Zur Aufhebbarkeit der Auslandsehe einer bei Eheschließung 16-Jährigen
letzte Aktualisierung: 4.2.2021
BGH, Urt. v. 22.7.2020 – XII ZB 131/20
Abs. 1 u. 3, 229
Zur Aufhebbarkeit der Auslandsehe einer bei Eheschließung 16-Jährigen
a) Die Aufhebbarkeit einer Auslandsehe, die mit einem Ehegatten geschlossen worden ist, der bei
Eheschließung zwar das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, richtet sich nach
§§ 1313 ff. BGB in der aktuell geltenden Fassung. Die Überleitungsvorschriften der Art. 229 § 44
Abs. 1 und 2 EGBGB sind auf solche Ehen nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden.
b) Ob einer der von § 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB genannten Gesetzesverstöße vorliegt, bei
denen die zuständige Verwaltungsbehörde berechtigt ist, einen Antrag auf Eheaufhebung zu stellen,
ist keine Frage der Antragsberechtigung, sondern eine der Begründetheit des Antrags (Abgrenzung
zu Senatsurteil vom 11. April 2012 – XII ZR 99/10 – FamRZ 2012, 940).
c) Für die Bestätigung der Ehe ist zwar die positive Kenntnis des Ehegatten von ihrer Aufhebbarkeit
nicht erforderlich. Er muss aber die den Ehemangel begründenden Tatsachen kennen und
wenigstens ein allgemeines Bewusstsein davon haben, dass er die Ehe wegen des
Eingehungsmangels zur Auflösung bringen kann oder dass Zweifel an ihrer Gültigkeit bestehen und
er durch sein Verhalten ein möglicherweise vorhandenes Aufhebungsrecht aufgibt.
d) Die Norm des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB räumt dem Richter für die Frage, ob die Ehe bei
Vorliegen des Aufhebungsgrundes aufzuheben ist, ein eingeschränktes Ermessen ein. Fehlt in diesen
Fällen ein Ausschlussgrund gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 BGB, kann von einer Eheaufhebung
ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn feststeht, dass die Aufhebung in keiner Hinsicht
unter Gesichtspunkten des Minderjährigenschutzes geboten ist, sondern vielmehr gewichtige
Umstände gegen sie sprechen.
Gründe:
A.
Der Antragsteller begehrt als zuständige Verwaltungsbehörde die Aufhebung
der am 10. September 2001 in Haret Hreik, Libanon, geschlossenen Ehe
der Antragsgegner.
Zum Zeitpunkt der Eheschließung waren die Antragsgegner libanesische
Staatsangehörige moslemischen Glaubens. Der Antragsgegner war 21 Jahre
alt, die am 17. November 1984 geborene Antragsgegnerin war 16 Jahre alt. Sie
lebte damals bereits in Deutschland und erwarb im Jahre 2002 die deutsche
Staatsangehörigkeit. Im August 2002 folgte der Antragsgegner seiner Ehefrau
nach Deutschland, wo die Ehegatten von April 2003 bis Juni 2016 zusammenlebten
und vier Kinder (geboren 2005, 2008, 2009 und 2013) bekamen. Seit der
Trennung der Ehegatten leben die vier Kinder im Haushalt der Mutter, die einen
neuen Lebensgefährten hat. Die Eheleute sind inzwischen nach islamischem
Recht geschieden.
Nachdem die Antragsgegnerin anlässlich einer standesamtlichen Beurkundung
am 1. Oktober 2018 auf Nachfrage der Standesbeamtin mitgeteilt hatte,
die Ehe nicht fortsetzen zu wollen, hat der Antragsteller beim Amtsgericht
beantragt, die Ehe aufzuheben, weil die Antragsgegnerin bei Eheschließung
minderjährig gewesen sei. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen,
weil die Aufhebbarkeit der vor dem 22. Juli 2017 geschlossenen Ehe sich nach
dem bis dahin geltenden Recht richte und ein bis zu diesem Zeitpunkt geregelter
Eheaufhebungsgrund nicht vorliege. Auch bei Anwendbarkeit des aktuellen
Rechts scheide eine Eheaufhebung aus, weil die Antragsgegnerin durch das
Zusammenziehen mit ihrem Mann und die Begründung einer mehrköpfigen
Familie zu erkennen gegeben habe, dass sie die Ehe fortsetzen wolle. Die Beschwerde
des Antragstellers ist ohne Erfolg geblieben. Das Kammergericht hat
sie mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag als unzulässig zurückgewiesen
wird.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragsstellers,
der seinen Eheaufhebungsantrag weiterverfolgt.
B.
Die Rechtsbeschwerde bleibt letztlich ohne Erfolg. Der auf Eheaufhebung
gerichtete Antrag ist zwar nicht unzulässig, aber unbegründet.
I.
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Dem Antragsteller fehle die Antragsberechtigung, weil kein Verstoß gegen
§ 1303 Satz 1 BGB vorliege.
Die Ehe der Antragsgegner sei als wirksam geschlossen anzusehen.
Diese Frage sei selbständig anzuknüpfen und richte sich nach libanesischem
Recht, weil beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung im Libanon die
libanesische Staatsangehörigkeit besessen hätten. Der Libanon gehöre zu den
konfessionellen Staaten. In ihm lebten mehrere Glaubensgemeinschaften zusammen,
die im Bereich des Personalstatuts gesetzlich und gerichtlich autonom
seien. Jeder Libanese gehöre ab seiner Geburt einer anerkannten Glaubensgemeinschaft
an, die ihre eigene religiöse Regelung anwende und keine Rückverweisung
ausspreche. Nach dem sowohl für die sunnitische als auch für die
schiitische Gemeinschaft anwendbaren ottomanischen Familiengesetz betrage
das Heiratsmindestalter für den Bräutigam 18 Jahre und für die Braut 17 Jahre.
