BGH 22. September 2023
V ZR 254/22
WEG § 43; BGB §§ 823, 1004; StGB § 185

Beleidigende Äußerungen unter Wohnungseigentümern; Vorliegen einer wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit

letzte Aktualisierung: 14.12.2023
BGH, Urt. v. 22.9.2023 – V ZR 254/22

WEG § 43; BGB §§ 823, 1004; StGB § 185
Beleidigende Äußerungen unter Wohnungseigentümern; Vorliegen einer
wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit

Nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung oder
Schadensersatz wegen einer Äußerung in Anspruch, handelt es sich nur dann um eine
wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 43 Nr. 1 WEG aF (bzw. § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG),
wenn die Äußerung in einer Eigentümerversammlung oder Beiratssitzung getätigt wurde. Dies gilt
unabhängig von Inhalt und Anlass der Äußerung (Fortentwicklung von Senat, Beschluss vom
17. November 2016 – V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12).

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht (Zivilkammer 9), dessen Entscheidung in ZMR
2023, 423 veröffentlicht ist, sieht sich für die Entscheidung über die Berufung als
zuständig an, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein WEG-Verfahren
handele, das deshalb der Zivilkammer 18 als zuständiger Kammer für Wohnungseigentum
hätte zugewiesen werden können. Der Geschäftsverteilungsplan
des Landgerichts Hamburg, der die Norm des § 72a GVG umgesetzt und entsprechende
spezialisierte Kammern eingerichtet habe, sehe für Berufungs- und
Beschwerdesachen unter Rz. 260 vor, dass eine einmal innerhalb des Rotationsverfahrens
zugeteilte Sache nur innerhalb einer - hier abgelaufenen - Frist von
einem Monat nach Eingang der Rechtsmittelbegründung abgegeben werden
könne. In der Sache könne der Kläger bezogen auf den Zahlungsanspruch (Klageantrag
zu 1) lediglich weitere 8,61 en, nicht jedoch - wie beantragt
- weitere 275,19
nung seien auf der Grundlage eines Geschäftswertes i.H.v. 1.000
nen und nicht i.H.v. 4.000 23
Abs. 3 Satz 2 RVG könne in Verfahren betreffend Ehrverletzungen zwar grundsätzlich
der dort genannte Ausgangswert von aktuell 5.000
Hier habe das Amtsgericht jedoch ohne Ermessensfehler angenommen, dass
der Betrag zu reduzieren sei. Der mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachte
Unterlassungsanspruch sei hinsichtlich der in dem Anwaltsschreiben vom
24. September 2018 enthaltenen Ergänzungen zur Unterlassungserklärung
ebenfalls nicht begründet. Unabhängig davon, dass hierin bereits keine Ehrverletzung
liege, bestehe für den Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs
seien Ehrschutzklagen gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung
in einem schwebenden Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung
dienten, in aller Regel unzulässig. So liege es auch hier.

II.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Die von dem Kläger gemäß § 547 Abs. 1 ZPO erhobene Verfahrensrüge,
das Berufungsgericht habe seine Zuständigkeit unter Verletzung des verfassungsrechtlichen
Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG) bejaht und sei deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist unbegründet.
Hierfür kann dahinstehen, ob der Kläger mit der Zuständigkeitsrüge bereits
gemäß § 565, § 513 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist, wie der Beklagte geltend
macht. Der Kläger ist jedenfalls deshalb nicht seinem gesetzlichen Richter
entzogen worden, weil es sich bei dem Rechtsstreit nicht um eine der Zivilkammer
18 zugewiesene Wohnungseigentumssache handelt. Ob eine Zuständigkeit
der Zivilkammer 9 (auch) durch die in dem Geschäftsverteilungsplan enthaltene
Regelung in Randziffer 260 wirksam hätte begründet werden können, bedarf mithin
keiner Entscheidung.

a) Da der Rechtsstreit im Jahr 2019 und damit vor dem am 1. Dezember
2020 erfolgten Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes
(WEMoG) vom 16. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2187) anhängig geworden ist,
finden gemäß Art. 1, 4, 18 WEMoG, § 48 Abs. 5 WEG noch die bisherigen Vorschriften
des Wohnungseigentumsgesetzes und damit § 43 Nr. 1 bis 6 WEG aF
Anwendung (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 24. Februar 2022 - V ZB 59/21,
NJW-RR 2022, 805 Rn. 8).

b) In Betracht käme hier nur das Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit i.S.d.
§ 43 Nr. 1 WEG aF. Erfasst werden von dieser Vorschrift Streitigkeiten über die
sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung
des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer
untereinander . Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen
nicht vor.

