Umfassende organschaftliche Vertretungsmacht des Verwalters für Gemeinschaft der Wohnungseigentümer; kein Nachweis der Ermächtigung des Verwalters durch Mehrheitsbeschluss erforderlich
letzte Aktualisierung: 19.9.2024
OLG München, Beschl. v. 11.7.2024 – 34 Wx 155/24 e
WEG §§ 9b Abs. 1, 26 Abs. 4; BGB § 925; GBO §§ 19, 20, 29
Umfassende organschaftliche Vertretungsmacht des Verwalters für Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer; kein Nachweis der Ermächtigung des Verwalters durch Mehrheitsbeschluss
erforderlich
1. § 9b Abs. 1 WEG beinhaltet eine umfassende organschaftliche Vertretungsmacht des Verwalters
für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
2. Bei Erwerb von Grundeigentum durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, vertreten
durch den Verwalter, ist für die Eintragung der Auflassung im Grundbuch kein Nachweis einer
durch Mehrheitsbeschluss erfolgten Verwalterermächtigung erforderlich (Abgrenzung zu OLG
München vom 16.11.2016, 34 Wx 305/16 in
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 2 und 3 sind im Grundbuch als Miteigentümerinnen von Grundbesitz zu je 1/2 eingetragen.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 4.1.2024 verkauften die Beteiligten zu 2 und 3 den Grundbesitz an die
Beteiligte zu 1, eine Eigentümergemeinschaft, zu deren Gunsten am 19.1.2024 eine Auflassungsvormerkung
eingetragen wurde. Für die Beteiligte zu 1 handelte bei der Beurkundung die Hausverwaltung H. GmbH &
Co. KG als Verwalterin. In der Urkunde vom 4.1.2024 wurde von den Beteiligten auch die Einigung über den
Eigentumsübergang erklärt und der Notar bevollmächtigt, für sie die vorstehende Einigung zur
grundbuchamtlichen Eintragung zu bewilligen und zu beantragen.
Mit Schreiben vom 19.3.2024 beantragte die Urkundsnotarin gemäß § 15 GBO den Vollzug der Auflassung
und die Löschung der für den Käufer eingetragenen Auflassungsvormerkung. Beigefügt war dem Schreiben
neben der notariellen Auflassungsbewilligung ein Protokoll der Eigentümerversammlung vom 30.9.2022 mit
notariell beglaubigten Unterschriften des organschaftlichen Vertreters der Hausverwaltung, der Vorsitzenden
des Verwaltungsbeirats und einer weiteren Miteigentümerin. Gemäß Ziffer 5 des Protokolls wurde die
Hausverwaltung H. GmbH & Co. KG für den Zeitraum 1.1.2023 bis 31.12.2027 einstimmig zum Verwalter der
Wohnungseigentümergemeinschaft bestellt.
Ferner beigefügt war ein Protokoll der Eigentümerversammlung vom 10.11.2023, wonach unter Ziffer 6 der
Erwerb des Grundstücks von den Grundstücksnachbarn [= die Beteiligten zu 2 und 3] und der Zuschlag der
Fläche zum Gemeinschaftseigentum mehrheitlich beschlossen wurde. Die Verwaltung wird gemäß dem
Beschluss ferner beauftragt und, soweit dies rechtlich möglich ist auch bevollmächtigt, den Kaufvertrag im
Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft abzuschließen. Dieses Protokoll ist ebenfalls – jeweils
unbeglaubigt – vom organschaftlichen Vertreter der Hausverwaltung, der Vorsitzenden des
Verwaltungsbeirats und einer weiteren Miteigentümerin unterzeichnet.
Mit Zwischenverfügung vom 3.5.2024 beanstandete das Grundbuchamt das Fehlen der
Unterschriftsbeglaubigungen auf dem WEG-Beschluss, welcher den Verwalter zur Vertretung der WEG
ermächtigt.
