BGH 13. Dezember 2019
V ZR 152/18
BGB §§ 823 Abs. 2, 1004; BauO BE § 30

Quasinegatorischer Beseitigungsanspruch bei nachbarrechtswidrigem Gebäudezustand

letzte Aktualisierung: 30.04.2020
BGH, Urt. v. 13.12.2019 – V ZR 152/18

BGB §§ 823 Abs. 2, 1004; BauO BE § 30
Quasinegatorischer Beseitigungsanspruch bei nachbarrechtswidrigem Gebäudezustand

1. Beantragen die Parteien einvernehmlich die Verlegung eines Verkündungstermins, weil sie
ernsthafte Vergleichsgespräche führen wollen, ist regelmäßig ein erheblicher Grund im Sinne von
§ 227 Abs. 1 ZPO gegeben; das Gericht darf bei dieser Sachlage jedenfalls keine Endentscheidung
verkünden, sondern es muss den Termin verlegen und den Parteien zumindest Gelegenheit geben,
gemäß § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens zu beantragen.
2a. Steht der Zustand eines Gebäudes im Widerspruch zu nachbarschützenden Vorschriften des
Bauordnungsrechts (hier: fehlende Brandwand), kann der Nachbar mit dem quasinegatorischen
Beseitigungsanspruch die Beseitigung der Störung verlangen; der Grundstückseigentümer, der einen
solchen Zustand seines Gebäudes aufrechterhält, ist ohne weiteres als Zustandsstörer anzusehen.
2b. Für den quasinegatorischen Beseitigungsanspruch bedarf es keiner über die Verletzung des
Schutzgesetzes hinausgehenden Beeinträchtigung des Nachbarn; der Zustand des Gebäudes muss
nicht konkret „gefahrenträchtig“ sein, wenn das Schutzgesetz dies nicht verlangt (Klarstellung zu
Senat, Urteil vom 22. September 2000 – V ZR 443/99, NZM 2001, 396, 397).
3. Widerspricht ein Gebäude nachbarschützenden Brandschutzvorschriften, kann dessen
Eigentümer die von dem Nachbarn beanspruchte Störungsbeseitigung nicht gemäß § 275 Abs. 2
BGB verweigern, weil selbst ein hoher finanzieller Aufwand nicht in einem groben Missverhältnis zu
dem Leistungsinteresse des Nachbarn steht.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage für unbegründet. Der mit dem Klageantrag
zu 1 geltend gemachte Beseitigungsanspruch sei nicht gegeben. Zwar
verfüge das nunmehr selbständige Grundstück der Beklagten nicht über die
gemäß § 30 BauO Berlin aus Brandschutzgründen erforderliche Gebäudeabschlusswand,
und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reiche es
für den Beseitigungsanspruch aus, dass eine drittschützende Vorschrift des
Bauordnungsrechts verletzt sei; um eine solche Norm mit drittschützender Wirkung
handele es sich bei § 30 BauO Berlin zweifellos. Die Beklagte sei jedoch
nicht als Störerin anzusehen. Die Haftung als Zustandsstörerin erfordere eine
wertende Betrachtung und komme nur in Betracht, wenn tatsächlich ein gefahrenträchtiger
Zustand des Gebäudes vorliege; eine rein formale, von der Beklagten
nicht herbeigeführte Baurechtswidrigkeit reiche nicht aus. An einem solchen
gefahrenträchtigen Zustand fehle es, weil nicht davon ausgegangen werden
könne, dass der Brandschutz unzureichend sei. Die Darlegungs- und Beweislast
trage insoweit die Klägerin; sie habe keine konkreten Anknüpfungstatsachen
für eine Gefahr dargelegt.

Auch der mit dem Klageantrag zu 2 verfolgte Anspruch auf Unterlassung
von Lärmimmissionen bestehe nicht. Richtig sei zwar, dass sich für
Immissionsorte innerhalb von Gebäuden aus Ziff. 6.2 der TA Lärm und Ziff. 4.2
der Freizeitlärmrichtlinie für - hier gegebene - betriebsfremde schutzbedürftige
Räume nach DIN 4109 (1989) ein Richtwert von 35 dB(A) tagsüber ergebe.
Dieser Richtwert werde durch die Musikveranstaltungen der Beklagten erheblich
überschritten. Die von dem Grundstück der Beklagten ausgehenden Lärmimmissionen
stellten sich aber dennoch als unwesentlich dar. Entscheidend sei
nämlich die Dauer und Häufigkeit von Geräuschen. Eine Nutzung von Büroräumen
erfolge während der nur an Wochenenden und Feiertagen ab 22 Uhr
stattfindenden Musikveranstaltungen üblicherweise nicht. Sollte dies einmal der
Fall sein, müsse bedacht werden, dass die Klägerin ihr Gebäude in Kenntnis
der benachbarten Diskothek erworben habe. Sie treffe daher eine Mitverantwortung
für die vorhersehbare Konfliktlage. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht überwögen
die schützenswerten Belange der Beklagten. Diese sei wesentlich stärker
auf den Standort angewiesen als die Klägerin bei der Errichtung ihrer Atelierlofts,
zumal deren Vermietung ausnahmslos gelungen sei. Aus dem nachbarlichen
Gemeinschaftsverhältnis ergebe sich die Verpflichtung der Klägerin,
Gewerbemieter auszuwählen, die sich an den nächtlichen Geräuschimmissionen
nicht störten.

