Zugewinnausgleich; keine Unbilligkeitseinrede bei Sabotagehandlungen; keine Berufung auf den objektiven Marktwert
letzte Aktualisierung: 21.9.2022
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.5.2022 – 2 UF 184/21
BGB §§ 242, 1378, 1570, 1579 Nr. 2
Zugewinnausgleich; keine Unbilligkeitseinrede bei Sabotagehandlungen; keine Berufung auf
den objektiven Marktwert
1. Sorgt ein Ehegatte durch Sabotagehandlungen dafür, dass das Hausanwesen des anderen
Ehegatten nur unterhalb des Marktpreises veräußert werden kann, steht der späteren
Geltendmachung eines Zugewinnausgleichsanspruches zwar nicht die Unbilligkeitseinrede des
§ 1381 Abs.1 BGB entgegen (Fortführung Senat, Beschluss vom 31. August 2018, 2 UF 34/18). Ihm
bleibt aber die Berufung auf den objektiven Marktwert des Anwesens nach § 242 BGB verwehrt.
2. Erwirbt der an sich unterhaltsberechtigte Ehegatte mit seinem neuen Partner ein Grundstück, um
darauf ein gemeinsames Haus zu bauen, spricht dies selbst dann für eine verfestigte
Lebensgemeinschaft im Sinne des
Baukosten zurückgestellt oder ganz aufgegeben werden.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Scheidungsverbundverfahren nur noch über Ansprüche der
Antragsgegnerin auf Zugewinnausgleich und Nachscheidungsunterhalt.
Die Beteiligten haben am 22. September 2011 die Ehe geschlossen und leben seit Januar
2018 voneinander getrennt; der Scheidungsantrag wurde am 11. November 2019 zugestellt.
Aus der Ehe ist die Tochter V… (geb. am …) hervorgegangen. Die Antragsgegnerin hat
zwei ältere Söhne aus einer früheren Ehe; einer der Söhne ist schwerbehindert und auf
Pflegeleistungen angewiesen.
Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 24. August 2021, auf den hinsichtlich der
Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie wegen der Gründe Bezug
genommen wird, die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich
durchgeführt und die Zahlungsanträge der Antragsgegnerin in den Folgesachen Güterrecht
und Nachscheidungsunterhalt zurückgewiesen.
Teil 1: Folgesache Güterrecht
I.
Im Vermögen des Antragstellers befanden sich zum Zeitpunkt der Zustellung des
Scheidungsantrages ein während der Ehe gebautes, kreditfinanziertes Hausanwesen (i…
B……in …), das nebst Zubehör mit Notarvertrag vom 20. April 2020 für 365.000,00 €
veräußert wurde. Darüber hinaus war der Antragsteller Eigentümer eines kleinen
Ferienhauses in Frankreich im Wert von 15.000,00 €.
Die Antragsgegnerin hat von dem Antragsteller im Zusammenhang mit dem Streit über
einen im Jahr 2017 zum Preis von 75.780 € gekauften Mercedes Benz CLS 63 AMG im
Zeitraum zwischen der Trennung der Beteiligten und der Zustellung des
Scheidungsantrages einen Betrag von 37.000,00 € erhalten.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen,
sie sei zum Zeitpunkt der Eheschließung Eigentümerin einer Eigentumswohnung in der
Tschechischen Republik gewesen, ihr Anfangsvermögen habe daher 30.000,00 € betragen.
Zum Zeitpunkt des Ehezeitendes habe sie dagegen nur Schulden gehabt.
Die Antragsgegnerin hat einen Zugewinnausgleichsanspruch in Höhe von 107.500,00 €
geltend gemacht und diesen wie folgt beziffert:
Endvermögen Antragsteller
Haus O… 500.000,00 €
Haus Frankreich 15.000,00 €
Abgzl. Schulden Haus O… -300.000,00€
Endvermögen/Zugewinn 215.000,00 €
Davon ½ 107.500,00 €
Der Antragsteller hat den Wert des Anwesens in O… (unter Verweis auf den erzielten
geringeren Kaufpreis) bestritten und vorgebracht, zum Zeitpunkt der Eheschließung habe
sein Vermögen aus folgenden Positionen bestanden:
◦ Erlös aus Verkauf einer Eigentumswohnung: 30.000,00 €
◦ Erhaltene Abfindung nach Auflösung eines Arbeitsvertrages: 42.000,00 €
◦ Ersparnisse 15.000,00 €
Überdies habe er anlässlich der Hochzeit 15.000,00 erhalten.
Das Familiengericht hat den Zugewinnausgleichsantrag der Antragsgegnerin mit
Verbundbeschluss vom 24. August 2021 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt,
der Antragsteller habe keinen höheren Zugewinn als die Antragsgegnerin erwirtschaftet.
Zur Begründung hat das Familiengericht ausgeführt, das Endvermögen der Antragsgegnerin
bestehe aus den Zahlungen für den Mercedes i.H.v. 37.000,00 €. Ihre Behauptung, das Geld
zur Tilgung eines Darlehens an ihre Familie gezahlt zu haben, sei unsubstantiiert. Überdies
sei die im Parallelverfahren (2 UF 181/21) geltend gemachte Darlehensforderung von
30.000,00 € in Ansatz zu bringen. Der Zahlungsantrag im Parallelverfahren sei zwar
zurückgewiesen, die Entscheidung aber noch nicht rechtskräftig.
Der Vortrag zum Anfangsvermögen der Antragsgegnerin sei unsubstantiiert und nicht
belegt.
Das Endvermögen des Antragstellers bestehe aus
• Immobilie O… geschätzt 350.000 €
• Anwesen Frankreich 15.000,00 €
• Abzüglich Hauskredite 299.479,01 €
• Abzüglich Darlehensforderung: 30.000,00 € aus dem Parallelverfahren
Daher sei der Zugewinn des Antragstellers mit 35.520,99 € geringer als der Zugewinn der
Antragsgegnerin.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
Sie macht geltend,
in ihrem Endvermögen habe sich der Betrag von 37.000,00 € nicht mehr befunden. Diesen
Betrag habe sie, die Antragsgegnerin, an ihre Familie zur Rückzahlung eines Darlehens
weitergeleitet. Im Endvermögen des Antragstellers sei der Wert des Hausanwesens mit
500.000,00 € in die Berechnung einzustellen; die Marktpreiseinschätzung der Postbank
Immobilien GmbH Mainz vom 20. September 2021 gehe gar von einem Wert von
523.250,00 € aus.
