BGH 27. November 2020
V ZR 67/20
WEG §§ 43 Nr. 2, 45 Abs. 1

Hausgeldklage; keine Zustellungsvertretung des Verwalters für beklagten Wohnungseigentümer

letzte Aktualisierung: 31.8.2021
BGH, Urt. v. 27.11.2020 – V ZR 67/20

WEG §§ 43 Nr. 2, 45 Abs. 1
Hausgeldklage; keine Zustellungsvertretung des Verwalters für beklagten Wohnungseigentümer

§ 45 Abs. 1 WEG ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei einer Klage der
Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer der Verwalter nicht
Zustellungsvertreter der Beklagten ist.

Entscheidungsgründe:

I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in ZWE 2020,
203 veröffentlicht ist, handelt es sich bei den Urteilen des Amtsgerichts um
Scheinurteile, deren Nichtexistenz klarzustellen sei. Das erstinstanzliche Verfahren
sei mangels wirksamer Zustellung der Klage nicht rechtshängig geworden.
Die Verwalterin sei nicht Zustellungsvertreterin der Beklagten. § 45 Abs. 1 WEG
erfasse nicht Konstellationen, in denen an einen einzelnen Wohnungseigentümer
als Beklagten zuzustellen sei. Dieses Ergebnis sei im Wortlaut der Norm durch
die Verwendung des Plurals „Wohnungseigentümer“ angelegt, ergebe sich aber
auch aus dem Ausnahmecharakter der Vorschrift. Der allgemeinen Systematik
des Zivilprozessrechts sei das Prinzip der persönlichen Zustellung zu entnehmen,
das der Absicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör diene. Hiervon
mache § 45 Abs. 1 WEG aufgrund der Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts
eine Ausnahme, weil es prozessuale Situationen gebe, in denen ein
Wohnungseigentümer zur Durchsetzung seiner Rechte auf die Klageerhebung
gegen die übrigen Wohnungseigentümer verwiesen werde und dadurch das Bedürfnis
für eine erleichterte Zustellung entstehe. Diese prozessuale Besonderheit
fehle bei einer Klage gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer. Auch Sinn
und Zweck der Norm, den mit der Vielzahl an Zustellungen verbundenen Aufwand
für das Gericht und die zu Lasten der Wohnungseigentümergemeinschaft
entstehenden Kosten gering zu halten, machten deutlich, dass der Fall eines einzelnen
Wohnungseigentümers auf Beklagtenseite von § 45 Abs. 1 WEG nicht
erfasst sei.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend kommt das Berufungsgericht
zu dem Ergebnis, dass die Urteile des Amtsgerichts außerhalb eines
rechtshängigen Verfahrens ergangen und daher wirkungslos sind.

1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Klage der
Wohnungseigentümergemeinschaft gegen die Beklagte nicht wirksam der Verwalterin
zugestellt werden konnte, da diese nicht Zustellungsvertreterin der beklagten
Wohnungseigentümerin gemäß § 45 Abs. 1 WEG ist.

a) Nach § 45 Abs. 1 WEG ist der Verwalter Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümer,
wenn diese Beklagte oder gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 WEG
beizuladen sind, es sei denn, dass er als Gegner der Wohnungseigentümer an
dem Verfahren beteiligt ist oder aufgrund des Streitgegenstandes die Gefahr besteht,
der Verwalter werde die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht unterrichten.
Ob der Anwendungsbereich von § 45 Abs. 1 WEG eröffnet ist, wenn - wie
hier - die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen Wohnungseigentümer
klagt, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Norm auf sämtliche Verfahren
nach § 43 WEG angewandt, in denen auf Beklagtenseite ein Wohnungseigentümer
steht, mithin auch auf Streitigkeiten nach § 43 Nr. 2 WEG zwischen
dem Verband als Kläger und einem oder mehreren Wohnungseigentümern als
Beklagte (Bärmann/Roth, WEG, 14. Aufl., § 45 Rn. 3; MüKoBGB/Engelhardt,
8. Aufl., § 45 WEG Rn. 2; Müller in Hügel/Scheel, Rechtshandbuch Wohnungseigentum,
4. Aufl., § 17 Rn. 98); dies wird teilweise mit dem Berufungsgericht
dahingehend eingeschränkt, dass § 45 Abs. 1 WEG dann nicht eingreift, wenn
nur ein einzelner Wohnungseigentümer verklagt wird (BeckOK BGB/Scheel
[1.8.2020], WEG § 45 Rn. 3). Nach anderer Ansicht ist § 45 Abs. 1 WEG nur
anwendbar, wenn aufgrund gesetzlicher Besonderheiten die Klage notwendigerweise
gegen alle (übrigen) Wohnungseigentümer zu richten ist (Staudinger/Lehmann-
Richter, BGB [2018], § 45 WEG Rn. 13; vgl. auch BeckOK WEG/Elzer
[1.8.2020], § 45 Rn. 26). Nach dieser Auffassung ist in einem Verfahren des Verbandes
gegen Wohnungseigentümer der Verwalter nicht Zustellungsbevollmächtigter
der beklagten Wohnungseigentümer.