II.
Die Revision hat Erfolg.

1. Im Ergebnis ist das Urteil nicht bereits aufgrund der von der Revision
erhobenen Verfahrensrüge aufzuheben.

a) Allerdings rügt die Revision im Ausgangspunkt zu Recht, dass das Berufungsgericht
verpflichtet war, dem Antrag der Parteien auf Verlegung des
Verkündungstermins stattzugeben. Gestützt hat das Berufungsgericht seine
gegenteilige Ansicht auf die Überlegung, dass ein Grund für die Verlegung des
Verkündungstermins angesichts des langen Zeitraums, der den Parteien für
Vergleichsverhandlungen zur Verfügung gestanden habe, und der für das Gericht
ungewissen Erfolgsaussichten nicht bestehe; den Parteien werde nahegelegt,
ihre Einigungsbemühungen in dem anhängigen Verwaltungsgerichtsverfahren
fortzusetzen. Diese Vorgehensweise ist verfahrensfehlerhaft.

aa) Anerkannt ist, dass das Gericht eine vorbereitete Entscheidung nicht
(mehr) verkünden darf, wenn die Parteien unmittelbar vor dem Termin eine außergerichtliche
Einigung bekannt geben (vgl. OLG Karlsruhe, OLGR 2009,
528 f.; OLG Koblenz, NJW-RR 2009, 358 f.). Dies wird einerseits aus der Dispositionsmaxime
und andererseits aus der Verpflichtung des Gerichts zur Förderung
einer gütlichen Streitbeilegung (§ 278 Abs. 1 ZPO) hergeleitet.

bb) Eine Einigung war hier noch nicht erzielt worden. Daher stellt sich
die Frage, ob der Termin verlegt werden musste, um die angekündigten Vergleichsgespräche
zu ermöglichen.

(1) Im Grundsatz kann ein Termin - also auch ein Verkündungstermin -
nur aus erheblichen Gründen verlegt werden (§ 227 ZPO). Das Einvernehmen
der Parteien allein ist kein erheblicher Grund (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO).
Ein solcher liegt nach überwiegender und zutreffender Ansicht aber dann vor,
wenn die Parteien einvernehmlich die Verlegung beantragen, weil sie ernsthafte
Vergleichsverhandlungen führen wollen (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO,
23. Aufl., § 227 Rn. 19; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 15. Aufl., § 227 Rn. 8;
MüKoZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 227 ZPO Rn. 9 a.E.; PG/Kazele, ZPO,
11. Aufl., § 227 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 227 Rn. 19;
aA Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 227 Rn. 7: nur Aussetzungsantrag gemäß
§ 251 ZPO möglich). Ist ein erheblicher Grund gegeben, liegt die Entscheidung
über die Verlegung grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts
(vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2008 - VI ZR 317/07, NJW 2009, 687
Rn. 8). Das Gericht ist aber jedenfalls dann verpflichtet, dem Antrag stattzugeben,
wenn die Wahrung des rechtlichen Gehörs die Terminsverlegung gebietet
(so BGH, Beschluss vom 7. Juni 2010 - II ZR 233/09, NJW 2010, 2440 Rn. 9;
BVerwG, NJW 1995, 1441; BSG, NJW 1992, 1190 f.; für generelle Verlegungspflicht
bei Vorliegen eines erheblichen Grundes BGH, Urteil vom
15. November 2007 - RiZ (R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 31; Urteil vom 24. Januar
2019 - VII ZR 123/18, NJW-RR 2019, 695 Rn. 22; BSG, NJW 1996,
677, 678; MüKoZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 227 ZPO Rn. 5; Zöller/Feskorn,
ZPO, 33. Aufl., § 227 Rn. 8a; PG/Kazele, ZPO, 11. Aufl., § 227 Rn. 4; kritisch
dazu Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 227 Rn. 4 unter Hinweis auf die uneinheitliche
Rechtsprechung).

(2) Hier war das Berufungsgericht zur Verlegung des Verkündungstermins
verpflichtet.

(a) Beantragen die Parteien einvernehmlich die Verlegung eines Verkündungstermins,
weil sie ernsthaft Vergleichsgespräche führen wollen, ist regelmäßig
ein erheblicher Grund im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO gegeben; das
Gericht darf bei dieser Sachlage jedenfalls keine Endentscheidung verkünden,
sondern es muss den Termin verlegen und den Parteien zumindest Gelegenheit
geben, gemäß § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens zu beantragen.
(aa) Zunächst entspricht dies der Dispositionsmaxime als tragendem
Verfahrensgrundsatz des deutschen Zivilprozessrechts. Danach steht das Verfügungsrecht
über den Prozess im Ganzen den Parteien zu. Sie bestimmen
über den Beginn des Verfahrens, seinen Umfang und seine Beendigung (vgl.
Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., vor § 128 Rn. 9).

(bb) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber der Beendigung des Streitverfahrens
durch einen Vergleich besondere Bedeutung beigemessen. Gemäß
§ 278 Abs. 1 ZPO soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens - also auch
noch kurz vor der Verkündung eines bereits abgefassten Urteils - auf eine gütliche
Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein.
Dieses Ziel darf nicht allein unter dem Gesichtspunkt einer Entlastung des Gerichts
gesehen werden. Gesetzgeberisches Motiv war vielmehr auch die Erkenntnis,
dass eine gütliche Einigung zwischen den Parteien dem Rechtsfrieden
nachhaltiger dienen kann als eine streitige Entscheidung (BT-Drucks.
14/4722 S. 62; vgl. auch OLG Karlsruhe, OLGR 2009, 528 f.).

