OLG München 03. Februar 2016
34 Wx 290/15
BGB § 1030 Abs. 1 u. 2; GBO § 49

Nur unmaßgeblich beschränkter Nießbrauch nicht als Leibgeding in das Grundbuch eintragbar

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 15.4.2016
OLG München, 3.2.2016 - 34 Wx 290/15

BGB § 1030 Abs. 1 u. 2; GBO § 49
Nur unmaßgeblich beschränkter Nießbrauch nicht als Leibgeding in das Grundbuch eintragbar

Behält sich der Übergeber von Grundbesitz an diesem den uneingeschränkten oder hinsichtlich
des Nutzungsziehungsrechts nur unmaßgeblich beschränkten Nießbrauch vor, so kann der
Nießbrauch nicht unter der Bezeichnung als Leibgeding im Grundbuch eingetragen werden

Gründe:

I. Mit notariellem Übergabevertrag vom 25.6.2015 übertrug der 65-jährige Beteiligte zu 1 seiner Tochter, der
Beteiligten zu 2, das Eigentum an drei Grundstücken, die im Bestandsverzeichnis des Grundbuchs
beschrieben sind als Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Hofraum, Garten zu 3,1709 ha (FlSt 1674), Grünland
zu 0,3148 ha (FlSt 2635/5) und Landwirtschaftsfläche zu 3,6651 ha (FlSt 515). Das Wohnungsrecht an FlSt
1674 und das Recht auf Mitbenutzung einer in der beigefügten Planskizze gekennzeichneten Teilfläche im
Umgriff um die dortigen Gebäude behielt sich der Beteiligte zu 1 ebenso vor (Ziff. I der Anlage) wie den
unentgeltlichen, längstens bis zum 30.6.2030 befristeten Nießbrauch an allen drei Flurstücken (Ziff. VI).
Hinsichtlich FlSt 1674 ist der Ausübungsbereich des Nießbrauchs beschränkt auf die mit dem Mietshaus
bestandene Teilfläche 1 sowie die zur landwirtschaftlichen Nutzung und Gewinnung von Heizmaterial
bestimmte Teilfläche 2 außerhalb der vorgehend beschriebenen Mitbenutzungsfläche. Die Beteiligte zu 2
verpflichtete sich zur Erhaltung der dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume und zur hauswirtschaftlichen
Grundversorgung des Beteiligten zu 1 bei Krankheit oder Gebrechlichkeit auf dessen Lebensdauer (Ziff. II
und IV). Diese Rechte sollten Inhalt einer Reallast an FlSt 1674 sein (Ziff. V).
Die Beteiligten bewilligten die Eintragung eines Nießbrauchs (Ziff. VI) sowie unter Zusammenfassung der
„vorstehenden dinglichen Rechte ... zu einem einheitlichen Leibgeding“ (Ziff. VII) die Eintragung eines
Leibgedings zugunsten des Beteiligten zu 1. Zudem bewilligten sie die Eintragung eines inhaltsgleichen
Leibgedings zugunsten des Ehepartners, das ihm nach dem Tod des Beteiligten zu 1 zustehen soll (Ziff.
VIII).
Des Weiteren vereinbarten die Beteiligten für bestimmte Fälle ein Rückforderungs- bzw. Rückerwerbsrecht
des Beteiligten zu 1 und seiner Ehefrau (Ziff. X).
Unter Vorlage der Urkunde stellte der Notar namens der Beteiligten zu 1 und 2 am 23.7.2015 beim
Grundbuchamt den Antrag auf Eintragung der Auflassung, des Leibgedings gemäß Ziff. VII, im Rang danach
des Leibgedings gemäß Ziff. VIII und letztrangig der Rückauflassungsvormerkungen.
Seinen am 11.8.2015 ergänzend gestellten Antrag, den Nießbrauch gemäß Ziff. VI im Rang vor den
Rückauflassungsvormerkungen einzutragen, nahm er mit Schreiben vom 19.8.2015 (Eingang: 21.8.2015)
zurück. Gleichzeitig erläuterte er seinen Antrag dahingehend, dass Wohnungsrecht, Reallast und
(befristeter) Nießbrauch als Leibgeding für den Beteiligten zu 1 und inhaltsgleich im Rang danach für dessen
Ehefrau eingetragen werden sollen.
Mit fristsetzender Zwischenverfügung vom 24.8.2015 hat das Grundbuchamt als Eintragungshindernis
beanstandet, dass ein den gesamten übergebenen Grundbesitz erfassender Nießbrauch nicht Bestandteil
eines Leibgedings sein könne und daher unter entsprechender Abänderung der Urkunde die Rangfolge der
mehreren dinglichen Rechte festzulegen sei.
Gegen die Zwischenverfügung richtet sich die vom Notar im Namen „aller Verfahrensbeteiligter“ eingelegte
Beschwerde, mit der die Meinung vertreten wird, der hier bestellte Nießbrauch sei wegen der vereinbarten
Beschränkung des Ausübungsbereichs nicht als Totalnießbrauch am übergebenen Grundbesitz zu
behandeln und könne schon deshalb Bestandteil eines Leibgedings sein. Ohne Berücksichtigung der
Ausübungsbeschränkung gelte dies jedenfalls spätestens mit Ablauf der Befristung des Nießbrauchs am
30.6.2030, weshalb ein betagtes Leibgeding eintragungsfähig sei. Die der Zwischenverfügung zugrunde
liegende Rechtsauffassung sei überdies grundsätzlich zu kritisieren.
Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen.