b) Richtigerweise ist § 45 Abs. 1 WEG einschränkend dahingehend auszulegen,
dass bei einer Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen
Wohnungseigentümer der Verwalter nicht Zustellungsvertreter der Beklagten ist.
Maßgeblich ist nicht - wie das Berufungsgericht meint - die Zahl der beklagten
Wohnungseigentümer, sondern die Art des Verfahrens. Klagt die Wohnungseigentümergemeinschaft
gegen einzelne oder mehrere Wohnungseigentümer
(§ 43 Nr. 2 WEG) ist § 45 Abs. 1 WEG nach seiner Entstehungsgeschichte und
seinem Sinn und Zweck nicht anwendbar.

aa) Der Wortlaut der Norm, wonach der Verwalter Zustellungsvertreter der
beklagten Wohnungseigentümer ist, lässt allerdings keine eindeutigen Rückschlüsse
zu. Er schließt auch Klagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen
ihre Mitglieder ein.

bb) Aus der Entstehungsgeschichte der Norm wird aber deutlich, dass der
Fall, in dem (einzelne oder mehrere) Wohnungseigentümer von der Wohnungseigentümergemeinschaft
verklagt werden, von § 45 Abs. 1 WEG nicht erfasst
wird. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf „stellt“ die Regelung „klar“, dass
auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen der Wohnungseigentümer untereinander
und damit nicht nur in Verfahren, in denen aufgrund der Klage eines außenstehenden
Dritten alle Wohnungseigentümer verklagt sind, der Verwalter
grundsätzlich Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer ist (vgl.
BT-Drucks., 16/887, S. 36). Dabei hatte der Gesetzgeber den Fall vor Augen,
dass ein oder mehrere Wohnungseigentümer gegen die übrigen Wohnungseigentümer
gerichtlich vorgehen (vgl. BT-Drucks., 16/887, S. 37), was insbesondere
auf die Anfechtungsklage oder Beschlussersetzungsklage zutrifft. Für eine
solche Konstellation, in der die Zustellung der Klage nicht an „alle“, sondern nur
an „die übrigen“ Wohnungseigentümer zu erfolgen hat, war in der Rechtsprechung
§ 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG aF (= § 27 Abs. 2 Nr. 1 WEG in der bis zum
30.11.2020 geltenden Fassung) entsprechend angewendet und eine Zustellung
an den Verwalter als Zustellungsvertreter der beklagten übrigen Wohnungseigentümer
als zulässig erachtet worden (vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. September
2003 - V ZB 21/03, BGHZ 156, 192 Rn. 10 mwN; Urteil vom 20. April 2018
- V ZR 202/16, NJW-RR 2018, 970 Rn. 23). Die Regelung in § 45 Abs. 1 WEG
hat ausdrücklich nur die klarstellende Funktion, dass auch in (solchen) Streitigkeiten
der Wohnungseigentümer untereinander der Verwalter grundsätzlich Zustellungsvertreter
der beklagten Wohnungseigentümer ist (vgl. BT-Drucks.
16/887, S. 36). Für die Annahme, dass der Gesetzgeber über diese gesetzliche
Klarstellung hinaus die Befugnisse des Verwalters erweitern wollte und dieser
auch dann Zustellungsvertreter der Beklagten sein sollte, wenn es sich um eine
Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer handelt,
bietet die Gesetzesbegründung dagegen keine Anhaltspunkte.

cc) Auch Sinn und Zweck von § 45 Abs. 1 WEG sprechen gegen die Annahme,
dass die Norm Klagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen
Wohnungseigentümer erfasst. Mit der grundsätzlichen Zustellungsbevollmächtigung
des Verwalters für die Wohnungseigentümer wollte der Gesetzgeber den
mit Zustellungen verbundenen Aufwand für das Gericht und auch die zu Lasten
der Wohnungseigentümergemeinschaft entstehenden Kosten geringhalten (BTDrucks.
16/887, S. 37; Senat, Urteil vom 9. März 2012 - V ZR 170/11, NJW 2012,
2040 Rn. 8). Grundsätzlich erfordern Klagen von Wohnungseigentümern untereinander
angesichts der Vielzahl der Beklagten einen höheren Zustellungsaufwand,
so dass eine Bündelung der Zustellung zur Vereinfachung des Rechtsverkehrs
mit den beklagten Wohnungseigentümern regelmäßig sachgerecht ist (vgl.
BT-Drucks. 16/887, S. 37). Eine Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft
gegen Wohnungseigentümer erfordert hingegen regelmäßig keinen vergleichbaren
Zustellungsaufwand, da sich eine solche Klage nicht gegen die übrigen Wohnungseigentümer,
sondern nur gegen einzelne oder mehrere Wohnungseigentümer
richtet. Ein sachlicher Grund, die Zustellungsstücke nicht an die eigentlichen
Adressaten, sondern an einen Zustellungsvertreter zuzustellen, besteht in solchen
Fällen nicht.