Der Richter könne die Heiratsfähigkeit einem Mädchen unter 17 Jahren zusprechen,
wenn dieses behaupte, geschlechtsreif zu sein. Zusätzlich bedürfe das
Mädchen der Zustimmung des Ehevormunds. Es sei verboten, Mädchen unter
9 Jahren zu verheiraten. Die Ehe werde vor dem Richter oder seinem Vertreter
geschlossen. Hier habe keiner der Beteiligten Tatsachen vorgetragen, die die
Erteilung des zum Eheschluss erforderlichen richterlichen Dispenses in Frage
stellten. Weitere Ermittlungen seien aufgrund des im Eheaufhebungsverfahren
eingeschränkten Ermittlungsgrundsatzes nicht veranlasst.
Die Aufhebbarkeit der Ehe richte sich gemäß Art. 13 Abs. 3 Nr. 2
EGBGB nach §§ 1314, 1315 BGB in der aktuellen Fassung, weil eine Übergangsregelung
nicht vorhanden sei. Das Vorliegen einer libanesischen Geneh-
migung bei Eheschließung habe jedoch zur Folge, dass die Ehe der Antragsgegner
in analoger Anwendung der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44
Abs. 2 EGBGB Bestandsschutz genieße und eine Aufhebung ausgeschlossen
sei. Mit den Neuregelungen zum Ehemündigkeitsalter durch das Gesetz zur
Bekämpfung von Kinderehen habe der Gesetzgeber eine Gleichbehandlung
von in- und ausländischen Ehen erzielen wollen. Er sei zudem davon ausgegangen,
dass die im Ausland wirksam geschlossene Ehe durch Art. 6 GG geschützt
sei, was zum besonderen Schutz verpflichte, soweit nicht höherrangiges
Recht entgegenstehe. Bei der Überprüfung, ob die Ehen minderjähriger ausländischer
Staatsangehöriger in Deutschland Bestand haben könnten, seien vorrangig
Aspekte des Wohls des minderjährigen Ehegatten zu berücksichtigen,
und solche Ehen sollten im Rahmen des Aufhebungsverfahrens fortan an den
eherechtlichen und kindeswohlorientierten Maßstäben des deutschen Rechts
gemessen werden. Soweit in der Gesetzesbegründung zu Art. 229 EGBGB
formuliert sei, dass für die nach inländischem Recht zu schließenden Ehen und
für Auslandsehen die neue Rechtslage unmittelbar gelte, berücksichtige dies
nicht die anzuerkennenden ausländischen Befreiungen vom Erfordernis der
Ehemündigkeit. Eine Sinn und Zweck der Bestimmung des Art. 229 § 44 Abs. 2
EGBGB berücksichtigende Interessenabwägung zwischen dem Kindesschutz
und dem Schutz der Ehen sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung in- und
ausländischer Ehen führe hier zu einem für die analoge Anwendung sprechenden
Abwägungsergebnis. Zusätzlich könne der Grundsatz angeführt werden,
dass die Eheschließung einen abgeschlossenen Vorgang darstelle und ihre
Wirksamkeit und Aufhebbarkeit sich nach dem zur Zeit der Eheschließung geltenden
Recht bestimmen sollten, was auch das Kollisionsrecht einbeziehe.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand, soweit das Beschwerdegericht
eine Aufhebung der Ehe der Antragsteller abgelehnt hat.
1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die unbeschadet
des Wortlauts des § 72 Abs. 2 FamFG auch in den Verfahren nach
dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen
zu prüfen ist (Senatsbeschluss vom 14. November 2018 - XII ZB 292/16 -
FamRZ 2019, 181 Rn. 25 mwN), ergibt sich vorliegend jedenfalls aus Art. 1
Abs. 1 lit. a, Art. 3 Abs. 1 lit. a erster Spiegelstrich der Verordnung (EG)
Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in
Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung
(EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EU Nr. L 338 S. 1; Brüssel IIa-VO), weil beide
Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.
2. Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht die Ehe der Antragsgegner
als wirksam behandelt.
Die Vorfrage, ob die im Zeitpunkt der Eheschließung minderjährige Antragsgegnerin
eine wirksame Ehe eingegangen ist, ist selbständig anzuknüpfen.
Sie richtet sich gemäß Art. 11, 13 Abs. 1 EGBGB nach libanesischem Recht,
weil beide Ehegatten bei Eheschließung im Libanon die libanesische Staatsangehörigkeit
hatten und das libanesische Recht nach den in der Rechtsbeschwerdeinstanz
nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen keine
Rückverweisung ausspricht (vgl. Senatsbeschluss vom 14. November 2018
- XII ZB 292/16 - FamRZ 2019, 181 Rn. 36 mwN).
Von keinem Beteiligten in Zweifel gezogen und rechtsbeschwerderechtlich
nicht zu beanstanden ist auch, dass das Beschwerdegericht keine Ermittlungen
von Amts wegen dazu angestellt hat, ob der gemäß seinen Feststellungen
nach libanesischem Recht erforderliche richterliche Dispens und die Zustimmung
des Ehevormunds für die damals 16 Jahre alte und damit nach ihrem
Heimatrecht noch nicht ehemündige Antragsgegnerin vorgelegen haben. In
Verfahren auf Scheidung oder Aufhebung der Ehe dürfen aufgrund der gemäß
§ 127 Abs. 2 FamFG eingeschränkten Amtsermittlung von den Beteiligten nicht
vorgebrachte Tatsachen nur berücksichtigt werden, wenn sie geeignet sind, der
Aufrechterhaltung der Ehe zu dienen oder wenn der Antragsteller einer Berücksichtigung
nicht widerspricht (vgl. dazu auch Keidel/Weber FamFG 20. Aufl.