aa) Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass der Kläger selbst kein
Wohnungseigentümer ist, sondern nur die GbR, deren Gesellschafter er und
seine Ehefrau sind. § 43 WEG aF ist gegenstands- und nicht personenbezogen
zu verstehen (Senat, Beschluss vom 21. Januar 2016 - V ZR 108/15, NJW-RR
2016, 463 Rn. 5). Wird in der Sache über typische Rechte und Pflichten in einer
GdWE gestritten, kann auch der Gesellschafter einer GbR, die eine Wohnungseigentumseinheit
hält, Kläger oder Beklagter einer wohnungseigentumsrechtlichen
Streitigkeit sein (vgl. Senat, aaO Rn. 6 für die persönliche Haftung des Gesellschafters
für Beitragsrückstände der GbR).

bb) Entscheidend ist deshalb, ob die Voraussetzungen des § 43 Nr. 1
WEG aF in sachlicher Hinsicht vorliegen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die
Rechtsgrundlagen, auf die ein Kläger seine Klageansprüche stützt, im Wohnungseigentumsgesetz
wurzeln. Es ist deshalb im Ausgangspunkt unschädlich,
dass der Kläger hier seine Ansprüche aus dem allgemeinen Zivilrecht (§ 823
Abs. 1, 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB, § 1004 Abs. 1 BGB analog) herleitet. Nach
der Rechtsprechung des Senats zum bisherigen Recht ist maßgeblich allein der
Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer (oder ihm gleichstehenden
Personen) in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem
inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis
der Wohnungseigentümer erwachsen ist (vgl. Senat, Beschluss
vom 17. November 2016 - V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 7 mwN; Urteil vom
13. Dezember 2019 - V ZR 313/16, ZWE 2020, 300 Rn. 6). An dem Erfordernis
des inneren Zusammenhangs mit den Rechten und Pflichten als Wohnungseigentümer
hat sich im Ausgangspunkt trotz der im Vergleich zum bisherigen Recht
weiter gefassten Formulierung, die § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG durch das WEMoG
erfahren hat gkeiten über die Rechte und Pflichten der Wohnungseigen-
, nichts geändert. Geklärt hat der Gesetzgeber insoweit
nur, dass Streitigkeiten über die sachenrechtlichen Grundlagen der GdWE Wohnungseigentumssachen
sind (vgl. BT-Drs. 19/18791, S. 81).

cc) Nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer
auf Unterlassung oder Schadensersatz wegen einer Äußerung in Anspruch,
handelt es sich nur dann um eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit (§ 43
Nr. 1 WEG aF, § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG), wenn die Äußerung in einer Eigentümerversammlung
oder Beiratssitzung getätigt wurde. Dies gilt unabhängig von
Inhalt und Anlass der Äußerung (aA Niedenführ, LMK 2017, 387641). Entgegen
der Auffassung der Revision ist es deshalb unerheblich, dass sich die verbale
Auseinandersetzung der Parteien an der - wohnungseigentumsrechtlich zu beantwortenden
- Frage der Erfüllung von Reinigungspflichten entzündet hat.

(1) Auszugehen ist zunächst davon, dass eine wohnungseigentumsrechtliche
Streitigkeit nicht bereits deshalb zu bejahen ist, weil es sich bei den Parteien
um Wohnungseigentümer bzw. ihnen gleichgestellte Personen handelt. Besteht
zwischen den Wohnungseigentümern eine Sonderverbindung, aufgrund derer
sie sich gleichsam wie Dritte gegenüberstehen, stellt ein hieraus resultierender
Streit keine Wohnungseigentumssache dar. So liegt es beispielsweise, wenn
Rechte aus zwischen den Wohnungseigentümern bestehenden Miet-, Dienstoder
Werkverträgen hergeleitet werden (vgl. Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl.,
§ 43 Rn. 38; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 12).
Ob die Verträge nur deshalb zustande gekommen sind, weil sich die Vertragsparteien
wegen der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer GdWE kennen, ist unerheblich.
Ebensowenig stellt eine Streitigkeit zwischen einzelnen Miteigentümern
aus einem nur zwischen ihnen vereinbarten Konkurrenzverbot eine Wohnungseigentumssache
dar (vgl. Senat, Urteil vom 20. Juni 1986 - V ZR 47/85,
NJW-RR 1986, 1355).

(2) Nicht anders liegt es im Grundsatz, wenn sich Wohnungseigentümer
über die Zulässigkeit von Äußerungen streiten. Auch in diesem Fall treten sie sich
wie Dritte gegenüber, ohne dass ein innerer Zusammenhang mit einer Angelegenheit
steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer
erwachsen ist. Dass sich der Streit daran entzündet, dass die Wohnungseigentümer
in einer die GdWE betreffenden Frage unterschiedlicher Auffassung sind,
ist nur der Anlass für die Äußerung. Deren Zulässigkeit richtet sich nach den allgemeinen
zivilrechtlichen Vorschriften. Spezifisch wohnungseigentumsrechtlichen
Sachverstands bedarf es für die gerichtliche Entscheidung in aller Regel
nicht (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senat, Urteil vom 21. Januar 2016 - V ZR
108/15, NJW-RR 2016, 464 Rn. 6). Im Vordergrund steht vielmehr die äußerungsrechtliche
Beurteilung.

