FG Hannover 12. Juli 2023
3 K 14/23
ErbStG § 13 Abs. 1

Umfang der erbschaftsteuerlichen Begünstigung eines Familienheims

letzte Aktualisierung: 11.12.2023
FG Niedersachsen, Urt. v. 12.7.2023 – 3 K 14/23

ErbStG § 13 Abs. 1
Umfang der erbschaftsteuerlichen Begünstigung eines Familienheims

Nur die Grundfläche des mit dem Familienheim bebauten Flurstücks oder bei größeren Flurstücken
eine angemessene Zubehörfläche unterfällt dem verfassungsrechtlichen Schutz des gemeinsamen
familiären Lebensraums und ist erbschaftsteuerlich begünstigt.

Gründe

Die Klage wird abgewiesen.

1. Die Steuerbegünstigung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist wegen der primären Anknüpfung
des Erbschaftsteuerrechts an das Zivilrecht im Streitfall nur für das mit dem Familienheim
bebaute Hausgrundstück zu gewähren.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder
Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder
einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181
Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I
Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der
Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei
der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert
war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist
(Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 Quadratmeter nicht übersteigt,
steuerfrei. Durch den Verweis auf § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG werden von der
Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG Ein- und Zweifamilienhäuser,
Mietwohngrundstücke, Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücke und gemischt
genutzte Grundstücke erfasst.

Eine nähere Bestimmung, so der BFH in seinem Urteil vom 23. Februar 2021 (aaO.), in
welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung
teilhat, enthält die Vorschrift nicht. In Betracht kommt einerseits das Grundstück im
zivilrechtlichen Sinne, d.h. ein vermessener, im Liegenschaftskataster bezeichneter Teil der
Erdoberfläche (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2005 - V ZR 139/04, Deutsche
Notar-Zeitschrift 2005, 670) oder andererseits die wirtschaftliche Einheit i.S. des § 2 Abs. 1
BewG.

In dem entschiedenen Fall hatte das Belegenheitsfinanzamt die nebeneinander liegenden
Grundstücke mit dem Wohnhaus einerseits und dem Gartengrundstück andererseits in
getrennten Feststellungsbescheiden die Grundbesitzwerte festgestellt. Für diese Konstellation
der fehlenden bewertungsrechtlichen Verbindung sollen, so der BFH, die Feststellungsbescheide
des Belegenheitsfinanzamts nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des
Umfangs der wirtschaftlichen Einheit Grundlagenbescheide für den Erbschaftsteuerbescheid
bindend sein (aaO., Rn.16). Zugleich hat der BFH ausdrücklich offen gelassen, ob im
Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des
BewG zu verstehen sei. In dieser Entscheidung hat sich der BFH von folgenden Überlegungen
leiten lassen:

Für die Bestimmung des Grundstücksbegriffs des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG nach
zivilrechtlichen Grundsätzen spräche die bürgerlich-rechtliche Prägung des
Erbschaftsteuerrechts (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26.11.1986 - II R 190/81, BFHE
148, 324, BStBl II 1987, 175). Als (Rechts-) Verkehrsteuer knüpft die Erbschaftsteuer
grundsätzlich an bürgerlich-rechtliche Vorgänge an. Andererseits verweist § 13 Abs. 1 Nr. 4c
ErbStG auf bebaute Grundstücke i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG und gerade nicht im
Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Nach § 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG
seien für Zwecke der Erbschaftsteuer für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens
die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen (§ 179 der Abgabenordnung (AO)). Die
Feststellungen träfen die zuständigen Belegenheitsfinanzämter (§ 152 Nr. 1 BewG). Diese seien
zwar nicht zur Entscheidung darüber befugt, ob eine Steuerbefreiung, z.B. nach § 13 Abs. 1
Nr. 4c ErbStG, zu gewähren ist. Ihnen obliege neben der Wertfeststellung aber auch die
verbindliche Feststellung über die „wirtschaftlichen Einheiten“ des Grundvermögens (§ 157
Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG). Diese Entscheidung könne gemäß § 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO
nur durch Anfechtung des Wertfeststellungsbescheids angegriffen werden.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG im
damaligen Streitfall nur für das Grundstück 1, auf dem sich das Familienheim befindet, zu
gewähren, da dieser als eigene wirtschaftliche Einheit bewertet worden sei. Sei nach
zivilrechtlichen Maßstäben abzugrenzen, folge dies aus der katastermäßigen Selbständigkeit des
Grundstücks 1. Sei bewertungsrechtlich abzugrenzen, folgt dies aus den beiden getrennten
Feststellungsbescheiden des Belegenheitsfinanzamts für die beiden Grundstücke, die im
vorliegenden Verfahren auch hinsichtlich der Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bindend
seien. Für diese Fallgestaltung seien die Feststellungsbescheide nicht nur hinsichtlich der Werte,
sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit als Grundlagenbescheide
für die Erbschaftsteuerbescheide. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c
ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen sei.