Die Antragsgegnerin beantragt,
in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Kaiserslautern vom
24. August 2021 den Antragsteller zu verpflichten, an die Antragsgegnerin 107.500,00 € zu
zahlen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe seines Vorbringens und trägt
vor,
die Zahlungen über insgesamt 37.000,00 € habe der Antragsteller geleistet, um von der
Antragsgegnerin – auf die das Fahrzeug aus steuerlichen Gründen zugelassen war – die
Freigabe zum Verkauf zu erhalten. Zur Zahlung der Verbindlichkeiten, die noch aus der
Fahrzeugfinanzierung herrührten, habe der Antragsteller eine erhebliche Akontozahlung des
Erwerbers erhalten. Zur Gewährung eines Darlehens sei die Familie der Antragsgegnerin,
die in Russland in ärmlichen Verhältnissen lebe, nicht in der Lage gewesen.
Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass der Wert des Hausanwesens in
O… 500.000,00 € betragen habe. Ein derart hoher Preis sei schon deshalb nicht zu erzielen
gewesen, weil sich die Antragsgegnerin geweigert habe, aus dem Anwesen auszuziehen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die ihren güterrechtlichen Zahlungsantrag
abweisende Entscheidung des Erstgerichtes ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei,
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 3,
64 Abs. 1 und 2, 117 Abs. 1 FamFG).
In der Sache erzielt das Rechtsmittel einen Teilerfolg. Der Antragsgegnerin steht ein
Zugewinnausgleichsanspruch in Höhe von 21.500,00 € aus
Nach § 1378 Abs.1 BGB steht dem Ehegatten, der während des gesetzlichen Güterstands -
hier in der Zeit von der Eheschließung am 22. September 2011 bis zur Rechtshängigkeit des
Scheidungsantrags am 11. November 2019 (
erzielt hat, gegen den anderen Ehegatten eine Ausgleichsforderung in Höhe der Hälfte des
Betrags zu, um den dessen Zugewinn den eigenen übersteigt. Zugewinn ist der Betrag, um
den das bei Beendigung des Güterstands vorhandene Vermögen eines Ehegatten
(Endvermögen) zuzüglich des diesem etwaig hinzuzurechnenden Vermögens (§ 1375 Abs. 1
bis 3 BGB) sein bei Eintritt des Güterstands vorhandenes Vermögen (Anfangsvermögen)
zuzüglich etwaiger diesem hinzuzurechnender Vermögenswerte (§ 1374 Abs. 1 und 2 BGB)
übersteigt,
Nach dem unterbreiteten Sach- und Streitstand hat der Antragsteller einen Zugewinn in
Höhe von 80.000,00 € erzielt (1.), der Zugewinn der Antragsgegnerin beträgt dagegen nur
37.000,00 € (2.), woraus sich in der Folge ein Zahlungsanspruch zugunsten der
Antragsgegnerin in Höhe von 21.500,00 € errechnet (3.).
Im Einzelnen:
1. Der Antragsteller hat einen Zugewinn in Höhe von 80.000,00 € erzielt. Er hatte ein
Endvermögen in der vorgenannten Höhe (a.), aber kein Anfangsvermögen (b.).
a. Das saldierte Endvermögen des Antragstellers betrug 80.000,00 €
aa. Den Wert des in seinem Alleineigentum stehenden Hausanwesens in O…(einschließlich
Zubehör) bringt der Senat mit 365.000,00 € in Ansatz.
(1) Der von dem Erstgericht zugrunde gelegte Wert von nur 350.000,00 € kann schon
deshalb keinen Bestand haben, weil noch nicht einmal der Antragsteller einen Wert
unterhalb des wenige Monate nach dem Stichtag erzielten Verkaufserlöses von 365.000,00 €
behauptet. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, dass der Kaufpreis ausweislich des
Notarvertrages vom 20. April 2020 das mitverkaufte Zubehör (Einbauküche, Gartensauna
und Badezimmermöbel) im angegebenen Wert von 15.000,00 € beinhaltet, somit der reine
Immobilienkaufpreis durchaus nur 350.000 € betragen hat, denn auch das mitverkaufte
Zubehör unterliegt dem Zugewinnausgleich; dies selbst dann, wenn es sich um
Haushaltsgegenstände handelte (BeckOK, 60. Edition, Stand. 1. November 2021). Aus dem
Umstand, dass diese Gegenstände alleine von dem Antragsteller (mit dem Haus) verkauft
worden sind, ist zu schließen, dass sie im Alleineigentum des Antragstellers standen.
(2). Im Ergebnis kann der stichtagsbezogene Wert des Hausanwesens nebst Zubehör aber
auch nicht höher als der Kaufpreis bemessen werden.
Zwar gibt es Anhaltspunkte dafür, dass der stichtagsbezogene Marktwert des Anwesens
tatsächlich höher zu bewerten ist. Dies folgt nicht etwa aus der mit der
Beschwerdebegründung vorgelegten „Marktpreiseinschätzung“, die einen Wert von mehr
als 500.000,00 € bescheinigt. Inhaltlich ist diese Bewertung mit Ausnahme der „Rohdaten“
(Baujahr, Größe etc.) wenig aussagekräftig. Vor allem aber bezieht sie sich auf den
Bewertungsstichtag 13. September 2021, der fast zwei Jahre nach dem hier maßgeblichen
Stichtag des Ehezeitendes liegt.
Letztlich räumt aber der Antragsteller selbst in seiner Beschwerdeerwiderung ein, dass das
Hausanwesen im Ergebnis unter dem Marktpreis verkauft worden ist (vgl. Bl. 51 e.A.).
