BGH 07. Dezember 2016
VIII ZR 70/16
BGB § 577 Abs. 1 S. 1; WEG § 8

Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 BGB nur bei strikter Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen zeitlichen Reihenfolge

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 31.1.2017
BGH, Beschl. v. 7.12.2016 - VIII ZR 70/16

BGB § 577 Abs. 1 S. 1; WEG § 8
Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 BGB nur bei strikter Einhaltung der gesetzlich
vorgegebenen zeitlichen Reihenfolge

1. Die Entstehung des Vorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB setzt voraus, dass nach
Überlassung der vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden
ist und dieses sodann an einen Dritten verkauft wurde. Wird das Wohnungseigentum erst zeitlich
nach dem Verkauf an einen Dritten begründet, entsteht kein Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1
S. 1 Var. 1 BGB.
2. Das Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB setzt voraus, dass nach der Überlassung
der vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet werden soll und
dieses künftige Wohnungseigentum an einen Dritten verkauft wird. Ein Vorkaufsrecht nach
§ 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB scheidet daher aus, wenn sich die Absicht zur Begründung von
Wohnungseigentum bereits vor der Überlassung an den Mieter nach außen hin – insbesondere
durch Beurkundung der Teilungserklärung – manifestiert hat.
(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung vor Erlass des Senatsurteils
vom 6. April 2016 (VIII ZR 143/15, NZM 2016, 540) ergangen ist, hat zur Begründung
seiner Entscheidung ausgeführt:
Zu Recht habe das Amtsgericht einen Schadensersatzanspruch der Kläger
aus § 280 Abs. 1, § 577 Abs. 1, § 469 Abs. 1 Satz 1 BGB bejaht, da die Beklagte
ihre gesetzliche Verpflichtung, die Kläger beim Abschluss des Kaufvertrages
vom 16. Dezember 2010 über das ihnen zustehende Vorkaufsrecht zu
informieren, verletzt habe.
Nach § 469 Abs.1 Satz 1 BGB habe der Verpflichtete dem Vorkaufsberechtigten
den Inhalt des mit dem Dritten geschlossenen Vertrags unverzüglich
mitzuteilen. Gemäß § 577 Abs. 1 BGB sei der Mieter zum Vorkauf berechtigt,
wenn vermietete Räume, an denen nach Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum
begründet worden sei oder begründet werden solle, an einen
Dritten verkauft würden. Diese gesetzlichen Voraussetzungen lägen im Streitfall vor.
Dem stehe nicht entgegen, dass die Teilungserklärung bereits am
28. September 2010 und damit vor Abschluss des Kaufvertrages (16. Dezember
2010) und Überlassung der Mietsache (15. Dezember 2010) beurkundet
worden sei. Denn entscheidend sei der Zeitpunkt des abgeschlossenen Vollzugs
der Umwandlung in Wohnungseigentum. Dieser sei mit der Anlage der
Wohnungsgrundbücher, also hier mit der Eintragung am 23. Dezember 2010,
wirksam erfolgt. Dieser Zeitpunkt liege nach dem Einzug der klagenden Mieter.
Da die Vorschrift des § 577 BGB der Stärkung der Mieterrechte diene,
müsse deren Schutzbereich auch diejenigen Fälle erfassen, in denen - wie im
Streitfall - bereits ein Teil des Umwandlungsvorgangs, nämlich die Beurkundung
der Teilungserklärung, vor der Überlassung der Mietsache erfolge, der
maßgebliche Vollzug aber erst danach.

