LG Karlsruhe 24. Februar 2023
11 S 139/21
WEG a. F. § 15 Abs. 3

Zur Auslegung einer Gebrauchsregelung in der Gemeinschaftsordnung

letzte Aktualisierung: 26.4.2023
LG Karlsruhe, Urt. v. 24.2.2023 – 11 S 139/21

WEG a. F. § 15 Abs. 3
Zur Auslegung einer Gebrauchsregelung in der Gemeinschaftsordnung

Eine „Teileigentumseinheit bestehend aus Hobby- und Abstellraum“ kann auch zu Zwecken eines
gewerblichen Buchhaltungsbüros genutzt werden.

Gründe

(abgekürzt nach § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO)

I.
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Unterlassung der Nutzung der
streitgegenständlichen Erdgeschossräume als Buchhaltungsbüro bzw. auf die begehrte
Feststellung. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB
i.V.m. § 15 Abs. 3 WEG a. F. (in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung) bzw. § 18
Abs. 2 Nr. 2 WEG n. F. (in der ab dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung).
a. Jeder Wohnungseigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft kann (nach bisherigem
Recht) einen den Vereinbarungen entsprechenden Gebrauch der im Sondereigentum stehenden
Gebäudeteile verlangen (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2017 – V ZR 275/16 Rn. 10 m.w.N.
zu § 15 Abs. 3 WEG a.F.).

Die Kläger können den Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3
WEG a. F. auch individuell geltend machen. Zwar war es der
Wohnungseigentümergemeinschaft nach bisherigem Recht möglich, die Durchsetzung
entsprechender Ansprüche durch Mehrheitsbeschluss an sich zu ziehen, was zur Folge hat, dass
der einzelne Wohnungseigentümer seine Aktivlegitimation verliert (BGH, Urteil vom
5. Dezember 2014 – V ZR 5/14). Dies ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich noch
naheliegend bei einer Zweier-WEG.

Bisher konnte ein nachteilig betroffener Wohnungseigentümer nach § 1004 Abs. 1 BGB –
ebenso wie nach § 15 Abs. 3 WEG a. F. – die Unterlassung oder Beseitigung der
Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums verlangen.

Nach der nunmehr anwendbaren Vorschrift des § 9a Abs. 2 WEG in der seit dem 1. Dezember
2020 geltenden Fassung übt jedoch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus
dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte aus. Dazu gehören insbesondere
Ansprüche aus § 1004 BGB wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums
(vgl. BT-Drucks. 19/18791, S. 46).

Allerdings hat der Bundesgerichtshof im Hinblick auf das Übergangsrecht entschieden, dass in
den vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren eine bestehende
Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Wohnungseigentümers über diesen Zeitpunkt hinaus
in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fortgilt bis dem Gericht eine
schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen
entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht
wird (BGH, Urteil vom 7. Mai 2021 – V ZR 299/19, juris Rn. 12 ff.). Dies ist vorliegend nicht
erfolgt, sodass die Kläger weiterhin prozessführungsbefugt sind.

b. Die Nutzung der streitgegenständlichen Erdgeschossräume als Buchhaltungsbüro
widerspricht nicht den vereinbarten Gebrauchsregelungen der Wohnungseigentümergemeinschaft.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 15. Dezember
2017 – V ZR 275/16 Rn. 10 m.w.N.) kann jeder Wohnungseigentümer einer
Wohnungseigentümergemeinschaft nach § 15 Abs. 3 WEG a. F. einen den Vereinbarungen
entsprechenden Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile verlangen. Werden
die in der Norm genannten Gebrauchsregelungen nicht eingehalten, liegt darin eine
Eigentumsbeeinträchtigung, die Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004
Abs. 1 Satz 2 BGB ist.

Maßgebend für die zulässige Nutzung ist die in der Teilungserklärung enthaltene
Zweckbestimmung (vgl. zum Ganzen: Bärmann/Suilmann, 15. Aufl. 2023, WEG § 13 Rn. 40-
47).

Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob überhaupt eine den Gebrauch beschränkende
Zweckbestimmung vorliegt und – wenn ja – welchen Inhalt sie hat (BGH NJW-RR 2017, 1042
(1043)). Ist die Zweckbestimmung als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen
(§ 10 Abs. 3 WEG), so kommt es bei der Auslegung wie bei allen Grundbucheintragungen auf
den Wortlaut und Sinn an, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende
Bedeutung des Eingetragenen (oder zulässigerweise in Bezug Genommenen) ergibt (BGH NZM
2020, 667 (668); NJW 2018, 41 (45); NJW-RR 2017, 1042 (1043); NJW-RR 2017, 462 (463)).
Umstände außerhalb der Eintragung können nur herangezogen werden, wenn sie nach den
besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann erkennbar sind (BGH NJW-RR 2019,
519 (521); NJW-RR 2017, 1042 (1043)).