(cc) Daraus folgt, dass das Gericht in einer solchen Verfahrenslage jedenfalls
keine Endentscheidung verkünden darf, sondern dass es den Termin
verlegen und den Parteien zumindest Gelegenheit geben muss, gemäß § 251
ZPO das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. Anerkannt worden ist eine
Pflicht des Gerichts zur Verlegung von Terminen zwar - wie oben Rn. 10 ausgeführt
- bislang vor allem zwecks Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Aber auch der Dispositionsbefugnis der Parteien und dem Vorrang der
gütlichen Streitbeilegung muss das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung
gerecht werden, und es darf eine endgültige Entscheidung nicht gegen den
erklärten Willen einigungswilliger Parteien treffen. Das bedeutet nicht, dass es
den Verkündungstermin weiträumig verlegen muss. Den Parteien muss lediglich
Zeit eingeräumt werden, damit sie das Ruhen des Verfahrens gemäß § 251
ZPO beantragen können; weil eine dahingehende Anordnung wegen der
schwebenden Vergleichsverhandlungen auch bei Entscheidungsreife zweckmäßig
im Sinne dieser Norm wäre (vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 16. Aufl.,
§ 251 Rn. 3; HK-ZPO/Wöstmann, 8. Aufl., § 251 Rn. 3; Wieczorek/
Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 227 Rn. 4), müsste das Gericht einem
solchen einvernehmlichen Antrag entsprechen (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2011,
624).

(dd) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung folgt aus § 310
Abs. 1 ZPO nichts anderes. Nach dieser Bestimmung wird ein Verkündungstermin
nur dann über drei Wochen hinaus angesetzt, wenn wichtige Gründe,
insbesondere der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache, dies erfordern.
Wie das Wort „insbesondere“ zeigt, können auch andere als die ausdrücklich
genannten Gründe als wichtig anzusehen sein (vgl. auch BVerfG, NJW-RR
1993, 253). Das ernsthafte Führen von Vergleichsgesprächen kann einen solchen
wichtigen Grund darstellen und die Verschiebung eines Verkündungstermins
rechtfertigen.

(b) Nach alledem war das Berufungsgericht hier verpflichtet, den Termin
zu verlegen und den Parteien Gelegenheit zu geben, jeweils das Ruhen des
Verfahrens gemäß § 251 ZPO zu beantragen. Zweifel an ernsthaften Vergleichsbemühungen
konnte das Berufungsgericht zwar deshalb hegen, weil die
Parteien die mehrmonatige Frist nicht - wie zuvor in dem Verhandlungstermin
besprochen - zur Führung von Vergleichsgesprächen genutzt hatten. Diese
Zweifel waren aber dadurch ausgeräumt worden, dass die Beklagte einen de-
taillierten Vorschlag für eine Einigung unterbreitet und die Klägerin erklärt hatte,
auf dieser Grundlage in Vergleichsgespräche eintreten zu wollen. Dass der
Erfolg dieser Gespräche noch ungewiss war, mag zutreffen; das ändert aber
nichts daran, dass ein Zivilprozess der Disposition der Parteien unterliegt und
zuvörderst deren Interessen dient.

b) Dieser Verfahrensfehler verhilft der Revision aber für sich genommen
nicht zum Erfolg, weil er prozessual überholt ist. Denn ein wesentlicher Grund
für die Vergleichsbereitschaft der Parteien besteht regelmäßig darin, dass der
Ausgang des gerichtlichen Verfahrens ungewiss und für beide Parteien mit Risiken
behaftet ist. Mit der Verkündung der streitigen Endentscheidung und der
Bekanntgabe der Erwägungen des Gerichts entfällt dieser Beweggrund; eine
Aufhebung der Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz und Zurückverweisung
der Sache könnte daran nichts ändern. Soweit es noch andere Beweggründe
für eine gütliche Einigung gibt, hindert die Verkündung der Endentscheidung
die Parteien nicht an einem anschließenden Vergleichsschluss; dann könnten
die mit dem Urteil einhergehenden Mehrkosten ggf. gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1
GKG niedergeschlagen werden, weil sie (nur) in diesem Fall auf dem Verfahrensfehler
beruhen können (vgl. dazu OLG Karlsruhe, OLGR 2009, 528 f.; OLG
Koblenz, NJW-RR 2009, 358 f.). Zu einem solchen Vergleich ist es hier jedoch
gerade nicht gekommen; deshalb ist die angefochtene Entscheidung einer
Sachprüfung zu unterziehen.

