OLG Oldenburg 10. Juli 2024
3 U 14/24
BGB §§ 2286, 2287

Erbvertragliche Bindung; Verfügungsrecht zu Lebzeiten; lebzeitiges Eigeninteresse; Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsfreiheit

letzte Aktualisierung: 8.8.2024
OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.7.2024 – 3 U 14/24

BGB §§ 2286, 2287
Erbvertragliche Bindung; Verfügungsrecht zu Lebzeiten; lebzeitiges Eigeninteresse;
Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsfreiheit

1. Nach § 2286 BGB kann und darf ein Erblasser, der sich durch Erbvertrag auf eine bestimmte
Verfügung von Todes wegen festgelegt hat, über sein Vermögen zu Lebzeiten trotz der
eingegangenen Bindung frei verfügen. Missbraucht der Erblasser dieses ihm verbleibende
Verfügungsrecht, genießt der Vertragserbe lediglich den Schutz des § 2287 BGB.
2. Die eigentliche Schranke des § 2287 BGB ist nicht das lebzeitige Eigeninteresse, sondern die zu
treffende Feststellung, dass der Erblasser seine lebzeitige Verfügungsfreiheit nicht missbraucht hat.
3. Zur Feststellung des Missbrauchs bedarf es einer umfassenden Abwägung der Bindung des
Erblassers an den Erbvertrag einerseits und der Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben
andererseits.
4. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nach § 2287 BGB erachtet der Senat die
Umstände, dass einerseits die Erblasserin lediglich laufende Vermögenserträge der Erbmasse durch
den Erlass entzogen hat und nicht einen feststehenden Vermögensbetrag sowie andererseits, dass
die Erblasserin nach ihren eigenen Bekundungen nicht mehr auf die monatlichen Raten für ihren
Lebensunterhalt angewiesen war, sie mit dem Erlass nicht nur ihrem Sohn, sondern auch ihren
Enkeln in einer finanziellen Notlage helfen wollte und, dass der Beklagte die Erblasserin
vermögensrechtlich und bürokratisch maßgeblich unterstützt hat, auch vor dem Hintergrund der
damit einhergehenden Beeinträchtigung der Klägerin als Vertragserbin, als insgesamt billigenswert.

Gründe

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung rückständiger Raten aus einem
Grundstückskaufvertrag.

Die Parteien sind Geschwister. Die Mutter der Parteien, Frau CC, veräußerte mit
Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014 ihren Grundbesitz in der Straße1 in Ort2 an den
Beklagten zu einem Kaufpreis von 300.000 €. Der Grundstückskaufvertrag sah in § 5 Abs.2 eine
zinslose Stundung des Kaufpreises vor. Danach waren auf den Kaufpreis monatliche
Tilgungsbeiträge in Höhe von jeweils 2.000,00 € an die Verkäuferin zu zahlen beginnend mit
dem 15.04.2014.

Mit Erb- und Verzichtsvertrag vom 14.01.2015 setzten die Eltern der Parteien sich gegenseitig,
der Erstversterbende den Längerlebenden, zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Für
die Erbfolge nach dem Längstlebenden setzen die Eltern ihre Tochter, die Klägerin, ein.
Weiterhin wurde ein Vermächtnis des Längstlebenden angeordnet, nach welchem im Zeitpunkt
des Todes des Längstlebenden die von dem Beklagten zu zahlenden künftigen Tilgungsbeträge
auf den im Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014 vereinbarten Kaufpreis erlassen werden.
Klarstellend wurde zudem festgelegt, dass sich das Vermächtnis nicht auf etwaige im Zeitpunkt
des Todes des Längstlebenden rückständige Tilgungsbeiträge erstreckt.

Der Beklagte zahlte die im Grundstückskaufvertrag vereinbarten monatlichen Raten bis
einschließlich Dezember 2016. Weitere Zahlungen leistete der Beklagte auf den Kaufpreis nicht.
Die Mutter der Parteien unterzeichnete am 08.09.2021 ein Schriftstück, welches auf den
vorbezeichneten Grundstückskaufvertrag aus 2014 Bezug nimmt und die Erklärung enthält, dass
sie und ihr Mann gegenüber ihrem Sohn, dem Beklagten, auf die Zahlung der Kaufpreisraten
verzichtet hätten und dass sie auch weiterhin in Zukunft auf die Zahlungen verzichte und ihrem
Sohn die restliche Kaufpreissumme erlasse.