Allerdings gebieten es die Besonderheiten des Einzelfalles, dass der Antragsgegnerin nach
Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Berufung auf einen höheren Kaufpreis verwehrt
werden muss. Es liegt ein Fall des Grundsatzes „venire contra factum proprium“ vor.
Hiernach kann ein früheres Verhalten (selbst wenn es für sich genommen nicht zu
missbilligen ist) die spätere Wahrnehmung von Rechten als unzulässig erscheinen lassen,
wenn sich das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt und die Interessen der
Gegenpartei im Hinblick darauf als vorrangig schutzwürdig erscheinen (anstatt vieler
Münchener Kommentar, 8. Auflage, § 242 BGB Rn. 353).
So liegt der Fall hier:
Nach der Trennung ist die Antragsgegnerin mit ihren Kindern im Anwesen des
Antragstellers verblieben, hat in dieser Zeit keine Nutzungsentschädigungszahlungen
erbracht und sich an der Finanzierung nicht beteiligt. Im Jahr 2019 ist der Antragsteller mit
einer Vielzahl von Anwaltsschreiben (vorgelegt in der Folgesache Ehewohnung Bl. 11 ff) an
die Antragsgegnerin und ihren Bevollmächtigten herangetreten. Darin hat er mehrfach
eindrücklich darauf hingewiesen, dass er
• das Anwesen veräußern müsse, weil er die Finanzierungslasten nicht stemmen könne
• das Anwesen betreten müsse, um Lichtbilder für Verkaufsanzeigen anzufertigen
• um Nennung geeigneter Besichtigungstermine für etwaige Interessenten bitte.
Daraufhin hat die Antragstellerin keinerlei Mitwirkungsbereitschaft gezeigt. Sie musste
vielmehr geradezu überrumpelt werden, damit ein Besichtigungstermin zustande kam – was
die Antragsgegnerin in der Folge zum Gegenstand einer Strafanzeige (Bl. 57 GÜ) machte.
Den Interessenten, die das Haus letztlich erwarben, gab die Antragsgegnerin nach dem
unbestrittenen Vortrag des Antragstellers zu verstehen, dass sie nicht ausziehen wolle.
Vor diesem Hintergrund ist plausibel und nachvollziehbar, dass sich bei dieser Ausgangslage
nicht der Marktpreis erzielen ließ, weil die Erwerber auf die Einleitung eines
Zwangsvollstreckungsverfahrens angewiesen waren und das Anwesen nicht gleich nutzen
konnten, sie überdies mit einem Sabotageverhalten der nicht auszugswilligen
Antragsgegnerin rechnen mussten, zu dem es ausweislich der nicht bestrittenen Angaben in
der Beschwerdeerwiderung auch gekommen ist. Bei dieser Sachlage verhält sich die
Antragsgegnerin widersprüchlich. Sie hat nämlich während der Suche nach einem Verkäufer
einerseits ein Verhalten an den Tag gelegt, das sich im Ergebnis kaufpreismindernd
auswirkte. Andererseits macht sie nunmehr im güterrechtlichen Verfahren geltend, dass ein
höherer Verkaufserlös zu erzielen gewesen wäre.
Bei dieser Sachlage kann nur ein Wert von 365.000,00 € in die Berechnung eingestellt
werden. Auf einen höheren Wert kann sich die Antragsgegnerin nicht berufen.
bb. Abzuziehen sind die Darlehensverbindlichkeiten, die die Beteiligten mit einem Wert von
300.000,00 € unstreitig gestellt haben. Höhere Verbindlichkeiten sind überdies auch nicht
nachgewiesen.
cc. Der Wert des dem Antragsgegner zum Stichtag gehörenden Wochenendhauses in
Frankreich ist mit dem unstreitigen Wert von 15.000,00 € in die Berechnung einzustellen.
dd. Die Berücksichtigung weiterer Abzugspositionen kommt nicht in Betracht.
(1) Bezüglich der im Parallelverfahren (2 UF 181/21) von Seiten der Antragsgegnerin
geltend gemachten Darlehensrückzahlungsforderung steht nach der Beschwerderücknahme
nunmehr rechtskräftig fest, dass diese Forderung nicht besteht.
(2) Soweit der Antragsteller erstmals im Schriftsatz vom 9. Mai 2022 eine
Kreditverbindlichkeit gegenüber einer Frau N… S… (46.500,00 €) und gegenüber einem
Herrn P… W… (10.000,00 €) anführt, ist das Vorbringen gem. § 115 Satz 1 FamFG
verspätet und wird vom Senat in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens nicht
zugelassen. Der neue Vortrag zu den angeblich bestehenden weiteren Verbindlichkeiten
wurde aufgrund von grober Nachlässigkeit nicht rechtzeitig gehalten und würde im Falle der
Zulassung die Erledigung des Verfahrens verzögern. Obgleich es sich um Vorgänge handelt,
die mehrere Jahre zurückliegen und durch schriftliche Darlehensverträge, bzw. ein
Schuldanerkenntnis dokumentiert sein sollen, hat der Antragsteller diese Positionen weder
im erstinstanzlichen Verfahren noch in seiner Beschwerdeerwiderung angeführt. Er hat die
Verbindlichkeiten vielmehr erst zu einem Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt, in dem der
Senat mit Beschluss vom 7. März 2022 auf Grundlage des Vorbringens in der
Beschwerdebegründung und -erwiderung eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren
gem. § 68 Abs.2 Satz 3 FamFG angekündigt hat. Hinzu kommt, dass sich der Antragsteller
in seinem Schriftsatz vom 1. April 2022 eine Fristverlängerung zu dem Senatsbeschluss nur
„hinsichtlich des Einigungsvorschlages des Senats zum Zugewinnausgleich“ erbeten und
damit den Eindruck vermittelt hat, nur noch eine Erklärung über die Annahme oder
Nichtannahme des Vergleichsvorschlages abgeben zu wollen, nicht dagegen neuen
Sachvortrag zu halten.
