Entsendung von beratenden Anteilseignervertretern in den Aufsichtsrat ist mit dem Paritätsgedanken des Mitbestimmungsgesetzes nicht vereinbar
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Dokumentnummer: 2zb20_11
letzte Aktualisierung: 26.04.2012
BGH, 30.1.2012 - II ZB 20/11
Entsendung von beratenden Anteilseignervertretern in den Aufsichtsrat ist mit dem Paritätsgedanken des Mitbestimmungsgesetzes nicht vereinbar
Die Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bei der ein Aufsichtsrat nach dem
Mitbestimmungsgesetz zu bilden ist, kann nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat neben zwanzig
stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern aus weiteren Mitgliedern mit beratender Funktion
besteht.
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 20/11
vom
30. Januar 2012
in der Handelsregistersache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
MitbestG § 7 Abs. 1
Die Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bei der ein Aufsichtsrat
nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bilden ist, kann nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat neben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern aus weiteren
Mitgliedern mit beratender Funktion besteht.
BGH, Beschluss vom 30. Januar 2012 - II ZB 20/11 - OLG Hamm
AG Essen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2012 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, die Richterinnen Caliebe und
Dr. Reichart sowie die Richter Born und Sunder
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. September 2011 wird auf
Kosten der Beteiligten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligte ist eine Konzernobergesellschaft in Form einer Gesellschaft
mit beschränkter Haftung, deren alleinige Gesellschafterin die Stadt E.
ist. Sie
beherrscht eine Vielzahl von Tochtergesellschaften, die insgesamt mehr als 2.000
Arbeitnehmer beschäftigen. Gemäß
bei der Beteiligten ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes gebildet.
§ 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages der Beteiligten in seiner bisher geltenden Fassung trifft dazu folgende Regelung:
Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig Mitgliedern.
Davon werden zehn Mitglieder von den Arbeitnehmern nach den
Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gewählt. Die weiteren Mitglieder werden vom Rat der Stadt E. entsandt, wovon
eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener
Beamter oder Angestellter der Stadt E. ist.
Am 20. September 2010 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beteiligten, neben einer Vielzahl weiterer Vorschriften § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages wie folgt zu ändern:
Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern sowie aus bis zu vier Mitgliedern mit beratender Funktion. Von den zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern
werden zehn stimmberechtigte Mitglieder von den Arbeitnehmern
nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gewählt. Die übrigen zehn stimmberechtigten Mitglieder werden vom
Rat der Stadt E.
entsandt, wovon eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener Beamter oder Angestellter
der Stadt E.
ist. Ratsfraktionen, welche dem Aufsichtsrat nicht
bereits nach Satz 3 angehören, benennen jeweils ein beratendes
Mitglied, das vom Rat der Stadt E.
entsandt wird.
Die Geschäftsführer der Beteiligten meldeten die Änderungen des Gesellschaftsvertrages mit notariell beglaubigter Erklärung vom 20. September 2010 zur
Eintragung in das Handelsregister an.
Mit Zwischenverfügung vom 27. September 2010 hat das Registergericht
die beschlossenen Erweiterungen in § 8 des Gesellschaftsvertrages als unzulässig beanstandet, weil die ständige Teilnahme von beratenden Mitgliedern an Sitzungen des Aufsichtsrats gegen
dass der Beteiligten eine Frist zur Behebung des bezeichneten Hindernisses von
einem Monat ab Eintritt der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung gesetzt
wird.
Hiergegen wendet sich die Beteiligte mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung der Zwischenverfügung
des Registergerichts weiterverfolgt.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
Die beschlossene Änderung des Gesellschaftsvertrages widerspreche
zwingenden gesetzlichen Vorschriften über die Bildung und die innere Ordnung
des Aufsichtsrates. Die Beteiligte unterliege dem Mitbestimmungsgesetz, so dass
bei ihr gemäß
Abs. 1 Satz 1 MitbestG lege die Maximalzahl der Aufsichtsratsmitglieder unter
Berücksichtigung des Satzungsvorbehalts auf zwanzig fest. Insoweit handele es
sich um zwingendes Recht, gegen das die Satzungsänderung der Beteiligten verstoße. Des Weiteren sehe das Gesetz in
oder dem Vorstand angehörten, an den Sitzungen des Aufsichtsrats nicht teilnehmen sollten. Dadurch solle der Schutz der Vertraulichkeit der Sitzungen gewährleistet und die persönliche Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gestärkt und geschützt werden. Eine ständige Teilnahme von beratenden Aufsichtsratsmitgliedern an den Sitzungen des Aufsichtsrates verstoße gegen diese Gesetzeszwecke.