(3) Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn es um die Zulässigkeit von
Äußerungen geht, die in einer Eigentümerversammlung gefallen sind (vgl. Senat,
Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12). Eine
solche Rechtsstreitigkeit weist eine spezifische, unmittelbare wohnungseigentumsrechtliche
Komponente auf, die über die durch das allgemeine Zivilrecht geregelten
Rechtsbeziehungen hinausgeht. Die Eigentümerversammlung ist das
Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft; sie dient der Erörterung
der Beschlussfassung, und Äußerungen tragen zur Meinungsbildung innerhalb
der Gemeinschaft bei (Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB
73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12). Der für die Anwendbarkeit des § 43 Nr. 1 WEG aF
und des § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG erforderliche Bezug zu dem Gemeinschaftsverhältnis
wird - im Sinne einer Verklammerung - durch den institutionellen Rahmen
der Versammlung selbst hergestellt. In gleicher Weise kann der unmittelbare Gemeinschaftsbezug
auch bei Äußerungen in einer Beiratssitzung bejaht werden
(vgl. Sauren, NZM 2017, 433, 434).

(4) Dass hiernach Streitigkeiten zwischen einzelnen Wohnungseigentümern
über die Zulässigkeit von Äußerungen, soweit diese nicht im Rahmen von
Eigentümerversammlungen oder Beiratssitzungen ausgesprochen wurden,
keine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF (bzw.
§ 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG) begründen, ermöglicht eine klare Abgrenzung. Dies ist
gerade im Hinblick darauf, dass die Zuständigkeit der Berufungsgerichte gemäß
§ 72 Abs. 2 GVG von der Einordnung der Streitigkeit abhängt (vgl. dazu: Senat,
Beschluss vom 12. November 2015 - V ZB 36/15, NZM 2016, 168 Rn. 10), von
besonderer Bedeutung. Nur ein solch formales Verständnis der Norm wird dem
aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit gerecht,
wonach Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt
und in ihren Voraussetzungen für die Bürger klar erkennbar sein müssen (vgl.
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - VI ZB 3/07, NJW-RR 2007, 1436 Rn. 6
mwN; siehe auch Senat, Beschluss vom 24. September 2020 - V ZB 90/19, NJWRR
2020, 1339 Rn. 8; Beschluss vom 21. Februar 2020 - V ZR 17/19, NJW 2020,
1525 Rn. 8). Hiermit verträgt es sich nicht, wenn der Senat eine wohnungseigentumsrechtliche
Streitigkeit trotz einer Äußerung in einer Eigentümerversammlung
- als Gegenausnahme - verneint, wenn ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis
der Wohnungseigentümer offensichtlich nicht gegeben ist (Senat,
Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12).
Zur Vermeidung hierdurch hervorgerufener Abgrenzungsschwierigkeiten wird an
der Ausnahme deshalb nicht mehr festgehalten.

(5) Dass der Anlass für die ehrverletzenden Äußerungen außerhalb von
Wohnungseigentümerversammlungen und Beiratssitzungen in Differenzen der
Wohnungseigentümer in der Wohnungseigentümergemeinschaft liegt, ist auf der
anderen Seite aber nicht völlig irrelevant. Bei der Beurteilung, ob wegen einer
bestimmten Äußerung ein Schadensersatz- oder Unterlassungsanspruch besteht,
kommt es unter anderem darauf an, ob die Grenze zur Schmähkritik überschritten
ist. In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob die Auseinandersetzung
noch einen (wohnungseigentumsrechtlichen) Sachbezug aufweist oder nicht.
Dies betrifft allerdings die materiell-rechtliche Begründetheit der Klage, spielt jedoch
für die prozessuale Frage der Zuständigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF, § 43
Abs. 2 Nr. 1 WEG keine Rolle (vgl. bereits Derleder, ZWE 2001, 312).

2. In der Sache geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass dem
Kläger über den zuerkannten Umfang hinaus kein weiterer Anspruch auf Erstattung
vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zusteht (Klageantrag zu 1).

a) Dass der Kläger im Hinblick auf die Abmahnkosten dem Grunde nach
einen Schadenersatzanspruch hat, legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung,
wenn auch unausgesprochen, zu Recht zugrunde. Da die Äußerungen des
Beklagten bei dem Zusammentreffen der Parteien am 15. August 2018 eine Beleidigung
darstellen und auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers
verletzen, ergibt sich der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten
unter dem Gesichtspunkt der Abmahnkosten aus § 823 Abs. 1 BGB bzw.
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB (vgl. zu der Ersatzfähigkeit von Abmahnkosten
allgemein BGH, Urteil vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20,
NJW 2022, 940 Rn. 38).