In alledem liegt eine außergewöhnlich grobe prozessuale Nachlässigkeit. In Anbetracht der
Dauer des Verfahrens und der Vielzahl der gewechselten Schriftsätze ist kein Grund
ersichtlich, warum diese Verbindlichkeiten nicht schon früher angeführt worden sind. Eine
Zulassung dieses Vorbringens würde das Verfahren verzögern, weil der Senat der
Antragsgegnerin zunächst rechtliches Gehör gewähren und im Falle des Bestreitens
Zeugenbeweis erheben müsste.
b. Ein Anfangsvermögen zum Zeitpunkt der Eheschließung ist auf Seiten des Antragstellers
nicht in Ansatz zu bringen.
Das Familiengericht hat die von dem Antragsteller vorgetragenen unbelegten Positionen
(Erlös aus Verkauf einer nicht näher bezeichneten Eigentumswohnung; „Abfindung“,
„Ersparnisse“, „Hochzeitsgeschenke“) zu Recht und mit zutreffender Begründung nicht
berücksichtigt, weil es schon an einem substantiierten Vortrag fehlt. Dieser Auffassung
schließt sich der Senat an.
2. Die Antragsgegnerin hat einen Zugewinn in Höhe von 37.000,00 € erzielt.
a. Im Endvermögen sind nur die vereinnahmten Geldbeträge im Zusammenhang mit dem
Verkauf des Mercedes in Ansatz zu bringen. Unstreitig hat die Antragsgegnerin am 26.
Februar 2019 26.000,00 € und am 19. Juli 2019 weitere 11.000,00 € erhalten. Nach
Aktenlage ist von Seiten der Antragsgegnerin zwar bestritten, dass die unstreitig erhaltenen
Beträge zum Stichtag des Ehezeitendes noch vorhanden waren. Allerdings trägt die
Antragsgegnerin als Anspruchsstellerin die Darlegungs- und Beweislast auch für die Höhe
des eigenen Endvermögens (Aktiva und Passiva) (Schulz/Hauß, FamR, 3. Auflage § 1375
Rn. 25). Ihr Vorbringen zum Nichtvorhandensein der unstreitig wenige Monate vor dem
Stichtag erhaltenen Gelder ist unsubstantiiert. Sie hat in beiden Instanzen dargetan, das
Geld sei ursprünglich von ihren Eltern zur Finanzierung des Fahrzeuges geliehen worden
und nach Erhalt wieder an diese zurückgeflossen.
Allerdings hat sie bereits keinen konkreten Vortrag dazu gehalten, wann und auf welche
Weise sie die Beträge an ihre Eltern weitergeleitet haben will. Insbesondere hat sie keine
Überweisungsbelege vorgelegt. Eine etwaige Barzahlung (die auch nicht konkret behauptet
wird) wäre an die in Russland lebende Familie ohne Weiteres nicht möglich. Ein
hinreichend konkreter Vortrag hierzu fehlt.
b. Dem Geldvermögen von 37.000,00 € steht auch nicht eine als Passiva zu
berücksichtigende Darlehensbelastung in gleicher Höhe gegenüber. Zwar hat die
Antragsgegnerin vorgetragen, den vorgenannten Betrag zum Erwerb des hochpreisigen
Fahrzeuges im Wege eines Darlehens von ihren Eltern erhalten zu haben. Doch auch
insoweit ist ihr Vortrag offensichtlich unsubstantiiert. Vortrag zu den genauen Umständen
der Darlehensgewährung und des Erhaltes des Darlehensbetrages fehlt. Schließlich ist die
Antragsgegnerin auch dem Vortrag des Antragstellers, die Eltern der Antragsgegnerin lebten
in Russland in „ärmlichen Verhältnissen“ (Bl. 12 UE), nicht entgegengetreten.
c. In Bezug auf die zeitweise behauptete Darlehensforderung der Antragsgegnerin
gegenüber dem Antragsteller in Höhe von 30.000,00 € steht nach der
Beschwerderücknahme in dem Verfahren 2 UF 181/21 fest, dass diese Forderung nicht
bestanden hat.
d. Ein Anfangsvermögen der Antragsgegnerin hat das Familiengericht zu Recht verneint.
Der Vortrag der Antragsgegnerin, sie sei Eigentümerin einer (nicht näher bezeichneten und
beschriebenen) tschechischen Eigentumswohnung im Wert von 30.000 € gewesen, hat das
Familiengericht zu Recht als unsubstantiiert angesehen. Belege (Grundbuchauszüge,
Notarverträge etc.) wurden nicht vorgelegt. Auch in zweiter Instanz hat die Antragsgegnerin
ihren Vortrag weder konkretisiert noch belegt.
3. Nach alledem übersteigt der Zugewinn des Antragstellers (80.000,00 €) den der
Antragsgegnerin (37.000 €) um 43.000,00 €, sodass sich nach Maßgabe des § 1378 Abs.1
BGB ein Ausgleichsanspruch von 21.500,00 € errechnet.
4. Dem Zugewinnausgleichsanspruch steht auch nicht die Unbilligkeitseinrede des § 1381
Abs.1 BGB entgegen. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die Erfüllung der
Ausgleichsforderung verweigern, soweit der Ausgleich des Zugewinns nach den Umständen
des Falles grob unbillig wäre. Nach allgemeiner Meinung ist eine grobe Unbilligkeit im
Sinne der vorgenannten Norm nur in Ausnahmefällen anzunehmen, nämlich dann, wenn
der rechnerisch bewusst schematisch und pauschalisierend ausgestaltete Zugewinnausgleich
zu einem Ausgleichsanspruch führt, der im Einzelfall dem Gerechtigkeitsempfinden in
unerträglicher Weise widerspricht (anstatt vieler Koch in: Münchener Kommentar,
7. Auflage, § 1381 Rn. 11). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Es reicht
insbesondere nicht aus, dass die Antragsgegnerin einen Auszug aus dem Anwesen des
Antragsgegners verweigert und ihn durch ihr Verhalten am Hauskauf gehindert hat.