Die Parteien teilten sich die Betreuung und Pflege ihrer Eltern. Die häusliche Betreuung und
pflegerischen Maßnahmen übernahm die Klägerin, der Beklagte kümmerte sich um die
finanziellen Belange und bürokratischen Angelegenheiten und organisierte und begleitete die
Krankenhaus- und Arztbesuche. Die Mutter verstarb nach dem Vater am TT.MM.2022.
Mit der Klage begehrt die Klägerin die monatlichen Raten für die Monate Januar bis März 2019.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat mit angefochtenem Urteil vom 26.01.2024 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Klägerin als Alleinerbin nach ihrer Mutter
(im Folgenden Erblasserin) keinen Anspruch auf Zahlung nicht gezahlter Kaufpreisraten aus
dem Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014, mithin auch keinen Anspruch auf Zahlung von
jeweils 2.000,00 € für die Monate Januar bis März 2019, habe.

Die Erblasserin habe dem Beklagten die Kaufpreisschuld durch Vertrag vom 08.09.2021
wirksam erlassen. Das Schuldverhältnis sei erloschen (§ 397 Abs.1 BGB). In der unstreitig von
der Erblasserin unterzeichneten Erklärung habe diese ausdrücklich und unmissverständlich auf
ihren Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises verzichtet. Dass Erlassangebot habe der
Beklagte jedenfalls stillschweigend durch Entgegennahme des Schriftstücks angenommen. Der
Erlassvertrag sei auch wirksam. Eine besondere Form sei für den Erlassvertrag nicht
vorgesehen. Es handele sich beim Verzicht um die Vollziehung der Schenkung und nicht das
Schenkungsversprechen, für welches es einer notariellen Beurkundung bedürfe. Auch handele es
sich ersichtlich nicht um ein Testament, welches eigenhändig hätte geschrieben werden müssen.
Die Willenserklärung der Erblasserin sei auch nicht gemäß § 105 Abs.1 BGB nichtig. Die
Klägerin habe nicht beweisen können, dass die Erblasserin bei der Unterzeichnung der
Erklärung geschäftsunfähig gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Vernehmung der Zeugen und
den Ausführungen des Sachverständigen. Danach könne eine Geschäftsunfähigkeit nicht mit
hinreichender Sicherheit festgestellt werden.

Die Erblasserin sei auch befugt gewesen, dem Beklagten die restliche Kaufpreisschuld zu
erlassen. § 2290 BGB stünde dem Erlass nicht entgegen, da danach nur Verfügungen von Todes
wegen nach Abschluss des Erbvertrages nicht mehr erfolgen dürften. Zu Verfügungen unter
Lebenden sei der Erblasser ausdrücklich gemäß § 2268 BGB berechtigt. Der Vertragserbe sei
grundsätzlich auf den Schutz der §§ 2287, 2288 BGB zu verweisen. Ein Anspruch der Klägerin
gegen den Beklagten aus § 2287 Abs. 1 BGB bestehe jedoch nicht. Der Beklagte habe schlüssig
dargetan, dass ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin an der
Schenkung bestehe und damit gegen die Annahme, dass die Erblasserin ihr verbliebendes Recht
zu lebzeitigen Verfügungen zu Lasten der Klägerin als Vertragserbin missbrauchen wollte. Die
Erblasserin habe in Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung gehandelt. Die Klägerin habe trotzt
gerichtlichen Hinweises für ihre dem Beklagtenvortrag widersprechenden Behauptungen keinen
Beweis angeboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
Mit ihrer form- und fristgerecht erhobenen Berufung wendet sich die Klägerin gegen das Urteil
des Landgerichts unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlichen Anträge.

