hingewiesen.
3.
Sollte unsere Ehe binnen einer Frist, von drei Jahren an, vom heutigen Tag an gerechnet, geschieden werden,
verzichten wir auf nachehelichen Unterhalt und nehmen den Verzicht jeweils an."
Der Antragsteller setzte außerdem die Antragsgegnerin erbvertraglich zu einem Drittel als seine Erbin ein.
Die im Vertrag angesprochene Einbürgerung der Antragsgegnerin erfolgte bislang nicht. Die Antragsgegnerin
war damals ohne eigenes Erwerbseinkommen, besuchte einen Sprachkurs und war arbeitssuchend gemeldet.
Nach einem in 2009 aufgenommenen sechsmonatigen Praktikum fand die Antragsgegnerin ab Mai 2010 Arbeit
als Physikerin mit einem nach Klasse V besteuerten Nettoeinkommen in Höhe von monatlich EUR 1.400 EUR,
seit 2011 ist sie stellvertretende Laborleiterin in einem Unternehmen und verdient nach eigenen Angaben netto
knapp über 2.000 EUR.
Am 15.03.2013 schlossen die Ehegatten wiederum notariell unter Bezugnahme auf den früheren Ehe- und
Erbvertrag einen Änderungsvertrag, in dem jeweils für den Fall der Scheidung nach § 6 Abs. 2 Nr. 2
VersAusglG der Versorgungsausgleich für die gesamte Ehezeit völlig ausgeschlossen und auf nachehelichen
Unterhalt vollständig verzichtet wurde. Außerdem wurden die erbvertragliche Erbeinsetzung der
Antragsgegnerin aufgehoben und ihr statt dessen ein Betrag von 5.000 EUR sowie ein Wohnrecht für die Dauer
von 6 Monaten im Hause des Antragstellers jeweils vermächtnisweise zugewandt.
Die Ehegatten trennten sich 2018.
Mit Schriftsatz vom 18.12.2019 beantragte der Antragsteller die Scheidung der Ehe, die Zustellung erfolgte am
27.12.2019. Die Antragsgegnerin machte zunächst geltend, der Scheidungsantrag sei verfrüht, beantragte dann
mit Datum vom 17.02.2020 ebenfalls die Scheidung.
Mit Schriftsatz vom 13.02.2020 stellte die Antragsgegnerin einen Stufenantrag zum Zugewinn.
Mit dem hinsichtlich des Ausspruchs zum Versorgungsausgleich und zum Anspruch auf Ausgleich des
Zugewinns teilweise angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht die Ehe geschieden sowie
ausgesprochen, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde, der Antrag der Antragsgegnerin in der
Folgesache Güterrecht werde zurückgewiesen. Zur Begründung führte es aus, dass beide Eheverträge wirksam
seien.
Die Antragsgegnerin macht mit ihrer Beschwerde geltend, dass wegen ungleicher Verhandlungspositionen die
Notarverträge unwirksam seien.
Die Antragsgegnerin beantragt, in Abänderung des Beschlusses vom 29.05.2020 wie folgt zu erkennen:
I.
1. Ein Versorgungsausgleich findet von Gesetzes wegen statt.
2. Der Antragsteller wird verpflichtet, der Antragsgegnerin Auskunft zu erteilen
a) über den Bestand des Endvermögens zum 27.12.2019,
b) über den Bestand des Anfangsvermögens zum 19.12.2013,
c) über unentgeltliche Zuwendungen, welche er nach Eintritt des Güterstandes gemacht hat.
3. Den Wert aller unter vorstehender Ziffer I. bezeichneten Vermögensgegenstände mitzuteilen.
Die unter Ziffern II. und III. gestellten weiteren Stufen (Eidesstattliche Versicherung und Zahlungsantrag) sollen
an die erste Instanz zurückverwiesen werden.
Der Antragsteller beantragt:
Zurückweisung der Beschwerde.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Im Beschwerdeverfahren wurden Antragsteller und Antragsgegnerin persönlich angehört.
Zu den Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist neben dem Versorgungsausgleich auch der gesamte Anspruch auf
Zugewinnausgleich, nicht nur der Auskunftsantrag. Im Tenor des angefochtenen Beschlusses ist „der Antrag
der Antragsgegnerin in der Folgesache Güterrecht“ zurückgewiesen worden, zugleich wurde die Scheidung
ausgesprochen und eine Kostenentscheidung getroffen. Auch wenn in der Begründung des angefochtenen
Beschlusses nur auf den Auskunftsantrag Bezug genommen wird, ist damit der Anspruch auf Ausgleich des
Zugewinns insgesamt - einschließlich der noch nicht bezifferten Zahlungsstufe - abgewiesen worden.