II.
Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Den Klägern steht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch aus
§ 280 Abs. 1, § 577 Abs. 1 Satz 1, § 469 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu. Ihnen
musste der Verkauf der Dachgeschosswohnung vom 16. Dezember 2010 nicht
gemäß § 469 Abs. 1 Satz 1 BGB offen gelegt werden, da ein Vorkaufsrecht an
der Wohnung nach § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht bestand. Die gegenteilige
Auffassung des Berufungsgerichts ist von Rechtsirrtum beeinflusst.
1. Der Mieter ist nach § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB unter zwei
- gleichberechtigt nebeneinander stehenden - Alternativen zum Vorkauf berechtigt.
Voraussetzung der ersten Alternative ist, dass nach der Überlassung der
vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden
ist und dieses dann an einen Dritten verkauft wird (Senatsurteil vom 6. April
2016 - VIII ZR 143/15, aaO Rn. 23 [zum Vorkaufsrecht an einer in demselben
Objekt gelegenen Wohnung]; BGH, Urteil vom 22. November 2013 - V ZR
96/12, BGHZ 199, 136 Rn. 5). Nach der zweiten Alternative ist die Entstehung
eines Vorkaufsrechts davon abhängig, dass nach der Überlassung der vermie-
teten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet werden soll
und das zukünftige Wohnungseigentum an einen Dritten verkauft wird. Gegenstand
des Vorkaufsrechts ist in diesem Fall ein sachenrechtlich noch nicht vorhandenes,
aber in seiner Entstehung bereits angelegtes Wohnungseigentum.
Das Vorkaufsrecht des Mieters entsteht in einem solchen Fall nur dann, wenn
sich der Veräußerer beim Verkauf des noch ungeteilten Grundstücks gegenüber
dem Dritten zur Durchführung der Aufteilung nach § 8 WEG verpflichtet
und ferner die von dem Vorkaufsrecht erfasste künftige Wohneinheit in dem
Vertrag bereits hinreichend bestimmt oder bestimmbar ist (Senatsurteil vom
6. April 2016 - VIII ZR 143/15, aaO Rn. 24 mwN).
2. Im Streitfall sind die Voraussetzungen beider Alternativen des § 577
Abs. 1 Satz 1 BGB nicht erfüllt.
a) Das Berufungsgericht hat allerdings im Ansatz richtig gesehen, dass
die Entstehung des Vorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht
daran scheitert, dass die Beklagte bereits am 28. September 2010 und damit
vor der am 15. Dezember 2010 erfolgten Überlassung der Mietsache an die
Kläger (und sogar schon vor Abschluss des Mietvertrags vom 23. November
2010) die für die Aufteilung in Wohnungseigentum erforderliche Teilungserklärung
(§ 8 WEG) hat notariell beurkunden lassen. Dies ändert nichts daran, dass
Wohnungseigentum erst nach Überlassung der Wohnräume an die Kläger begründet
worden ist. Denn die Teilung ist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 WEG erst mit
dem dinglichen Vollzug, der hier am 23. Dezember 2010 mit der Anlegung der
Wohnungsgrundbücher erfolgte, wirksam geworden (Senatsurteil vom
6. April 2016 - VIII ZR 143/15, aaO Rn. 26).
b) Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, dass es für die Entstehung
eines Vorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht ausreicht,
wenn nach der Überlassung der Wohnräume an den Mieter Wohnungseigen-
tum begründet worden ist. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass der Abschluss
des Kaufvertrags mit dem Dritten der Begründung von Wohnungseigentum
zeitlich nachfolgt. Wird dieses erst nach dem Verkauf an den Dritten begründet,
scheidet ein Vorkaufsrecht aus (BGH, Urteil vom 22. November 2013
- V ZR 96/12, aaO Rn. 5; Senatsurteil vom 6. April 2016 - VIII ZR 143/15, aaO Rn. 28).
c) So verhält es sich auch im Streitfall. Die notarielle Beurkundung des
Kaufvertrags zwischen der Beklagten und den Erwerbern fand am 16. Dezember
2010 statt. Wohnungseigentum wurde erst danach mit der am 23. Dezember
2010 erfolgten Eintragung der Teilungserklärung in das Grundbuch begründet.
Es wurde also nicht - wie von § 577 Abs.1 Satz 1 Alt. 1 BGB vorausgesetzt
- eine Wohnung verkauft, an der bereits vor Abschluss des Kaufvertrags
Wohnungseigentum entstanden war.
d) Auch die Voraussetzungen des § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB sind,
wie die Revision zu Recht geltend macht, im Streitfall nicht erfüllt, weil die Absicht,
Wohnungseigentum zu begründen, nicht erst nach der Überlassung an
