LG Stuttgart 10. Februar 2021
40 O 46/20 KfH
MaßnG-GesR § 2; GmbHG § 48 Abs. 2

Verschiebung einer Gesellschafterversammlung aufgrund der Corona-Pandemie

letzte Aktualisierung: 23.2.2022
LG Stuttgart, Urt. v. 10.2.2021 – 40 O 46/20 KfH

MaßnG-GesR § 2; GmbHG § 48 Abs. 2
Verschiebung einer Gesellschafterversammlung aufgrund der Corona-Pandemie

Eine außerordentliche Gesellschafterversammlung ist zu verschieben, wenn eine Einreise von
Gesellschaftern aufgrund der Corona-Pandemie nicht rechtzeitig zu bewerkstelligen ist. Die
gesellschafterliche Treuepflicht verpflichtet Gesellschafter, denen die Tagesordnung für die
Gesellschafterversammlung erst 11 Tage vor der Versammlung mitgeteilt wird, nicht zu
Anstrengungen zur Ermöglichung der Einreise nach Deutschland, die über eine (abschlägig
beantwortete) Flugbuchungsanfrage hinausgehen.

Entscheidungsgründe

Auf den auf den Kostenausspruch beschränkten Widerspruch der Verfügungsbeklagten
hin war die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Dies führte zu ihrer Bestätigung.

Nachdem die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen wurde, ist sie auch im Kostenpunkt
zutreffend.

1. Auf die Begründung des Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst
Bezug genommen (Beschluss vom 09.09.2020, Seiten 2-5, Bl. 41-44 d.A.).

2. Ergänzend ist anzufügen, dass Art. 2 § 2 Covid-19-Gesetz lediglich § 48 Abs. 2 Gmb-
HG ändert, nicht jedoch in § 45 Abs. 2 GmbHG eingreift. Dieser regelt ausdrücklich, dass
in Ermangelung besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die Vorschriften
der §§ 48 bis 51 GmbHG Anwendung finden. Der Vorrang der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages
vor den Regelungen in §§ 46 ff. GmbHG wird damit nicht angetastet.
Dies erscheint auch verfassungsrechtlich geboten, da andernfalls in die Vertragsautonomie
und in die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Rechte von Minderheitsgesellschaftern
eingegriffen würde. Dass ein derartiger Grundrechtseingriff vom Gesetzgeber
gewollt gewesen wäre, kann nicht festgestellt werden.

Vorliegend ist nach der Vertragslage der Gesellschaft eindeutig die Möglichkeit einer
Versammlung auf Basis von Videotelefonie o.ä. lediglich für das Board of Directors der
Tochtergesellschaft vorgesehen, nicht für Gesellschafterversammlungen der Verfügungsbeklagten.
Die Verfügungskläger mussten sich auf diese - wie im angegriffenen Beschluss
ausgeführt, nicht gleichwertige - Möglichkeit nicht verweisen lassen.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört das Teilnahmerecht an der
Gesellschafterversammlung zum grundsätzlich unentziehbaren Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte
eines Gesellschafters (BGH, Urteil vom 17.10.1988, II ZR 18/88; MüKoGmb-
HG/Liebscher, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 48 Rn. 9).

a. Vorliegend war die Gesellschafterversammlung vom 14.09.2020 zwar form- und fristgerecht
einberufen; auch die Mitteilung der Tagesordnung erfolgte vor der gesellschaftsvertraglich
festgelegten 3-Tagesfrist. Gleichwohl waren die Verfügungskläger aufgrund
der reiseerschwerenden Umstände der Coronapandemie unverschuldet verhindert, an
der Versammlung teilzunehmen, so dass diese zu verschieben war, jedenfalls nicht am
14.09.2020 stattfinden konnte.