§ 127 Rn. 5). Tatsachen, die die Wirksamkeit der Eheschließung in Frage stellen,
sind nicht verfahrensgegenständlich geworden.
3. Im Grundsatz ebenfalls zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen,
dass sich die Aufhebbarkeit der Ehe der Antragsgegner nach den
§§ 1313 ff. BGB in der aktuell geltenden Fassung richtet. Es hat jedoch zu Unrecht
eine entsprechende Anwendung von Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB bejaht.
a) Mit dem am 22. Juli 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung
von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2429) hat der Gesetzgeber das
Ehemündigkeitsalter ausnahmslos auf 18 Jahre festgelegt, indem er in § 1303
Satz 1 BGB bestimmt hat, dass eine Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen
werden darf. Die zuvor bestehende Möglichkeit des § 1303 Abs. 2
BGB aF, wonach das Familiengericht auf Antrag eine Befreiung vom Erfordernis
der Volljährigkeit erteilen konnte, wenn der Antragsteller das 16. Lebensjahr
vollendet hatte und sein künftiger Ehegatte volljährig war, ist gestrichen worden.
Wie - insoweit inhaltlich identisch - schon in § 1314 Abs. 1 BGB aF geregelt
war, kann gemäß § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB eine Ehe aufgehoben werden, wenn
sie entgegen § 1303 Satz 1 BGB mit einem Minderjährigen geschlossen worden
ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte.
Von jüngeren Personen geschlossene Ehen werden vom Gesetz dagegen nun
nicht mehr als aufhebbar, sondern gemäß § 1303 Satz 2 BGB als unwirksam
eingestuft (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 14. November 2018
- XII ZB 292/16 - FamRZ 2019, 181).
Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten gemäß Art. 13 Abs. 1
EGBGB ausländischem Recht, so bestimmt der neue Art. 13 Abs. 3 EGBGB,
dass die Ehe nach dem - dann in jedem Fall anwendbaren (vgl. auch BTDrucks
18/12086 S. 16; BR-Drucks. 275/17 S. 16) - deutschen Recht unwirksam
ist, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr
nicht vollendet hatte (Nr. 1), und aufhebbar, wenn er in diesem Zeitpunkt zwar
das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte (Nr. 2).
Bei einem Verstoß gegen § 1303 Satz 1 BGB ist die Aufhebung der Ehe
gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a BGB - wie nach § 1315 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 Alt. 2 BGB aF - zum einen ausgeschlossen, wenn der minderjährige Ehegatte,
nachdem er volljährig geworden ist, zu erkennen gegeben hat, dass er
die Ehe fortsetzen will (Bestätigung), und gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
lit. b BGB nunmehr zum anderen, wenn auf Grund außergewöhnlicher Umstände
die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten
darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise
geboten erscheint. Zudem hat der Gesetzgeber die vormals nach allgemeiner
Meinung ein Ermessen umfassende Antragsberechtigung der zuständigen Behörde
(vgl. etwa Senatsurteil vom 11. April 2012 - XII ZR 99/10 - FamRZ 2012,
940 Rn. 12; MünchKommBGB/Wellenhofer 8. Aufl. § 1316 Rn. 15; BT-Drucks.
18/12086 S. 16, 22) nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei Verstößen gegen das
Ehemündigkeitsalter in eine Antragspflicht umgestaltet, indem er in § 1316
Abs. 3 Satz 2 BGB anordnet, dass sie bei einem Verstoß gegen § 1303 Satz 1
BGB den Antrag stellen muss. Ausgenommen hiervon sind lediglich die Fälle, in
denen eine Bestätigung im Sinne des § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a BGB erfolgt
ist.
b) Mangels insoweit einschlägiger Übergangsregelung ist diese neue
Rechtslage nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 18/12086
S. 23; BR-Drucks. 275/17 S. 26) uneingeschränkt auch auf vor dem Inkrafttreten
des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen mit einem Verlobten, der
das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, geschlossene Auslandsehen
anzuwenden (so auch Coester-Waltjen IPrax 2019, 127, 129; aA
Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 1 Rn. 134; Münch-
KommBGB/Wellenhofer 7. Aufl. Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 8; vgl. auch Hüßtege
FamRZ 2017, 1374 f.).
aa) Die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB, nach der
§ 1303 Satz 2 BGB in der ab dem 22. Juli 2017 geltenden Fassung für Ehen,
die vor diesem Datum geschlossen worden sind, nicht anzuwenden ist und die
Aufhebbarkeit dieser Ehen sich nach dem bis dahin geltenden Recht richtet, erfasst
entgegen der noch vom Amtsgericht vertretenen Meinung solche Auslandsehen
nicht. Bereits aus dem Wortlaut ergibt sich eindeutig, dass die Regelung
sich nur auf inländische Ehen im Sinne des § 1303 Satz 2 BGB bezieht,
die also mit einer Person, die bei Eingehung der Ehe das 16. Lebensjahr noch
nicht vollendet hat, geschlossen worden sind. Diese sollen nicht nach neuem
Recht unwirksam, sondern nach altem Recht aufhebbar sein. Der Gesetzgeber
wollte insoweit allein eine Regelung für nach deutschem Recht geschlossene
Ehen treffen (vgl. BT-Drucks. 18/12086 S. 24; BR-Drucks. 275/17 S. 26), weshalb
er für Auslandsehen mit Personen im Alter unter 16 Jahren in Art. 229 § 44
Abs. 4 EGBGB eine spezielle Bestimmung zur Anwendbarkeit des Art. 13
Abs. 3 Nr. 1 EGBGB geschaffen hat.
