OLG Hamm 21. Januar 2020
15 W 433/19
BGB §§ 2110 Abs. 2, 2113; GBO § 51

Entgeltlichkeit eines Vorausvermächtnisses

letzte Aktualisierung: 17.09.2020
OLG Hamm, Beschl. v. 21.1.2020 – 15 W 433/19

BGB §§ 2110 Abs. 2, 2113; GBO § 51
Entgeltlichkeit eines Vorausvermächtnisses

Ist mehreren Vorerben durch notarielle Verfügung von Todes wegen ein Vorausvermächtnis an
einem Grundstück zugewandt worden und erfolgt die Übertragung dieses Grundstücks in Erfüllung
dieses Vorausvermächtnisses, so ist die Entgeltlichkeit dieser Verfügung nachgewiesen.
Bei einer Mehrheit von Vorerben ist das Vorausvermächtnis nicht in dem Erbschein aufzunehmen.

Gründe:

I.
In dem Grundbuch von M Blatt ##32 ist Herr L. H. als Alleineigentümer eingetragen. Aus seiner Ehe mit Frau J. H.
sind vier Kinder hervorgegangen, die Beteiligten zu 1) bis 4) dieses Verfahrens.
Mit handschriftlichem Ehegattentestament vom 12.01.2016 setzten die Eheleute L. und J. H. sich gegenseitig zu
Alleinerben ein. Für die vier Kinder setzten sie unter I. ihres gemeinschaftlichen Testaments Vorausvermächtnisse
aus, u. a. sollte das Grundstück an der X-Straße in M – der hier betroffene Grundbesitz – für den Fall, dass L. H.
als Erster versterben würde, zu gleichen Teilen auf die gemeinsamen Kinder übergehen.
Unter II. ihres handschriftlichen Testaments bestimmten die Eheleute H u. a. das Folgende:
“Sollten wir … in Folge eines einheitlichen Ereignisses versterben oder aber nach dem Tod des
Letztversterbenden von uns gilt:

Unsere gemeinsamen leiblichen Abkömmlinge sind Erben zu gleichen Teilen.
...
Sollte die Ehefrau Letztversterbende sein, so erhalten die Abkömmlinge als Vorabvermächtnis ohne Anrechnung
auf ihren Erbteil die Vermächtnisse die unter I. aufgeführt sind.

Die Abkömmlinge sind nicht befreite Vorerben bzw. Vorvermächtnisnehmer. Sie sind befreit, soweit das Gesetz
eine Befreiung zulässt. Nacherben bzw. Nachvermächtnisnehmer sind deren Abkömmlinge zu gleichen Teilen ...”
Herr L. H. verstarb am 21.11.2018. Das vorgenannte Ehegattentestament wurde am 22.01.2019 eröffnet (AG
Tecklenburg 26 IV 27/19).

Mit der am 7.02.2019 beim Nachlassgericht eingegangenen notariellen Urkunde vom 6.02.2019 (UR-Nr.##7/2019
der Notarin JUDr. G in M) erklärte Frau J. H. die Ausschlagung der Erbschaft.

Auf den Antrag des Beteiligten zu 2) erteilte das Nachlassgericht unter dem 15.04.2019 einen Erbschein, der die
Beteiligten zu 1) bis 4) als Miterben zu je ¼ ausweist. Der Erbschein enthält zudem den Hinweis, dass
Nacherbfolge angeordnet ist und Nacherben die leiblichen Abkömmlinge der Beteiligten zu 1) bis 4) sind (AG
Tecklenburg 26 VI 83/19).

In dem notariellen Vertrag vom 17.05.2019 (UR-Nr.##6/2019 der Notarin JUDr. G) haben die Beteiligten zu 1) bis
4) einen “Vertrag über eine Erbauseinandersetzung” geschlossen. Nach der Vorbemerkung, dass sie sich über
den weiteren Nachlass schon auseinander gesetzt haben, haben sich die Beteiligten zu 1) bis 4) über die
Immobilien, Fondsbeteiligungen und Unternehmen auseinander gesetzt.