2. In der Sache hält das Berufungsurteil rechtlicher Überprüfung nicht
stand.

a) Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht den mit dem Klageantrag
zu 1 geltend gemachten Anspruch auf Beseitigung des aus dem Fehlen der
gemäß § 30 BauO Berlin erforderlichen Brandwand herrührenden bauordnungsrechtswidrigen
Zustands.

aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst von der ständigen
Rechtsprechung des Senats aus, wonach die Verletzung nachbarschützender
Bauvorschriften sowohl einen auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch
als auch einen (quasinegatorischen) verschuldensunabhängigen
Beseitigungsanspruch des Nachbarn gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog
i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB begründen kann (vgl. Senat, Urteil vom 21. Dezember
1973 - V ZR 107/72, WM 1974, 572, 573; Urteil vom 28. Juni 1985 -
V ZR 43/84, NJW 1985, 2825, 2826; Urteil vom 29. April 2011 - V ZR 174/10,
NZM 2013, 244 Rn. 17; zu dem quasinegatorischen Unterlassungsanspruch
bei Lärmimmissionen Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92,
BGHZ 122, 1, 6 ff.). Die dagegen von der Revisionserwiderung erhobenen
Einwände sind nicht neu und geben keinen Anlass, von der gefestigten höchstrichterlichen
Rechtsprechung abzurücken. Diese hat ihren gedanklichen Ausgangspunkt
in der Überlegung, dass jeder, der unter Verstoß gegen ein den
Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes fremde Rechtsgüter beeinträchtigt,
grundsätzlich dazu verpflichtet ist, diese Beeinträchtigung für die Zukunft
zu beseitigen, und zwar unabhängig von einem Vertretenmüssen im Sinne
des § 276 Abs. 1 BGB. Diesen zunächst für den Bereich des Ehrschutzes
entwickelten Grundsatz hat der Senat aus guten Gründen auf das Nachbarrecht
ausgedehnt. Andernfalls müsste nämlich ein Grundstückseigentümer,
dessen Interessen durch ein an den Nachbarn gerichtetes Ge- oder Verbot des
Baurechts geschützt werden sollen, eine fortdauernde Beeinträchtigung dieser
Interessen allein deshalb hinnehmen, weil der Nachbar die Setzung der Ursache
der Beeinträchtigung nicht zu vertreten hat (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil
vom 21. Dezember 1973 - V ZR 107/72, WM 1974, 572, 573). Die Rechtswid-
rigkeit der Beeinträchtigung wird durch die Schutzgesetzverletzung indiziert
(vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 6); begrenzt
wird der Anspruch seit der Schuldrechtsmodernisierung ggf. durch § 275
BGB (vgl. Senat, Urteil vom 30. Mai 2008 - V ZR 184/07, NJW 2008, 3122
Rn. 17; Urteil vom 23. Oktober 2009 - V ZR 141/08, NJW-RR 2010, 315
Rn. 14 f.). Neben diesen Voraussetzungen müssen nicht - wie die Revisionserwiderung
meint - zusätzlich diejenigen nachbarrechtlicher Ansprüche gemäß
§ 907 BGB oder § 908 BGB vorliegen; denn es handelt sich jeweils um selbständige
Ansprüche mit eigenen Voraussetzungen, die auch inhaltlich verschieden
sein können (vgl. zum Verhältnis zu einem Anspruch gemäß § 1004
i.V.m. § 906 BGB Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ
122, 1, 7 f.; zum Verhältnis zu § 907 BGB und § 908 BGB
vgl. MüKoBGB/Brückner, 8. Aufl., § 907 Rn. 2, § 908 Rn. 1).

Steht der Zustand eines Gebäudes im Widerspruch zu nachbarschützenden
Vorschriften des Bauordnungsrechts, kann der Nachbar infolgedessen
mit dem quasinegatorischen Beseitigungsanspruch die Beseitigung der Störung
verlangen. Im Ergebnis wird dem Nachbarn damit die Möglichkeit eröffnet,
auch auf zivilrechtlichem Wege die Einhaltung drittschützender Normen des
öffentlichen Rechts zu erzwingen. Ohne Erfolg wendet die Revisionserwiderung
ein, dass hierdurch öffentlich-rechtliche Normen in einem Zivilprozess zu
prüfen sind. Das ist zwar richtig. Aber diese Konsequenz ist unmittelbar in §
823 Abs. 2 BGB angelegt und für den Fall einer Schadensersatzforderung unbestritten
(vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92,
BGHZ 122, 1, 6 ff.). Da der zivilrechtliche quasinegatorische Beseitigungsanspruch
selbständig neben etwaigen öffentlich-rechtlichen Ansprüchen steht,
kann der Nachbar sowohl vor den Verwaltungsgerichten als auch vor den Zivilgerichten
um Rechtsschutz nachsuchen. Deshalb fehlt der Klägerin entgegen
der in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis
für die zivilrechtlichen Klageanträge (vgl. Saller in Grziwotz/
Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl., Teil 1 Rn. 85 ff. mwN).