bb) Ebenfalls nicht einschlägig ist die Überleitungsvorschrift des Art. 229
§ 44 Abs. 2 EGBGB, nach der die Aufhebung einer Ehe wegen eines Verstoßes
gegen § 1303 BGB ausgeschlossen ist, wenn sie nach Befreiung vom Erfordernis
der Volljährigkeit nach § 1303 Abs. 2 bis 4 BGB aF und vor dem 22. Juli
2017 geschlossen worden ist. Sowohl aus dem Wortlaut der Norm als auch aus
dem vom Gesetzgeber mit ihr verfolgten Sinn und Zweck (vgl. dazu BT-Drucks.
18/12086 S. 24; BR-Drucks. 275/17 S. 26) ergibt sich, dass auch diese Regelung
nur nach deutschem Recht geschlossene Ehen erfasst. Entgegen der vom
Beschwerdegericht vertretenen Auffassung (ebenso BeckOGK/Kriewald [Stand:
1. April 2020]
ist die Bestimmung auch nicht entsprechend auf vor dem 22. Juli 2017 geschlossene
Auslandsehen von Minderjährigen anzuwenden, für die dem minderjährigen
Ehegatten im Ausland ein richterlicher Dispens vom Erfordernis der
Ehemündigkeit erteilt worden ist (vgl. auch Coester-Waltjen IPrax 2017, 429,
433; Onwuagbaizu NZFam 2019, 465, 469).
Eine Analogie erfordert zum einen eine planwidrige Regelungslücke.
Zum anderen muss eine Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte
gegeben sein, also der entscheidungsrelevante Sachverhalt in rechtlicher
Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat,
vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei
einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte
leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu
dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse
BGHZ 220, 58 = FamRZ 2018, 1919 Rn. 16 mwN und vom 22. April
2020 - XII ZB 383/19 - FamRZ 2020, 1009 Rn. 36 mwN, zur Veröffentlichung in
BGHZ bestimmt). Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
(1) Bereits die vom Beschwerdegericht bejahte planwidrige Regelungslücke
besteht nicht. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich kein Anhalt
dafür, dass der Gesetzgeber die mit Dispens geschlossenen Auslandsehen von
Minderjährigen bei seiner Neuregelung durch das Gesetz zur Bekämpfung von
Kinderehen von den getroffenen Bestimmungen nicht erfasst sehen wollte.
Vielmehr ging seine erklärte Regelungsabsicht dahin, dass die zur Aufhebbarkeit
von Ehen, die mit einer Person, die bei Eheschließung das 16., nicht aber
das 18. Lebensjahr vollendet hatte, getroffene Regelung auch für nach ausländischem
Recht wirksam geschlossene Ehen gelten soll (vgl. BT-Drucks.
18/12086 S. 1 f.; BR-Drucks. 275/17 S. 1 f.). Da in vielen anderen Rechtsordnungen
- wie auch nach früherer deutscher Rechtslage - mit einem Ehemündigkeitsalter
von 18 Jahren insoweit ein richterlicher Dispens Wirksamkeitsvoraussetzung
der Eheschließung ist, erscheint die Annahme fernliegend, dass der
Gesetzgeber diese Fallgestaltungen nicht bedacht hat. Soweit er eine Gleichbehandlung
von in- und ausländischen Ehen Minderjähriger - nämlich für Ehen
mit bei Eheschließung noch nicht 16 Jahre alten Personen - im Rahmen der
Überleitungsvorschriften angestrebt hat, findet dies in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1
EGBGB und damit im Gesetz seinen Niederschlag (vgl. Senatsbeschluss vom
14. November 2018 - XII ZB 292/16 - FamRZ 2019, 181 Rn. 64). Aus dem Gesetzeswortlaut
und der gesetzgeberischen Begründung (vgl. BT-Drucks.
18/12086 S. 23 f.; BR-Drucks. 275/17 S. 26) erhellt sich mithin, dass die Beschränkung
des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB auf nach deutschem Recht geschlossene
Ehen eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung darstellt.
(2) Darüber hinaus fehlt es auch an der für eine Analogie erforderlichen
Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte. Art. 229 § 44
Abs. 2 EGBGB trägt dem Umstand Rechnung, dass maßgebliches Kriterium für
die Frage, ob das Familiengericht die Befreiung vom Erfordernis der Ehemündigkeit
nach § 1303 Abs. 2 bis 4 BGB aF erteilte, der Schutz des minderjährigen
Antragstellers war (vgl. etwa MünchKommBGB/Wellenhofer 7. Aufl. § 1303
Rn. 6 mwN). Der mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen maßgeblich
verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes (vgl. BT-Drucks. 18/12086 S. 1;
BR-Drucks. 275/17 S. 1) war in den bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung abgeschlossenen
Befreiungsverfahren mithin bereits durch das familiengerichtliche
Verfahren verwirklicht. Eine vergleichbare Gewähr für die Dispenserteilung
nach ausländischen Rechtsordnungen ist hingegen nicht generell gegeben,
sondern maßgeblich von der Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens sowie
den materiell-rechtlichen Vorstellungen der jeweiligen Rechtsordnung zur
Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen im Zusammenhang mit der Eheschließung
und damit auch von dem zugrundeliegenden Ehebild abhängig. Daher ist
nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber generalisierend Befreiungen vom
Ehemündigkeitserfordernis nach ausländischem Recht denjenigen nach deutschem
Recht gleichgestellt hätte.