Zur Begründung trägt sie vor, dass die Erblasser mit verbindlicher Wirkung ein Vermächtnis
festgelegt hätten, dass sich das dem Beklagten ausgesetzte Vermächtnis nicht auf die im
Zeitpunkt des Todes des Längstlebenden rückständigen Tilgungsbeträge erstrecke. Sie hätten
weiter unter Ziffer VI. verbindlich festgelegt, dass sämtliche Bestimmungen im Erbvertrag,
soweit gesetzlich zulässig, vertragsmäßig unter gegenseitiger Annahme vereinbart worden seien.
Das dem Beklagten ausgesetzte Vermächtnis sei von den beiden Erblassern angeordnet worden
und nicht etwa nur von Frau CC. Es sei daher keine einseitige Verfügung der Erblasserin CC
gewesen, sondern eine wechselseitige Verfügung beider Erblasser. Dadurch sei eine
wechselseitige Verfügung erfolgt, die einseitig nicht mehr hätte widerrufen werden können. Eine
Änderung der im Erbvertrag getroffenen Regelungen sei nur noch möglich, wenn alle
Vertragsbeteiligten dieser zustimmen.

Die Erklärung vom 08.09.2021, die der Beklagte vorbereitet habe, stelle eine Änderung des
Erbvertrages bzw. des Vermächtnisses dar, das die Erblasser zugunsten der Klägerin mit
erbvertraglicher Bindung ausgesetzt hätten. Der Überlebende sollte indes nicht einseitig
verfügen dürfen. Darauf seien die Parteien seinerzeit vom Notar bei Abschluss des Erbvertrages
hingewiesen worden.

Die Erklärung der Erblasserin vom 08.09.2021 könne deshalb keine Wirksamkeit entfalten.
Darin könne auch kein Erlassvertrag gesehen werden, weil die Vermächtnisbestimmung nicht
mehr abgeändert werden konnte.

Hinzu komme, dass das Landgericht die Bestimmungen der §§ 2289, 2290 BGB nicht gesehen
habe.

Gemäß § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB könne ein Erbvertrag nach dem Tode eines der Erblasser nicht
mehr einseitig aufgehoben werden. Nach § 2290 Abs. 4 BGB bedürfe der Aufhebungsvertrag
derselben Form wie der Erbvertrag, also der notariellen Beurkundung nach § 2276 Abs. 1 BGB.
Eine solche Beurkundung sei nicht erfolgt. Demzufolge könne die Erklärung vom 08.09.2021
keine Wirksamkeit entfalten. Soweit das Landgericht gemeint habe, dass die Vorschrift des §
2290 Abs. 1 S. 2 BGB der Aufhebung des Erbvertrages nicht entgegenstünde, weil Verfügungen
unter Lebenden gemäß § 2286 BGB möglich seien, könne dem nicht zugestimmt werden, denn
eine Abänderung unter Lebenden hätte von allen Vertragsbeteiligten, also von den Erblassern,
erfolgen müssen.

Im Übrigen habe das Landgericht auch die Bestimmung des § 2287 BGB verkannt. Es habe und
gebe keinen Grund für die Erblasserin entgegen den erbvertraglichen Bestimmungen die Raten
zu erlassen. Dass der Beklagte möglicherweise finanzielle Schwierigkeiten hatte, begründe kein
lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers, vom Erbvertrag abzuweichen.

II.
Die zulässige Berufung ist offensichtlich ohne Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen
die Beklagte auf Ausgleich der geltend gemachten rückständigen Raten aus dem
Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014 für die Monate Januar bis März 2019.

Die Erblasserin war nach dem Erb- und Verzichtsvertrag aus dem Jahr 2015 nicht gehindert,
dem Beklagten die rückständigen und zukünftigen Raten zu Lebzeiten zu erlassen. Sie war
lediglich gehindert, eine anderweitige Verfügung von Todes wegen zu treffen. Dies hat das
Landgericht zutreffend erkannt. Der Erlassvertrag war auch wirksam. Auf die mit der Berufung
nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts hierzu wird ausdrücklich Bezug genommen.
Durch einen Erbvertrag wird der Erblasser grundsätzlich nur von Todes wegen gebunden. Als
Erbschaft bezeichnet das Gesetz in § 1922 BGB das beim Tode vorhandene Vermögen. Damit
beschränkt sich die durch den Erbvertrag begründete Bindung gegenständlich auf dasjenige
Vermögen, das der Erblasser bei seinem Tod hinterlässt. Er kann daher unter Lebenden nicht
nur gemäß § 2286 BGB wirksam über den Vermächtnisgegenstand verfügen, sondern ist auch
nicht verpflichtet, ihn für den Vermächtnisnehmer ordnungsmäßig zu verwalten oder überhaupt
zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1993 - IV ZR 36/93 -, BGHZ 124, 35-39, Rn.
9). Gleiches gilt für die Erbmasse als solche. Der Erblasser ist nicht verpflichtet, die Erbmasse
für den Vertragserben zu bewahren. Die Bestimmungen der §§ 2289, 2290 BGB stehen dem
nicht entgegen, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Sie gelten nur für Verfügungen von
Todes wegen.