Wenngleich diese Verhaltensweisen aus Sicht des Antragstellers wertungsmäßig unbillig
erscheinen mögen, bedarf es zur Auflösung einer etwaigen Unbilligkeit nicht des Rückgriffs
auf § 1381 BGB und damit eines Eingriffs in die Stichtagsberechnung. Die Einrede des
§ 1381 Abs.1 BGB ist nach der Rechtsprechung des Senates (grundlegend Senatsbeschluss
vom 31. August 2018, 2 UF 34/18 =
das die Unbilligkeit begründende Verhalten seinerseits geeignet ist, Zahlungsansprüche
auszulösen (die zur Aufrechnung gestellt werden können). So liegt der Fall hier: Die
Nutzung des Anwesens trotz der Aufforderung zum Auszug kann
Nutzungsentschädigungsansprüche (oder aber zumindest eine unterhaltsrechtliche
Berücksichtigung) zur Folge haben. Etwaige Sabotagehandlungen im Zusammenhang mit
dem Hausverkauf können deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen. Im Falle
einer Bejahung der Einrede des § 1381 BGB würde das Wertungs- und Haftungsregime der
in Betracht kommenden Gegenansprüche unterlaufen, bliebe die Reichweite der Rechtskraft
unklar, bzw. drohte eine nicht gerechtfertigte Doppelberücksichtigung der Verfehlungen
(Senat aaO).
Teil 2: Folgesache Nachscheidungsunterhalt
I.
Die Antragsgegnerin nimmt den Antragsteller auf Zahlung von Nachscheidungsunterhalt in
Anspruch.
Der Antragsteller arbeitet bei der … AG in S… und wohnt in K…. Für die gemeinsame
Tochter zahlt er derzeit Kindesunterhalt in Höhe von 386,00 €
Die Antragsgegnerin hat in Russland ein Diplom in Kinderpsychologie erlangt, ist nicht
berufstätig und erzielte zeitweise geringfügige Einnahmen als Yogalehrerin. Anlässlich der
Pflege ihres schwerbehinderten Sohnes erhält sie monatlich 901,00 € Pflegegeld.
Die Antragsgegnerin hat ihren Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt auf 1.000,00 €
beziffert und ausgeführt, das Pflegegeld sei nicht als Einkommen in Ansatz zu bringen.
Wegen der Betreuung der Kinder könne sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.
Der Antragsteller ist dem Ansinnen entgegengetreten und hat den Befristungseinwand
erhoben.
Das Amtsgericht – Familiengericht Kaiserslautern – hat den Unterhaltsantrag in seiner
Verbundentscheidung vom 24. August 2021 abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, das Pflegegeld sei unterhaltsrechtlich als Einkommen
anzusehen, weil sich die Antragsgegnerin nicht darüber erklärt habe, aus welcher
Rechtsgrundlage sie es beziehe. Darüber hinaus sei sie an einer Erwerbstätigkeit nicht
gehindert, könne nach eigenen Angaben als Yogalehrerin zumindest 1.200,00 € netto
verdienen.
Der Antragsteller verdiene durchschnittlich 3.064,27 € und erhalte Benzingutscheine i.H.v.
40 € je Quartal. Abzuziehen seien Fahrtkosten von 696,67 €. Hiernach habe der
Antragsteller nach Abzug des Kindesunterhaltes ein Einkommen von 2.094,93 €, bzw.
1.885,44 € nach Abzug des Erwerbstätigenbonus. Das (teilweise fiktive) Einkommen der
Antragstellerin betrage nach Abzug pauschaler berufsbedingter Aufwendungen 2.041,00 €,
nach Abzug des Erwerbszehntels 1.927,00 €.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
Sie macht geltend,
das Pflegegeld stehe allein dem behinderten Sohn zu und werde an sie nur als gesetzliche
Vertreterin ausgezahlt. Die Antragsgegnerin könne keiner Berufstätigkeit nachgehen, weil
sie drei Kinder (davon eines mit Schwerbehinderung) zu betreuen habe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses vom 24. August 2021 den Antragsteller zu verpflichten,
an die Antragsgegnerin ab der Rechtskraft der Scheidung eine monatlich im Voraus fällige
Unterhaltsrente in Höhe von 1.000,00 € zu zahlen.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor,
der Vortrag der Antragsgegnerin zu ihren Einkommensverhältnissen sei unsubstantiiert.
Ohne Vorlage aussagekräftiger Unterlagen könne sich die Antragsgegnerin nicht darauf
berufen, kein Pflegegeld zu erhalten. Sofern die Antragsgegnerin über kein Einkommen
verfüge, sei nicht nachvollziehbar, wie sie Auto/Miete und Reisen nach Russland finanziere.
Das behinderte Kind sei in einer Ganztageseinrichtung untergebracht. Die Antragsgegnerin
lege nicht dar, wie sie die Kinder betreue. Nach seinen Erkenntnissen werden alle drei
Kinder in der Schule und in sonstigen Einrichtungen betreut. Auf die
Betreuungsbedürftigkeit der Kinder aus erster Ehe komme es nicht an. Die Antragsgegnerin
lebe seit nunmehr annähernd zwei Jahren in eheähnlicher Gemeinschaft mit einem neuen
Partner, mit dem sie auch einen gemeinsamen Haushalt führe.
II.
Die Beschwerde ist - auch soweit sie sich gegen die abweisende Entscheidung in der
Folgesache Nachscheidungsunterhalt richtet - verfahrensrechtlich bedenkenfrei,
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs.
1 und 3, 64 Abs. 1 und 2, 117 Abs. 1 FamFG). In der Sache erzielt das Rechtsmittel einen
geringen Teilerfolg.
1. Vorab ist klarzustellen, dass es vorliegend um Nachscheidungsunterhaltsansprüche ab 11.
Dezember 2021 geht, weil nach Aktenlage der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung mit
Ablauf des 10. Dezember 2021 (Montag!) eingetreten ist. Die Möglichkeit, den
Scheidungsausspruch durch Anschlussbeschwerde anzufechten, endete nach §§ 117 Abs.2
Satz 1 FamFG, 524 Abs.2 Satz 2 ZPO, 145 Abs.1 FamFG einen Monat nach Zustellung der
Beschwerdebegründung. Die Beschwerdebegründung wurde am 10. November 2021 (zu Bl.