4. Die Ehe der Antragsgegner ist daher grundsätzlich gemäß Art. 13
Abs. 3 Nr. 2 EGBGB, § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB aufhebbar, weil die Antragsgegnerin
bei Eheschließung zwar das 16., nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet
hatte.
a) Der auf eine entsprechende richterliche Entscheidung zielende Antrag
(§ 1313 Satz 1 BGB) der zuständigen Behörde ist entgegen der Auffassung des
Beschwerdegerichts nicht unzulässig.
aa) Ob einer der von § 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB genannten Gesetzesverstöße
vorliegt, bei denen die zuständige Verwaltungsbehörde berechtigt
ist, einen Antrag auf Eheaufhebung zu stellen, ist keine Frage der Antragsberechtigung,
sondern der Begründetheit des Antrags. Die sich zu einer Antragspflicht
verdichtende Antragsberechtigung der Behörde bei einem Verstoß gegen
das Ehemündigkeitsalter des § 1303 Satz 1 BGB wird allerdings eingeschränkt
durch § 1316 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach der Antrag nicht zu stellen ist, wenn
der minderjährige Ehegatte zwischenzeitlich volljährig geworden ist und zu erkennen
gegeben hat, dass er die Ehe fortsetzen will. In einem solchen Fall fehlt
es - ebenso wie bei Bejahung der Härteklausel des § 1316 Abs. 3 Satz 1 BGB
für einen dort genannten Verstoß - an der Antragsberechtigung, so dass der
Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl. Senatsurteil vom 11. April 2012
- XII ZR 99/10 - FamRZ 2012, 940 Rn. 12). Denn bei Bestätigung der Ehe durch
den volljährig gewordenen Ehegatten ist die Eheaufhebung nach § 1315 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen, so dass ein Aufhebungsantrag der Behörde
sinnlos wäre.
bb) Anders als das Amtsgericht hat das Beschwerdegericht jedoch keine
Bestätigung im Sinne des § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB angenommen. Das
ist aus rechtsbeschwerderechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
(1) Bei der Bestätigung im Sinne der §§ 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a,
1316 Abs. 3 Satz 2 BGB handelt es sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung,
sondern um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, mit der der
betreffende Ehegatte nach außen zu erkennen gibt, dass er die Ehe trotz des
erkannten Mangels fortsetzen will. Zwar ist hierfür die positive Kenntnis der
Aufhebbarkeit nicht erforderlich. Der Ehegatte muss aber die den Ehemangel
begründenden Tatsachen kennen und wenigstens ein allgemeines Bewusstsein
davon haben, dass er die Ehe wegen des Eingehungsmangels zur Auflösung
bringen kann oder dass Zweifel an ihrer Gültigkeit bestehen und er durch sein
Verhalten ein möglicherweise vorhandenes Aufhebungsrecht aufgibt. Eine Be-
stätigung kann in jedem Verhalten liegen, durch das der Ehegatte seinen Willen,
den Aufhebungsgrund auf sich beruhen zu lassen, nach objektiver Betrachtung
zum Ausdruck bringt (allg. Meinung, vgl. etwa BeckOGK/M. Otto [Stand:
15. Mai 2020] BGB § 1315 Rn. 6; BeckOK BGB/Hahn [Stand: 1. Mai 2020]
§ 1315 Rn. 3 f. mwN; Johannsen/Henrich Familienrecht 6. Aufl. § 1315 Rn. 4 ff.
mwN; jurisPK-BGB/Schiefer [Stand: 15. Oktober 2019] § 1315 Rn. 6 f. mwN;
MünchKommBGB/Wellenhofer 8. Aufl. § 1315 Rn. 10 f. mwN; Palandt/
Brudermüller BGB 79. Aufl. § 1315 Rn. 6; Staudinger/Voppel BGB [2018]
§ 1315 Rn. 11 ff.; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 1994, 383 zu § 32 Abs. 2
EheG).
(2) Tatsachen, die nach diesen Maßgaben eine Ehebestätigung durch
die Antragsgegnerin begründen können, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.
Zwar hat die Antragsgegnerin nach Erreichen der Volljährigkeit jahrelang
in dem Wissen, bei Eheschließung 16 Jahre alt gewesen zu sein, mit dem
Antragsgegner in ehelicher Gemeinschaft zusammengelebt. Es ist aber nicht
ersichtlich, dass sie Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Ehe hatte. Da die
Trennung der Ehegatten vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung
von Kinderehen erfolgt ist, kommt es auf dadurch gegebenenfalls begründete
Zweifel an der Wirksamkeit der Ehe nicht an.