Bei der Auslegung sind subjektive Vorstellungen ohne Bedeutung (BGHZ 156, 192 (197) =
ZWE 2004, 66; NZM 2009, 866). Die Auslegung muss „aus sich heraus“ objektiv und normativ
erfolgen. (BGH NJW 2016, 53 (55); NZM 2018, 909 (910)). In zeitlicher Hinsicht ist im
Grundsatz von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Eintragung auszugehen.
Die Nutzung von Wohnungseigentum oder Teileigentum wird über die mit der Einordnung als
Wohnungs- und Teileigentum verbundene Zweckbestimmung hinaus nur dann auf bestimmte
Zwecke beschränkt, wenn dies aus der Gemeinschaftsordnung klar und eindeutig hervorgeht
(BGH NJW 2019, 3716; NJW-RR 2019, 519 (521)).

Angaben zur Zweckbestimmung finden sich oft nicht nur in der Teilungserklärung, sondern
auch in dem Aufteilungsplan, welcher nach § 8 Abs. 2 WEG der Teilungserklärung und nach § 7
Abs. 4 Nr. 1 WEG der Eintragungsbewilligung beizufügen ist. Ob den Angaben im
Aufteilungsplan zur Zweckbestimmung verbindliche, die Nutzungsmöglichkeiten des
Sondereigentums beschränkende Wirkungen oder nur die Qualität eines Nutzungsvorschlags
(Vgl. BayObLG WE 1986, 152; OLG Hamburg ZMR 2003, 445 (446); OLG Schleswig ZMR
2004, 68) zukommen soll, ist ebenfalls durch Auslegung zu ermitteln (BGH NJW-RR 2015,
1037 (1038); ZWE 2010, 178; ZWE 2013, 29; OLG Schleswig NZM 1999, 79 (80); vgl. auch
OLG Frankfurt a. M. ZWE 2008, 433 mAnm Demharter; Suilmann MietRB 2020, 91 (92)). In
der Regel handelt es sich hierbei nur um einen unverbindlichen Nutzungsvorschlag (BGH NJWRR
2017, 462 (463); NJW-RR 2015, 1037 (1038); ZWE 2013, 168 (169); ZWE 2010, 178; OLG
Karlsruhe ZWE 2017, 90 (91)), weil dem Aufteilungsplan lediglich eine sachenrechtliche
Abgrenzungsfunktion zukommt. Aufgabe des Aufteilungsplans ist es nach § 7 Abs. 4 Nr. 1
WEG, die Aufteilung des Gebäudes sowie die Lage und Größe der im Sondereigentum und der
im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudeteile ersichtlich zu machen, nicht dagegen,
die Rechte der Wohnungs- und Teileigentümer über die Bestimmung der Grenzen des
jeweiligen Eigentums hinaus zu erweitern oder zu beschränken (BGH ZWE 2013, 168).
15Eine bestimmte Nutzung der Räume ist in der Regel nicht vorgeschrieben. Das Recht, die
Räume abweichend vom Nutzungsvorschlag zu gebrauchen, findet nur in dem
Rücksichtnahmegebot aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG seine Schranke.

Nimmt die Aufteilungsurkunde jedoch nicht nur hinsichtlich der räumlichen Aufteilung,
sondern auch darüber hinaus auf den Aufteilungsplan Bezug, bedeuten die Nutzungsangaben im
Aufteilungsplan in der Regel verbindliche Zweckbestimmungen mit Vereinbarungscharakter
(BGH ZWE 2013, 168 (169)). Dies muss aber aus der Bezugnahme in der
Gemeinschaftsordnung oder Teilungserklärung eindeutig hervorgehen (BGH NJW-RR 2017,
462 (463)). Stehen die Nutzungsangaben im Aufteilungsplan in Widerspruch zu entsprechenden
Angaben in der Teilungserklärung, gehen letztere vor (BGH NJW-RR 2017, 462 (463); NJW-RR
2015, 645).

Im konkreten Fall ist maßgeblich, dass die Teilungserklärung von einer „Teileigentumseinheit“
spricht (AS I 37). Teileigentum ist das Sondereigentum an nicht zu Wohnzwecken dienenden
Räumen eines Gebäudes in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen
Eigentum, zu dem es gehört § 1 Abs. 3 WEG). Die Zweckbestimmung kann also alles außer
Wohnzwecken erfassen. Erfolgt keine nähere Einschränkung in der Gemeinschaftsordnung,
sind auch sämtliche Nutzungen außer einer Wohnnutzung zulässig (Bärmann/Pick/Baer,
20. Aufl. 2020, WEG § 1 Rn. 12).