27 eA) zugestellt, die Monatsfrist endete mit Ablauf des 10. Dezember 2021.
2. Der Antragsgegnerin steht aus
Höhe von 1.114,00 € für den Zeitraum vom 11. Dezember 2021 bis 28. Februar 2022 zu.
a. Da die gemeinsame Tochter V…7 Jahre alt ist, scheidet ein Anspruch nach § 1570 Abs.1
BGB aus. Allerdings muss eine Verlängerung der Dauer des Betreuungsunterhaltsanspruchs
aus kindbezogenen Gründen gem.
hierbei, dass es schon nach dem Wortlaut des § 1570 Abs.1 Satz 1 BGB nur auf
gemeinschaftliche Kinder ankommen kann, nicht dagegen um die nicht gemeinsamen
Kinder der Antragsgegnerin aus erster Ehe (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis, 10. Auflage, § 4 Rn. 169, 1232).
In Bezug auf die kindbezogenen Gründe ist der Vortrag der Antragsgegnerin zum
Betreuungserfordernis zwar unzureichend und erschöpft sich in der Behauptung, sie könne
nicht arbeiten, weil sie sich um „die Kinder“ kümmern müsse. Es fehlt indes Vortrag dazu,
wie lange Victoria die Schule besucht (Ganztagsschule?) oder ein außerschulisches
Betreuungsangebot zur Verfügung steht und wahrgenommen wird. Gleichwohl liegen
kindbezogene Gründe schon aufgrund des Alters des Kindes auf der Hand. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Senates (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 3. September 2008,
2 UF 99/08, FD-FamR 2009) ist davon auszugehen, dass ein 7 bis 8-jähriges Kind
altersbedingt noch einer lückenlosen Betreuung und Beaufsichtigung bedarf und selbst beim
Vorhandensein einer Fremdbetreuung zwischen 8.00 und 16.00 Uhr von der betreuenden
Mutter regelmäßig keine vollschichtige Erwerbstätigkeit erwartet werden kann.
Auch elternbezogene Gründe kommen selbst bei ganztägiger außerhäuslicher Betreuung in
Betracht. Das ist etwa dann der Fall, wenn der betreuende Elternteil durch volle
Berufstätigkeit und verbleibende Betreuung und Erziehung überobligationsgemäß belastet
wäre. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, dass am Morgen oder am späten
Nachmittag und Abend regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu
erbringen sind, die je nach dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes in
unterschiedlichem Umfang anfallen können. Die vom Gesetz angeordnete
Billigkeitsabwägung lässt Raum für eine Einbeziehung dieses Umstandes unter dem
Gesichtspunkt einer gerechten Lastenverteilung zwischen unterhaltsberechtigtem und
unterhaltspflichtigem Elternteil im Einzelfall (BGH Urteil vom 18. April 2012, XII ZR
65/10, Rz. 24 m. w. N.).
Da der Antragsgegnerin nach alledem eine vollschichtige Tätigkeit nicht zugemutet werden
kann, steht ihr dem Grunde nach ein Anspruch aus
b. Zu den Berechnungsparametern gilt folgendes:
aa. Einkommen Antragsgegnerin
(1) Die Ausführungen des Erstgerichts zur unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung des
bezogenen Pflegegeldes bedürfen der Korrektur und Klarstellung. Nach Aktenlage ist schon
nicht unklar, auf welcher Rechtsgrundlage der Pflegegeldbezug beruht. Es ist vielmehr nach
dem Vortrag (Leistungen zur Pflege des schwerbehinderten Sohnes) und nach der
Betragshöhe von 901,00 € offensichtlich, dass es hier um Pflegegeld für selbst beschaffte
Pflegehilfen nach § 37 Abs.1 SGB XI geht, das im höchsten Pflegegrad (Pflegegrad 5) gem.
§ 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB XI derzeit 901,00 € beträgt. Grundsätzlich greift in Bezug auf
diese Leistungen die Privilegierung des § 13 Abs.6 Satz 1 SGB XI, wonach das Pflegegeld
grundsätzlich unterhaltsrechtlich unberücksichtigt bleibt. Es liegt allerdings der
Ausnahmefall des § 13 Abs. 6 Satz 2 Nr.2 SGB XI vor. Hiernach gilt die Privilegierung
nicht, wenn von der Pflegeperson (die das Pflegegeld erhält) erwartet werden kann, dass sie
ihren Unterhaltsbedarf ganz oder teilweise durch eigene Einkünfte deckt, und der
Pflegebedürftige mit dem Unterhaltspflichtigen nicht in gerader Linie verwandt ist. Beides
ist hier der Fall: Von der Antragsgegnerin wird erwartet, dass sie ihren Unterhaltsbedarf
zumindest zum Teil aus eigenen Einkünften deckt (s.u.), überdies ist der von ihr gepflegte
Sohn nicht mit dem Antragsteller in gerader Linie verwandt. Letztlich führt diese (Rück)
Ausnahme aber nur dazu, dass das Pflegegeld zu berücksichtigen ist, soweit von ihr
erwartet werden kann, ihren Unterhaltsbedarf ganz oder teilweise durch eigene Einkünfte
zu decken. Kann nach den familienrechtlichen Grundsätzen von ihr die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit erwartet werden, dann ist das an sie weitergeleitete Pflegegeld auf ihren
Unterhaltsanspruch anzurechnen, soweit sie ihrer Erwerbsobliegenheit nicht
nachgekommen ist (Pfitzner, BeckOK: § 13 SGB XI Rn. 24). Die Antragsgegnerin muss
sich damit letztlich nur im Umfang ihrer Erwerbsobliegenheit Erwerbseinkünfte anrechnen
lassen. Der Unterschied gegenüber der bloßen fiktiven Anrechnung besteht nur darin, das
die Einkünfte in Form von Pflegegeld auch tatsächlich zur Verfügung stehen.