bb) Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht weiter davon aus, dass
die in § 30 BauO Berlin enthaltene Regelung über Brandwände als Gebäudeabschlusswände
der Ausbreitung von Bränden vorbeugen soll und deshalb
nachbarschützende Wirkung hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.
Dezember 2011 - OVG 10 B 6.11, juris Rn. 36 mwN), und dass nach den dort
näher geregelten Voraussetzungen das Gebäude der Beklagten seit der
Grundstücksteilung eine (eigene) Gebäudeabschlusswand als Brandwand aufweisen
müsste, eine solche jedoch fehlt (vgl. VG Berlin, Urteil vom
18. Dezember 2018 - 19 K 224.16, juris Rn. 61 ff.; eingehend zu der Parallelvorschrift
des § 26 Abs. 2 Nr. 2 BauO Brdb. in der bis zum 30. Juni 2016 geltenden
Fassung OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ-RR 2016, 407 Rn. 4 mwN).
Diese Würdigung nimmt auch die Beklagte hin. Die auf dem Grundstück der
Klägerin vorhandene Brandwand reicht als Gebäudeabschlusswand für das
Gebäude der Beklagten nicht aus. Das ergibt sich schon daraus, dass gemäß
§ 12 Abs. 2 BauO Berlin die Verwendung gemeinsamer Bauteile für mehrere
bauliche Anlagen nur dann zulässig ist, wenn öffentlich-rechtlich gesichert ist,
dass die gemeinsamen Bauteile bei der Beseitigung einer der baulichen Anlagen
bestehen bleiben können. An einer solchen Sicherung fehlt es, nachdem
die Klägerin die Eintragung einer Baulast nicht bewilligt hat; mit der Brandwand
der Klägerin kann die Beklagte die ihr obliegenden Brandschutzpflichten nicht
erfüllen (vgl. VG Berlin, Urteil vom 18. Dezember 2018 - 19 K 224.16, juris
Rn. 78). Auf die Tatbestandswirkung der nachträglich erteilten Baugenehmigung
(vgl. dazu Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 5 f.; Saller in Grziwotz/Lüke/Saller,
Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl., Teil 1 Rn. 100 f.) kann die Beklagte
sich nicht berufen, weil die Genehmigung bislang nicht bestandskräftig geworden ist.

cc) Keinen Bestand haben kann dagegen die weitere Annahme des Berufungsgerichts,
die Störereigenschaft der Beklagten sei in wertender Betrachtung
zu verneinen, weil eine „rein formale, von der Beklagten nicht herbeigeführte
Baurechtswidrigkeit“ hierfür nicht ausreiche. Das verkennt die Reichweite
und Wirkung von nachbarschützenden Normen des öffentlichen Rechts. Zustandsstörer
ist derjenige, der die Beeinträchtigung zwar nicht verursacht hat,
durch dessen maßgebenden Willen der beeinträchtigende Zustand aber aufrechterhalten
wird. Diese Voraussetzungen sind gegeben.

(1) Notwendig ist zunächst, dass der Inanspruchgenommene die Quelle
der Störung beherrscht, also die Möglichkeit zu deren Beseitigung hat (vgl. Senat,
Urteil vom 1. Dezember 2006 - V ZR 112/06, NJW 2007, 432 Rn. 13). Das
ist der Fall, weil die Beklagte als Eigentümerin des Gebäudes, dessen baulicher
Zustand dem Eigentumsrecht der Klägerin widerspricht, in der Lage ist,
die Beeinträchtigung zu beseitigen.

(2) Darüber hinaus muss dem Inanspruchgenommenen die Beeinträchtigung
zurechenbar sein.

(a) Das erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die
Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder
Besitzers der störenden Sache zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich,
sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden.
Entscheidend ist, ob es Sachgründe dafür gibt, dem Eigentümer oder Nutzer
der störenden Sache die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen
(Senat, Urteil vom 1. Dezember 2006 - V ZR 112/06, NJW 2007, 432 Rn. 14;
Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 14; Urteil
vom 14. November 2014 - V ZR 118/13, NZM 2015, 256 Rn. 14 f., jeweils mwN).

(b) Solche Sachgründe sind stets gegeben, wenn der Zustand des
Grundstücks gegen ein Schutzgesetz verstößt. Ein Grundstückseigentümer,
der einen mit nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts unvereinbaren
Zustand seines Gebäudes aufrechterhält, ist ohne weiteres als Zustandsstörer
anzusehen. Für den quasinegatorischen Beseitigungsanspruch
bedarf es keiner über die Verletzung des Schutzgesetzes hinausgehenden Beeinträchtigung
des Nachbarn; der Zustand des Gebäudes muss nicht konkret
„gefahrenträchtig“ sein, wenn das Schutzgesetz dies nicht verlangt (vgl. OLG
Karlsruhe, NJW-RR 1993, 665, 666 unter I.1; Saller in Grziwotz/Lüke/Saller,
Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl., Teil 1 Rn. 96). Denn Schutzgesetze im
Sinne von § 823 Abs. 2 BGB verlagern den Schutz des Nachbarn vor und
knüpfen gerade nicht an einen Verletzungserfolg an (vgl. Senat, Urteil vom
26. Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 6). So schützen etwa Abstandsvorschriften
die Interessen des Nachbarn abstrakt, weshalb ihre Einhaltung
ohne weiteres verlangt werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 11. Oktober 1996 -
V ZR 3/96, NJW-RR 1997, 16, 17 a.E.; Urteil vom 29. April 2011 - V ZR 174/10,
NVwZ 2011, 1148 Rn. 19). Brandschutzvorschriften wie § 30 BauO Berlin legen
fest, in welchen Fällen aufgrund brandschutztechnischer Erfahrungen
Brandwände anzuordnen und wie diese auszubilden sind (vgl. OVG Berlin-
Brandenburg, NVwZ-RR 2016, 407 Rn. 4 mwN). Steht der Zustand eines Ge-
bäudes - wie hier - im Widerspruch zu solchen nachbarschützenden Brandschutzvorschriften,
kann der Nachbar mit dem quasinegatorischen Beseitigungsanspruch
die Beseitigung dieses Zustands verlangen, ohne dass darüber
hinaus zu prüfen ist, ob sich das Gebäude in einem gefahrenträchtigen Zustand
befindet. Nichts anderes ergibt sich aus dem von den Vorinstanzen herangezogenen
Urteil des Senats vom 22. September 2000 (V ZR 443/99, NZM
2001, 396, 397). Dort ging es nicht um den quasinegatorischen Beseitigungsanspruch,
bei dem die Zurechnung aus dem pflichtwidrig aufrechterhaltenen
Zustand des Grundstücks folgt.

