Erforderlichkeit einer Betreuung bei fehlender Eignung des Vorsorgebevollmächtigten
letzte Aktualisierung: 12.8.2022
BGH, Beschl. v. 15.6.2022 – XII ZB 85/22
Erforderlichkeit einer Betreuung bei fehlender Eignung des Vorsorgebevollmächtigten
Steht die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich
sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen,
insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch
jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn
der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit
als ungeeignet erscheint (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2021 – XII ZB 518/20 –
Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob für die Betroffene trotz Bestehens
einer wirksamen Vorsorgevollmacht eine Betreuung einzurichten ist.
Die 1942 geborene Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz.
Sie hatte im Jahr 2012 ihrer Halbschwester, der Beteiligten zu 1, eine notarielle
Vorsorgevollmacht erteilt. Ende 2016 ließ sie dann - bereits im Zustand der Geschäftsunfähigkeit
- Vorsorgevollmachten für eine ihr nahestehende Vertrauensperson,
die Beteiligte zu 2, und deren Ehemann notariell beurkunden.
Auf Anregung der Beteiligten zu 1, die Bedenken hinsichtlich der von der
Beteiligten zu 2 und deren Ehemann im Zusammenhang mit der Betroffenen entfalteten
Tätigkeiten geäußert hatte, hat das Amtsgericht schließlich eine umfassende
Betreuung einschließlich Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht aus
dem Jahr 2012 eingerichtet und die Beteiligte zu 2 zur Betreuerin bestellt.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht diesen Beschluss
aufgehoben, weil eine Betreuung wegen der zu Gunsten der Beteiligten
zu 1 bestehenden Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei. Hiergegen wendet
sich die Betreuungsbehörde (Beteiligter zu 4) mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Aufgrund der wirksamen Vorsorgevollmacht aus dem Jahr 2012 bestehe
keine Notwendigkeit, für die Betroffene eine Betreuerin mit dem vom Amtsgericht
angeordneten Aufgabenkreis zu bestellen. Die Vollmacht genieße insoweit Vorrang.
Auch eine Betreuerbestellung für den Vollmachtwiderruf sei nicht veranlasst.
Denn es sei nicht ersichtlich, dass der Betroffenen im Falle der weiteren
Ausübung der Vollmacht ein so erheblicher Schaden drohe, dass der Eingriff in
das durch die Vollmachterteilung verwirklichte Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen
gerechtfertigt sei. Der mit der Vollmacht geäußerte Wille der Betroffenen
sei zwingend zu beachten, so dass auch die Beteiligte zu 1 nicht zur Betreuerin
zu bestellen sei.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Auffassung des Landgerichts,
die für die Beteiligte zu 1 bestehende Vorsorgevollmacht stehe der Erforderlichkeit
einer Betreuerbestellung entgegen, fehlt es an einer rechtlich tragfähigen
Grundlage.
a) Ein Betreuer darf nach
soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit
die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso
gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2
BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich
entgegen. Steht die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht - wie hier derjenigen
aus dem Jahr 2012 - fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein,
wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen
zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der
Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des
Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels
Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet
erscheint (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2021
- XII ZB 518/20 -
- XII ZB 164/20 -
Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten
durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem
Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle
auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob das Tatgericht alle maßgeblichen
Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat und die Würdigung auf einer ausreichenden
Sachaufklärung beruht (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 19. Mai
2021 - XII ZB 518/20 -
- XII ZB 164/20 -
b) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hat die
angefochtene Entscheidung keinen Bestand. Wie die Rechtsbeschwerde zu
Recht rügt, hat sich das Landgericht mit den in der erstinstanzlichen Entscheidung
enthaltenen Ausführungen zur Frage der Geeignetheit der Beteiligten zu 1
nicht hinreichend auseinandergesetzt und ist damit
geworden.
Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 1 für ungeeignet gehalten, die Angelegenheiten
der Betroffenen zu deren Wohl zu besorgen, weil befürchtet werden
müsse, dass sie sich bei ihren Entscheidungen durch ihren gegenüber der Betroffenen
bestehenden Groll leiten lasse. Das habe sich in der Vergangenheit
auch darin gezeigt, dass die Beteiligte zu 1 als Vermieterin im Jahr 2016 den mit
der Betroffenen bestehenden Mietvertrag gekündigt habe. Auf diese Erwägungen,
die die Annahme einer Ungeeignetheit der Beteiligten zu 1 tragen können,
geht das Landgericht im angefochtenen Beschluss nicht ein und hat dementsprechend
auch keine abweichenden Feststellungen getroffen.
Die Erforderlichkeit für die Einrichtung einer Betreuung entfällt auch nicht
deshalb, weil das Landgericht die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ermächtigung
zum Vollmachtwiderruf verneint hat. Denn die Ermächtigung zum
Vollmachtwiderruf setzt tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten
an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten
lässt, und unterliegt damit einem anderen - nämlich strengeren - Maßstab
als dem bei der Prüfung nach
Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 2020 - XII ZB 61/20 -
mwN und
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher gemäß
aufzuheben und die Sache ist gemäß
zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist. Das gilt
auch für die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf, deren Erforderlichkeit das
Landgericht mit Blick auf die nun zu treffenden Feststellungen zur Geeignetheit
der Beteiligten zu 1 erneut zu beurteilen haben wird (vgl. zu den Voraussetzungen
insoweit und insbesondere zum Vorrang einer Kontrollbetreuung Senatsbeschluss
Abhängig davon, wie die neu vorzunehmende Einschätzung zur Geeignetheit
der Beteiligten zu 1 durch das Landgericht ausfällt, wird dieses ggf. auch zu
prüfen haben, ob gemäß
die in der notariellen Urkunde aus dem Jahr 2012 weiter enthaltene Bevollmächtigung
einer weiteren Schwester der Betroffenen entgegensteht.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil
sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung,
zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
beizutragen (
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:15.06.2022
Aktenzeichen:XII ZB 85/22
Rechtsgebiete:
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 1896 Abs. 2 S. 2