Kein Raum ist nach der aufgezeigten gesetzlichen Regelung für die vom Erstgericht
vorgenommene Anrechnung von Pflegegeld neben fiktiven Einkünften. Es ist erkennbar
nicht der Sinn der Regelung, das Pflegegeld voll und zusätzlich zu einem (fiktiven)
Erwerbseinkommen anzurechnen.
(2) Der Antragsgegnerin ist aufgrund des Bedürfnisses des Kindes V… nach persönlicher
Betreuung ein (fiktives) Einkommen im Umfang von 30 Wochenstunden anzurechnen.
Hierbei ist (nochmals) hervorzuheben, dass nur auf das Betreuungsbedürfnis der
gemeinsamen Tochter abgestellt werden kann. Diese wird nach dem unbestrittenen Vortrag
der Antragstellerseite (Bl. 47 eA) ganztägig außerhäuslich betreut. Ein erhöhtes
Betreuungsbedürfnis kann dem knappen Vortrag der Antragsgegnerin nicht entnommen
werden. Daher kann der Antragsgegnerin eine Beschäftigung im Umfang von sechs Stunden
je Werktag zugemutet werden, ohne dass damit eine überobligationsmäßige Belastung
einherginge.
Bei der Stundenlohnhöhe muss berücksichtigt werden, dass die Antragsgegnerin zwar in
Russland ein Diplom in Kinderpsychologie erworben haben soll, das allerdings in
Deutschland nicht anerkannt wird. Tatsächlich soll sie in der Vergangenheit nur
stundenweise als Yogalehrerin in der Sparte „Frischluft-Yoga“ (Bl. 50) tätig gewesen sein,
womit sie nur 200 bis 250,00 € verdient haben will. Anhaltspunkte, dass die Antragsgegner
insbesondere in den Wintermonaten 2021/2022, die noch von coronabedingten
Einschränkungen geprägt waren, höhere Einkünfte als Yogalehrerin erzielt hat, sind nicht
ersichtlich. Ohne (in Deutschland anerkannte) Ausbildung und ohne nennenswerte
Berufserfahrung kann sie nach Lage der Dinge nur ein Einkommen auf Mindestlohn-
Niveau erzielen, das bei entsprechenden Erwerbsbemühungen aber auch realistisch
erscheint. Körperliche Einschränkungen sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Gerechnet wird daher mit einem Stundenlohn von
• 9,60 € für Dezember 2021
• 9,82 € ab Januar 2022.
Hiernach konnte die Antragsgegnerin im Dezember 2021 monatlich 983,00 € netto erzielen.
Ab Januar 2021 ist infolge der Erhöhung des Mindestlohnes von einem erzielbaren
Nettoeinkommen von 1.006,35 € auszugehen.
( 3) Der Vortrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin erhalte noch Zahlungen ihres Ex-
Ehemannes über monatlich 1.500,00 €, ist unsubstantiiert und unerheblich. Einerseits dürfte
es sich um freiwillige Leistungen Dritter (Ziff 8 SüdL) handeln. Andererseits ist – den
Vortrag als wahr unterstellt – schon nicht klar, ob die Leistungen ihrem Zweck nach für die
Antragsgegnerin oder nicht vielmehr für die beiden aus erster Ehe stammenden Kinder
gedacht sind.
bb. Einkommen Antragsteller
(1) Das Familiengericht hat auf den Durchschnitt der dokumentierten Auszahlungsbeträge
im Jahr 2020 Bezug genommen und auf diese Weise ein Durchschnittseinkommen von
3.064,27 € ermittelt. Dagegen haben die Beteiligten keine Einwendungen erhoben, sodass
dieser Wert unstreitig ist. Eine Lohnsteigerung zum Jahreswechsel ist nicht vorgetragen. Da
auf die Auszahlungsbeträge abgestellt wurde, sind in dem genannten Betrag
Altersvorsorgeaufwendungen schon berücksichtigt; auch gegen diese vom Erstgericht
gewählte Verfahrensweise ist nichts vorgebracht worden.
(2) Unstreitig erhält der Antragsteller Tankgutscheine von seinem Arbeitgeber in Höhe von
40,00 € je Quartal (16,67 € je Monat).
(3) Die Fahrtkosten hat das Familiengericht – ausgehend von einer Entfernung von 80 km
(einfach) - errechnet. Diese betragen (30x2x0,3x220/12) + (50x2x0,2x220/12) = 696,67 €.
Für das Jahr 2022 ist dagegen unter Zugrundelegung der geänderten Leitlinien (vgl. 10.2.2
SüdL n.F.) mit 0,42 € (bis 30 Entfernungskilometer) und darüber hinaus mit 0,28 € zu
rechnen. Hieraus ergeben sich Fahrtkosten in Höhe von (30x2x0,42x220/12) +
(50x2x0,28x220/12) = 975,33 €.
(4) Auch soweit das Familiengericht wegen der Steuererstattung für 2019 dem Einkommen
einen Betrag von 1.200,00 € (mithin 100,00 € pro Monat) hinzugerechnet hat (so Anhörung
Bl. 51 AG), wurden hiergegen keine Einwendungen erhoben. Mangels eines
anderslautenden Vortrages ist dieser Wert fortzuschreiben – dies auch vor dem
Hintergrund, dass der Antragsteller schon alleine wegen der Fahrtkosten Steuererstattungen
zu erwarten hat. Den vorgelegten Lohnabrechnungen, die der Einkommensermittlung
dienten, ist zu entnehmen, dass kein Freibetrag eingetragen wurde.
