Aussetzung einer Beurkundung bei missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung
letzte Aktualisierung: 26.03.2020
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.11.2019 – OVG 11 S 68.19
AufenthG §§ 2 Abs. 1, 60 Abs. 5 u. 7, 85a Abs. 1; BGB §§ 1597a Abs. 2 S. 1 u. Abs. 3 S. 1, 1598
Abs. 1 S. 2
Aussetzung einer Beurkundung bei missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung
1. Hat die beurkundende Stelle die Beurkundung gem.
das weitere Verfahren der Ausländerbehörde übergeben, kann sie von dieser Entscheidung nicht
Abstand nehmen.
2.
Vaterschaftsanerkennung auch durch die aussetzende Stelle selbst.
Gründe
I.
Die Antragstellerin zu 1) stammt aus Vietnam. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2018
teilte der Notar M_____ dem Antragsgegner mit, dass er die Beurkundung einer
Vaterschaftsanerkennung hinsichtlich des ungeborenen Kindes der Antragstellerin
zu 1) durch den deutschen Staatsangehörigen J_____ unterbrochen habe. Am 5.
Dezember 2018 beurkundete derselbe Notar die Anerkennung dieser Vaterschaft.
Die Antragstellerin zu 1) stimmte der Erklärung zu. Am 27. Januar 2019 kam die
Antragstellerin zu 2) zur Welt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte dem Antragsgegner unter dem
7. Februar 2019 mit, dass die Anträge der Antragstellerin zu 1) auf Anerkennung
als Asylberechtigte und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar
abgelehnt wurden sowie ein subsidiärer Schutzstatus bzw. Abschiebungsverbote
nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorlägen. Die Abschiebungsandrohung
sei vollziehbar seit dem 17. Januar 2019.
Der Antragsgegner hörte die Antragstellerin zu 1) und Herrn J_____ am 9. April
2019 aufgrund des Verdachts der missbräuchlichen Anerkennung einer Vaterschaft
an. Unter dem 18. Juni 2018 stellte der Antragsgegner mit einem an die
Antragstellerin zu 1) gerichteten Bescheid fest, dass die Anerkennung der Vaterschaft
für ihre Tochter E_____ – der Antragstellerin zu 2) – missbräuchlich sei.
Zudem drohte er der Antragstellerin zu 2) die Abschiebung an. Mit Bescheid vom
selben Tag stellte der Antragsgegner auch gegenüber Herrn J_____ die Missbräuchlichkeit
der Anerkennung der Vaterschaft für die Antragstellerin zu 2) fest.
Der letztere Bescheid ist bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2019 teilte der Antragsgegner dem Standesamt
M_____ sowie dem Notar M_____ mit, dass eine missbräuchliche Anerkennung
der Vaterschaft im Sinne von
vorliege. Die Vaterschaftsanerkennung vom 5. Dezember 2018 habe keine rechtliche
Elternschaft begründet.
Die Antragstellerinnen haben am 24. Juli 2019 beim Antragsgegner Widerspruch
gegen die Feststellung der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung vom 18.
Juni 2019 eingelegt. Zudem haben sie am selben Tage beim Verwaltungsgericht
Berlin Klage gegen diesen Bescheid erhoben (VG 15 K 310.19) sowie um Eilrechtsschutz
nachgesucht.
Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 30. August 2019 den Antragsgegner
im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, von Abschiebungsmaßnahmen
gegen die Antragstellerin zu 2) abzusehen und der Antragstellerin zu
1) eine Duldung zu erteilen. Der ebenfalls gestellte Antrag, die aufschiebende
Wirkung der Klage VG 15 K 310.19 anzuordnen, wurde zurückgewiesen.
Das Gericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der als
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches vom 24.
Juli 2019 gegen den Bescheid vom 18. Juni 2019 zu verstehende Antrag der Antragstellerinnen
sei zulässig, aber nicht begründet. Dieser an die Antragstellerin
zu 1) gerichtete Bescheid begegne insoweit keinen rechtlichen Bedenken, als er
die Vaterschaftsanerkennung als missbräuchlich feststelle. Die Voraussetzungen
des
im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, von Abschiebungsmaßnahmen
abzusehen, Erfolg. Die Antragstellerin zu 2) sei keine Ausländerin
im Sinne von
durch die Vaterschaftsanerkennung vom 5. Dezember 2019 erworben. Diese
Vaterschaftsanerkennung sei rechtlich wirksam. Eine Unwirksamkeit gemäß
§ 1598 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.
sei auch nicht deshalb unwirksam, weil die Ausländerbehörde mit
Bescheid vom 18. Juni 2019 deren Missbräuchlichkeit festgestellt habe. Der Antragstellerin
zu 1) komme als sorgeberechtigter Mutter einer deutschen Staatsangehörigen
ein Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Duldung zum Zwecke der
elterlichen Betreuung der Antragstellerin zu 2) zu,
Auch ein Anordnungsgrund sei für beide Antragstellerinnen gegeben.