Nach § 2286 BGB kann und darf der Erblasser, der sich durch Erbvertrag (bzw. ein
gemeinschaftliches Testament) auf eine bestimmte Verfügung von Todes wegen festgelegt hat,
über sein Vermögen trotz der eingegangenen Bindung durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden
grundsätzlich frei verfügen. Missbraucht der Erblasser dieses ihm verbliebene Verfügungsrecht,
genießt der Vertragserbe (bzw. Schlusserbe) den Schutz des § 2287 BGB. Die Grenze zwischen
den Fallgestaltungen, bei denen dem Vertragserben bei ihn benachteiligenden Verfügungen
dieser Schutz zukommt, und denjenigen Fällen, in denen der Vertragserbe schutzlos bleibt, wird
gemeinhin mit Hilfe der Frage nach dem "lebzeitigen Eigeninteresse" des Erblassers gezogen.
Es kommt darauf an, dass die Schenkung ihrem Gehalt nach auf eine Korrektur des Erbvertrags
angelegt war, was dann der Fall sei, wenn der Erblasser ohne ein anerkennenswertes lebzeitiges
Eigeninteresse wesentliche Vermögenswerte - ohne angemessene Gegenleistung - anderen
zuwendet (Staudinger/Raff (2022) BGB § 2287, Rn. 35). Nicht alle Fälle fehlenden Missbrauchs
können unter dem Gesichtspunkt des lebzeitigen Eigeninteresses subsumiert werden,
ausnahmsweise können auch andere Gesichtspunkte den Missbrauch entfallen lassen, sodass aus
der Sicht des Bundesgerichtshofes der Missbrauch der Verfügungsfreiheit selbst die allgemeine
Voraussetzung des Anspruchs ist (Staudinger/Raff, a.a.O.). Zur Feststellung des Missbrauchs
bedarf es einer umfassenden Abwägung der Bindung des Erblassers an den Erbvertrag einerseits
und der Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben andererseits (BGH NJW-RR 1986,
1135, 1136 [BGH 21.05.1986 - IVa ZR 171/84]).

Ein Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht liegt mangels lebzeitigem Eigeninteresse vor,
wenn die Schenkung nur der nachträglichen Korrektur der erbvertraglichen Regelung zugunsten
einer nunmehr genehmeren Person dienen soll (BGHZ 66, 8, 15; BGH WM 1977, 201; NJW
1980, 2307, 2308; OLG Hamm ErbR 2018, 34) oder vorgenommen wird, weil unerwartet ein
erheblicher Vermögenszuwachs stattfand (BGHZ 83, 44, 47 = NJW 1982, 1100 = WM 1982,
401 = MDR 1982, 466), oder nur aufgrund der Erkenntnis, den beschenkten Ehegatten zu
gering bedacht zu haben (BGHZ 77, 264 = WM 1980, 1126; OLG München, 23.11.2016 - 3 U
796/16, juris ) oder weil die Erblasserin meint, der Vertragserbe habe "zu Lebzeiten genug
erhalten" (OLG Düsseldorf FamRZ 2018, 1865 [1867]).

Zu beachten ist, dass die eigentliche Schranke des § 2287 BGB nicht das lebzeitige
Eigeninteresse des Erblassers (das bei genügend wohlwollender Betrachtung gefunden werden
kann) ist, sondern die durch umfassende Abwägung aller Umstände zu treffende Feststellung,
dass der Erblasser seine lebzeitige Verfügungsbefugnis nicht missbraucht hat (BGH FamRZ
2016, 2004 [2006]; BeckOGK/Müller-Engels [1.4.2022] Rn 57 ff; Staudinger/Raff, a.a.O, Rn.
43).
Neben einem lebzeitigen Eigeninteresse können daher weitere Rechtfertigungsgründe im
Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung gleichfalls Berücksichtigung finden. So hatte der 1.
Entwurf des Gesetzes ausdrücklich die Pflicht- und Anstandsschenkungen vom Anspruch des
Vertragserben ausgenommen, allerdings hielt der Gesetzgeber des BGB das für unnötig, weil
Schenkungen "durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden
Rücksicht entsprochen wird" (§ 534 BGB) grundsätzlich nicht missbräuchlich sind
(Staudinger/Raff, a.a.O, Rn. 44).