(5) Nach den Feststellungen des Erstgerichts zahlte der Antragsgegner im maßgeblichen
Zeitraum Kindesunterhalt für die gemeinsame Tochter in Höhe von 386,00 €.
cc. Unter Zugrundelegung dieser Parameter errechnet sich für Dezember 2021 ein
unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen der Antragstellerin von 983,21 €, das nach
Abzug von 5 Prozent berufsbedingten Aufwendungen (49,16 €) und dem
Erwerbstätigenbonus 840,64 € beträgt. Das Einkommen des Antragsgegners von 3.064,27 €
zuzüglich 100,00 € Steuererstattung und 13,33 € Benzingutschein beträgt nach Abzug der
berufsbedingten Fahrtkosten (696,67 €), dem gezahlten Kindesunterhalt (386,00 €) sowie
dem Erwerbstätigenbonus 1.885,44 €. Das addierte Einkommen der Beteiligten beträgt
mithin 2.726,08 €, woraus ein Bedarf der Antragstellerin von 1.363,04 € besteht, der in
Höhe von (gerundet) 523,00 € ungedeckt ist. Da der Nachscheidungsunterhalt den
Zeitraum ab 11. Dezember 2021 betrifft, kann die Antragsgegnerin für diesen Monat nur
(gerundet) 338,00 € verlangen.
Ab Januar verringert sich der Unterhaltsanspruch aufgrund des höheren (fiktiven)
Einkommens der Antragsgegnerin sowie aufgrund der höheren Fahrtkosten des
Antragstellers (s.o.) auf monatlich 388,00 €. Vom Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung
bis zum 28. Februar 2022 schuldet der Antragsteller daher insgesamt (338,00 + 388,00 +
388,00) =1.114,00 € Nachscheidungsunterhalt.
c. Für den Zeitraum ab März 2022 kommt ein Nachscheidungsunterhalt der
Antragsgegnerin dagegen nicht mehr in Betracht. Vielmehr ist ihr gem.
der Unterhaltsanspruch zu versagen, weil sie in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt.
Hierfür ist eine eheähnliche Gemeinschaft oder zumindest eine auf Dauer angelegte
Partnerschaft erforderlich. Gemeinhin wird verlangt, dass die Verbindung zumindest 2
Jahre andauert (BGH
Der Antragsteller hat bereits in der Beschwerdeerwiderung vorgebracht, dass die
Antragsgegnerin mit ihrem neuen Lebenspartner „annähernd 2 Jahre“ (Bl. 48 eA)
zusammenlebt und einen gemeinsamen Haushalt führt. Dies hat die Antragsgegnerin nur
unzureichend bestritten. Dem inzwischen vorgelegten Vermerk der nichtöffentlichen
Sitzung vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Rockenhausen vom 17. Februar 2022
(Verfahren 3 F 44/22) kann entnommen werden, dass die Antragsgegnerin die Beziehung
eingeräumt hat. Konkret hat sie dort im Rahmen der Anhörung angegeben, sie habe seit
zwei Jahren einen Lebensgefährten, der zwar in F… wohne, bei dem sie sich aber häufig
aufhalte. Man baue derzeit zusammen ein barrierefreies Haus in I…Das Grundstück habe
ihr Freund gekauft. Ihre detailreiche Schilderung im Parallelverfahren, die sich mit dem
(zuvor unkommentierten) Vortrag des Antragstellers deckt, kann die Antragsgegnerin auch
nicht alleine mit dem Verweis auf Sprachschwierigkeiten in Abrede stellen. Dies gilt umso
mehr vor dem Hintergrund, dass sie beim Anhörungstermin anwaltlich vertreten war und
davon auszugehen ist, dass ihr bevollmächtigter Rechtsanwalt im Falle eines sprachlichen
Missverständnisses interveniert hätte. Überdies verweist der Senat auf das
Vernehmungsprotokoll der Polizeiinspektion Kaiserslautern vom 14. März 2020 (Bl. 57
GÜ), in dem der Zeuge F… bereits als Lebensgefährte der Antragsgegnerin bezeichnet
wird.
In Anbetracht der Angaben der Antragsgegnerin ist auch davon auszugehen, dass sich die
Beziehung jedenfalls ab März 2022 nicht mehr in der Gründungs- und Orientierungsphase
befindet, sondern sehr wohl verfestigt ist. Aus dem geplanten Bau eines Hauses, das auf die
besonderen Anforderungen des behinderten Kindes der Antragsgegnerin zugeschnitten sein
soll, kann auf eine gemeinsame Lebensplanung, eine wirtschaftliche Verflechtung und eine
wechselseitige Abhängigkeit geschlossen werden (hierzu juris-Kommentar-Hollinger,
9. Auflage § 1579 Rn. 46). Hiermit wurde mit dem Erwerb eines Grundstückes zumindest
begonnen. Dass dieses Vorhaben nach der Darstellung der Antragsgegnerin inzwischen
aufgrund der Steigerung der Handwerkerkosten zurückgestellt (möglicherweise auch ganz
aufgegeben) worden sein soll, steht dem nicht entgegen. Unerheblich ist bei alledem auch,
ob der neue Partner noch verheiratet ist (Münchener Kommentar, 8. Auflage, § 1579 Rn.
32). Es ist jedenfalls seit Ende Februar 2022 eine Verfestigung der neuen Beziehung
eingetreten, die aus Sicht des Antragstellers eine weitere Zahlung von
Nachscheidungsunterhalt als grob unbillig erscheinen lässt.
Kindesbelange stehen insoweit nicht entgegen. Der Antragsteller zahlt unstreitig fortlaufend
Kindesunterhalt. Das Existenzminimum der Antragsgegnerin ist durch die bezogenen
Pflegeleistungen zuzüglich geringfügiger Nebeneinkünften (Yoga) gesichert.
Teil 3: Prozessuale Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung folgt aus § 150 Abs. 4 FamFG. Der Senat orientiert sich in
Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens an dem Verhältnis von Obsiegen und
Unterliegen.
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs.2
FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes hat ihre Grundlage in den §§ 35, 51 Abs.1,
33 Abs.1 Satz 1, 40 FamGKG.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Zweibrücken
Erscheinungsdatum:16.05.2022
Aktenzeichen:2 UF 184/21
Rechtsgebiete:
Ehegatten- und Scheidungsunterhalt
Allgemeines Schuldrecht
Eheliches Güterrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 242, 1378, 1570, 1579 Nr. 2