BGH 25. März 2021
IX ZR 70/20
BGB § 883 Abs. 1 S. 2; AnfG §§ 3 Abs. 1, Abs. 2, 8 Abs. 2 S. 2

Anfechtungsrelevanter Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung bei vormerkungsgesichertem Anspruch aus unentgeltlichem Grundgeschäft; Abgrenzung der Vorsatzanfechtung von der Deckungsanfechtung

BGB § 883 Abs. 1 S. 2; AnfG §§ 3 Abs. 1, Abs. 2, 8 Abs. 2 S. 2
Anfechtungsrelevanter Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung bei vormerkungsgesichertem Anspruch aus unentgeltlichem Grundgeschäft; Abgrenzung der Vorsatzanfechtung von der Deckungsanfechtung

1. Die Rechtshandlung gilt, sofern die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Eintragung der Vormerkung erfüllt sind, auch dann mit dem Zeitpunkt der Antragstellung als vorgenommen, wenn mit der Vormerkung lediglich ein künftiger, auf einem unentgeltlichen Grundgeschäft beruhender Auflassungsanspruch gesichert wird.

2. Hat der Schuldner dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung früher als vier Jahre vor der Anfechtung gewährt, kann diese der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn der Schuldner das Grundgeschäft mit dem dem anderen Teil bekannten Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen.

BGH, Urt. v. 25.3.2021 – IX ZR 70/20

Problem
Der Schuldner war Eigentümer eines mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks. Mit notarieller Urkunde vom 13.11.2012 unterbreitete er seinen Eltern, den Klägern, ein Kaufvertragsangebot über das Grundstück. Die vereinbarten Gegenleistungen der Eltern blieben hinter dem Verkehrswert des Grundstücks zurück. Im Angebot wurden die Kläger auch zur Erklärung der Auflassung bei Annahme des Angebotes bevollmächtigt. Zur Sicherung des künftigen Übereignungsanspruchs der Kläger wurde am 20.11.2012 eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Mit Urkunde vom 18.12.2014 nahmen die Kläger das Angebot an und erklärten die Auflassung des Grundstücks. Die Beklagten haben gegen den Schuldner rechtskräftig titulierte Zahlungsansprüche in erheblicher Höhe, zu deren Sicherung am 28.4.2015 Zwangssicherungshypotheken eingetragen wurden. Am 21.10.2015 erfolgte schließlich in Vollzug des Kaufvertrages die Eintragung der Kläger als je hälftige Miteigentümer im Grundbuch. Die Kläger nehmen die Beklagten auf Bewilligung der Löschung der Zwangssicherungshypotheken in Anspruch. Mit der am 29.6.2018 eingegangenen Widerklage haben die Beklagten einredeweise die Anfechtung „der am 20.11.2012 eingetragenen Auflassungsvormerkung“ sowie „der Auflassung vom 18.12.2014“ erklärt und sich hierbei auf § 3 Abs. 1 AnfG und § 4 Abs. 1 AnfG gestützt.

Das Berufungsgericht hat nach gegenteiliger Entscheidung der Vorinstanz die Klage abgewiesen und der Widerklage im Wesentlichen stattgegeben. Dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch könnten die Beklagten die Anfechtbarkeit der Eigentumsübertragung auf die Kläger nach § 4 Abs. 1 AnfG einredeweise entgegenhalten: In der Eigentumsübertragung liege eine teilweise unentgeltliche Leistung des Schuldners. Die Anfechtung sei rechtzeitig innerhalb der Vierjahresfrist geltend gemacht, da es trotz des entgegenstehenden Wortlauts des § 8 Abs. 2 S. 2 AnfG hier auf den Zeitpunkt der Auflassung am 18.12.2014 ankomme, nicht auf denjenigen der Eintragung der Vormerkung am 20.11.2012. Vor der Auflassung hätten die Kläger aufgrund des unentgeltlichen Grundgeschäfts keine gesicherte Rechtsstellung erlangt. Bei – wie hier – unentgeltlichem Grundgeschäft sei der vormerkungsgesicherte Anspruch gleichwohl nicht nach § 106 Abs. 1 S. 1 InsO insolvenzfest.