dd) Dass der Verwalter bei Klagen der Wohnungseigentümergemeinschaft
gegen Wohnungseigentümer nicht Zustellungsvertreter der beklagten Woh-
nungseigentümer ist, macht auch die Regelung in § 45 Abs. 1 Hs. 3 WEG deutlich.
Danach kann der Verwalter nicht Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer
sein, wenn er als Gegner der Wohnungseigentümer an dem
Verfahren beteiligt ist oder aufgrund des Streitgegenstandes die Gefahr besteht,
er werde die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht unterrichten. Der Gesetzgeber
wollte mit dieser Einschränkung ausschließen, dass der Verwalter im Fall
einer Interessenkollision die Wohnungseigentümer vertritt (vgl. BT-Drucks.
16/887, S. 37). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf den Fall übertragen, dass
die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen oder mehrere Wohnungseigentümer
klagt. Der Verwalter, der nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WEG Vertreter
und Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümergemeinschaft ist, kann nicht
zugleich Zustellungsvertreter des oder der beklagten Wohnungseigentümer sein.
Die Zustellungsvertretung der sich in einem Rechtsstreit mit gegenläufigen Interessen
gegenüberstehenden Parteien durch dieselbe Person lässt sich nicht mit
dem in § 181 BGB und § 178 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken
vereinbaren, Interessenkollisionen zu vermeiden, die durch die Mitwirkung
derselben Person auf beiden Seiten eines Rechtsgeschäfts oder eines
Rechtsstreits entstehen können.

2. Der in der Zustellung an die Verwalterin liegende Zustellungsmangel ist
nicht nach § 189 ZPO geheilt worden; nach den - von der Revision nicht angegriffenen
- Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt es an dem hierfür erforderlichen
tatsächlichen Zugang der Klageschrift bei der Beklagten. Mangels wirksamer
Zustellung der Klageschrift an die Beklagte ist die Klage daher nicht gemäß
§ 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO rechtshängig geworden und zwischen der Klägerin
und der Beklagten kein Prozessrechtsverhältnis begründet worden. Da eine
gerichtliche Entscheidung nicht außerhalb eines Prozessrechtsverhältnisses ergehen
kann (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - VIII ZR 307/11, NJW 2013,
387 Rn. 29), sind die Urteile des Amtsgerichts wirkungslos; zugleich konnten sie
mit der Berufung angefochten werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1996
- VIII ZR 108/95, NJW 1996, 1969, 1970; Beschluss vom 5. Dezember 2005
- II ZB 2/05, NJW-RR 2006, 565 Rn. 11 f.).

3. Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagte auf die
nicht erfolgte Zustellung der Klageschrift beruft. Entgegen der Auffassung der
Revision kommt es nicht darauf an, wann die Beklagte das Schriftstück zur
Kenntnis genommen hätte, wäre es durch Einlegen in ihren Briefkasten (§ 180
ZPO) zugestellt worden. Eine Entscheidung, die trotz fehlender Rechtshängigkeit
der Klage ergeht, ist mit einem besonders schweren Mangel behaftet. Das Recht
zur Geltendmachung eines solch schwerwiegenden Mangels, der die Wirkungslosigkeit
der Entscheidung zur Folge hat, hängt nicht davon ab, welchen hypothetischen
Verlauf das Verfahren genommen hätte, wenn die Klage ordnungsgemäß
zugestellt worden wäre.

4. Zutreffend ist schließlich die Auffassung des Berufungsgerichts, dass
die erstinstanzlichen Urteile aufzuheben sind und die Sache an das Amtsgericht
zurückzuverweisen ist. Eines Antrags einer Partei gemäß § 538 Abs. 2 ZPO bedurfte
es nicht. Ein Rechtsmittel gegen ein wirkungsloses Urteil hat den Zweck,
die scheinbaren Urteilswirkungen zu beseitigen bzw. die formelle Rechtskraft des
Urteils zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1996 - VIII ZR 108/95,
NJW 1996, 1969, 1970; Beschluss vom 5. Dezember 2005 - II ZB 2/05, NJWRR
2006, 565 Rn. 11). Daher hat das Berufungsgericht zu Recht nur über die
Wirkungslosigkeit des angefochtenen Urteils entschieden. Eine Entscheidung in
der Sache selbst war ihm verwehrt, da die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche
aufgrund der fehlenden Rechtshängigkeit noch nicht Gegenstand eines
erstinstanzlichen Verfahrens und wirksamen Urteils waren.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

27.11.2020

Aktenzeichen:

V ZR 67/20

Rechtsgebiete:

In-sich-Geschäft
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

WEG §§ 43 Nr. 2, 45 Abs. 1