Der BFH hatte bisher für eine Gemengelage mit mehreren benachbarten Flurstücken nicht zu
entscheiden, welche Flächen dem Grundstücksbegriff des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG
zuzuordnen sind. Das könnten (a) die einzelnen Flurstücke, wie sie von der Katasterbehörde
gebildet worden sind, (b) das Grundstück, wie es im Grundbuch eingetragen ist, auch wenn es
auf Antrag des Eigentümers - wie im Streitfall - aus zahlreichen einzelnen benachbarten
Flurstücken besteht, (c) die wirtschaftliche Einheit im Sinne der §§ 2, 181 des
Bewertungsgesetzes (BewG), die nach den Anschauungen des Verkehrs und der örtlichen
Gewohnheit, der tatsächlichen Übung, der Zweckbestimmung oder der wirtschaftlichen
Zusammengehörigkeit gebildet wird, oder schließlich (d) das speziell erbrechtlich zu
begünstigende Grundstück sein.

Die Varianten (a) und (b) bergen das Risiko in sich, dass der Grundstückseigentümer den
Umfang des nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG begünstigten Immobilienvermögens durch
Gestaltung über den gebotenen Schutz des Familienwohnheims hinaus zu erweitern sucht, denn
sowohl die Größe und der Umfang der Flurstücke (a) als auch Grundstücke (b) unterliegen
ausschließlich der Gestaltungsfreiheit der Eigentümer. So können benachbarte Flurstücke im
Sinne des Katasterrechts „verschmolzen“ werden. So hätten hier alle Grundstücke vom
Eigentümer durch einfache Erklärung gegenüber dem Katasteramt zu einem Flurstück mit einer
neuen Flurstücksbezeichnung verschmolzen werden können. Auch das BGB lässt es relativ
leicht zu, Flurstücke durch Erklärung in einem Grundbuchblatt „zu vereinigen“. Solche
Gestaltungen entsprächen nicht dem Zweck der streitigen Steuerbegünstigung. Aber auch die §§
2, 181 BewG (c) bieten mitunter keine angemessene Lösung. Nach den Anschauungen des
Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit (§ 2 BewG) bildeten die drei Flurstücke 218/5, 199/3
und 202/04 tatsächlich bewertungsrechtlich eine wirtschaftliche Einheit, ohne dass damit das zu
begünstigende Familienheim im Sinne des § 13 ErbStG zutreffend erfasst wäre, denn es würde
wohl das einheitlich genutzte Gartengrundstück (Flurstück 199/3) bewertungsrechtlich
dazugehören, obwohl es sich dabei um ein baurechtlich selbständig bebaubares Grundstück
handelt. Für dieses Grundstück hat die Gemeinde sogar bereits in der Erwartung einer späteren
Bebauung eine Hausnummer reserviert („B-Str. 5“).

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4 a)
bis c) ErbStG bei einer zu weiten Auslegung im Hinblick auf die Doppelbegünstigung der nahen
Familienmitglieder durch hohe Freibeträge gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG und die
Freibeträge nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG, die nicht miteinander verrechnet werden,
verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen (vgl. etwa Meßbacher-Hönsch, ZEV 2015, 382), was
es rechtfertigt, die Rechtsnormen eng auszulegen (BFH-Beschluss vom 27. September 2012 II R
9/11, BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 150; BFH-Urteile vom 3. Juni 2014 II R 45/12,
BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806 und vom 5. Oktober 2016 II R 32/15, BFHE 256, 359,
BStBl II 2017, 130 [BFH 15.06.2016 - II R 24/15]). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Vorschrift nach der Gesetzesbegründung ausschließlich dem Schutz des gemeinsamen
familiären Lebensraums dienen soll (BT-Drucksache 16/11107, 107). Ein selbständig
parzelliertes unbebautes Grundstück, wie hier das Flurstück 199/3, dient indes diesem Zweck
nicht, sondern ist selbständig verkehrsfähig und könnte von dem Erben umgehend veräußert
werden. Bei der gebotenen verfassungskonformen restriktiven Auslegung der Befreiungsnorm
des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist deshalb nicht auf die bewertungsrechtliche wirtschaftliche
Einheit, sondern die kleinere kastastermäßige Grundstücksfläche, wenn eine solche existiert,
abzustellen. Ansonsten wäre eine Teilfläche zu bestimmen gewesen.