(c) Im Kern geht es dem Berufungsgericht auch um etwas anderes. Es
lässt sich nämlich vor allem von der Überlegung leiten, dass die vorhandene
Brandwand auf dem Grundstück der Klägerin ausreichend wäre, wenn die
Grundstücksteilung unterblieben wäre, und meint deshalb, dass es sich nur um
eine „formale“ Baurechtswidrigkeit handele, weil ein Brandüberschlag nicht
ernsthaft drohe. Das betrifft aber nicht die Zurechenbarkeit im Rahmen der Zustandsstörerhaftung,
sondern die Auslegung von § 30 BauO Berlin. Da - wie
ausgeführt (vgl. oben Rn. 23) - nach dieser nachbarschützenden Norm eine
Gebäudeabschlusswand erforderlich ist, kann die Klägerin die Beseitigung des
bestehenden, von der Beklagten aufrechterhaltenen Zustands verlangen.

(3) Schließlich ist der Einwand der Revisionserwiderung, die Beklagte
werde der Sache nach zur Herstellung einer Brandwand verpflichtet, und das
könne nicht Inhalt eines Beseitigungsanspruchs sein, schon im Ansatz unzutreffend.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich auf die Beseitigung des dem
Bauordnungsrecht widersprechenden Zustands, zu der auch der Zustandsstörer
verpflichtet sein kann (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 -
V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 14). Wie die Beklagte die Beseitigung
vornimmt, ist ihr überlassen; dass sie nicht umhinkommen wird, Handlungen
vorzunehmen, ändert nichts daran, dass das Begehren aus der insoweit maßgeblichen
Sicht der Klägerin auf Störungsbeseitigung gerichtet ist.

b) Auch die Abweisung des mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachten
Anspruchs gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 906 BGB kann keinen
Bestand haben. Danach soll die Beklagte durch geeignete Maßnahmen sicherstellen,
dass das Grundstück der Klägerin nicht durch von dem Betrieb der Diskothek
„J. -Club“ ausgehende Geräuschimmissionen beeinträchtigt wird, die
in den Räumlichkeiten der Klägerin einen Beurteilungspegel von 35 dB(A)
überschreiten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der in dem
wörtlichen Klageantrag enthaltenen Formulierung „insbesondere“ bei verständiger
Würdigung nicht entnommen werden, dass die Klägerin mit dem
vorangestellten Satz einen darüber hinausgehenden Schallschutz verlangt;
vielmehr hat sie mit dem nachgestellten Satz die erforderliche Präzisierung
ihres Anliegens vorgenommen. Ob Geräuschimmissionen die Benutzung eines
Nachbargrundstücks wesentlich beeinträchtigen oder nicht, ist zunächst eine
Tatfrage. Revisionsrechtlich nachprüfbar ist, ob das Berufungsgericht die
nötigen Tatsachenfeststellungen verfahrensfehlerfrei getroffen und bei ihrer
Würdigung die zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat
(Senat, Urteil vom 5. Februar 1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248, 252 mwN).

aa) Im Ausgangspunkt legt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zugrunde,
dass die Räume der Klägerin als schutzwürdige Räume im Sinne der
DIN 4109/1989 einzuordnen sind. Es geht weiter davon aus, dass der gemäß
Nr. 6.2 der TA-Lärm und Nr. 4.2 der LAI-Freizeitlärmrichtlinie für solche Räume
in Gewerbeeinheiten maßgebliche Tagesrichtwert von 35 dB(A) deutlich überschritten
wird. Nach dem in Bezug genommenen, von der Klägerin vorgelegten
Messbericht werden im Erdgeschoss 58 dB(A) und im ersten Obergeschoss
49 dB(A) erreicht. Die für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung darlegungs-
und beweispflichtige Beklagte habe, so führt das Berufungsgericht aus,
die von der Klägerin vorgelegten Messungen nicht mit Substanz bestritten. Von
diesen tatrichterlichen Feststellungen hat der Senat auszugehen; eine Gegenrüge
hat die Beklagte nicht erhoben.

bb) Die danach zugrunde zu legende Lärmbeeinträchtigung sieht das
Berufungsgericht deshalb als unwesentlich an, weil der Lärm nachts ab 22 Uhr
und am Wochenende stattfinde und die Mieter der Klägerin daher nur in Ausnahmefällen
störe, und weil die Klägerin eine Mitverantwortung treffe, nachdem
sie das Gebäude in Kenntnis der nebenan betriebenen Diskothek erworben
habe. Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft.