Gleiches ist anzunehmen für Schenkungen zu ideellen Zwecken, soweit sie in einem
angemessenen Verhältnis zum Vermögen des Erblassers stehen, mit der gleichen Einschränkung
für belohnende Schenkungen und Schenkungen, um Dank abzustatten (zusätzlich mit der
Einschränkung, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum Anlass stehen), soweit sie nicht
schon durch ein lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers gerechtfertigt sind (Staudinger/Raff,
a.a.O., Rn.45).

Ähnliches gilt bei Schenkungen aus familiären oder anderen persönlichen Rücksichten, bei deren
Angemessenheit allerdings strengere Maßstäbe anzulegen sind, weil die Schwelle zur
missbräuchlichen Korrektur der erbvertraglichen Zuwendung niedriger liegt (Staudinger/Raff,
a.a.O., Rn. 46).

Maßgeblich dafür, ob und wie ein Anspruch wegen einer missbräuchlichen Schenkung besteht,
hängt aber immer von einer Gesamtwürdigung aller Umstände ab, dem Wert der Schenkung
und dem Vermögen des Erblassers, eine relativ geringfügige Schenkung wird nicht als
missbräuchlich erscheinen. Gleiches gilt für eine Schenkung aus den laufenden
Vermögenserträgen (die auch bei Anordnung der Nacherbfolge dem Vorerben zur freien
Verfügung zustünden, J Mayer/Röhl, in: Reimann/Bengel/Dietz7 Rn 95; Staudinger/Raff,
a.a.O., Rn.49).

Die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs trägt der Vertragserbe. Da der Vertragserbe an
dem beeinträchtigenden Rechtsgeschäft aber regelmäßig nicht beteiligt war und der Erblasser
keine Auskunft mehr geben kann, sind die Beweisanforderungen zugunsten des Vertragserben
gelockert. Bei Vorliegen einer Schenkung - wie im vorliegenden Falle - muss der Beschenkte die
Umstände darlegen, die auf ein berechtigtes Interesse des Erblassers schließen lassen; dann erst
trifft den Vertragserben die volle Beweislast für die nicht billigenswerte Beeinträchtigung des
Vertragserben (BGH 26.2.1986 - IVa ZR 87/84, NJW 1986, 1755; 1976, 749 [BGH 26.11.1975 -
IV ZR 138/74]; OLG Hamm 14.9.2017 - 10 U 1/17, NJW-RR 2018, 454; Köln ZEV 2000,
106).

Gemessen an den vorgenannten Kriterien war die Erblasserin durch den Erbvertrag nicht
gehindert, zu Lebzeiten über ihr Vermögen frei zu verfügen. Eine Verfügung von Todes wegen
liegt ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist daher vorliegend allein, ob die Klägerin über § 2287
BGB geschützt ist, mithin ein Missbrauch der Verfügungsfreiheit der Erblasserin vorliegt.
Der Beklagte hat schlüssig Umstände dargelegt, die die Schenkung als insgesamt billigenswert
erscheinen lassen und damit gegen die Annahme, dass die Erblasserin ihr verbliebenes Recht zu
lebzeitigen Verfügungen zu Lasten der Klägerin als Vertragserbin missbrauchen wollte.
Der Senat teilt zunächst die Auffassung des Landgerichts, dass die Regelung in § 5 Nr. 3 des
Grundstückskaufvertrages vom 10.04.2014, der eine Anpassung der auf den Kaufpreis zu
zahlenden Tilgungsbeträge bei einer Änderung des Verbraucherpreisindexes vorsieht und der
Regelung in Ziffer IV. des Erb- und Verzichtsvertrages vom 14.01.2015, betreffend das
Vermächtnis, den Zweck hatten, den Eltern der Parteien bzw. deren Mutter regelmäßige
Einkünfte zur Deckung ihres Lebensunterhaltes zu sichern. Die monatlichen
Lebenshaltungskosten - soweit gedeckt durch die monatliche Kaufpreisrate - sollten nicht zu
einer Schmälerung des Nachlasses führen. Die Klägerin konnte damit nach der gewählten
Regelung nicht damit rechnen, in dem ihr später zufallenden Nachlass den Kaufpreis für das
Grundstück (vollständig) vorzufinden. Ob und in welcher Höhe die laufenden
Lebensunterhaltskosten mit oder ohne die monatliche Kaufpreisrate den Nachlass geschmälert
hätten oder gar hätten anwachsen lassen, war jedenfalls zum Zeitpunkt des Erbvertrages
ungewiss. Die Schenkung umfasste damit nicht eine feste Summe aus der Erbmasse, sondern
lediglich mögliche laufende Vermögenserträge in Form der monatlichen Kaufpreisraten in Höhe
von 2.000,00 €. Insoweit kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass
bei tatsächlicher monatlicher Zahlung der Raten diese auch später als Vermögenswert ganz oder
auch nur teilweise in der Erbmasse vorhanden gewesen wären. Im Gegenteil dürften die
Beteiligten davon ausgegangen sein, dass die Beträge - jedenfalls zum Teil - für den täglichen
Lebensbedarf der Eltern verbraucht würden.