Eine nähere Zweckbestimmung ergibt sich aus der Formulierung „Teileigentumseinheit
bestehend aus Hobby- und Abstellraum“ in der Teilungserklärung nicht. Die nähere
Bezeichnung der einzelnen Räume als “Hobbyraum” oder “Abstellraum” erfolgt nächstliegend
nur im Zusammenhang mit der räumlichen Abgrenzung des Sondereigentums. Dies ergibt sich
bereits aus der Formulierung “bestehend aus”, die erkennbar darauf abzielt, den Gegenstand des
Sondereigentums zu bestimmen und ihn von den anderen Bestandteilen des Gebäudes
abzugrenzen. Es mag zwar sein, dass durch die Formulierung „Nr. 18 … im Haus C“ in der
Teilungserklärung alleine schon hinreichend der räumliche Bezug zur Einheit „C18“ des
Aufteilungsplans hergestellt wäre. Es ist jedoch – zumal die Kurzbezeichnungen im
Aufteilungsplan („C18“) und in der Teilungserklärung („18 … C“) im Detail nicht vollständig
gleich sind – zumindest nützlich und klarstellend, wenn zusätzlich noch der Bezug durch die in
beiden Dokumenten verwendeten Raumbezeichnungen (“Hobbyraum“ und „Abstellraum“)
hergestellt ist. Jedenfalls ergibt sich aus der Erklärung nicht mit der erforderlichen Klarheit, dass
der jeweilige Eigentümer an diese vorgeschlagene Nutzung der Räume auch zukünftig gebunden
sein soll. Insbesondere ist dies semantisch nicht zum Ausdruck gebracht. Eine Vokabel oder
auch nur eine Präposition, die explizit im Sinne einer Zweckbestimmung zu verstehen ist, findet
sich in der Teilungserklärung nicht. Für neuwertige Erdgeschossräume (zumal in einer
selbständigen Teileigentumseinheit) wäre es auch eher ungewöhnlich bzw. ist es nicht ohne
Weiteres naheliegend, wenn sie nur für Hobby- und Abstellzwecke genutzt werden dürfen,
wobei das Gericht nicht übersehen hat, dass sich im konkreten Objekt auch die Wohnungskeller
auf Erdgeschossniveau befinden. Ist aber die Teilungserklärung zumindest unklar, so gilt im
Zweifel, dass sie insoweit keine Einschränkung vorgibt (BGH v. 27.10.2017 – V ZR 193/16,
NJW 2018, 41, 45, Tz. 29; LG Berlin, Urteil vom 14. September 2018 – 55 S 201/13 WEG –,
Rn. 30, juris).

Der Aufteilungsplan (AS I 79) enthält bei isolierter Betrachtung erst recht keine konkrete
Nutzungsvorgabe, sondern dort wird die Einheit zusätzlich noch als „WHG C18 RECHTS“
bezeichnet. Die Bezeichnung als „WHG“, also als „Wohnung“, passt zu einer
Teileigentumseinheit allerdings gar nicht. Dies verdeutlicht aber, dass zum Zeitpunkt der
Planerstellung überhaupt noch keine festen Vorstellungen über die Raumnutzung bestanden
haben können.

Der bereits erstinstanzlich angesprochene § 8 Abs. 2 der Teilungserklärung bestätigt das
gefundene Ergebnis eher, als dass er ihm widerspricht. Die dortige Detailregelung zur
gewerblichen Nutzung von Wohnungen und zum Prozedere der Einholung der Einwilligung des
Verwalters wäre geradezu diskriminierend, wenn ausgerechnet den Teileigentümern – entgegen
der sonst üblichen Praxis – jegliche gewerbliche Nutzung untersagt wäre und die
Teilungserklärung das Einwilligungsverfahren nicht auch für diese Einheiten ermöglicht. Es mag
sein, dass die Teilungserklärung hier keinen Regelungsbedarf sieht, weil den Teileigentümern
ohnehin die gewerbliche Nutzung offensteht. Die von § 4 der Teilungserklärung vorgesehene
„sinngemäße Anwendung“ auf Teileigentümer könnte bezogen auf § 8 Abs. 2 der
Teilungserklärung zweierlei bedeuten: Zum einen, dass und wie (doch auch) die Teileigentümer
die gewerbliche Nutzung beantragen können, zum anderen aber auch, dass und wie die
Teileigentümer die Wohnnutzung beantragen können.

2. Aus den gemachten Ausführungen ergibt sich zugleich, dass der Feststellungsantrag
(Klagantrag Ziff. 2) nicht begründet ist, da es gerade keine Nutzungsbeschränkung auf Hobbyund
Abstellzwecke gibt. Die weiteren Begehren in Anträgen Ziff. 3 und 4 (Vollstreckungsantrag
nach § 890 Abs. 2 und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten) sind – aus den genannten
Gründen – genausowenig begründet wie der Antrag Ziff. 1.

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § ZPO § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10,
713, ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Rechtssache weder grundsätzliche
Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.
Der Streitwert wird in Anlehnung an die Streitwertfestsetzung in erster Instanz festgesetzt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

LG Karlsruhe

Erscheinungsdatum:

24.02.2023

Aktenzeichen:

11 S 139/21

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

WEG a. F. § 15 Abs. 3