Wenn aber damit die Varianten (a), (b) und (c) keine den verfassungsrechtlichen Grundlagen
entsprechende Lösung zur Verfügung stellen können, muss die Begünstigung nach § 13 Abs. 1
Nr. 4c Satz 1 ErbStG von dem für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständigen FA
selbständig bestimmt werden. Zugleich muss es dem zuständigen FA und nachgehend dem
Gericht aus Gründen der Belastungsgleichheit möglich sein, selbst bei katasterrechtlich
verschmolzenen Flurstücken nur einen Teil der Grundstücksfläche dem Familiengebrauchsvermögen
zuzuordnen. Nur so lässt sich vermeiden, dass - wie hier - eine angrenzende
grundsätzlich selbständig bebaubare Fläche (Flurstück 199/3, „B-Str. 5“, 1.292 qm à 550 €/qm
= 710.600 €) in die Begünstigung einbezogen werden muss. Letztlich wird man aus
verfassungsrechtlichen Gründen, selbst wenn keine katastermäßig angemessene selbständige
Teilfläche einem Wohnhaus zugeordnet ist, in Anlehnung an die Regelungen zur steuerfreien
Entnahme einer Wohnung mit dazugehörigen Grund und Boden bei Landwirten gemäß § 52
Abs. 15 Satz 8 Nr. 1 EStG 1987 nur die für die künftige private Nutzung erforderlichen
Zubehörflächen als umfasst ansehen können (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 1996 IV R
43/95, BFHE 181, 333, BStBl II 1997, 50).

Deshalb erscheint es sachgerecht, wenn - wie im jetzigen Streitfall - das Belegenheitsfinanzamt
die katastermäßig selbständigen Flächen zwar zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenfasst
bzw. zusammenfassen muss, zugleich aber unter den „Nachrichtlichen Angaben“ deutlich
macht, dass eine Differenzierung im Hinblick auf die Zuordnung als Familienheim in Betracht
kommt. Damit hat das Belegenheitsfinanzamt zugleich im Ergebnis zutreffend dokumentiert,
dass die Flurstücke im Übrigen hinsichtlich der Steuerbefreiung abweichend vom Begriff der
wirtschaftlichen Einheit im bewertungsrechtlichen Sinne zu berücksichtigen seien.

Für diese Fallgestaltung muss der zivilrechtlichen Trennung der Grundstücke unter
Berücksichtigung der gewollten steuerlichen Freistellung im Sinne einer krisenfesten Erhaltung
des Familiengebrauchsvermögens gefolgt werden. Nur das tatsächlich bebaute Grundstück oder
die bebaute Teilfläche kann in die Begünstigung einfließen. Diese Prüfung obliegt, wenn - wie
hier - das Belegenheitsfinanzamt die Differenzierung hinsichtlich einzelner Grundstück selbst
angesprochen hat, dem beklagten Finanzamt, zumal das beklagte Finanzamt, das materiell zur
Prüfung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung berufen ist, nicht einmal die Möglichkeit
hätte, die evtl. unbedachte Zusammenfassung der drei Grundstücke allein wegen ihrer
theoretischen Bebaubarkeit zu einer wirtschaftlichen Einheit zu verhindern.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Streitsache zugelassen, weil dieses Verfahren im Anschluss an das BFH-Urteil vom
23. Februar 2021 (aaO.) nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung dazu erfordert, welche
Flächen neben dem Gebäude im Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG als
begünstigtes Vermögen zu berücksichtigen sind.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

FG Hannover

Erscheinungsdatum:

12.07.2023

Aktenzeichen:

3 K 14/23

Rechtsgebiete:

Einkommens- und Körperschaftssteuer
Erbschafts- und Schenkungsteuer

Normen in Titel:

ErbStG § 13 Abs. 1