Die hier in Rede stehende Immobilie sollen die Beteiligten zu 1) und 4) zu je ½ Miteigentumsanteil erhalten.
Sodann haben die Beteiligten zu 1) bis 4) als Erbengemeinschaft nach L. H. je ½ Miteigentumsanteil auf die
Beteiligten zu 1) und 4) übertragen und die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch beantragt.
Mit Zwischenverfügung vom 5.08.2019 hat das Grundbuchamt den Vollzug der Eigentumsumschreibung davon
abhängig gemacht, dass die Beteiligten zu 1) bis 4) entweder nachweisen, dass die Verfügung über das
Grundstück nicht unentgeltlich nach § 2113 Abs. 2 BGB erfolgt ist, oder aber die Zustimmung der Nacherben zu
dieser Verfügung in der Form des § 29 GBO nachzuweisen. Gegen diese Verfügung richtet sich die Beschwerde
der Beteiligten zu 1) bis 4) vom 22.10.2019, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 23.10.2019 nicht
abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.

II.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) gegen die Zwischenverfügung ist zulässig (§ 71 GBO) und führt in der
Sache zu deren Aufhebung.

Entgegen der vom Grundbuchamt in der Zwischenverfügung vertretenen Rechtauffassung kann der Vollzug der
Eigentumsumschreibung nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Entgeltlichkeit der Verfügung
nachgewiesen wird, was regelmäßig nicht in der Form des § 29 GBO, sondern nur im Wege des Freibeweises
erfolgen kann, oder eine grundbuchmäßige Zustimmung der Nacherben zu dieser Verfügung erfolgt.
Das Grundbuchamt hat bei seiner rechtlichen Beurteilung nicht beachtet, dass der hier relevante Grundbesitz
nicht der Nacherbfolge unterliegt, weil er den Beteiligten zu 1) bis 4) im Wege des Vorausvermächtnisses
zugewandt worden ist (§ 2110 Abs. 2 BGB), und zwar zu freiem Recht (vgl. dazu nur Staudinger/Otte (2013), §
2110 Rn. 10). Da die Übertragung des Grundbesitzes letztlich in Erfüllung des Vorausvermächtnisses erfolgt, ist
sie entgeltlich.

Das Nachlassgericht ist bei der Erteilung des Erbscheins im Wege der Auslegung zutreffend zu dem Ergebnis
gekommen, dass der Erblasser die Beteiligten zu 1) bis 4) nicht nur für die Fälle des gleichzeitigen Todes und des
Zuletztversterbens des Erblassers zu seinen anteiligen Erben eingesetzt hat, sondern auch für den hier
eingetretenen Fall, dass die Erbschaft der Ehefrau aufgrund der von ihr erklärten Ausschlagung nicht anfällt.
Dabei hat das Nachlassgericht die Beteiligten zu 1) bis 4) in dem erteilten Erbschein zutreffend nur als Vorerben
ausgewiesen.

Das bedeutet aber nicht, dass zwangsläufig alle Nachlassgegenstände dem Nacherbenrecht unterliegen. Nach §
2110 Abs. 2 BGB erstreckt sich das Recht der Nacherben im Zweifel nicht auf ein dem Vorerben zugewandtes
Vorausvermächtnis. Ob dem Vorerben / den Vorerben ein Vorausvermächtnis zu freiem Recht zugewandt worden
ist, ist im Wege der Auslegung zu klären.