2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß
im Übrigen zulässig. Sie bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
a) Die Erweiterung des Aufsichtsrates auf bis zu vierundzwanzig Mitglieder
gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages in der Fassung des Beschlusses vom 20. September 2010 verstößt gegen
dieser Vorschrift setzt sich der Aufsichtsrat aus höchstens zwanzig Mitgliedern
zusammen.
Bei der beteiligten Gesellschaft, die gemäß
dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt, ist gemäß
ein Aufsichtsrat zu bilden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 bis 3 MitbestG kann die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf höchstens zwanzig Aufsichtsratsmitglieder festlegen, je zehn der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Abweichungen
von dieser abschließenden Regelung sind nicht zulässig (vgl. MünchKomm
AktG/Gach, 3. Aufl.,
B
MünchHdbArbR/Wißmann, 3. Aufl., § 280 Rn. 1; Henssler in Ulmer/Habersack/
Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl.,
Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,
Mitbestimmungsrecht,
4.
Aufl.,
§7
MitbestG Rn. 2; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 7
MitbestG Rn. 1; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz,
5. Aufl.,
Arbeitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl.,
Aufsichtsratswahl, 4. Aufl., Rn. 61).
96 AktG (
Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl.,
Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl.,
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann daher aus der in § 95 Satz 1
AktG festgelegten Höchstzahl von einundzwanzig Aufsichtsratsmitgliedern nicht
hergeleitet werden, dass die Höchstgrenze von zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern
nach
Satzungsänderung soll der Aufsichtsrat der Beteiligten aber aus zwanzig stimmberechtigten sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern mit beratender Funktion bestehen. Da auch die nicht stimmberechtigten weiteren Aufsichtsratsmitglieder Aufsichtsratsmitglieder im Sinne von
die zulässige Höchstzahl überschritten.
b) Durch die Regelung in
Sitzungen des Aufsichtsrats hinzugezogen werden können, wird, anders als die
Rechtsbeschwerde meint, bei der Beteiligten als einer dem Mitbestimmungsgesetz unterliegenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht die Möglichkeit
eröffnet, neben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern weitere Aufsichtsratsmitglieder mit nur beratender Funktion vorzusehen. Nach § 109 Abs. 1
Satz 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen und Auskunftspersonen
zur Beratung über einzelne Gegenstände zulässig. Die geänderte Regelung in § 8
des Gesellschaftsvertrages der Beteiligten sieht dagegen die ständige Teilnahme
von bis zu vier beratenden, nicht stimmberechtigten Mitgliedern an den Sitzungen
des Aufsichtsrats vor. Die ständige Teilnahme einer die Höchstzahl von zwanzig
Aufsichtsratsmitgliedern übersteigenden Anzahl von Mitgliedern mit beratender
Funktion an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist mit
Die Regelung der inneren Ordnung des Aufsichtsrats der Beteiligten bestimmt sich, da §§ 27 bis 29,
unter anderem nach
Abs. 1 AktG. Die sich aus der Verweisung in
ergebenden Regelungen sind zwingend (ErfK/Oetker, 12. Aufl.,
Rn. 6; MünchKommAktG/Gach, 3. Aufl.,
Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 4. Aufl.,
Koberski
in
Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,
Mitbestimmungsrecht,
4. Aufl.,
Aus
dass an den Sitzungen des Aufsichtsrates der beteiligten Gesellschaft keine Personen teilnehmen sollen, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstandes sind. Bei
AktG genannten Fälle hinaus den Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats
zugelassenen Personen nicht erweitern (Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und
Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl.,
Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl.,
Koberski
in
Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,
Mitbestimmungsrecht,
4. Aufl.,
sichern und der Erhaltung der Vertraulichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats dienen. Die Vorschrift soll verhindern, dass nicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende Personen ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen und
so vergleichbare Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne hierfür die entsprechende
Verantwortung zu tragen (MünchKommAktG/Habersack, 3. Aufl., § 109 Rn. 2;
Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rn. 6; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl.,
§ 109 Rn. 1; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rn. 2). Die regelmäßige Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunftspersonen an den Sitzungen
des Aufsichtsrats ist deshalb unzulässig, da diese Personen nach der gesetzlichen Regelung, die Aufsichtsratsmitglieder ohne Stimmrecht nicht kennt, nur von
Fall zu Fall zu einzelnen Gegenständen hinzugezogen werden dürfen (vgl.
