OLG Frankfurt a. Main 12. Oktober 2021
10 W 29/21
BGB § 2314

Notarielles Nachlassverzeichnis; Treuwidrigkeit des Hinzuziehungsverlangens; Umfang der Ermittlungspflicht des Notars

BGB § 2314
Notarielles Nachlassverzeichnis; Treuwidrigkeit des Hinzuziehungsverlangens; Umfang der Ermittlungspflicht des Notars

1. Das Verlangen der Gläubigerin, zur Aufnahme des Nachlassverzeichnisses hinzugezogen zu werden, ist unter den gegebenen konkreten Umständen treuwidrig, da die Gläubigerin mit keinem der vom Notar vorgeschlagenen Termine einverstanden war und damit die Aufnahme des Verzeichnisses in ihrer Anwesenheit verhindert hat.

2. Der Notar ist bei Erstellung eines Nachlassverzeichnisses nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte in alle Richtungen zu ermitteln. Insbesondere ist er hier weder zur Anfrage an diverse Dachverbände von Banken bezüglich bestehender Kontoverbindungen noch zur Anforderung der Einkommensteuererklärungen und -bescheide des Erblassers der letzten 10 Jahre verpflichtet.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.10.2021 – 10 W 29/21

Problem
Die Schuldnerin ist durch rechtskräftiges Teilurteil insbesondere zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gegenüber der pflichtteilsberechtigten Gläubigerin verurteilt worden. Ihrer Verpflichtung kam die Schuldnerin bzw. der von ihr beauftragte Notar zunächst nur unzureichend nach, sodass Zwangsgelder gegen die Schuldnerin verhängt worden sind. In der Folge teilte der Notar der Gläubigerin unter Übersendung eines Entwurfs des Nachlassverzeichnisses einen drei Tage später stattfindenden Termin zur Feststellung des Nachlassverzeichnisses mit. Dies lehnte die Schuldnerin wegen Urlaub ihres Anwalts ab und erbat die Mitteilung von drei Terminen mit einer Vorlaufzeit von vier Wochen. Der Notar schlug daraufhin mit einer Vorlaufzeit von ca. drei Wochen zwei weitere Termine vor. Der Anwalt der Gläubigerin beanstandete hierauf, dass dies nur zwei Termine seien und die erbetene Vorlaufzeit nicht eingehalten sei; außerdem erhob er diverse Einwendungen gegen den ihm übersandten Entwurf des Verzeichnisses. In der Folgezeit schlug der Notar insgesamt neun weitere Termine vor, die die Gläubigerin wegen urlaubsbedingter Abwesenheit bzw. unter Berufung auf die Corona-Pandemiesituation ablehnte. Sodann errichtete der Notar ohne Anwesenheit der Gläubigerin das Nachlassverzeichnis, welches die Schuldnerin ihr übersandte.
Daraufhin beantragte die Gläubigerin die Verhängung eines Zwangsgeldes gegen die Schuldnerin. Das LG Frankfurt a. M. verhängte – dem Antrag der Gläubigerin folgend – ein Zwangsgeld; das Nachlassverzeichnis habe keine Erfüllungswirkung, da die Gläubigerin insbesondere bei seiner Erstellung nicht zugegen gewesen sei. Hiergegen richtete sich die zulässige und in der Sache erfolgreiche sofortige Beschwerde der Schuldnerin.