b) Die Eheaufhebung wegen Verstoßes gegen die Ehemündigkeitsnorm
des § 1303 Satz 1 BGB ist auch nicht gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b
BGB ausgeschlossen. Dieser nach seinem Wortlaut äußerst eng gehaltene
Ausschlusstatbestand setzt voraus, dass auf Grund außergewöhnlicher Umstände
die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den minderjährigen
Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise
geboten erscheint. Der Gesetzgeber wollte damit ganz bewusst nur gravierende
Einzelfälle wie beispielsweise eine schwere und lebensbedrohliche Er-
krankung oder eine krankheitsbedingte Suizidgefahr des minderjährigen Ehegatten
(vgl. BT-Drucks. 18/12086 S. 17, 22) erfassen und vertrat - insoweit wenig
konsistent mit den weiter genannten Fällen (vgl. etwa OLG Frankfurt FamRZ
2019, 1853, 1854; Coester-Waltjen IPrax 2017, 429, 431) - in der Gesetzesbegründung
zudem die Auffassung, eine außergewöhnliche Härte könne
sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass die Aufhebung einer unter Beteiligung
eines minderjährigen Unionsbürgers geschlossenen Ehe dessen Freizügigkeit
verletzen würde (vgl. BT-Drucks. 18/12086 S. 17, 22). Einem erweiterten
Anwendungsbereich der Härtefallregelung erteilte er im Gesetzgebungsverfahren
eine ausdrückliche Absage (vgl. BT-Drucks. 18/12377 S. 10 f.).
Für eine Härte in diesem Sinne ist hier nichts erkennbar. Vielmehr will
sich die seit vielen Jahren volljährige Antragsgegnerin trotz der vier gemeinsamen
Kinder selbst von der Ehe lösen und hat sich inzwischen einem neuen Lebensgefährten
zugewandt. Dass für sie mit der Eheaufhebung der Verlust von
wirtschaftlich relevanten Rechtsansprüchen einhergehen würde, haben die Vorinstanzen
nicht festgestellt.
5. Trotz Verstoßes gegen das Ehemündigkeitsalter und damit Vorliegen
eines Aufhebungsgrundes im Sinne des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB führt die im
Rahmen dieser Norm dem Gericht eingeräumte Ermessensausübung hier aber
dazu, dass die Ehe der Antragsgegner nicht aufzuheben ist.
a) Allerdings ist streitig, ob § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB, gemäß dem eine
Ehe bei Vorliegen eines Verstoßes gegen § 1303 Satz 1 BGB aufgehoben werdem
Gericht ein Entscheidungsermessen einräumt.
aa) Die deutlich überwiegende Auffassung lehnt das - zumeist ohne Begründung
(BeckOGK/M. Otto [Stand: 15. Mai 2020] BGB § 1315 Rn. 12; Coester-
Waltjen IPrax 2017, 429, 434; Erbarth FamRB 2018, 296, 297; Löhnig Fa-
mRZ 2018, 749, 750; Onwuagbaizu NZFam 2019, 465, 467; Rauscher NJW
2018, 3421, 3422; kritisch Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 1
Rn. 137 f.) - ab. Soweit die Vertreter dieser Auffassung dies begründen, verweisen
sie darauf, dass die Vorschrift des § 1314 BGB sich als Auflistung der
Konstellationen einer aufhebbaren Ehe darstelle, mit der die gebundene - allein
unter dem Vorbehalt eines gesetzlichen Ausschlusses nach § 1315 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 BGB stehende - Entscheidung in den Machtbereich des Gerichts
gestellt werde (vgl. Makowsky RabelsZ 83, 577, 602; BeckOK BGB/Hahn
[Stand: 1. Mai 2020] § 1314 Rn. 1). Der Ausschluss des Ermessens ergebe sich
aus dem Zusammenspiel von § 1314 BGB und § 1315 BGB (Coester-Waltjen
IPrax 2019, 127, 129) und dem in der Gesetzesbegründung niedergelegten Willen
des Gesetzgebers (Antomo ZRP 2017, 79, 80). Das Oberlandesgericht
Frankfurt verneint jedenfalls ein 1854).
bb) Demgegenüber verweist die Gegenansicht insbesondere auf den
Gesetzeswortlaut sowie teilweise auch auf verfassungsrechtliche Bedenken
gegen einen Aufhebungszwang (vgl. AG Frankenthal FamRZ 2018, 749;
BeckOGK/M. Otto [Stand: 15. Mai 2020] BGB § 1314 Rn. 2; Gausing/Wittebol
DÖV 2018, 41, 47; MünchKommBGB/Wellenhofer 8. Aufl. § 1314 Rn. 6; Weller/
Thomale/Hategan/Werner FamRZ 2018, 1289, 1297 f.).
b) Zutreffend ist die letztgenannte Ansicht.
aa) Allerdings sprechen die Erwägungen des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien
eher gegen die Annahme, dass er dem Familiengericht bei
einem Verstoß gegen das Ehemündigkeitsalter durch Eheschließung eines 16
oder 17 Jahre alten Minderjährigen ein Ermessen einräumen wollte, ob die Ehe
BT-Drucks 18/12086 S. 2; BR-Drucks. 275/17 S. 1
BT-Drucks 18/12086 S. 15; BR-Drucks. 275/17 S. 15). Die
Härteklausel des § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b BGB solle es dem Familienge-
BT-Drucks 18/12086 S. 17; BR-Drucks. 275/17 S. 17).
bb) Dies hat jedoch im Gesetzeswortlaut nur unzureichenden Niederschlag
gefunden. Anders als bei der Antragspflicht der zuständigen Behörde,
für die § 1316 Abs. 3 Satz
beschränkt sich § 1314 Abs. 1 BGB - ebenso wie § 1314 Abs. 2 BGB - insoweit
unverändert vielmehr auf die in der Gesetzessprache regelmäßig ein Ermessen
-Formulierung. Die Härtefallregelung des § 1315 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 lit. b BGB wiederum stellt einen Ausschlusstatbestand und damit
ar, von der Eheaufhebung abzusehen.