II. Die gegen die Zwischenverfügung (§ 18 Abs. 1 GBO) gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO
statthafte und vom Notar für die Beteiligten zu 1 und 2 eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 73, 15 Abs. 2
GBO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1. Gegenstand der Überprüfung durch das Beschwerdegericht ist nur das mit der Zwischenverfügung
geltend gemachte und mit der Beschwerde angegriffene Eintragungshindernis, nicht hingegen der
Eintragungsantrag selbst (Demharter GBO 29. Aufl. § 77 Rn. 12, 15; Hügel/Kramer GBO 3. Aufl. § 77 Rn. 11.1).
Die Beanstandung des Grundbuchamts geht dahin, dass der für den jeweils Begünstigten bestellte
Nießbrauch nicht zusammen mit den übrigen jeweils vereinbarten Rechten (Wohnungsrecht und Reallast)
als Leibgeding gemäß § 49 GBO im Grundbuch eingetragen werden könne und deshalb die in der Urkunde
vorgenommene Zusammenfassung unter Bestimmung des Rangverhältnisses der Rechte aufzulösen sei.

2. Die zugunsten des Beteiligten zu 1 und dessen Ehefrau bestellten Nießbrauchsrechte können nicht
zusammen mit den zu ihren Gunsten jeweils bestellten weiteren Rechten als Leibgeding im Grundbuch
eingetragen werden.
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts an, nach der ein
Totalnießbrauch am überlassenen Grundbesitz nicht Bestandteil eines Leibgedings sein und deshalb nicht
unter der zusammenfassenden Bezeichnung als Leibgeding gemäß § 49 GBO im Grundbuch eingetragen
werden kann (BayObLGZ 1975, 132). Nichts anderes gilt trotz Beschränkung des Ausübungsbereichs dann,
wenn nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarungen dem Geschäft der für ein Leibgeding
definitionsgemäß erforderliche Versorgungscharakter fehlt.
a) In Erweiterung des § 874 BGB ermöglicht § 49 GBO zur Entlastung des Grundbuchs und im Interesse der
Grundbuchübersichtlichkeit die zusammenfassende Eintragung einer Mehrzahl von Einzelrechten unter der
Bezeichnung als Leibgeding (oder unter den synonym verwendeten Begriffen) im Grundbuch bei
gleichzeitiger Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung (BGH Rpfleger 1972, 89). Die erweiterte
Bezugsmöglichkeit findet ihre innere Rechtfertigung darin, dass mit dem Rechtsgebilde des Leibgedings
aufgrund seines durch den Versorgungszweck bedingten und deshalb typisierten Inhalts in aller Regel die
gleichen dinglichen Rechte (beschränkte persönliche Dienstbarkeit, Reallast) gesichert werden und deshalb
die Bezeichnung der Rechte im Grundbuch nur mit dem historisch gewachsenen Begriff des Leibgedings
dem Grundsatz der Grundbuchklarheit nicht widerspricht (BGHZ 125, 69/73; BayObLGZ 1975, 132/133).
Sinn und Zweck der Vorschrift bestimmen maßgeblich die Anforderungen, die eine im Grundbuch
verlautbarte Rechtsposition erfüllen muss, um mit dem Begriff des Leibgedings zutreffend bezeichnet zu
sein. Danach ist entscheidend darauf abzustellen, dass es sich um eine Bündelung solcher Rechte handelt,
die typischerweise Versorgungszwecken dienen (BGHZ 125, 69/73; KG Rpfleger 2015, 75/76; OLG Frankfurt
FGPrax 2012, 190/191; OLG Zweibrücken DNotZ 1994, 893 und MittBayNot 1994, 334). Sind also weder die
Überlassung von Grundbesitz noch dessen Eignung zur Sicherung wenigstens eines Teils der
wirtschaftlichen Existenz des Übernehmers zwingende Voraussetzung einer vereinfachten Eintragung
gemäß § 49 GBO (vgl. BGHZ 125, 69), so kann jedoch auf einen durch den Versorgungszweck geprägten
Charakter der eingeräumten Rechte nicht verzichtet werden (BGH a. a. O.; Demharter § 49 Rn. 3; Wegmann
in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. § 49 Rn. 3; Schöner/Stöber Grundbuchrecht 15. Aufl. Rn. 1324 f.;