Die Beschwerde ist in der Sache, soweit es um den Auskunftsanspruch über den Bestand des Anfangs- und
Endvermögens und um den nicht durchgeführten Versorgungsausgleich geht, begründet.
1. Der Antragsgegnerin stehen die geltend gemachten Auskunftsansprüche über den Bestand des Anfangsund
Endvermögens nach § 1379 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zu, wobei es sich bei dem im Antrag genannten
Stichtag des 19.12.2013 zum Anfangsvermögen um einen offensichtlichen Schreibfehler handelt, gemeint ist
der 19.12.2003, der Zeitpunkt der Heirat der Beteiligten. Bereits der erste Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahre
2004, in dem der gesetzliche Güterstand ausgeschlossen worden ist, ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
Dessen Nichtigkeit ergreift nach § 139 BGB auch den 2013 geschlossenen zweiten Ehe- und Erbvertrag.
a. Die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich
unterliegen grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten. Die Disponibilität der Scheidungsfolgen
darf allerdings nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche
Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann (BGH vom 17.01.2018 – XII ZB 20/17, juris Rn. 12 f.).
Im Privatrechtsverkehr haben die Gerichte nämlich die Wirkkraft der Grundrechte als verfassungsrechtliche
Wertentscheidungen durch die Konkretisierung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu schützen. Die durch Art.
2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des
Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind. Maßgebliches Instrument zur Verwirklichung freien und
eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu anderen ist der Vertrag, mit dem die Vertragspartner selbst
bestimmen, wie ihre individuellen Interessen zueinander in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.
Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt deshalb in der Regel auf einen
durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu
respektieren hat. Ist jedoch auf Grund einer besonders einseitigen Aufbürdung von vertraglichen Lasten und
einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition der Vertragspartner ersichtlich, dass in einem
Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen
kann, ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner
hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine
Fremdbestimmung verkehrt. Dies gilt auch für Eheverträge, mit denen Eheleute ihre höchstpersönlichen
Beziehungen für die Zeit ihrer Ehe oder danach regeln.
jeweilige Gemeinschaft nach innen in ehelicher und familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten.
Allerdings setzt der Schutz der staatlichen Ordnung, der für Ehe und Familie in
verbürgt ist, eine gesetzliche Ausgestaltung der Ehe voraus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die eheliche
und familiäre Freiheitssphäre ihre verfassungsrechtliche Prägung auch durch Art. 3 Abs. 2 GG erfährt.
Verfassungsrechtlich geschützt ist deshalb eine Ehe, in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft
zueinander stehen. Der Staat hat infolgedessen der Freiheit der Ehegatten, mit Hilfe von Verträgen die
ehelichen Beziehungen und wechselseitigen Rechte und Pflichten zu gestalten, dort Grenzen zu setzen, wo der
Vertrag nicht Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft ist, sondern eine auf ungleichen
Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehepartners widerspiegelt. Es ist Aufgabe der
Gerichte, in solchen Fällen gestörter Vertragsparität über die zivilrechtlichen Generalklauseln zur Wahrung
beeinträchtigter Grundrechtspositionen eines Ehevertragspartners den Inhalt des Vertrages einer Kontrolle zu
unterziehen und gegebenenfalls zu korrigieren. Auch die Eheschließungsfreiheit steht einer solchen
Inhaltskontrolle nicht entgegen (BVerfG vom 06.02.2001 – 1 BvR 12/92, juris Rn. 32 ff.).
Ein Ehegatte muss deshalb nicht eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen
Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung hinnehmen, soweit dies für ihn unter angemessener
Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen
Abrede - bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe - unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen
Ehegatten werden dabei umso schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten umso genauerer
Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich
des Scheidungsfolgenrechts eingreift. Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung
schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den
Scheidungsfall führt, dass ihr - und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer
Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder
teilweise mit der Folge einer Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen zu versagen ist. Erforderlich ist dabei
eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse bei Vertragsschluss abstellt, insbesondere auf die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt
der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder. Subjektiv sind die von den
Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den
begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den
benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen (BGH vom 17.01.2018 – XII ZB
20/17, juris Rn. 12 f.).
b. Der erste Ehe- und Erbvertrag vom 17.03.2004 hält einer Wirksamkeitskontrolle am dargelegten Maßstab
des § 138 Abs. 1 BGB nicht stand.
Dabei kann vorliegend dahin stehen, ob nicht bereits die hier zu beurteilenden Einzelregelungen des
Ehevertrags bei isolierter Betrachtung nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig zu erachten sind, da jedenfalls der
Ehevertrag vom 17.03.2004 bei einer Gesamtbetrachtung als nichtig anzusehen ist.