Mit dem Gesetzeswortlaut ist daher ein Normverständnis ohne weiteres
vereinbar, wonach die Eheaufhebung wegen Verstoßes gegen die Ehemündigkeit
(§ 1303 Satz 1 BGB) nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei Vorliegen eines
Ausschlussgrundes im Sinne von § 1315 Abs. 1 Satz 1 BGB von Gesetzes wegen
untersagt ist und dem Gericht im Übrigen ein Ermessen zusteht.
cc) Ebenso wenig lässt sich aus dem Verhältnis dieser beiden Vorschriften
zwingend der Schluss gegen ein gerichtliches Ermessen ziehen, da die Zuerkennung
eines solchen in den Fällen, in denen die Eheaufhebung nicht schon
von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist, eine mögliche und sinnhafte Regelung
bedeutet. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der gleichfalls mit
1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB Eheaufhebungsgründe auflistet,
die einem solchen Ermessen in aller Regel nicht zugänglich sein werden. Zu-
dem hat der Bundesgerichtshof selbst für das Verbot der Doppelehe bzw. -
partnerschaft des § 1306 BGB - für das es auch nach früherem Recht keine
Härtefallregelung gab - anerkannt, dass ein hierauf gestützter Aufhebungsantrag
ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sein kann (vgl. etwa BGH FamRZ
1964, 418, 419 f.) und mithin eine Einzelfallbetrachtung nicht gänzlich ausgeschlossen
ist.
dd) Den Ausschlag dafür, dem Familiengericht jedenfalls im Rahmen des
§ 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB ein Ermessen zuzuerkennen, gibt jedoch das Erfordernis
einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes.
(1) Nach diesem hat von mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige
den Vorrang, bei der die Rechtsnorm mit der Verfassung im Einklang steht. Sie
findet ihre Grenze dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen
des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch
legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem
nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen
oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen
(st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 2020
- XII ZB 427/19 - juris Rn. 38 mwN und vom 22. April 2020 - XII ZB 383/19 -
FamRZ 2020, 1009 Rn. 27 mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
(2) Die Verneinung eines gerichtlichen Ermessens in den Fällen des
§ 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB würde zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen (so
auch Coester-Waltjen IPrax 2019, 127, 129 f.; Gausing/Wittebol DÖV 2018, 41,
47, 50; vgl. zudem Onwuagbaizu NZFam 2019, 465, 468 f.).
(a) Das folgt bereits daraus, dass Ehen, die Personen im Alter von 16
oder 17 Jahren nach ausländischem Recht vor dem 22. Juli 2017 geschlossen
haben, anders als Ehen nach deutschem Recht selbst dann - von den Fällen
des § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB abgesehen - stets aufzuheben wären,
wenn ein § 1303 Abs. 2 BGB aF gleichwertiger Dispens eines ausländischen
Familiengerichts erteilt worden war. Für die hierin liegende Ungleichbehandlung
im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG ist eine Rechtfertigung nicht ersichtlich (vgl. auch
Erbarth FamRB 2019, 425, 426). Die Ungleichbehandlung wird - wie der vorliegende
Fall verdeutlicht, in dem nach zwischenzeitlichem Scheitern der Ehe eine
Bestätigung ausscheidet - auch nicht ausreichend durch die Bestätigungsmöglichkeit
nach Erreichen der Volljährigkeit ausgeglichen, so dass es in derartigen
Fällen einer Korrekturmöglichkeit durch das Gericht bedarf.
(b) Ebenfalls nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG ist vereinbar, dass solche Auslandsehen
rechtlich anders behandelt werden als Auslandsehen im Sinne des
Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, bei denen der im Zeitpunkt der Eheschließung
minderjährige Ehegatte das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Art. 229
§ 44 Abs. 4 EGBGB sieht für solche Ehen die Anwendbarkeit des früher geltenden
Rechts und damit allein eine ordre-public-Prüfung nach Art. 6 EGBGB vor,
wenn der Minderjährige vor dem 22. Juli 1999 geboren wurde und damit bei Inkrafttreten
des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen das 18. Lebensjahr
bereits vollendet hatte (Nr. 1) oder wenn die nach ausländischem Recht wirksame
Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden
ist und bis dahin kein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland
hatte (Nr. 2). Eine vergleichbare Vorschrift fehlt für Ehen von mindestens
16 Jahre alten Minderjährigen. Dies führt zu dem in sich nicht stimmigen Ergebnis,
dass die von älteren Minderjährigen geschlossenen Auslandsehen nach
deutschem Recht teilweise geringeren Bestandsschutz genießen als diejenigen
jüngerer Minderjähriger (vgl. auch Frie FamRB 2017, 232, 237 f.). Auch dieser
verfassungswidrigen Ungleichbehandlung kann nach geltendem Recht nur mit
einer ein gerichtliches Ermessen bejahenden Gesetzesauslegung begegnet
werden.
(c) Die Annahme einer zwingenden Eheaufhebung unter Ausschluss eines
gerichtlichen Ermessens wäre zudem unvereinbar mit dem von Art. 2 GG
iVm Art. 1 GG gebotenen Schutz des Kindeswohls. Insoweit gilt für im Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung nach deutschem Recht noch nicht volljährige
Ehegatten, die im Zeitpunkt der Eheschließung nach ausländischem Recht das
16. Lebensjahr vollendet hatten, das Gleiche wie für bei Eheschließung jüngere
Ehegatten. Für diese hat der Senat bereits entschieden, dass der Schutz des
Kindeswohls eine konkrete Prüfung des Wohls des betroffenen Kindes im Einzelfall
gebietet. Denn jeder Minderjährige ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde
und einem eigenen Recht auf Entfaltung und Entwicklung seiner Persönlichkeit
(vgl. Senatsbeschluss vom 14. November 2018 - XII ZB 292/16 - FamRZ
2019, 181 Rn. 81 ff.). Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen würde
eine gesetzliche Regelung, die eine Berücksichtigung der Einzelfallumstände
nur in dem von der Härtefallprüfung des § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b
BGB vorgegebenen, äußerst verengten Rahmen erlaubt, nicht gerecht.