Staudinger/J. Mayer Einl. zu §§ 1105-1112 Rn. 77; Demharter EWiR 1994, 357).
b) Nach den vorstehenden Grundsätzen können der hier vereinbarte Nießbrauch und die übrigen Rechte
(Wohnungsrecht und Reallast) nicht zu je einem Leibgeding zugunsten des Beteiligten zu 1 sowie dessen
Ehefrau zusammengefasst werden.
Zu den Dienstbarkeiten (§§ 1018 - 1093 BGB), die neben Reallasten (§§ 1105 - 1112 BGB) zur dinglichen
Absicherung der Einzelleistungen eines Leibgedingvertrags in Betracht kommen, zählt zwar grundsätzlich
auch der Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB). Der Nießbrauch berechtigt allerdings dazu, sämtliche (§ 1030 Abs. 1
BGB) oder die vertraglich nicht ausgeschlossenen (§ 1030 Abs. 2 BGB) Nutzungen (§ 100 BGB) aus dem
belasteten Gegenstand zu ziehen.
Behält sich der Übergeber eines Grundstücks an diesem den uneingeschränkten Nießbrauch vor, so kann er
seine eigenwirtschaftliche Tätigkeit auf dem übergebenen Grundbesitz in vollem Umfang fortsetzen. Seiner
Rechtsposition fehlt dann der das Wesen des Leibgedings kennzeichnende Versorgungscharakter. Selbst
wenn daneben Versorgungsleistungen versprochen und zu ihrer Absicherung Reallasten sowie
Wohnungsrechte bestellt werden, nimmt der Nießbrauch an deren Versorgungscharakter nicht teil
(BayObLGZ 1975, 132/136; vgl. auch OLG Hamm 1969, 380/382).
Eine Gestaltung, bei der dem Nießbrauchsberechtigten lediglich ein dem Versorgungscharakter nicht
widersprechender Rest an eigenwirtschaftlicher Betätigung belassen wird (vgl. BayObLGZ 1975, 132/137;
1983, 113/118; 1993, 192/194 f.; Demharter § 49 Rn. 4; Meikel/Böhringer GBO 11. Aufl. § 49 Rn. 80 und 83;
Wegmann in Bauer/von Oefele § 49 Rn. 7 f.; Hügel/Reetz GBO 3. Aufl. § 49 Rn. 21; Schöner/Stöber Rn.
1328; KEHE/Keller Grundbuchrecht 7. Aufl. § 49 GBO Rn. 4), haben die Beteiligten nicht gewählt. Vielmehr
lastet der Nießbrauch uneingeschränkt sowohl auf der Landwirtschaftsfläche zu 3,6651 ha (FlSt 515) als
auch auf dem Grünland zu 0,3148 ha (FlSt 2635/5) und erstreckt sich zudem auf die mit einem vermieteten
Gebäude bebaute Fläche von FlSt 1674 sowie auf die gesamte, außerhalb des sogenannten
Nutzungsbereichs gelegene Restfläche von FlSt 1674, die sich nach der maßstabsgetreuen Planskizze
mindestens auf das Doppelte des Nutzungsbereichs ausdehnt. Diese Vereinbarungen zielen offenkundig
darauf ab, dem Übergeber die Nutzung in nahezu unverändertem Umfang für dessen Lebensdauer,
längstens bis zum Alter von 80 Jahren, zu sichern. Er kann den übergebenen Grundbesitz weiterhin auf
eigene Rechnung bewirtschaften und die Einkünfte aus der Vermietung von Wohnraum erzielen. Dieses
umfassende Recht kann nicht Teil eines Versorgungspakets sein; es kann daher nicht unter der Bezeichnung
als Leibgeding in das Grundbuch eingetragen werden (Meikel/Böhringer § 49 Rn. 7).
Für den identischen Nießbrauch zugunsten der Ehefrau des Beteiligten zu 1 gilt nichts anderes.
c) Die Befristung des Nießbrauchs rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Das Leibgeding erweitert
nicht als eigenständiges dingliches Recht den geschlossenen Kreis der gesetzlich bestimmten dinglichen
Rechte, sondern bezeichnet als Sammelbegriff die jeweils zu Versorgungszwecken gewährten Rechte. Fehlt
dem Nießbrauchsrecht - wie hier - der Versorgungscharakter für die Dauer seines Bestands, so kann er nicht
unter der Sammelbezeichnung im Grundbuch eingetragen (§ 873 BGB) werden. Über die
Eintragungsfähigkeit der übrigen bestellten Dienstbarkeiten und Reallasten als Leibgeding ist damit nichts
ausgesagt. Die Frage der Eintragung eines betagten Leibgedings stellt sich deshalb nicht.

