Auslegung einer Grunddienstbarkeit
letzte Aktualisierung: 13.12.2019
BGH, Urt. v. 12.7.2019 – V ZR 288/17
Auslegung einer Grunddienstbarkeit
Die Berechtigung aus einer Grunddienstbarkeit, eine Anlage auf dem dienenden Grundstück
mitzubenutzen, bezieht sich bei nächstliegender Auslegung regelmäßig nicht nur auf die bei der
Bestellung des Rechts vorhandene, sondern auch auf eine erneute Anlage.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Wortlaut der Grundbucheintragung
lege für den unbefangenen Betrachter nahe, dass die Befugnis des
Eigentümers des herrschenden Grundstücks zum Bezug von Heizkraft auf den
bei der Eintragung der Dienstbarkeit vorhandenen Heizungskessel beschränkt
sei. In der Eintragungsbewilligung sei nämlich von „dem auf dem nördlichen
Grundstücksteil befindlichen Heizungskessel“ und nicht von dem „jeweiligen“
Heizungskessel die Rede. Anders als das Landgericht gemeint habe, seien
Sinn und Zweck der Grunddienstbarkeit nicht in der Versorgung des herrschenden
Grundstücks mit Wärme zu sehen. Denn hierzu hätte es einer Verpflichtung
des Eigentümers des dienenden Grundstücks zum Betrieb einer Heizungsanlage
bedurft. Daran fehle es. Die Nutzungsbefugnis sei darauf beschränkt, Heizkraft
aus einem „Heizungskessel“ zu beziehen. Diese enge Eingrenzung belege,
dass die Dienstbarkeit nicht dazu dienen sollte, die Heizungsversorgung
des berechtigten Grundstücks auf Dauer zu sichern. Für diese Auslegung spreche
auch die in der Eintragungsbewilligung enthaltene Reparaturkostenregelung;
eine Bestimmung für die Anschaffung eines neuen Heizungskessels fehle
dort.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ausgangspunkt geht das Berufungsgericht allerdings zutreffend
davon aus, dass zur Ermittlung des Inhalts einer Dienstbarkeit vorrangig auf
Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der nach
genommenen Eintragungsbewilligung abzustellen ist, wie er sich für einen unbefangenen
Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen
ergibt; Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen jedoch insoweit mit herangezogen
werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für
jedermann ohne weiteres erkennbar sind (st. Rspr. vgl. nur Senat, Urteil vom
11. April 2003 - V ZR 323/02,
Grundbucheintragung unterliegt vollen Umfangs der Nachprüfung durch das
Revisionsgericht (st. Rspr., vgl. zuletzt Senat, Urteil vom 22. März 2019 - V ZR
145/18,
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich nach diesen
Auslegungsmaßstäben aus der in der Grundbucheintragung in Bezug genommenen
Eintragungsbewilligung bei nächstliegender Auslegung kein Anhaltspunkt
dafür, dass sich die Dienstbarkeit nur auf den bei ihrer Eintragung auf
dem dienenden Grundstück vorhandenen Heizungskessel bezieht.
a) Zwar ist es sachenrechtlich möglich, eine Grunddienstbarkeit auf einen
derartigen Inhalt zu beschränken. Nach
zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers eines anderen Grundstücks unter anderem
in der Weise belastet werden, dass dieser das Grundstück in einzelnen
Beziehungen benutzen darf. Unter „Benützen eines Grundstücks in einzelnen
Beziehungen“ wird ein dauerndes oder fortgesetztes oder doch mehr oder we-
niger häufiges, regelmäßig wiederkehrendes Gebrauch machen von dem
Grundstück zu bestimmten Zwecken verstanden (vgl. Staudinger/Weber, BGB
[2017], § 1018 Rn. 92; MüKoBGB/Mohr, 7. Aufl., § 1018 Rn. 29 jeweils mwN).
Diese Voraussetzung liegt auch bei einer Beschränkung der Mitnutzung einer
Anlage auf deren technische Lebensdauer oder deren nach den rechtlichen
Vorgaben (etwa der Energieeinsparverordnung - EnEV) erlaubten Nutzungsdauer
vor. Dass sich bei einer solchen Beschränkung der Dienstbarkeit nicht
aus dem Grundbuch ersehen lässt, ob das dingliche Recht noch besteht, führt
zwar zu Unsicherheiten im Rechtsverkehr, steht aber der Eintragung und der
Entstehung des Rechts nicht entgegen. Eine Dienstbarkeit kann auch unter eine
auflösende Bedingung gestellt werden (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 -
V ZR 51/13,
lässt sich dem Grundbuch ebenfalls nicht entnehmen.
