OLG Karlsruhe 24. Januar 2022
10 W 8/21
BGB §§ 133, 167, 168

Kein Widerruf einer Vorsorgevollmacht aufgrund Vorsorgevollmacht eines weiteren Einzelbevollmächtigten

letzte Aktualisierung: 10.3.2022
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.1.2022 – 10 W 8/21

BGB §§ 133, 167, 168
Kein Widerruf einer Vorsorgevollmacht aufgrund Vorsorgevollmacht eines weiteren Einzelbevollmächtigten

Werden mehreren Personen zur Einzelvertretung berechtigende (Vorsorge-)Vollmachten erteilt,
ermächtigen diese regelmäßig nicht zum Widerruf der (Vorsorge-)Vollmachten der weiteren
Einzelvertretungsberechtigten.

Gründe

I.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom
22.6.2021, mit dem dem Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden. Zuvor hatten die Parteien den
vor dem Landgericht Heidelberg geführten Rechtsstreit um die Herausgabe einer Vollmachtsurkunde
übereinstimmend für erledigt erklärt.

Der Kläger hatte dem Beklagten, der sein Stiefsohn ist, sowie drei leiblichen Kindern, darunter R.Z., am
22.11.2016 jeweils eine zur Einzelvertretung berechtigende notarielle Vorsorge- und Generalvollmacht erteilt.
Mit Schreiben vom 20.3.2018 widerrief R.Z. durch Rechtsanwaltsschreiben die dem Beklagten erteilte
Vorsorgevollmacht und forderte die Herausgabe der diesbezüglichen Vollmachtsurkunde. Mit eigenhändig
unterzeichnetem Schreiben vom 20.11.2020 widerrief der Kläger gegenüber dem Beklagten die Vollmacht
erneut und verlangte wiederum die Herausgabe der Vollmachtsurkunde. Der Aufforderung, die
Vollmachtsurkunde herauszugeben, kam der Beklagte jeweils nicht nach.

Mit Klageschrift vom 21.1.2021, die dem Beklagten am 24.2.2021 zugestellt wurde, begehrte der Kläger die
Verurteilung des Beklagten zur Herausgabe der Vollmachtsurkunde. Am 17.3.2021 gab der Beklagte die
Vollmachtsurkunde an den Kläger heraus, woraufhin beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für
erledigt erklärten.

Mit Beschluss vom 22.6.2021 sprach das Landgericht Heidelberg die Verpflichtung des Beklagten zur Tragung
der Kosten des Rechtsstreits aus. Die dem Beklagten erteilte notarielle Vollmacht sei durch den Kläger mit
Schreiben vom 20.11.2020 wirksam widerrufen worden, weshalb ein Anspruch auf Herausgabe der
Vollmachtsurkunde gemäß § 175 BGB bestanden habe. Der Einwand des Beklagten, er habe keinen Anlass
zur Klageerhebung gegeben, greife nicht durch.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, mit der er insbesondere
vorbringt, die Vollmacht sei durch das Schreiben vom 20.11.2020 aufgrund der Geschäftsunfähigkeit des
Klägers nicht wirksam widerrufen worden. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom
23.8.2021 nicht abgeholfen.

Der Senat hat mit Verfügung vom 30.9.2021 den Hinweis erteilt, dass es am schlüssigen Vortrag eines
wirksamen Widerrufs der Vorsorgevollmacht durch den Kläger, vertreten durch R.Z., mit
Rechtsanwaltsschreiben vom 20.3.2018 fehlen dürfte. Hierzu hat der Beklagte Stellung genommen; der Kläger
hat keine Stellungnahme abgegeben.

II.
Die gemäß § 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde des Beklagten ist auch im Übrigen
zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist über die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz unter Berücksichtigung
des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen durch Beschluss zu entscheiden. Maßgeblich
für die Entscheidung sind insbesondere der ohne die Erledigung zu erwartende Verfahrensausgang und die
damit einhergehende voraussichtliche Kostenentscheidung (siehe nur BGH, Beschluss vom 7.5.2007, VI ZR
233/05, NJW 2007, 3429; Beschluss vom 19.7.2017, VIII ZR 284/16, NJW-RR 2017, 1041). Bei dessen
Beurteilung kann auch neuer, das heißt nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung und ggf. auch erst
im Beschwerdeverfahren vorgebrachter Tatsachenvortrag noch zu berücksichtigen sein; dies gilt zwar nicht
uneingeschränkt (siehe allgemein Jaspersen, in: BeckOK ZPO, 43. Edition 2021, § 91a Rn. 29 m. w. N.),
jedenfalls aber für unstreitigen Tatsachenvortrag, der keiner weiteren Aufklärung oder gar Beweisaufnahme
bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.6.1993, 17 W 33/93, MDR 1993, 1120; OLG Köln, Beschluss
vom 7.5.2018, 24 W 1/18; Schulz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91a Rn. 49).