3. Der Erlass einer Zwischenverfügung zur Behebung des angenommenen Eintragungshindernisses ist
verfahrensrechtlich zulässig.
Die Prüfungspflicht des Grundbuchamts erstreckt sich auf die Frage, ob für die unter dem Begriff als
Leibgeding zusammengefassten dinglichen Rechte jeweils die Eintragungsvoraussetzungen vorliegen (OLG
Hamm Rpfleger 1973, 98/99; OLG Zweibrücken DNotZ 1997, 327/328 f.; Meikel/Böhringer GBO 11. Aufl. §
49 Rn. 90). Das in § 19 GBO verankerte formelle Konsensprinzip verpflichtet das Grundbuchamt nicht zur
Eintragung unter dem Sammelbegriff des Leibgedings gemäß der von den Beteiligten gewählten Benennung
(vgl. OLG Schleswig Rpfleger 1980, 348; Schöner/Stöber Rn. 1339). Erkennt das Grundbuchamt aus der
Bewilligung, dass die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung als Leibgeding offensichtlich nicht zutrifft, so
hat es auf die rechtlichen Bedenken gegen die begehrte Eintragung hinzuweisen und bei Nichtbehebung des
Hindernisses den Eintragungsantrag abzulehnen (OLG Zweibrücken DNotZ 1994, 893; Wegmann in
Bauer/von Oefele § 49 Rn. 20 - 22).

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Verpflichtung zur Tragung der Gerichtskosten
aus dem Gesetz, § 22 Abs. 1 GNotKG, ergibt und die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht in Betracht
kommt.
Den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens hat der Senat mangels hinreichender Anhaltspunkte für die
Wertbestimmung mit dem Regelwert festgesetzt (§ 36 Abs. 1 und 3 GNotKG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 GBO) liegen nicht vor, weil der Senat
von den in höchstrichterlicher Rechtsprechung geklärten Grundsätzen für die Inanspruchnahme der
erleichterten Eintragung nach § 49 GBO nicht abweicht.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

03.02.2016

Aktenzeichen:

34 Wx 290/15

Rechtsgebiete:

Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Grundbuchrecht

Normen in Titel:

BGB § 1030 Abs. 1 u. 2; GBO § 49