Der Antragsgegner wendet sich mit der Beschwerde gegen die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts, soweit er dadurch verpflichtet verpflichtet wurde, von Abschiebungsmaßnahmen
gegen die Antragstellerin zu 2) abzusehen und der Antragstellerin
zu 1) eine Duldung zu erteilen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens
(
abzuändern; die Anträge der Antragstellerinnen auf Eilrechtsschutz sind
auch im Übrigen abzulehnen.
Der Antragsgegner beanstandet zu Recht die entscheidungstragende Annahme
des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin zu 2) deutsche Staatsangehörige
sei. Denn die notarielle Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung vom 5.
Dezember 2018 entfaltet keine Wirksamkeit. Nach
Anerkennung und Zustimmung auch im Fall des
Nach dieser Vorschrift kann, solange die Beurkundung gemäß § 1597a Abs.
2 S. 1 BGB ausgesetzt ist, die Anerkennung auch nicht wirksam von einer anderen
beurkundenden Behörde oder Urkundsperson beurkundet werden. Die Voraussetzungen
dieser Norm liegen vor.
1. Im Zeitpunkt der notariellen Beurkundung am 5. Dezember 2018 war die Beurkundung
nach
Gemäß
Zwecken anerkannt werden (Verbot der missbräuchlichen Anerkennung;
vgl. allgemein BT-Drs. 18/12415 S. 16). Die Aussetzung im Sinne von
welches den Zweck hat, missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen
zu verhindern (vgl. Hahn in BeckOK BGB, Stand 1. August 2019, § 1597a,
Rn. 3; Grziwotz, Notar und (missbräuchliche) Anerkennung der Vaterschaft, MittbayNot
2018, 288). Dieses Prüfungsverfahren beginnt mit einer Verdachtsprüfung
der beurkundenden Stelle (erste Prüfungsstufe). Erforderlich sind konkrete Anhaltspunkte
für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft, § 1597a Abs.
2 BGB. Bei Vorliegen eines Missbrauchsverdachtes setzt die beurkundende Stelle
die Beurkundung aus und leitet den Vorgang an die zuständige Ausländerbehörde
weiter. Hintergrund der vorläufigen Prüfung ist, dass es nach dem Aufgabenzuschnitt
der beurkundenden Stellen untunlich wäre, diese mit einer umfassenden
Prüfung zu beauftragen, da die höhere fachliche Kompetenz bei der Ausländerbehörde
liegt (vgl. Balzer, Die Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen,
die eigentliche Missbrauchsprüfung vor (zweie Prüfungsstufe) und stellt ggfs. eine
missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung durch Verwaltungsakt fest. Sobald diese
Entscheidung unanfechtbar geworden ist, ist die Beurkundung abzulehnen,
der Vaterschaft nicht missbräuchlich ist, stellt die Ausländerbehörde
das Verfahren ein (
die beurkundende Stelle die Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung vollziehen.
Die gesetzliche Konzeption sieht damit in der Aussetzungsentscheidung der beurkundenden
Stelle einen internen Zwischenschritt, der von der Verdachtsprüfung
(erster Stufe) in das eigentliche Missbrauchsprüfungsverfahren (zweite Stufe)
überleitet. Aufgrund ihrer Funktion ist die Aussetzungsentscheidung eine formelle
Entscheidung: Vorab erfolgt eine Anhörung des Anerkennenden und der Mutter,
der Mutter und dem Standesamt mit,
Formvorschriften sieht das Gesetz nicht vor. Ob die beurkundende Stelle
ihren Anhörungs- und Mitteilungspflichten umfassend nachgekommen ist, ist für
die Frage, ob eine Aussetzung vorliegt, hingegen nicht entscheidend. Da über die
Voraussetzungen der Aussetzung im anschließenden Verwaltungsverfahren gemäß
als solche regelmäßig unzulässig (Balzer in: beck-online.Großkommentar, Stand
1. August 2019, § 1597a, Rn. 90).
Vorliegend hat der beurkundende Notar mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 der
Ausländerbehörde mitgeteilt, „oben bezeichneter Ausländer hat bei mir vorgesprochen
um eine Vaterschaftsanerkennung mit J_____, geboren am 1_____,
wohnhaft J_____ zu beurkunden. Aufgrund der Herkunft aus Vietnam und fehlenden
Aufenthalts habe ich die Beurkundung unterbrochen. Es wird gebeten mitzuteilen,
ab nach
dieser Mitteilung an die Ausländerbehörde verbunden mit der Anfrage, ob
nach
Notar hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er konkrete Anhaltspunkte
für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft sieht, die Beurkundung
nicht vornimmt und die weitere Prüfung an die Ausländerbehörde übergibt. Damit
hat er das Verfahren ausgesetzt im Sinne von
2. Diese Aussetzung war im Zeitpunkt der Beurkundung am 5. Dezember 2018
auch nicht beendet. Die oben beschriebene gesetzliche Regelungssystematik
sieht eine Beendigung durch die beurkundende Stelle nicht vor. Sobald diese aufgrund
einer Verdachtsprüfung das weitere Verfahren an die Ausländerbehörde
übergeben hat, obliegt es dieser, das Prüfungsverfahren abzuschließen, § 85a
Abs. 1 AufenthG. Die beurkundende Stelle hat insoweit keine Verfahrenshoheit
mehr.