(1) Überschreiten die Geräuschimmissionen die zulässigen Richtwerte,
ist das im Ausgangspunkt gemäß § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ein Indiz für
eine wesentliche Beeinträchtigung. Das ist hier der Fall (vgl. zur Heranziehung
der TA-Lärm Senat, Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261,
264; zu der LAI-Freizeitlärmrichtlinie Senat, Urteil vom 26. September 2003 -
V ZR 41/03, NJW 2003, 3699, 3700). Allerdings kann die Grenze der im Einzelfall
zumutbaren Geräuschbelästigung nicht mathematisch exakt, sondern nur
aufgrund wertender Beurteilung festgesetzt werden. Wann eine wesentliche
Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen
Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer
öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. Von der indiziellen Bedeutung
der Richtwertüberschreitung nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ist deshalb
abzuweichen, wenn besondere Umstände des Einzelfalls dies gebieten
(st. Rspr., vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 15. Februar 2008 - V ZR 222/06,
BGHZ 175, 253 Rn. 24 mwN).

(2) Daran gemessen führen die von dem Grundstück der Beklagten ausgehenden
Lärmimmissionen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des klägerischen
Grundstücks.

(a) Die festgestellten Lärmimmissionen liegen sogar noch über dem
nach Nr. 6.2 der TA Lärm sowie Nr. 4.3 der Freizeitlärmrichtlinie nur für einzelne
kurzzeitige Geräuschspitzen zulässigen Richtwert von 45 dB(A); zudem
entsteht die Beeinträchtigung regelmäßig an mindestens zwei Tagen pro Woche,
weshalb es sich von vornherein nicht um ein sog. seltenes Störereignis
handelt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 26. September 2003 - V ZR 41/03,
NJW 2003, 3699, 3700). Angesichts dessen sind besondere Umstände des
Einzelfalls, die ein Abweichen von den Richtwerten gebieten könnten, nicht
gegeben. Für diese Beurteilung bedarf es keines Ortstermins. Zwar ist der
Tatrichter nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn es um die Zumutbarkeit
von Geräuscheinwirkungen geht, gerade in Grenzbereichen gehalten, sich
durch einen Ortstermin einen eigenen Eindruck von Art und Intensität des
Lärms zu verschaffen (Senat, Urteil vom 5. Februar 1992 - V ZR 62/91,
BGHZ 121, 248, 255; Urteil vom 26. Oktober
2018 - V ZR 143/17, NJW 2019, 773 Rn. 24 mwN). Aber hier ist die Überschreitung
der Richtwerte so deutlich, dass sie sich nicht mehr in jenem
Grenzbereich bewegt, in dem die eigene Wahrnehmung des Tatrichters entscheidungserhebliche
Erkenntnisse erbringen kann.

(b) Anders als das Berufungsgericht meint, kommt dem Umstand, dass
die Beklagte ihren Betrieb lange vor dem Grundstückserwerb der Klägerin aufgenommen
hatte, keine Bedeutung zu. Zum einen fehlt es nämlich an einer
wirksamen Baugenehmigung für den Betrieb der Beklagten, weshalb diese sich
von vornherein nicht auf einen Vertrauensschutz berufen kann. Zum anderen
könnte die zeitliche Priorität selbst bei bestehender Baugenehmigung nur dazu
führen, dass die Klägerin Immissionen, die sich innerhalb der Grenzen der zulässigen
Richtwerte halten, auch dann dulden müsste, wenn diese ihrer Art
nach besonders lästig und damit grundsätzlich abwehrfähig wären (vgl. Senat,
Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261, 268 ff.). Um solche Beeinträchtigungen
geht es aber nicht, da der maßgebliche Richtwert nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts deutlich überschritten wird.
(c) Die Überschreitung der Richtwerte ist auch nicht deshalb als unwesentliche
Beeinträchtigung einzuordnen, weil die Musikveranstaltungen der Beklagten
nur an den Wochenenden und Feiertagen ab 22 Uhr stattfinden. Wie
das Verwaltungsgericht Berlin in dem parallelen verwaltungsgerichtlichen Verfahren
zutreffend ausgeführt hat, ist es nicht lebensfremd, dass die als Büros
oder gewerbliche Ateliers vermieteten Räumlichkeiten der Klägerin auch in den
frühen Nachtstunden genutzt werden (vgl. VG Berlin, Urteil vom 18. Dezember
2018 - 19 K 224.16, juris Rn. 101). Das gilt erst recht für die Veranstaltungsflächen
im angrenzenden Erdgeschoss des klägerischen Gebäudes. Entgegen
der Auffassung der Revisionserwiderung bedarf es insoweit keiner Darlegung
konkreter Beschwerden auf Mieterseite. Denn es liegt auf der Hand, dass die
Immissionen die Vermietung beeinträchtigen und sich negativ auf die Verhandlungsmacht
der Klägerin auswirken können; davon geht auch das Berufungsgericht
aus, wenn es meint, die Klägerin müsse potentielle Mieter auf die Immissionen
hinweisen und die Haftung insoweit ausschließen. Es gibt aber keinen
Grund, warum die Klägerin zu solchen Maßnahmen oder gar zu einer
Auswahl von Mietern, die sich an dem Lärm nicht stören, verpflichtet sein sollte;
denn die Beklagte unterhält ihren Betrieb seit Jahren ohne die erforderliche
Genehmigung, und es ist nicht erkennbar, dass der mangelnde Schallschutz im
Verantwortungsbereich der Klägerin liegt, deren Gebäude - anders als das der
Beklagten - über eine Gebäudeabschlusswand verfügt. Deshalb können - anders,
als das Berufungsgericht meint - auch die wirtschaftlichen Interessen der
Beklagten nicht herangezogen werden, um die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung
zu begründen; erst recht genießt das Interesse an der Fortführung
einer baurechtlich unzulässigen Nutzung keinen Vorrang gegenüber den legitimen
wirtschaftlichen Interessen der Klägerin.