Denn angesichts der Bedeutung des Teilnahmerechts ist in Einzelfallentscheidungen
von Obergerichten bereits zutreffend anerkannt worden, dass bei der Terminsfindung
für eine Gesellschaftsversammlung die Interessen der Gesellschafter mit berücksichtigt
werden müssen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.10.2006, 4 U 382/05; OLG Köln, Urt. v.
24.05.2016, Az. 2 U 506/14; OLG Jena, Urt. v. 10.08.2016, Az. 2 U 506/14). Dies hat die
Verfügungsbeklagte vorliegend nicht hinreichend getan. Denn erst ab Mitteilung der Tagesordnung
war für die Gesellschafter eine Willensbildung darüber möglich, ob eine persönliche
Anwesenheit bei der Gesellschafterversammlung anzustreben war oder nicht.
Dass es den Verfügungsklägern auf den Inhalt der beabsichtigten Beschlussfassung auch
tatsächlich ankam, haben sie durch die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen im
Hinblick auf den Inhalt der Tagesordnung - bis hin zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung - hinreichend gegenüber der Verfügungsbeklagten dokumentiert. Für diese
war gleichzeitig offensichtlich, dass eine Anreise zu einer Gesellschafterversammlung
angesichts der pandemiebedingten Reiseeinschränkungen nicht in einer ähnlich kurzen
Zeit geplant und erreicht werden konnte, wie dies in „gewöhnlichen Zeiten“ der Fall wäre.
So war zum Beispiel der 14-tägige Zeitraum von Quarantäneverpflichtungen bei der
Einreise nach Deutschland aus bestimmten Gebieten allgemein bekannt. Dass 9 Tage für
eine Reiseplanung nicht ausreichten, lag also für die Verfügungsbeklagte auf der Hand.

b. Die Verfügungskläger 1.-3. haben durch Vorlage der E-Mail des Reisebüros (AST 20)
auch hinreichend dargetan, dass vergebliche Anstrengungen zur Ermöglichung der Reise
unternommen wurden. Dass es im Zeitraum ab Mitteilung der Tagesordnung aber
möglich gewesen wäre, durch weitere Anstrengungen eine Einreisemöglichkeit nach
Deutschland zu erreichen, steht nicht sicher fest. Die Verfügungsbeklagte hatte es ihrerseits
dagegen in ihrer Hand, den Verfügungsklägern durch eine frühzeitigere Mitteilung
der Tagesordnung rechtzeitig Gelegenheit zu geben, vertiefte Anstrengungen im Hinblick
auf eine Ermöglichung der Einreise nach Deutschland zu entfalten.

c. Dass die Verfügungskläger für zukünftige Gesellschafterversammlungen (bei einer interessengerechten
rechtzeitigen Ankündigung und Mitteilung von für den Wunsch nach
einer Teilnahme relevanten Inhalten) möglicherweise - schon aus der gesellschafterlichen
Treuepflicht heraus - dazu verpflichtet sein dürften, größere Anstrengungen zur Ermöglichung
einer Teilnahme zu unternehmen und nachzuweisen, ändert nichts daran,
dass dies im konkreten Fall der für 14.09.2020 geplanten Gesellschafterversammlung
nicht der Fall war.

4. Bedenken wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache bestehen nicht. Eine unberechtigte
Ausschließung von der Teilnahme ist ein schwerwiegender Eingriff in die Mitgliedschaft,
gegen die man sich effektiv zur Wehr setzen können muss. Hieran ändert die
Möglichkeit, im Nachhinein eine Beschlussanfechtung zu betreiben, nichts (MüKoGmb-
HG/Liebscher, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 48 Rn. 22). Auch bestehen keine Bedenken hinsichtlich
einer möglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dem Gericht lag bei Erlass
des Beschlusses vom 09.09.2020 die Schutzschrift der Verfügungsbeklagten vor. Angesichts
der Eilbedürftigkeit war eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angezeigt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Streitwert hat sich nach Erhebung
des Kostenwiderspruchs auf die angefallenen Kosten verringert (Zöller, ZPO, § 924 Rn.
4).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

LG Stuttgart

Erscheinungsdatum:

10.02.2021

Aktenzeichen:

40 O 46/20 KfH

Rechtsgebiete:

GmbH
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

MaßnG-GesR § 2; GmbHG § 48 Abs. 2