Im Weiteren ist nach den Feststellungen des Landgerichts zu konstatieren, dass sich die Klägerin
und Beklagte die Betreuung der Eltern geteilt haben, wobei sich der Beklagte um die
bürokratischen und finanziellen Angelegenheiten kümmerte, wie unter anderem die Kontakte
mit Kranken- und Pflegekasse, die Antragstellungen bei diesen, die Beantragung der Pflegegelder
sowie Erhöhung der bewilligten Pflegegrade. Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, er habe den
behindertengerechten Umbau des Badezimmers, den Einbau eines Treppenliftes und die
Beschaffung der Pflegeeinrichtungen im Haus organisiert, sich um die Organisation der
Baumaßnahmen und deren Finanzierung gekümmert, eine Pflegekraft für die häusliche Pflege
organisiert, Bankkonten und Buchhaltung verwaltet und sämtliche Krankenhaus- und
Arztbesuche organisiert und begleitet. Auch durch die gewinnbringende Anlage einer größeren
Summe aus dem Vermögen der Eltern habe er dafür gesorgt, dass der Lebensunterhalt der
Eltern sehr auskömmlich gewährleistet gewesen sei.

Im Hinblick auf die umfassende Betreuung des Beklagten in bürokratischen und finanziellen
Angelegenheiten ist allerdings festzustellen, dass diese offensichtlich nicht die nach außen zu
Tage getretene Motivation für die Erblasserin war, dem Beklagten die Kaufpreisraten zu
erlassen. Vielmehr befand sich der Beklagte nach seinen eigenen Bekundungen in finanziellen
Schwierigkeiten. Seine beiden Söhne, die Enkel der Erblasserin, hätten sich zu diesem Zeitpunkt
im Studium befunden, wodurch hohe Kosten entstanden seien. Mit dem Verzicht auf weitere
Kaufpreisraten habe die Erblasserin ihrem Sohn und ihren beiden Enkeln in einer finanziell
schwierigen Situation helfen wollen. Die Überforderung des Beklagten mit der monatlichen
Zahlung und der Umstand, dass die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann nach dem
Vortrag des Beklagten, dem die Klägerin angesichts der ihr insoweit obliegenden Beweislast
nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten ist, nicht auf die Zahlungen angewiesen waren,
stellt ausweislich des schriftlichen Erlassvertrages vom 08.09.2021 die eigentliche
Motivationslage für den Erlass der monatlichen Kaufpreisraten dar. In die zu treffende
Gesamtabwägung geht aber die vom Beklagten geleistete Betreuung gleichwohl ein.
Festzuhalten bleibt zudem auch, dass jedenfalls auch die indirekte Unterstützung der Enkel der
Erblasserin durch die (Mit-) Finanzierung des Studiums durchaus eine billigenswerte familiäre
Unterstützung darstellt, die zu berücksichtigen ist.