Entscheidung
Das OLG Frankfurt a. M. wies den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung von Zwangsmitteln zurück. Mit dem übersandten notariellen Nachlassverzeichnis habe die Schuldnerin der titulierten Verpflichtung genügt, obwohl die Gläubigerin bei der Aufnahme nicht zugegen gewesen sei. Indem die Gläubigerin dennoch die nochmalige Erstellung des Verzeichnisses unter ihrer Hinzuziehung verlange, verstoße sie gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Zur Begründung führte das Gericht zunächst aus, dass das auf den Titel gestützte Verlangen der Gläubigerin, zur Aufnahme des Verzeichnisses hinzugezogen zu werden, unter den konkret gegebenen Umständen treuwidrig gewesen sei; die Gläubigerin sei mit keinem der vom Notar vorgeschlagenen Termine einverstanden gewesen und habe damit die Aufnahme des Verzeichnisses in ihrer Anwesenheit verhindert (§ 242 BGB sowie Rechtsgedanke des § 162 Abs. 1 BGB). Es könne dabei letztlich dahinstehen, ob ein auf die Corona-Pandemie gestützter Verlegungswunsch gerechtfertigt gewesen wäre, wenn es sich bei den in die zweite Coronawelle fallenden Terminen um die ersten Terminvorschläge des Notars gehandelt hätte. Denn bei der Bewertung des Verhaltens der Gläubigerin als treuwidrig sei ihr Gesamtverhalten zu berücksichtigen. Zwar sei die Ablehnung des ersten vorgeschlagenen Termins gerechtfertigt gewesen, nicht aber der Verlegungswunsch bezüglich der beiden weiteren sodann vorgeschlagenen Termine. Es gebe keine feststehende Regel, wonach ein Notar einem Gläubiger drei Termine mit einer vierwöchigen Vorlaufzeit vorschlagen müsse. Der Notar habe zwar im Rahmen der Verpflichtung seines Auftraggebers zur Hinzuziehung des Pflichtteilsberechtigten auf dessen Interessen Rücksicht zu nehmen. Insoweit möge man auch verlangen können, dass der Notar dem Pflichtteilsberechtigten mehrere Termine mit einer angemessenen Vorlaufzeit vorschlagen müsse. Diesen Anforderungen habe indes die Mitteilung zweier Termine mit einer Vorlaufzeit von mehr als drei Wochen entsprochen. Des Weiteren könne sich die Gläubigerin nicht mit ihrer pauschalen Berufung auf die Corona-Pandemie entschuldigen. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, warum ihr oder ihrem Prozessbevollmächtigten die (An-)Reise unzumutbar gewesen wäre. Im Übrigen wäre der Schuldnerin eine Verlegung auf unbestimmte Zeit nicht zuzumuten gewesen.

Sodann betonte das Gericht, dass das erstellte Nachlassverzeichnis die Anforderungen der titulierten Verpflichtung erfülle. Soweit die Gläubigerin moniere, der Notar habe entgegen seiner Verpflichtung über die von ihm durchgeführten Ermittlungen hinaus nicht bei diversen Dachverbänden von Banken bezüglich bestehender Kontoverbindungen angefragt, sei dem nicht zu folgen. Der Notar sei gerade nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte in alle Richtungen zu ermitteln. Der Notar sei außerdem – entgegen der Auffassung der Gläubigerin – auch nicht zur Anforderung der Einkommensteuererklärungen und -bescheide der letzten zehn Jahre verpflichtet gewesen. Denn ohne weitere Anhaltspunkte sei nicht ersichtlich, inwiefern sich aus diesen etwas für den Nachlassbestand im Todeszeitpunkt ergeben solle, das nicht bereits aus den eingesehenen Kontounterlagen deutlich werde, wie bspw. die im Nachlassverzeichnis aufgeführten Steuererstattungen.

Praxishinweis
Die Ermöglichung der Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten bei der Errichtung des Nachlassverzeichnisses durch den Notar macht eine vorherige Terminkoordination unumgänglich. Hierfür soll nach Auffassung des OLG Frankfurt a. M. der Vorschlag zweier Termine mit einer Vorlaufzeit von mehr als drei Wochen gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten grds. genügen. Absagen seitens des Pflichtteilsberechtigten unter pauschaler Berufung auf die Corona-Pandemie können unter Berücksichtigung der Gesamtumstände unbeachtlich sein (vgl. zur Frage der vorübergehenden Unmöglichkeit der Wahrnehmung eines solchen Termins durch einen Erben bei behaupteter Gefährdung durch Covid-19, OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2020, 1072). Ferner verdeutlicht die vorliegende Entscheidung einmal mehr, dass der Notar gerade nicht verpflichtet ist, ohne konkrete Anhaltspunkte in alle Richtungen zu ermitteln. Art und Umfang seiner Ermittlungspflichten werden vielmehr maßgeblich durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bestimmt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Frankfurt a. Main

Erscheinungsdatum:

12.10.2021

Aktenzeichen:

10 W 29/21

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Pflichtteil

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 6-7

Normen in Titel:

BGB § 2314