Hiergegen wendet sich die von der Notarin im Auftrag der Beteiligten zu 1 eingelegte Beschwerde vom
17.5.2024, ergänzt mit Schreiben vom 24.5.2024. Eine Unterschriftsbeglaubigung unter dem Beschluss,
welcher den Verwalter zum Erwerb des Grundstücks ermächtigt, sei gesetzlich nicht vorgeschrieben und
daher nicht erforderlich. § 26 Abs. 4 WEG schreibe nur für den Nachweis der Verwaltereigenschaft ein
beglaubigtes Protokoll vor.
eines Kaufvertrags gerade keine entsprechende Formvorschrift. Auch aus § 29 GBO ergebe sich keine
Pflicht, den Beschluss öffentlich beglaubigt vorzulegen.
schuldrechtlichen Kaufvertrag, jedoch nicht auf die Auflassung. Letztere sei von der allgemeinen
Vertretungsmacht des Verwalters gedeckt, so dass diese unabhängig vom Beschluss der
Wohnungseigentümer wirksam erklärt sei. Eine Prüfungspflicht des Grundbuchamtes bestehe insoweit nicht.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde mit Beschluss vom 5.6.2024 nicht abgeholfen. Das Protokoll der
Beschlussfassung zum Grundstückserwerb und zur Ermächtigung des Verwalters entspreche nicht der Form
des § 29 GBO. Dies werde auch in der Literatur überwiegend so vertreten und sei auch vom
Oberlandesgericht München so entschieden worden (Beschluss vom 16.11.2016 – 34 Wx 305/16).
II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Sie ist insbesondere statthaft gemäß § 71 Abs. 1 GBO. Entscheidungen des Grundbuchamts i.S. dieser
Bestimmung sind auch Zwischenverfügungen nach
160/11 =
Kramer GBO 5. Aufl. § 71 Rn. 68).
b) Die im Eintragungsverfahren tätig gewordene Notarin gilt nach § 15 Abs. 2 GBO ebenso als ermächtigt,
Beschwerde einzulegen (Senat
Die Beteiligte zu 1 ist beschwerdeberechtigt, weil sie als „gewinnender Teil“ der erstrebten Rechtsänderung
zum Kreis der nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GBO Antragsberechtigten gehört (vgl. Hügel/Kramer § 71 Rn. 193).
2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Voraussetzung für den Erlass einer Zwischenverfügung ist
nach
verfahrensgegenständlichen Zwischenverfügung nicht der Fall, weil es der geforderten
Unterschriftsbeglaubigungen nicht bedarf.
a) Im Fall der Übertragung eines Grundstücks durch Auflassung (§ 20 GBO, § 925 BGB) erfordert das
materielle Konsensprinzip des § 20 GBO, dass – zusätzlich zu der Bewilligung des verlierenden Teils (§ 19
GBO, formelles Konsensprinzip) – eine materiell-rechtliche Einigung, die den Verfahrensvorschriften der §§
20, 29 GBO genügt, nachgewiesen wird. Wird ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten, sind die
gesetzliche Vertretungsmacht bzw. die Wirksamkeit und der Umfang einer Vollmacht vom Grundbuchamt
selbständig zu prüfen (Senat vom 7.11.2018, 34 Wx 395/17 =
648; Demharter § 19 Rn. 74b; Hügel/Reetz Vertretungsmacht Rn. 127).
b) Die Vertretungsberechtigung der Hausverwaltung H. GmbH & Co. KG für die Beteiligte zu 1 im Rahmen
der Auflassungserklärung ergibt sich vorliegend aus § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG in Verbindung mit dem
Protokoll der Eigentümerversammlung vom 30.9.2022.
aa) Seit Inkrafttreten des WEMoG zum 1.12.2020 regelt § 9b Abs. 1 WEG eine inhaltlich umfassende
Vertretungsmacht des Verwalters für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
organschaftliche Vertretungsmacht, die den Verwalter zur Abgabe von Willenserklärungen für die
Gesellschaft entsprechend § 164 BGB befugt (Staudinger/Jacoby BGB Neubearb. 2023
Dötsch/Schultzky/Zschieschack WEG-Recht 2021 Kap. 3 Rn. 62). Der Verwalter vertritt kraft Gesetzes –
grundsätzlich unbeschränkt und gemäß § 9b Abs. 1 Satz 3 WEG unbeschränkbar – die Gemeinschaft. Eine
Beschränkung des gesetzlich geregelten Umfangs der Vertretungsmacht ist im Außenverhältnis nicht
möglich (BeckOGK WEG/Greiner Stand: 1.6.2024 § 9b Rn. 2; MüKoBGB/Burgmair 9. Aufl. WEG § 9b Rn. 3).
Ausgenommen hiervon ist nach § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG lediglich der Abschluss von Grundstückskauf- oder
Darlehensverträgen. Vertretungsmacht hat der Verwalter in diesen Fällen nur dann, wenn er durch Beschluss
der Wohnungseigentümergemeinschaft ermächtigt ist. Dies beschränkt sich allerdings nach dem klaren
Wortlaut und der eindeutigen Begründung dieser Vorschrift allein auf das schuldrechtliche Rechtsgeschäft.