den Mieter gefasst und dokumentiert worden ist.
aa) Der Senat hat in der bereits erwähnten, den Verkauf einer anderen
Wohnung desselben Hauses betreffenden Entscheidung vom 6. April 2016
(VIII ZR 143/15, aaO Rn. 30 ff.) ausgeführt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers
dem Mieter durch die Regelung des § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB
zwar (auch) ein Vorkaufsrecht an künftig entstehendem Wohnungseigentum
gesichert werden soll, das Entstehen des Vorkaufsrechts aber nicht an geringere
Voraussetzungen geknüpft sein sollte, als im Falle bereits begründeten
Wohnungseigentums nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Das Gesetz gibt in
beiden Alternativen des § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB eine zeitliche Abfolge der Geschehnisse
vor, die nur bei deren strikter Einhaltung zu der Entstehung eines
Vorkaufsrechts führt. Soweit es um die künftige Begründung von Wohnungseigentum
geht (§ 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB), muss die Absicht hierzu nach
außen dokumentiert werden. Diese Bekundung nach außen ist regelmäßig in
der notariellen Beurkundung der Teilungserklärung zu sehen (Senatsurteil vom
6. April 2016 - VIII ZR 143/15, aaO Rn. 42 f.). Um ein Vorkaufsrecht des Mieters
entstehen zu lassen, muss die Überlassung an den Mieter indes nach
§ 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zeitlich vor der nach außen dokumentierten Absicht,
Wohnungseigentum begründen zu wollen, erfolgt sein. Daran fehlt es im
Streitfall. Denn die Beurkundung der Teilungserklärung erfolgte am 28. September
2010, mithin bereits mehrere Monate vor dem Abschluss des Mietvertrags
mit den Klägern (23. November 2010) und deren Besitzerlangung am vertraglich
vereinbarten Tag des Mietbeginns (15. Dezember 2010).
bb) Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, die die Entstehung
eines Vorkaufsrechts des Mieters nach § 577 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB betreffenden
Ausführungen des Senats im Urteil vom 6. April 2016 (VIII ZR 143/15,
aaO) stünden insoweit in Widerspruch zu den diesbezüglich im Urteil vom
22. November 2013 (V ZR 96/12, aaO) angestellten Erwägungen des V. Zivilsenats,
als der Senat für die hinreichende Absicht des Vermieters, Wohnungseigentum
zu begründen, die notarielle Beurkundung der Teilungserklärung ausreichen
lasse, während der V. Zivilsenat zusätzlich eine aus dem Kaufvertrag
mit dem Dritten folgende Verpflichtung des Verkäufers zum Vollzug der Aufteilung
verlange, trifft dies nicht zu.
Der V. Zivilsenat hat in der herangezogenen Entscheidung nicht etwa
ausgesprochen, dass die Absicht zur Begründung von Wohnungseigentum erst
dann hinreichend manifest sei, wenn ein Kaufvertrag mit dem Dritten geschlossen
werde. Er hat vielmehr in Abgrenzung von sogenannten "Erwerbermodellen"
ausgesprochen, dass für das Entstehen des Vorkaufsrechts in diesen Fäl-
len die bloße Veräußerung an den Dritten nicht ausreicht, sondern dieses nur
dann entstehen kann, wenn sich der veräußernde Vermieter zusätzlich zur Begründung
von Wohnungseigentum verpflichtet, nicht jedoch, wenn erst die Erwerber
Wohnungseigentum begründen sollen (BGH, Urteil vom 22. November
2013 - V ZR 96/12, aaO Rn. 17). Dass der Kaufvertrag mit dem Dritten von dem
Veräußerer bereits vor der Überlassung an den Mieter erfolgen müsste, um eine
hinreichende Absicht, Wohnungseigentum zu begründen, annehmen zu
können, lässt sich der Entscheidung hingegen nicht entnehmen (vgl. Senatsurteil
vom 6. April 2016 - VIII ZR 143/15, aaO Rn. 44) .

III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist
daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache
selbst, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und die Sache zur Endentscheidung
reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt auf die Berufung der Beklagten
zur Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils, soweit zum Nachteil der
Beklagten entschieden worden ist. Mangels Bestehen eines Vorkaufsrechts ist
die Klage insgesamt abzuweisen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

07.12.2016

Aktenzeichen:

VIII ZR 70/16

Rechtsgebiete:

Miete
WEG

Erschienen in:

MittBayNot 2017, 136-137
RNotZ 2017, 231-234

Normen in Titel:

BGB § 577 Abs. 1 S. 1; WEG § 8