b) Zu Recht berechnet das Berufungsgericht die erstattungsfähigen
Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 1.000
4.000

aa) Soweit sich der Gegenstandswert - wie hier - aus anderen Vorschriften
nicht ergibt und auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen;
in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine
Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert
mit 5.000
über 500.000 (§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG). Die Beurteilung der Angemessenheit
des von dem Anspruchsteller angesetzten Gegenstandswerts liegt
hierbei im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Seine Entscheidung ist daher
durch das Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob das Ermessen
überhaupt und in den ihm gesetzten Grenzen ausgeübt worden ist und alle für
seine Ausübung wesentlichen Umstände beachtet worden sind (vgl. BGH, Urteil
vom 30. März 2017 - I ZR 124/16, juris Rn. 20 mwN im Zusammenhang mit einer
anwaltlichen Abmahnung betreffend eine Urheberrechtsverletzung).
bb) Einer solchen Überprüfung hält das Berufungsurteil stand. Das Berufungsgericht
hat im Anschluss an das Amtsgericht sämtliche Umstände, die hier
für die Beurteilung maßgeblich waren, berücksichtigt. Es hat jedenfalls ermes-
sensfehlerfrei erläutert, warum es angezeigt ist, einen niedrigeren Gegenstandswert
als 5.000 legt mit seiner Auffassung, 4.000
angemessen, lediglich seine eigene Einschätzung dar. Dies vermag einen
Rechtsfehler nicht zu begründen.

3. Den Klageantrag zu 2 sieht das Berufungsgericht zu Recht als unzulässig
an. Dem Kläger fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage, die darauf
gerichtet ist, dem Beklagten zu untersagen, die in dem Anwaltsschreiben vom
24. September 2018 enthaltenen Behauptungen aufzustellen oder verbreiten zu
lassen. Hierfür kann offenbleiben, ob die Äußerungen ehrverletzenden Charakter
haben und ob insoweit ein Anspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 BGB (analog) oder
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB in Betracht kommen könnte.
a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass das
Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage nicht nur in Fällen fehlt, in
denen Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren untersagt werden sollen.
Privilegiert sind grundsätzlich auch Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder
-verteidigung in einem behördlichen Verfahren dienen oder die im Vorfeld einer
gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgen (vgl. nur BGH, Urteil vom
19. Juli 2012 - I ZR 105/11, VersR 2013, 601 Rn. 20 mwN; siehe auch Urteil vom
16. November 2004 - VI ZR 298/03, NJW 2005, 279, 280). Die Verfahrensbeteiligten
müssen, soweit nicht zwingende rechtliche Grenzen entgegenstehen, vortragen
können, was sie zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für erforderlich
halten (BGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - I ZR 105/11, VersR 2013, 601 Rn.
16).

b) Diese Grundsätze wendet das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei an. Wie
der Bundesgerichtshof in dem die erste Berufungsentscheidung aufhebenden
Beschluss vom 16. November 2021 (VI ZB 58/20, VersR 2022, 456 Rn. 12) ausführt,
ist es zutreffend, dass der Umstand, dass die Äußerungen in einem Rechtsanwaltsschreiben
enthalten sind, für die rechtliche Beurteilung des Unterlassungsanspruchs
relevant sein kann. Die Äußerungen stehen im Zusammenhang
mit dem von dem Kläger geltend gemachten Unterlassungsanspruch wegen des
Vorfalls am 15. August 2018 und sind - erkennbar - vorsorglich im Hinblick auf
mögliche weitere rechtliche Auseinandersetzungen erfolgt, wozu auch die gerichtliche
Geltendmachung der Abmahnkosten durch den Kläger gehört. Ob die
Ausführungen in dem Begleitschreiben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten
rechtlich tragfähig sind oder nicht - so die Ansicht des Klägers - ist unerheblich.
Es genügt, dass der Beklagte die Ausführungen für die Rechtsverteidigung
für erforderlich hielt.

c) Ein Ausnahmefall, bei dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
das Äußerungsprivileg nicht eingreift, wird von dem Berufungsgericht
zutreffend verneint. In Betracht kommt ein solcher Ausnahmefall, wenn eine ehrverletzende
Äußerung in einem Rundschreiben oder in einer außergerichtlichen
Kampagne oder Dritten gegenüber getätigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. November
2004 - VI ZR 298/03, MDR 2005, 507 f.). Hier ist das Anwaltsschreiben,
in dem die Äußerung enthalten ist, aber ausschließlich an den Kläger bzw. dessen
Prozessbevollmächtigten adressiert worden.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

22.09.2023

Aktenzeichen:

V ZR 254/22

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

WEG § 43; BGB §§ 823, 1004; StGB § 185