Entscheidung
Der BGH hebt das Urteil der Vorinstanz (OLG Koblenz) auf und verweist die Sache an das OLG zur erneuten Verhandlung zurück. Der geltend gemachte Anspruch auf Löschung der Zwangssicherungshypotheken (§§ 883 Abs. 2, 888 Abs. 1 BGB) sei entstanden. Eine diesem Anspruch nach § 9 AnfG entgegenzuhaltende Anfechtbarkeit der Eigentumsübertragung lasse sich nicht auf die Schenkungsanfechtung (§ 4 Abs. 1 AnfG) stützen. Da zur Sicherung des Übereignungsanspruchs der Kläger eine Vormerkung eingetragen wurde, sei die Rechtshandlung gem. § 8 Abs. 2 S. 2 AnfG spätestens am 20.11.2012 und damit außerhalb der Vierjahresfrist vorgenommen. Die vom OLG befürwortete teleologische Reduktion des § 8 Abs. 2 S. 2 AnfG bei (teil)unentgeltlichem Kausalgeschäft lehnt der BGH ab. Der Wortlaut und die mehrstufige Systematik des § 8 AnfG böten für eine Differenzierung nach dem Rechtsgrund des gesicherten Anspruchs keinen Ansatz. Ebenso wenig sei durch Sinn und Zweck des § 8 AnfG eine einschränkende Auslegung geboten. § 8 AnfG folge ebenso wie der gleichlautende § 140 InsO ausnahmslos dem Rechtsgedanken, dass sich der Vornahme- und Wirkungszeitpunkt einer angefochtenen Rechtshandlung danach bestimme, wann der Anfechtungsgegner durch sie eine gesicherte Rechtsstellung erlangt habe, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste. Dies sei mit Eintragung der Vormerkung nach § 106 Abs. 1 InsO der Fall. Auch wenn – wie hier – ein künftiger Anspruch nach § 883 Abs. 1 S. 2 BGB durch Vormerkung gesichert werde, komme deren Inhaber bereits ab Eintragung der Vormerkung der Schutz des § 106 Abs. 1 InsO zugute (BGH NJW 2002, 213, 215; Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 106 Rn. 6). Dieser Vormerkungsschutz gelte entgegen einer teilweise vertretenen Literaturansicht (z. B. MünchKommInsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, § 129 Rn. 61) auch bei einem unentgeltlichen Grundgeschäft uneingeschränkt. Eine Verschiebung des anfechtungsrechtlich relevanten Zeitpunkts könne nicht mit einer geringeren Schutzwürdigkeit des unentgeltlichen Erwerbs gerechtfertigt werden (ebenso im Ergebnis bereits Reul, in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2018, § 2 Rn. 123). § 106 InsO bewirke, dass der Gegenstand des vormerkungsgesicherten Anspruches schon nicht Bestandteil der Insolvenzmasse werde; er unterfalle daher nicht dem Anwendungsbereich des § 39 InsO (bei unentgeltlichen Leistungen: § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 InsO). Im Übrigen habe der Gesetzgeber diesen Umstand bereits bei der Neufassung des Anfechtungsgesetzes berücksichtigt. Aus Sicht des BGH besteht also ein Gleichlauf zwischen der Vormerkbarkeit eines Anspruchs und seiner Insolvenzfestigkeit.

Jedoch komme eine Vorsatzanfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG mit der für sie geltenden Zehnjahresfrist in Betracht. Von besonderem Interesse sind hier noch die Ausführungen des BGH zur Abgrenzung gegenüber der vorrangigen Deckungsanfechtung nach § 3 Abs. 2 AnfG (Vierjahresfrist!), die in ihrem Anwendungsbereich den Rückgriff auf § 3 Abs. 1 AnfG versperrt. Zwar stelle die Bewilligung der Vormerkung zugunsten der Kläger eine Sicherung i. S. v. § 3 Abs. 2 AnfG dar. Bei der Abgrenzung zwischen Deckungs- und Vorsatzanfechtung müsse aber die Regelungsintention des Gesetzgebers im Auge behalten werden: Durch die verkürzte Anfechtungsfrist nach § 3 Abs. 2 AnfG soll die Praxis der Vorsatzanfechtung für den Geschäftsverkehr kalkulierbarer und planbarer gemacht werden. Dagegen sollen die paradigmatischen Fälle der Vorsatzanfechtung wie z. B. Bankrotthandlungen und Vermögenverschiebungen unverändert der langen Frist des § 3 Abs. 1 AnfG unterworfen bleiben (s. hierzu BT-Drs. 18/7054, S. 2, 13, 21). Daher muss aus Sicht des BGH der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 AnfG hinsichtlich der gewährten Deckung jedenfalls dann eröffnet bleiben, wenn das der angefochtenen Leistung zugrundeliegende Grundgeschäft die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG erfüllt. Der hiernach geforderte Kenntnisstand sei nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt gegeben, sodass sich eine Anfechtbarkeit der Grundstücksübertragung nach § 3 Abs. 1 AnfG derzeit nicht ausschließen lasse.

Praxishinweis
Insgesamt bietet die überzeugend begründete Entscheidung des BGH eine für die Praxis sehr begrüßenswerte Klarstellung der Reichweite des § 106 InsO auch bei unentgeltlicher causa und aufklärende Hinweise zur Abgrenzung der Vorsatz- gegenüber der Deckungsanfechtung.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

25.03.2021

Aktenzeichen:

IX ZR 70/20

Rechtsgebiete:

Vormerkung
Insolvenzrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 86-87

Normen in Titel:

BGB § 883 Abs. 1 S. 2; AnfG §§ 3 Abs. 1, Abs. 2, 8 Abs. 2 S. 2