(d) Schließlich verstieße eine Auslegung, nach der § 1314 Abs. 1 Nr. 1
BGB dem Gericht bei Vorliegen des Eheaufhebungsgrundes kein Ermessen
gewährt, auch gegen Art. 6 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 20
Abs. 3 GG abgeleiteten Vertrauensschutzes. Mit einer Regelung, wonach eine
vor dem 22. Juli 2017 von einem 16, aber noch nicht 18 Jahre alten Minderjährigen
geschlossene Auslandsehe aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung von
Kinderehen nunmehr - außer in den Fällen des § 1315 Abs. 1 Satz 1 BGB -
nach Einreise nach Deutschland zwingend aufzuheben ist, wäre eine sog. unechte
Rückwirkung verbunden. Rechtfertigende Gründe für eine solche Bestimmung
sind nicht erkennbar, wie auch der Umstand zeigt, dass der Gesetzgeber
für mit richterlicher Befreiung nach deutschem Recht geschlossene Ehen
in Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB eine andere Regelung getroffen hat (vgl. hierzu
Senatsbeschluss vom 14. November 2018 - XII ZB 292/16 - FamRZ 2019, 181
Rn. 71 ff.).
(3) Daher ist die vom Gesetzeswortlaut gedeckte Auslegung geboten,
wonach dem Gericht von § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB ein Ermessen eingeräumt
ist. Dies widerspricht auch nicht dem den Materialien zu entnehmenden Willen
des Gesetzgebers, sondern wird im Gegenteil sogar in besonderer Weise der
erklärten gesetzgeberischen Zielsetzung des Minderjährigenschutzes (vgl. BTDrucks.
18/12086 S. 1, 15; BR-Drucks. 275/17 S. 1, 14) gerecht.
Der weiter vom Gesetzgeber verfolgten Absicht, für Rechtsklarheit zu
sorgen (vgl. BT-Drucks. 18/12086 S. 1; BR-Drucks. 275/17 S. 1) und das in
Deutschland geltende Ehemündigkeitsalter des § 1303 BGB auch mit Bezug
auf Auslandsehen durchzusetzen, haben die Gerichte mit einer inhaltlich eingeschränkten
Ermessensausübung Rechnung zu tragen. Bei Vorliegen des
Eheaufhebungsgrundes nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB und Fehlen eines Ausschlussgrundes
gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 BGB wird von einer Eheaufhebung
danach nur dann ausnahmsweise abgesehen werden können, wenn feststeht,
dass die Aufhebung in keiner Hinsicht unter Gesichtspunkten des Minderjährigenschutzes
geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie
sprechen.
c) Das Beschwerdegericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig
- von dem ihm mithin zustehenden eingeschränkten Ermessen im Rahmen
des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB keinen Gebrauch gemacht. Da keine weiteren
Tatsachenfeststellungen zu treffen sind, ist dem Senat vorliegend eine eigene
Ermessensausübung möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 7. März 2018
- XII ZB 535/17 - FamRZ 2018, 942 Rn. 8 mwN). Diese führt dazu, dass von einer
Eheaufhebung abzusehen ist.
Umstände, die eine Eheaufhebung zum Schutz der bei Eheschließung
fast 17jährigen Antragsgegnerin nach dem dargestellten Maßstab gebieten
würden, liegen nicht vor. Vielmehr ist sie inzwischen 35 Jahre alt, hat die fast
14 Jahre des ehelichen Zusammenlebens mit dem Antragsgegner ausschließlich
in Deutschland verbracht und nach Erreichen der Volljährigkeit mit diesem
zusammen vier eheliche Kinder gezeugt. Eine Eheaufhebung würde mithin in
krassem Gegensatz zu der langjährig bewusst im Erwachsenenalter gelebten
Familienwirklichkeit stehen. Wie die Geschehnisse seit der Trennung verdeutlichen,
ist die Antragsgegnerin ohne weiteres zu einem selbstbestimmten, von ihrem
Ehemann unabhängigen Leben in der Lage. Nicht zuletzt die zu den Ehen
von Personen, die bei Eheschließung jünger als 16 Jahre alt waren, in der
Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB getroffene gesetzgeberische
Wertung spricht maßgeblich dafür, die Ehe der fast 15 Jahre vor
dem dort genannten Stichtag (22. Juli 1999) geborenen Antragsgegnerin uneingeschränkt
als wirksam anzusehen und daher nicht aufzuheben. Soweit die Antragsgegnerin
die Aufhebung der langjährig gelebten Ehe wünscht, führt dies zu
keinem anderen Ergebnis der Ermessensausübung, weil sie über die Aufhebung
der Ehe nicht disponieren kann. Vielmehr steht ihr insoweit die Scheidung
der Ehe offen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:22.07.2020
Aktenzeichen:XII ZB 131/20
Rechtsgebiete:
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Deutsches IPR (EGBGB)
NJW 2020, 3777-3783
Normen in Titel:GG Art. 1, 2, 3 Abs. 1, 6 Abs. 1; BGB §§ 1303, 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 1, 1316; EGBGB Art. 13 Abs. 1 u. 3, 229