3. War somit die Beurkundung seit dem 8. Oktober 2018 durch den Notar M_____
ausgesetzt, so konnte dieser auch nicht in eigener Person am 5. Dezember 2018
die Vaterschaftsanerkennung wirksam beurkunden. Gemäß § 1597a Abs. 3 S. 1
BGB kann, solange die Beurkundung gemäß Abs. 2 S. 1 ausgesetzt ist, die Anerkennung
auch nicht wirksam von einer anderen beurkundenden Behörde oder
Urkundsperson beurkundet werden. Diese Norm ist auf den vorliegenden Fall bereits
dem Wortlaut der Norm nach anwendbar, ohne dass es auf eine Analogie
ankäme. So ist zwar derselbe Notar tätig geworden. Das Gesetz geht jedoch ausweislich
der Formulierung „auch“ als selbstverständlich davon aus, dass eine Beurkundung
durch die aussetzende Stelle ebenso unwirksam ist (vgl. Hammermann
in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017,
gesetzliche Formulierung hinaus nicht explizit erwähnt werden, da die aussetzende
Stelle aufgrund der von ihr selbst getroffenen Aussetzung in aller Regel erst
recht keine Beurkundung vornehmen wird. Denn nach der oben aufgezeigten gesetzlichen
Systematik ist die aussetzende Stelle, sobald sie das Verfahren an die
Ausländerbehörde abgegeben hat, nicht mehr Herrin des Verfahrens. Dieses Ergebnis
entspricht auch dem Zweck der Neuregelungen in
1597a BGB. Das Bundesverfassungsgericht hatte die vormals bestehende Regelung
der behördlichen Vaterschaftsanfechtung für verfassungswidrig und nichtig
erklärt (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 1 BvL 6/10 – BVerfGE 135,
48-90, juris). Mit den anschließenden Gesetzesänderungen wurde ein präventiver
Ansatz zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung gewählt.
Missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen sollen bereits im Vorfeld mithilfe
einer Missbrauchskontrolle durch die Ausländerbehörde verhindert werden, um
die daran anknüpfenden statusrechtlichen Folgen erst gar nicht entstehen zu lassen.
Die neue gesetzliche Regelungssystematik setzt daher bei der Anerkennung
der Vaterschaft an (BT-Drs. 18/12415, S. 16). Dieser Zweckausrichtung entspricht
es, dass das einmal durch eine Aussetzung der Beurkundung eingeleitete behördliche
Missbrauchsprüfungsverfahren nicht mehr in seinem Fortgang durch Entscheidungen
der beurkundenden Stelle beeinflusst werden kann.
Ist danach die Antragstellerin zu 2) keine deutsche Staatsangehörige, so ist sie
ebenso wie die Antragstellerin zu 1) aus den im Bescheid dargelegten Gründen
ausreisepflichtig. Nicht anwendbar ist
bestimmt: Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder
der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a
AufenthG ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden,
der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange
das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen
ist. Vorliegend ist die Feststellung der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung
im Bescheid vom 18. Juni 2019 nach
bestandskräftig, da die Antragstellerin zu 1) gegen den Bescheid Widerspruch
eingelegt hat. Jedoch ist die Entscheidung vollziehbar. Der Widerspruch gegen
die Feststellung der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung hat keine aufschiebende
Wirkung,
Die von den Antragstellerinnen beantragte Anordnung der aufschiebenden Wir
kung ihres Widerspruches hat das Verwaltungsgericht in dem hiesigen Beschluss
vom 30. August 2019 abgelehnt. Hiergegen haben die Antragstellerinnen keine
Beschwerde eingelegt.
Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts
gleichwohl im Ergebnis richtig ist, sind nicht ersichtlich (zur Ergebnisrichtigkeit
vgl. Eyermann-Happ, VwGO 15. Aufl., § 146 Rn. 29b).
Die Kostenentscheidung folgt aus
beruht auf
betraf ausschließlich die Verpflichtung des Antragsgegners, im Wege der
einstweiligen Anordnung sowohl von Abschiebungsmaßnahmen gegen die Antragstellerin
zu 2) abzusehen als auch der Antragstellerin zu 1) eine Duldung zu
erteilen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (
Entscheidung, Urteil
Gericht:OVG Berlin-Brandenburg
Erscheinungsdatum:26.11.2019
Aktenzeichen:OVG 11 S 68.19
Rechtsgebiete:Abstammung (incl. künstliche Befruchtung), Adoption
Normen in Titel:AufenthG §§ 2 Abs. 1, 60 Abs. 5 u. 7, 85a Abs. 1; BGB §§ 1597a Abs. 2 S. 1 u. Abs. 3 S. 1, 1598 Abs. 1 S. 2