Die dem Grundbuchamt mögliche Auslegung des Ehegattentestaments ergibt, dass der Erblasser den vier
Beteiligten den hier relevanten Grundbesitz im Wege des Vorausvermächtnisses zu freiem Recht zugewandt hat.
Ausdrücklich hat der Erblasser den Beteiligten zu 1) bis 4) die Vorausvermächtnisse nur für den Fall zugewandt,
dass die Ehefrau Letztversterbende ist. Für den Fall, dass die Ehefrau Erbin geworden wäre, hätte sie die
Vermächtnisse gegenüber den Beteiligten zu 1) bis 4) erfüllen müssen (I. des gemeinschaftlichen Testaments).
Aus der Zusammenschau dieser Verfügungen ergibt sich eindeutige Wille des Erblassers, dass die vier Kinder
den hier relevanten Grundbesitz in jedem Fall als Vorausvermächtnis und ohne Einschränkung gegenüber ihren
Nacherben erhalten sollten. Im Falle des Letztversterbens der Ehefrau macht die Zuwendung eines
Vorausvermächtnisses an die Vorerben zu freiem Recht nur noch in deren Verhältnis zu den Nacherben Sinn.
Entsprechendes gilt, wenn die Ehefrau aufgrund der von ihr erklärten Ausschlagung nicht Erbin wird und deshalb
die Vermächtnisse nicht erfüllen kann. Die testierenden Eheleute haben in dem von ihnen errichteten Testament
auch deutlich zwischen Vor- und Nacherbschaft auf der einen Seite und Vorausvermächtnis / Nachvermächtnis
auf der anderen Seite differenziert.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) hatten daher einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die aus ihnen bestehende
Erbengemeinschaft auf Übertragung des hier relevanten Grundbesitzes im Wege des Vorausvermächtnisses.
Dieser Anspruch unterlag nicht dem Zustimmungsvorbehalt der Nacherben. Vorliegend haben die Beteiligten zu
1) bis 4) als Erbengemeinschaft aufgrund der zwischen ihnen erzielten Einigung den Grundbesitz nicht erst an
alle Miterben übertragen, sondern nur an die beiden von ihnen gemeinsam bestimmten Miterben. Dieses ist nicht
zu beanstanden. Zustimmungsvorbehalte der Nacherben hätten sich auch bei einer Übertragung des Eigentums
auf alle vier Miterben und die nachfolgende Übertragung von diesen auf die Beteiligten zu 1) und 4) nicht
ergeben. Konstruktiv kann in dem Verzicht auf die Übertragung des Vermächtnisgegenstands auch auf die
Beteiligten zu 2) und 3) als Vermächtnisnehmer eine Ausschlagung dieses Vermächtnisses gesehen werden.
Dass die Beteiligten zu 1) bis 4) die ihrer dinglichen Übertragung zugrunde liegende schuldrechtliche Grundlage
als Erbauseinandersetzung bezeichnet haben, stellt die Wirksamkeit der Übertragung nicht in Frage.
Der Erbschein vom 15.04.2019 steht der entsprechenden Auslegung nicht entgegen.

Nach der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur ist ein Vorausvermächtnis nur dann ausdrücklich im
Erbschein auszuweisen, wenn es einen einzigen Vorerben gibt (BGHZ 32, 60; Senat ZErb 2015, 288; OLG
Hamburg FGPrax 2016, 133; Burandt/Rojahn/Lang, BGB, 3. Auflage, § 2110 Rn.7; BeckOK-Litzenburger, BGB,
51. Edition 2019, § 2110 Rn.5). Bei einer Mehrheit von Vorerben hat der Miterbe / haben die Miterben, dem /
denen ein Vorausvermächtnis zusteht, einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erbengemeinschaft auf
Übertragung des Vermächtnisgegenstands (Burandt/Rojahn/Lang, a. a. O.). Allerdings unterliegt auch in diesem
Fall die Verfügung der Vorerben in Erfüllung des Vorausvermächtnisses nicht den Beschränkungen des § 2113
BGB, weil sie entgeltlich erfolgt. Das Bestehen des Vorausvermächtnisses ist aber nicht in den Erbschein
aufzunehmen.

Eine Kostenentscheidung, eine Entscheidung zur Wertfestsetzung und eine Entscheidung zur Zulassung der
Rechtsbeschwerde sind wegen des Erfolgs der Beschwerde nicht veranlasst.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

21.01.2020

Aktenzeichen:

15 W 433/19

Rechtsgebiete:

Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Grundbuchrecht

Erschienen in:

NJW-RR 2020, 891-892

Normen in Titel:

BGB §§ 2110 Abs. 2, 2113; GBO § 51