(1) Zunächst bestehen auch hinsichtlich einzelner Regelungen Anzeichen für eine objektiv einseitige
Lastenverteilung für den Scheidungsfall, die durch den geplanten Zuschnitt der Ehe nicht gerechtfertigt und
durch keinerlei Vorteile für die Antragsgegnerin ausgeglichen sind.
(a) Die Vereinbarung der Gütertrennung und damit der Ausschluss des Zugewinnausgleichs ist bei isolierter
Betrachtung allerdings nicht zu beanstanden. Der Zugewinnausgleich wird vom Kernbereich des
Scheidungsfolgenrechts nicht umfasst; er erweist sich ehevertraglicher Gestaltung am weitesten zugänglich.
Schon im Hinblick auf diese nachrangige Bedeutung des Zugewinnausgleichs im System des
Scheidungsfolgenrechts wird ein Ausschluss dieses Güterstandes für sich genommen regelmäßig nicht
sittenwidrig sein (BGH vom 09.07.2008 – XII ZR 6/07, juris Rn. 19).
(b) Fraglich erscheint aber eine objektive Benachteiligung der Antragsgegnerin hinsichtlich der zum
nachehelichen Unterhalt getroffenen Abrede der Beteiligten.
Einerseits wird mit dem grundsätzlichen Ausschluss nachehelichen Unterhalts für den Fall, dass die Ehe vor
Ablauf von drei Jahren geschieden wird, ein Rechtsgedanken aufgenommen, der sich auch in § 1579 Abs. 1 Nr.
1 BGB findet. Andererseits fehlt die Wahrung der in dieser Vorschrift besonders geschützten Kindesbelange
(vgl. BGH vom 09.07.2008 – XII ZR 6/07, juris Rn. 14; vgl. insgesamt BGH vom 31.10.2012 – XII ZR 129/10,
juris Rn. 19). Vielmehr wird in der Vereinbarung auch der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB für diesen Fall
vollständig ausgeschlossen, obwohl die Antragsgegnerin bei Vertragsschluss durch die Erziehung eines Kindes
gebunden war, gemeinsamer Nachwuchs, wie der Antragsteller bei der Anhörung durch den Senat eingeräumt
hat, durchaus zur Diskussion stand und bei der damals 39-jährigen Ehefrau, soweit vorgetragen, auch nicht
auszuschließen war und diese überdies als Ausländerin, die zunächst in einem Sprachkurs ihre
Deutschkenntnisse vertiefte, zunächst kein eigenes Erwerbseinkommen erwarten konnte.
(c) Dasselbe gilt auch hinsichtlich des zumindest potentiell zeitlich bis zu einer Einbürgerung der
Antragsgegnerin befristeten Ausschlusses des Versorgungsausgleichs.
Der Versorgungsausgleich entspricht der grundgesetzlichen Gewährleistung des
zum Wesen der Ehe die grundsätzlich gleiche Berechtigung beider Partner gehört, die sich auch auf die
vermögensrechtlichen Beziehungen der Eheleute nach Auflösung der Ehe auswirkt. Da die Leistungen der
Ehegatten, die sie im Rahmen der von ihnen in gemeinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- und
Aufgabenzuweisung erbringen, als gleichwertig anzusehen sind, haben beide Ehegatten grundsätzlich auch
Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten, das ihnen zu gleichen Teilen zuzuordnen ist.
Dies entfaltet seine Wirkung auch nach Trennung und Scheidung (BVerfG vom 02.05.2006 - 1 BvR 1275/97,
juris Rn. 9; BVerfG vom 26.05.2020 - 1 BvL 5/18, juris Rn. 92). Deshalb ist der Versorgungsausgleich dem
Kernbereich der Scheidungsfolgen zuzuordnen, so dass der Versorgungsausgleich als vorweggenommener
Altersunterhalt einer vertraglichen Gestaltung nur begrenzt offen steht (
Versorgungsausgleichs kann daher nach § 138 Abs. 1 BGB schon für sich genommen unwirksam sein, wenn er
dazu führt, dass ein Ehegatte kompensationslos aufgrund des bereits beim Vertragsschluss geplanten (oder zu
diesem Zeitpunkt schon verwirklichten) Zuschnitts der Ehe über keine hinreichende Alterssicherung verfügt und
dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint (vgl. BGH vom
29.01.2014 – XII ZB 303/13, juris Rn. 19 f.).