Nicht betroffen von der Ausnahme ist das dingliche Geschäft, also insbesondere die Erklärung der
Auflassung beim Grundstückskaufvertrag (Bremkamp/Echternach
Schultzky/Zschieschack Kap. 3 Rn. 62; BT-Drucks. 19/22634, S. 43).
bb) Dementsprechend war die Hausverwaltung H. GmbH & Co. KG gemäß § 9b Abs. 1 WEG im
Außenverhältnis zur Erklärung der Auflassung für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer befugt, ohne
dass es darauf ankommt, ob im Innenverhältnis diesbezüglich ein wirksamer Beschluss vorliegt. Die
Bestellung der Hausverwaltung H. GmbH & Co. KG zum Verwalter wurde durch das Protokoll der
Eigentümerversammlung vom 30.9.2022 nachgewiesen. Die vorgelegte Niederschrift entspricht den
Anforderungen des § 26 Abs. 4 WEG, eine öffentlich beglaubigte Urkunde im Sinne des § 29 GBO liegt damit
vor.
cc) Soweit die Hausverwaltung gemäß der in § 9b Abs. 1 WEG geregelten Ausnahme zum Abschluss des
Kaufvertrages eines wirksamen Beschlusses der Wohnungseigentümer bedurfte, ist das Grundbuchamt zu
einer Prüfung dieses Beschlusses bzw. des wirksamen Abschlusses des Kaufvertrages nicht befugt. Das
Grundbuchamt hat nur zu prüfen, ob die Auflassung ordnungsgemäß erklärt wurde. Ob das schuldrechtliche
Kausalgeschäft unter Beachtung von
(Hügel/Hügel § 20 Rn. 64).
c) Angesichts der nunmehr in § 9b Abs. 1 WEG geregelten umfassenden Organvertretungsmacht des
Verwalters für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hält der Senat nicht daran fest, dass im
Grundbuchverfahren bei Erwerb von Grundeigentum durch die Gemeinschaft – vertreten durch den
Verwalter – der Nachweis der durch Mehrheitsbeschluss erfolgten Verwalterermächtigung durch
Protokollvorlage gemäß
16.11.2016, 34 Wx 305/16 =
dem Inkrafttreten des WEMoG eingeschränkten organschaftlichen Vertretungsmacht des Verwalters für die
Gemeinschaft nach § 27 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 WEG in der damals gültigen Fassung. Auflassungserklärungen
waren davon nicht umfasst und bedurften gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 7 WEG a.F. eines
Ermächtigungsbeschlusses durch die Eigentümergemeinschaft (Armbrüster
vereinzelt in der Literatur weiterhin ein solcher Nachweis gefordert (Hügel/Elzer WEG 3. Aufl. § 9b Rn. 9;
Erman/Grziwotz BGB 17. Aufl.
neu geregelten umfassenden organschaftlichen Vertretungsmacht des Verwalters für die Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer ist dem aber die Grundlage entzogen. Die Frage, ob dem Verwalter die
Rechtshandlungen – mit Ausnahme der in § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG genannten Verträge – durch einen
Beschluss der Wohnungseigentümer gestattet sind und er deshalb die Gemeinschaft wirksam vertreten
kann, stellt sich nicht mehr (Dötsch/Schultzky/Zschieschack Kap. 3 Rn. 62). Im Grundbuchverfahren ist damit
der Nachweis der Vertretungsmacht anlässlich der Auflassung an den Verband entbehrlich (Hügel/Kral WEG
Rn. 160; BeckOGK/Greiner § 9b Rn. 14; Bärmann/Becker WEG 15. Aufl. § 9b Rn. 61; BeckOK WEG/Leidner
Stand: 2.4.2024 § 9b Rn. 15a; MüKoBGB/Burgmair § 9b Rn. 18). Ob und in welcher Form ein Nachweis im
Beurkundungsverfahren zu erbringen ist (vgl. hierzu Bremkamp/Echternach
hier keiner Erörterung.
III.
Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht erforderlich, weil die diesbezügliche
Haftung der Beteiligten zu 1 aus § 22 Abs. 1 GNotKG aufgrund des Erfolgs des Rechtsmittels gemäß § 25
Abs. 1 GNotKG erloschen ist. Daher bedarf es auch keiner Geschäftswertfestsetzung.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 11.07.2024.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:11.07.2024
Aktenzeichen:34 Wx 155/24 e
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Grundbuchrecht
Kostenrecht
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
WEG §§ 9b Abs. 1, 26 Abs. 4; BGB § 925; GBO §§ 19, 20, 29