MünchKommAktG/Habersack, 3. Aufl., § 109 Rn. 16 ff.; Hoffmann-Becking in
MünchHdbAG IV, 3. Aufl., § 31 Rn. 47a; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rn.
14 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rn. 19, 27; Hüffer, AktG, 9.
Aufl., § 109 Rn. 4 f.; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rn. 7 f.;
Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl.,
Henssler/Strohn,
§ 109
AktG
Rn. 5 f.;
Koberski
in
Wlotzke/Wißmann/
Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl.,
c) Nach der von der Beteiligten beschlossenen Änderung in § 8 Abs. 1
Satz 4 des Gesellschaftsvertrages soll nur der Alleingesellschafterin das Recht
zustehen, neben den zehn stimmberechtigten bis zu vier beratende Mitglieder in
den Aufsichtsrat zu entsenden. Die angemeldete Satzungsänderung ist daher
auch mit dem Grundsatz der paritätischen Zusammensetzung des Aufsichtsrats
durch Mitglieder der Anteilseigner und Arbeitnehmer nicht vereinbar, den § 7
Abs. 1 MitbestG sicherstellen soll (Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgesetzes, BT-Drucks. 7/2172, S. 22; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl.,
Rn. 2, 4). In den vom Mitbestimmungsgesetz erfassten Unternehmen sollen die
Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat an den dort zu treffenden unternehmerischen Planungen und Entscheidungen grundsätzlich gleichberechtigt und gleichgewichtig teilhaben; deshalb ist der Aufsichtsrat mit der gleichen Zahl der Anteilseigner und Arbeitnehmer zu besetzen (Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgesetzes, BT-Drucks. 7/2172, S. 16 f., 22). Die gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit durch Satzung muss zurücktreten, soweit durch sie der Paritätsgedanke sowie das im Mitbestimmungsgesetz geregelte Zusammenspiel der beiden
Mitgliedergruppen
im
Aufsichtsrat
verändert
wird
(Koberski
in
Wlotzke/
Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl.,
Rn. 8 m.w.N.; ErfK/Oetker, 12. Aufl.,
Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl.,
der Beteiligten vorgenommene Regelung diesen Prinzipien einer gleichberechtigten und gleichgewichtigen Mitbestimmung nicht gerecht, weil die Entsendung von
bis zu vier zusätzlichen Mitgliedern zu einem Übergewicht der Arbeitgeberseite
führt, auch wenn diese Mitglieder nur eine beratende Funktion ausüben.
d) Die von der Beteiligten in § 8 des Gesellschaftsvertrages vorgesehene
Einführung von bis zu vier nur beratenden Aufsichtsratsmitgliedern neben den
zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern des Aufsichtsrates verstößt ferner gegen
den Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrates die gleichen Rechte und
Pflichten haben sollen. Dieser in der mitbestimmungsfreien Aktiengesellschaft
allgemein anerkannte Grundsatz (vgl. Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl.,
e) Auf die Frage, ob etwas anderes gilt, wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt und bei ihr ein
Aufsichtsrat deshalb nur fakultativ zu bilden ist, kommt es nicht an. Die von der
Rechtsbeschwerde zum fakultativen Aufsichtsrat angeführten Gesichtspunkte
können wegen der zwingenden Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes auf
den bei der Beteiligten nach den
übertragen werden.
Bergmann
Caliebe
Born
Reichart
Sunder
Vorinstanzen:
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:29.01.2012
Aktenzeichen:II ZB 20/11
Rechtsgebiete:Aktiengesellschaft (AG)
Erschienen in:
FGPrax 2012, 119-121
NotBZ 2012, 172
MitbestG § 7; AktG § 109