b) Nächstliegend ist die Beschränkung des von einer Dienstbarkeit umfassten
Rechts zur (Mit-)Nutzung einer Anlage auf dem dienenden Grundstück
auf die Lebens- oder rechtlich zulässige Nutzungsdauer aber nur, wenn sich
diese in eindeutiger Weise aus der Grundbucheintragung und der bei der
Auslegung berücksichtigungsfähigen Umstände ergibt (vgl. Senat, Urteil vom
26. Oktober 1984 - V ZR 67/83,
eine solche Dienstbarkeit eine dauerhafte Sicherung etwa der Versorgung des
herrschenden Grundstücks mit bestimmten Medien erreicht werden. Die Beschränkung
des Nutzungsrechts auf die vorhandene Anlage liefe diesem Ziel
zuwider. Sie führte dazu, dass bei einem aus technischen Gründen oder wegen
rechtlicher Vorgaben notwendigen Austausch des Heizkessels die Grunddienstbarkeit
erlischt, weil diese gegenstandslos geworden ist. Dies stellt gerade
bei einem notwendigen Austausch einer technischen Anlage in aller Regel
kein sachgerechtes Ergebnis dar. Die Berechtigung aus einer Grunddienstbarkeit,
eine Anlage auf dem dienenden Grundstück mitzubenutzen, bezieht sich
bei nächstliegender Auslegung daher regelmäßig nicht nur auf die bei der Bestellung
des Rechts vorhandene, sondern auch auf eine erneuerte Anlage.
c) Nach diesen Grundsätzen kann eine Beschränkung des von der
Grunddienstbarkeit umfassten Rechts zur Mitbenutzung des Heizungskessels
hier nicht festgestellt werden.
aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich eine derartige
Begrenzung nicht eindeutig aus dem Wortlaut der in der Grundbucheintragung
in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung. In dieser ist von „dem auf
dem nördlichen Grundstücksteil befindlichen Heizungskessel“ die Rede. Diese
Formulierung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Grunddienstbarkeit - wie
die Eintragungsbewilligung in ihrem Eingang ausweist - vor der Teilung des
Grundstücks bestellt worden ist. Die Formulierung dient daher der Beschreibung
der Fläche, aus der das künftige dienende Grundstück hervorgehen soll.
Dass der auf ihr „befindliche Heizungskessel“ Gegenstand des Mitbenutzungsrechts
sein soll, führt bei nächstliegender Betrachtung nicht zu einer Beschränkung
dahingehend, dass sich das dingliche Recht nur auf den bei der Bestellung
vorhandenen Kessel bezieht. Der Heizungskessel wird in der Eintragungsbewilligung
auch nicht näher konkretisiert. Das hätte bei einer Beschränkung
nahegelegen, weil die Notwendigkeit seines Austausches absehbar war.
bb) Auch dem Sinn und Zweck der Grunddienstbarkeit lässt sich eine
Begrenzung des Mitbenutzungsrechts auf die bei der Bestellung vorhandene
Anlage nicht entnehmen. Die Dienstbarkeit soll erkennbar die vor der Grundstücksteilung
bestehende Versorgung des herrschenden Grundstücks unter
anderem mit Heizkraft jedenfalls so lange sichern, wie auf dem dienenden
Grundstück ein Heizungskessel betrieben wird. Die von dem Berufungsgericht
vermisste Regelung einer Betriebspflicht, die ohnehin nicht Inhalt einer Dienst-
barkeit sein kann (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2003 - V ZR 304/02, NJW-RR
2003, 733, 735 mwN), steht der Annahme eines solchen Versorgungszwecks
nicht entgegen.
cc) Schließlich bildet auch die unter Nr. II. 1. e) der Eintragungsbewilligung
enthaltene Regelung über die Kostentragung keine geeignete Grundlage
für den von dem Berufungsgericht gezogenen Schluss auf die Begrenzung der
Dienstbarkeit auf die bei ihrer Bestellung vorhandene Anlage. Nach dieser Regelung
haben die Reparaturkosten an den Leitungen und an anderen gemeinsam
benutzten Einrichtungen die beteiligten Eigentümer zu gleichen Teilen zu
tragen, soweit sie diese gemeinschaftlich benutzen. Dabei kann offenbleiben,
ob der Begriff „Reparaturkosten“ in einem weiten Sinne dahin zu verstehen ist,
dass auch die Kosten für eine erforderliche Erneuerung und Wiederherstellung
des Heizungskessels umfasst sein sollen. Selbst wenn der Begriff eng auszulegen
sein sollte, er also diese Kosten nicht erfasst, spricht dies nicht gegen ein
Mitbenutzungsrecht auch hinsichtlich eines neuen Heizungskessels als Inhalt
der Dienstbarkeit. Ein Grund dafür, den Eigentümer des herrschenden Grundstücks
nicht an den Kosten einer Erneuerung der Anlage zu beteiligen, kann
auch gewesen sein, dass der Eigentümer des dienenden Grundstücks ohne
Rücksicht auf die Belange des Nachbarn darüber entscheiden können sollte,
ob, wann und gegen was der vorhandene - ohnehin in seinem Eigentum stehende
- Heizungskessel ausgetauscht wird.
3. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben
(
sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts ist zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:12.07.2019
Aktenzeichen:V ZR 288/17
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
NJW-RR 2020, 77-78
Normen in Titel:BGB § 1018