Ob damit die erforderliche einseitige Benachteiligung der Antragsgegnerin vorliegt und außerdem bezüglich
dieser Einzelregelungen auch die subjektiven Voraussetzungen einer Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB
gegeben sind, kann hier dahin stehen.
2) Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen bei isolierter
Betrachtungsweise den Vorwurf der Sittenwidrigkeit jeweils für sich genommen nicht zu rechtfertigen vermögen,
kann sich ein Ehevertrag im Rahmen einer gebotenen Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen,
wenn das objektive Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige
Benachteiligung eines Ehegatten abzielt (vgl. BGH vom 20.03.2019 - XII ZB 310/18, juris Rn. 35).
(a) Hier zielte der objektive Gehalt der Gesamtregelung erkennbar auf eine solche einseitige Benachteiligung
der Antragsgegnerin und ausschließliche Begünstigung des Antragstellers als dem wirtschaftlich Stärkeren mit
dem alleinigen Einkommen und der damit nur ihm möglichen Vermögensbildung, zumindest in den
Anfangsjahren der gemeinsam verbrachten Ehezeit.
Nur der Antragsteller hatte zum damaligen Zeitpunkt ein zudem erhebliches und gesichertes Einkommen.
Letzteres ergibt sich schon daraus, dass er zu Beginn der Ehe, insoweit seinen Angaben folgend, über
Geldvermögen in Höhe von etwa 25.000 EUR sowie verschiedene Autos und eine Werkstattausrüstung
verfügte, während er nunmehr ausweislich seiner hier vorgelegten Auskunft aus dem
Trennungsunterhaltsverfahren über 2 Häuser mit insgesamt 7 Mietvertragsparteien verfügt. Er war und ist, wie
er seiner künftigen Ehefrau im Jahre 2002 mitteilte, Kraftfahrzeugmechanikermeister und übte diese Tätigkeit
selbständig im Handel und Reparaturen aus und war außerdem tätig als in einem Industriebetrieb angestellter
Controller im Qualitätswesen.
Die Antragsgegnerin war damals ohne Einkommen. Erst im Jahre 2010 änderte sich ihre berufliche Situation.
Damit diente die güterrechtliche Regelung ganz einseitig den Interessen des Antragstellers.
Nicht einmal gemeinsamer Nachwuchs sollte bei Scheidung innerhalb von 3 Jahren zugunsten der Ehefrau, die
nicht nur kein eigenes Einkommen hatte, sondern zudem alleine einen 5-jährigen Sohn zu unterhalten hatte,
unterhaltsrechtlich bedeutsam sein.
Nur der Ehemann konnte in den Anfangsjahren der Ehe mit dem Erwerb von Versorgungsanrechten rechnen,
weil nur er (abhängig) erwerbstätig war. Der Versorgungsausgleich war bis zur Einbürgerung der Ehefrau, die
von den Eheleuten diskutiert, aber wegen des, wie die Antragsgegnerin erläutert hat, damit verbundenen
Verlustes der weißrussischen Staatsangehörigkeit und damit einer visumsfreien Einreise nach Weißrussland
nicht verwirklicht worden ist, auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen. Die vertragliche Erbeinsetzung stellte in
Anbetracht der nicht ausdrücklichen anderweitigen Bestimmung im Sinne von
gerade problematischen Fall der Scheidung keine ausreichend sichere Kompensation dar, erst recht nicht die
im Vertrag für den Fall der Scheidung vorgesehene einzige Einmalzahlung in Höhe von 2.000 EUR.
(b) Allerdings kennt das Gesetz keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des
berechtigten Ehegatten, so dass auch aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen
nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden
kann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf
ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz dieses Ehegatten und damit eine Störung
der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung
gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen
Verträgen nicht aufstellen. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine
unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der
Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn sonst außerhalb der Vertragsurkunde keine
verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der
Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit,
hindeuten könnten (BGH vom 27. Mai 2020 – XII ZB 447/19, juris Rn. 29). Solche Umstände sind dann zu
bejahen, wenn sich die Ehegatten beim Vertragsschluss nicht als "gleich starke Verhandlungspartner"
gegenüberstanden, der Ehevertrag vielmehr erkennbar auf einer gravierenden wirtschaftlichen wie sozialen
Imparität der Ehegatten beruht (BGH vom 09.07.2008 – XII ZR 6/07, juris Rn. 22).