2. Danach entsprach es vorliegend der Billigkeit, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Denn
unter Würdigung des maßgeblichen Sach- und Streitstands stand dem Kläger zur Zeit des erledigenden
Ereignisses kein Anspruch gegen den Beklagten auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde aus § 175 BGB zu.
Die Vollmacht war zu diesem Zeitpunkt nicht wirksam widerrufen worden.

Soweit sich der Kläger auf einen Widerruf der Vollmacht durch den Kläger, vertreten durch Herrn R.Z., dieser
vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr. L., mit Schreiben vom 20.3.2018 berufen hat, ist ein wirksamer
Widerruf der Vollmacht bereits nicht schlüssig vorgetragen. Mit der Erteilung einer Vorsorgevollmacht an eine
Person ist regelmäßig nicht die Bevollmächtigung zum Widerruf einer gleichzeitig einer weiteren Person
erteilten Vorsorgevollmacht und daher auch nicht zur Erteilung einer entsprechenden Unterbevollmächtigung
verbunden. Denn andernfalls wäre der Wunsch des Vollmachtgebers, mehreren Personen eine
Einzelvertretungsmacht einzuräumen, ständig der Gefahr ausgesetzt, nach dem „Windhundprinzip“
konterkariert zu werden, indem jeder Einzelbevollmächtigte fortlaufend gewärtigen müsste, seine Vollmacht
werde durch einen anderen Bevollmächtigten widerrufen. Jeder Bevollmächtigte könnte sich so die Position
eines ausschließlich Bevollmächtigten verschaffen, und dies - jedenfalls nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit
des (Vorsorge-)Vollmachtgebers - sogar dauerhaft. Dies hatte der Vollmachtgeber jedoch ersichtlich nicht
gewollt, als er sich dafür entschied, mehreren Personen eine Einzelvertretungsbefugnis zu erteilen, weshalb im
Wege der Auslegung (§ 133 BGB) im Regelfall - und so auch hier - eine entsprechende konkludente
Beschränkung der Vertretungsmacht jedes Einzelbevollmächtigten zu ermitteln ist (siehe auch OLG Karlsruhe,
Beschluss vom 3.2.2010, 19 U 124/09).

Soweit sich der Kläger auf einen Widerruf der Vollmacht durch eigenhändiges Schreiben vom 20.11.2020
berufen hat, hat der Beklagte mit der Beschwerdeschrift eingewandt, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt
bereits geschäftsunfähig gewesen. Dieser Vortrag ist im Beschwerdeverfahren unstreitig geblieben, so dass er
von dem Senat - nach den oben ausgeführten Grundsätzen - seiner Entscheidung zugrunde zu legen war. Die
Widerrufserklärung vom 20.11.2020 war folglich gemäß § 105 Abs. 1 BGB nichtig. Es kommt daher nicht
darauf an, dass auch die sonstige Aktenlage eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers zu diesem Zeitpunkt
jedenfalls sehr nahelegt. So regte die Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schreiben vom 1.12.2020
beim Amtsgericht Heidelberg - Betreuungsgericht - die Bestellung eines Betreuers für den Kläger mit der
Begründung an, dieser leide an einer fortgeschrittenen Demenz, und stellte das Amtsgericht Heidelberg
daraufhin mit Beschluss vom 1.2.2021 auf der Grundlage eines Berichts der Betreuungsbehörde vom
13.1.2021 sowie eines ärztlichen Gutachtens vom 27.1.2021 fest, dass der Kläger aufgrund einer
mittelgradigen demenziellen Erkrankung nicht in der Lage sei, den Widerruf der erteilten Vollmacht(en)
wirksam selbst zu besorgen.

Die Klage war nach alledem zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses unbegründet, so dass
dem Kläger nach allgemeinen kostenrechtlichen Grundsätzen (vgl. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auch im Rahmen
einer Entscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen waren.

Die gleichgerichtete Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt unmittelbar aus § 91 Abs.
1 Satz 1 ZPO.

III.
Von der Festsetzung eines Streitwerts für die Beschwerdeinstanz hat der Senat abgesehen, da im
Beschwerdeverfahren keine Gerichtsgebühren anfallen, die sich nach der Höhe des Streitwerts richten (vgl. Nr.
1810 KVGKG; siehe auch OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 1.7.2019, 6 W 46/19; OLG Karlsruhe,
Beschluss vom 6.7.2020, 6 W 49/19).

Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO
liegt nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Karlsruhe

Erscheinungsdatum:

24.01.2022

Aktenzeichen:

10 W 8/21

Rechtsgebiete:

Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 133, 167, 168