III.
Das Berufungsurteil kann danach insgesamt keinen Bestand haben; es
ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache zu entscheiden,
weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Beide Klageanträge
sind begründet.

1. Das gilt zunächst für den auf Beseitigung des bauordnungswidrigen
Zustands gerichteten Klageantrag zu 1. Der Anspruch ergibt sich - wie ausgeführt
- aus § 1004 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und § 30 BauO Berlin. Ob der
Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 Abs. 2 BGB zusteht,
hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen. Dies ist zu verneinen, ohne dass
es weiterer Feststellungen bedarf. Im Grundsatz ist § 275 Abs. 2 BGB zwar
auch auf den Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar
(vgl. Senat, Urteil vom 30. Mai 2008 - V ZR 184/07, NJW 2008, 3122
Rn. 17; Urteil vom 23. Oktober 2009 - V ZR 141/08, NJW-RR 2010, 315
Rn. 14 f.). Widerspricht aber ein Gebäude - wie hier - nachbarschützenden
Brandschutzvorschriften, kann dessen Eigentümer die von dem Nachbarn beanspruchte
Störungsbeseitigung nicht gemäß § 275 Abs. 2 BGB verweigern,
weil selbst ein hoher finanzieller Aufwand nicht in einem groben Missverhältnis
zu dem Leistungsinteresse des Nachbarn steht. Denn Brandschutzbestimmungen
werden nur dann als nachbarschützend angesehen, wenn sie die Ausbreitung
eines Brandes auf das Nachbargebäude verhindern sollen; sie schützen
also sowohl das Nachbargebäude selbst als auch Leib und Leben der dort aufhältigen
Menschen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Dezember
2011 - OVG 10 B 6.11, juris Rn. 36 mwN). Angesichts dieses Schutzzwecks ist
es von vornherein ausgeschlossen, dass die finanziellen Interessen des
Schuldners Vorrang genießen. Insbesondere kann auch an dieser Stelle nicht
eingewandt werden, dass die baurechtlichen Vorgaben des § 30 BauO Berlin
nicht erforderlich wären, um den mit der Norm verfolgten Schutzzweck zu erfüllen.

2. Auch im Hinblick auf den Klageantrag zu 2 ist die Sache entscheidungsreif.
a) Die Voraussetzungen eines Abwehranspruchs gemäß § 1004 i.V.m.
§ 906 Abs. 1 BGB liegen vor. Danach ist die Beklagte verpflichtet, dafür Sorge
zu tragen, dass die auf das Grundstück der Klägerin einwirkenden Lärmimmissionen
die Vorgaben der TA Lärm einhalten. Die Verurteilung bedarf nur insoweit
einer geringfügigen Einschränkung, als für einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen
nach Nr. 6.2 der TA Lärm sowie Nr. 4.3 der Freizeitlärmrichtlinie ein
Immissionsrichtwert von 45 dB(A) maßgeblich ist.

b) Die Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks muss auch nicht
gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB hingenommen werden. Diese Frage hat das
Berufungsgericht offengelassen; sie ist zu verneinen. Voraussetzung wäre
nämlich, dass die wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benut-
zung des Grundstücks der Beklagten herbeigeführt wird. Daran fehlt es. Denn
nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Nutzung nicht im Sinne dieser
Norm als ortsüblich angesehen werden, wenn - wie hier - eine wirksame öffentlich-
rechtliche Genehmigung nicht besteht (Senat, Urteil vom 30. Oktober
1998 - V ZR 64/98, BGHZ 140, 1, 9 f. mwN) und die Nutzung auch nicht
genehmigungsfähig ist (vgl. Senat, Urteil vom 21. Oktober 2005 - V ZR 169/04,
NJW-RR 2006, 235, 237). Von letzterem ist hier schon aufgrund der fehlenden
Brandwand auszugehen. Infolgedessen ist es unerheblich, ob Maßnahmen zur
Verhinderung der Beeinträchtigung wirtschaftlich zumutbar sind.

c) Ebenso wenig besteht die von dem Berufungsgericht erwogene Duldungspflicht
auf der Grundlage des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses.
Inwieweit der Grundstückseigentümer von dem Nachbargrundstück ausgehende
Beeinträchtigungen durch positive Einwirkungen wie Lärm hinnehmen
muss, ist in § 906 BGB eingehend geregelt; aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis
ergeben sich insoweit keine weitergehenden Duldungspflichten,
weil dieses Rechtsinstitut nicht dazu dienen darf, die nachbarrechtlichen
Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren (Senat, Urteil vom 29. Juni 2012 -
V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160 Rn. 20; zu anderen Einwirkungen
MüKoBGB/Brückner, 8. Aufl., § 903 Rn. 43 ff.).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Das Unterliegen
der Klägerin im Hinblick auf einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen ist verhältnismäßig
geringfügig im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und wirkt sich auf die
Kosten nicht aus.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

13.12.2019

Aktenzeichen:

V ZR 152/18

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 823 Abs. 2, 1004; BauO BE § 30