Im vorliegenden Fall war die Antragsgegnerin, auch wenn sie aus der Position einer verheirateten Ehefrau
agieren konnte, als neu zugereiste Ausländerin, die in ihrer Heimat eine lukrative Arbeitsstelle mit schon
erreichter Zusage einer guten Altersversorgung aufgegeben hatte, dem Antragsteller deutlich unterlegen. Auch
wenn sie über ein gutes deutsches Sprachverständnis verfügte, wie der Antragsteller vorträgt, war sie von
ihrem Ehemann wirtschaftlich und in persönlicher Hinsicht vollkommen abhängig. Als einkommenslose und
gegenüber ihrem 5-jährigen Sohn allein unterhaltspflichtige Mutter war sie auch wegen des Kindes, dem
gegenüber der Antragsteller in keiner Weise verpflichtet war, auf den guten Willen ihres Mannes angewiesen.
Sie musste sich auf möglichen gemeinsamen Nachwuchs einstellen und in einem fremden Land zurechtfinden,
zunächst ohne Anerkennung ihrer erworbenen beruflichen Qualifikation. Damit hat sich der Antragsteller der
prekären Situation seiner Ehefrau vollkommen verschlossen und einseitig und nicht schutzwürdig alleine seine
vermögensrechtlichen Interessen für den Fall der Scheidung zu wahren gesucht.
c. Infolge der Gesamtnichtigkeit des ersten Ehe- und Erbvertrages vom 17.03.2004 ist nach § 139 BGB auch
der zweite Ehe- und Erbvertrag vom 15.03.2013 unwirksam. Die beiden Verträge bilden schon inhaltlich ein
einheitliches Rechtsgeschäft. Dass der 2. Ehe- und Erbvertrag auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen
worden wäre, macht keine Seite, insbesondere nicht der hiervon begünstigte Antragsteller geltend.
2. Der Anspruch auf Auskunft über unentgeltliche Zuwendungen, welche der Antragsteller nach Eintritt des
Güterstandes gemacht hat, ist nicht begründet. Nach § 1379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB kann der Ehegatte
Auskunft über das Vermögen verlangen, soweit es für die Berechnung des Anfangs- und Endvermögens
maßgeblich ist. Damit umfasst der Tatbestand auch Auskünfte zu vermögensbezogenen Vorgängen, wie sie
von § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB umfasst werden. Allerdings besteht dieser Anspruch grundsätzlich nur dann,
wenn der Auskunftsberechtigte konkrete Tatsachen vorträgt, die ein unter § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB fallendes
Handeln nahelegen, zumindest dann, wenn nicht nur Auskunft für die Zeit nach der Trennung begehrt wird (vgl.
BGH vom 15.08.2012 - XII ZR 80/11, juris Rn. 35 ff). Dazu fehlt jeglicher Vortrag der auskunftsberechtigten
Antragsgegnerin.
3. Desgleichen ist der Antrag, den Wert "aller unter vorstehender Ziffer I." - gemeint Nr. 1 - bezeichneten
Vermögensgegenstände mitzuteilen, zurückzuweisen, und zwar bereits als unzulässig, weil völlig unklar ist, um
welche Vermögensgegenstände es gehen soll. Der Antrag ist unbestimmt und nicht vollstreckungsfähig
formuliert.
4. Der Ausschluss des Versorgungsausgleich ist aus den dargelegten Gründen nicht wirksam erfolgt, weshalb
der Versorgungsausgleich durchzuführen ist.
5. Das Verfahren ist deshalb, soweit es die weiteren Anträge des per Stufenantrag geltend gemachten
Anspruchs auf Zugewinnausgleich anbelangt, auf Antrag der Antragsgegnerin in entsprechender Anwendung
der §§ 117 Abs. 2 FamFG, 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO (vgl. BGH vom 22.05.1981 - I ZR 34/79, Rn. 50, juris) an das
Familiengericht zurückzuverweisen, dasselbe gilt zur Wahrung des Verbundes nach
hinsichtlich des Ausspruchs zum Versorgungsausgleich.
III.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes richtet sich nach
Hinsichtlich der Folgesache Versorgungsausgleich haben die Ehegatten das gemeinsame monatliche
Einkommen mit 5.100 EUR angegeben. Bei drei Anrechten (gesetzliche Rente auf beiden Seiten, Betriebsrente
beim Antragsteller) errechnet sich ein Verfahrenswert von 4.590 EUR.
Für den Zugewinnausgleich richtet sich der Verfahrenswert nach dem noch unbezifferten Zahlungsantrag und
den Vorstellungen der Antragsgegnerin. Daraus errechnet sich ein Wert von 262.500 EUR.
Die Entscheidung über die Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren beruht auf
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:31.03.2021
Aktenzeichen:5 UF 125/20
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Ehegatten- und Scheidungsunterhalt
Versorgungsausgleich
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Eheliches Güterrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 138 Abs. 1, 1408; GG Art. 6 Abs. 1