Soweit die Klägerin mit der Berufung vorträgt, dass der Umstand, dass der Beklagte
möglicherweise finanzielle Schwierigkeiten gehabt habe, kein lebzeitiges Eigeninteresse der
Erblasserin begründen könne, vom Erbvertrag abzuweichen, teilt der Senat diese Ansicht. Es
liegt kein Fall der üblicherweise von der Rechtsprechung entwickelten Fallkonstellationen für ein
lebzeitiges Eigeninteresse vor, wie etwa die Sicherstellung der häuslichen Pflege und Betreuung.
Die Klägerin verkennt hierbei aber, dass neben einem lebzeitigen Eigeninteresse auch weitere
Rechtfertigungsgründe im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung gleichfalls
Berücksichtigung finden können (s.o.).

So lässt der Umstand, dass sich der Beklagte neben der Klägerin umfangreich um die Erblasserin
und auch seinen vorverstorbenen Vater in finanzieller und bürokratischer Hinsicht gekümmert
hat sowie, dass der Lebensunterhalt der Eltern auch ohne die monatliche Rate gesichert war, wie
es der Erlassvertrag dokumentiert, den Erlass der monatlichen Raten in familiärer und
persönlicher Hinsicht durchaus als sittlich billigenswert und damit nicht missbräuchlich
erscheinen. Hierbei hat das Landgericht zu Recht berücksichtigt, dass die monatliche
Ratenzahlung ihrer Intention nach in erster Linie für den Unterhalt der Eltern dienen sollte.
Wenn nun der Beklagte u.a. durch die gewinnbringende Anlegung eines Teils des Vermögens
seiner Eltern deren Unterhalt zumindest auch teilweise sichern konnte und die Eltern damit
nicht mehr in erster Linie auf die monatlichen Ratenzahlungen aus dem Grundstücksverkauf
angewiesen waren, fließt auch dieser Aspekt jedenfalls in die Gesamtabwägung mit ein.

Zwar hat die Klägerin erstinstanzlich bestritten, dass der Lebensunterhalt ihrer Eltern entgegen
der Behauptung des Beklagten (sehr) auskömmlich gewesen sei. Die Klägerin hat jedoch - trotz
gerichtlichen Hinweises des Landgerichts mit der Ladung zum Beweisaufnahmetermin vom
29.12.2022 - für ihre widersprechenden Behauptungen keinen Beweis angeboten und diese
Erwägung damit nicht widerlegt. Insoweit trifft sie aber nach der Darlegung der maßgeblichen
Umstände durch den Beklagten, die gegen einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsbefugnis
sprechen, die volle Beweislast (s.o.). Auch mit der Berufung bietet die Klägerin für ihre
entgegenstehenden Behauptungen weiterhin keinen Beweis an.

Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung erachtet der Senat die Umstände, dass
einerseits die Erblasserin lediglich laufende Vermögenserträge der Erbmasse durch den Erlass
entzogen hat und nicht einen feststehenden Vermögensbetrag sowie andererseits, dass die
Erblasserin nach ihren eigenen Bekundungen nicht mehr auf die monatlichen Raten für ihren
Lebensunterhalt angewiesen war, sie mit dem Erlass nicht nur ihrem Sohn, sondern auch ihren
Enkeln in einer finanziellen Notlage helfen wollte und, dass der Beklagte die Erblasserin
vermögensrechtlich und bürokratisch maßgeblich unterstützt hat, auch vor dem Hintergrund der
damit einhergehenden Beeinträchtigung der Klägerin als Vertragserbin, als insgesamt
billigenswert. Der Erlass stellt damit nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass insbesondere
die Höhe der möglichen Beeinträchtigung aufgrund des möglichen Verbrauchs der Raten und
sonstigen Einkünfte für den Lebensunterhalt der Erblasserin und ihres vorverstorbenen
Ehemannes nicht fest bestimmt werden kann, keinen Missbrauch der der Erblasserin kraft
Gesetz eingeräumten lebzeitigen Verfügungsfreiheit dar. Ein Missbrauch liegt damit nicht vor,
so dass der Klägerin der Schutz nach § 2287 BGB nicht zu Gute kommt.

Im Ergebnis hat es damit bei der landgerichtlichen Entscheidung zu bleiben und die Berufung
ist zurückzuweisen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Oldenburg

Erscheinungsdatum:

10.07.2024

Aktenzeichen:

3 U 14/24

Rechtsgebiete:

Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Gesetzliche Erbfolge
Grundstücksübergabe, Überlassungsvertrag

Normen in Titel:

BGB §§ 2286, 2287