BGH 09. Januar 2020
IX ZR 61/19
BGB §§ 675, 249; ZPO § 287; EStG §§ 22 Nr. 2, 23

Anwaltshaftung bei fehlerhafter steuerlicher Beratung; Scheidungsfolgenvereinbarung

letzte Aktualisierung: 30.04.2020
BGH, Urt. v. 9.1.2020 – IX ZR 61/19

BGB §§ 675, 249; ZPO § 287; EStG §§ 22 Nr. 2, 23
Anwaltshaftung bei fehlerhafter steuerlicher Beratung; Scheidungsfolgenvereinbarung

1. Berät ein Rechtsanwalt eine Mandantin im Zusammenhang mit einer
Scheidungsfolgenvereinbarung, hat er sie auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines
Steuerberaters hinzuweisen, sofern sich bei sachgerechter Bearbeitung wegen der Übertragung von
Grundeigentum eine steuerliche Belastung nach §§ 22 Nr. 2, 23 EStG aufdrängen kann und er zu
einer steuerrechtlichen Beratung nicht bereit oder imstande ist.
2. Der durch eine fehlerhafte steuerliche Beratung verursachte Schaden umfasst die Kosten eines
von dem Mandanten eingeholten Wertgutachtens, mit dessen Hilfe ein geringerer Verkehrswert
eines für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Grundstücks nachgewiesen und die Steuerlast
verringert werden kann.
3. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt nicht, wenn der vernünftigerweise
einzuschlagende Weg die Mitwirkung eines Dritten voraussetzt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Der dem Beklagten erteilte Beratungsauftrag habe sich nicht ausdrücklich
auf eine Beratung der Klägerin in steuerlicher Hinsicht erstreckt. Dieser
Umstand entlaste den Beklagten nicht von Hinweispflichten. Der Beklagte habe
die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass die geplante Grundstücksübertragung
nicht im Einzelnen überschaubare steuerliche Auswirkungen haben könne.

Der Hinweis wäre nur entbehrlich gewesen, wenn die Klägerin - was nicht
festgestellt sei - von sich aus erklärt hätte, keine Beratung in steuerlicher Hinsicht
zu benötigen.

Die steuerlichen Nachteile stellten einen ersatzfähigen Schaden dar. Der
Klägerin komme die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens zugute, weil bei
richtiger Beratung vernünftigerweise nur die Entscheidung nahegelegen hätte,
die steuerliche Belastung durch die Übertragung des anderen Grundstücks zu
vermeiden. Es bestünden keine vernünftigen Zweifel, dass sich die Eheleute bei
zutreffender Beratung für diesen Weg entschieden hätten.

Ein Steuerschaden sei nicht in Höhe von 19.006,50 € nachgewiesen,
weil der Nachforderungsbetrag auch andere Einkünfte umfasst habe. Als Mindestschaden
hinsichtlich der Spekulationssteuer könne gemäß § 287 ZPO ein
Betrag von 11.164 € angesetzt werden. Ersatzfähig seien auch die Kosten von
2.499 € für das von der Klägerin eingeholte Sachverständigengutachten. Es
entlaste den Beklagten nicht, dass die Steuer wegen einer unzutreffenden
Wertangabe des Notars zunächst zu hoch angesetzt worden sei. Dies ändere
nichts an dem adäquaten Kausalzusammenhang, weil der Schaden bei zutreffender
Beratung nicht eingetreten wäre.

II.
Diese Ausführungen halten in einem Punkt rechtlicher Prüfung nicht
stand.

1. Zutreffend ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Beklagten
eine Pflichtverletzung anzulasten ist, weil er es versäumt hat, die Klägerin
im Rahmen des auf die zivilrechtliche Beratung beschränkten Mandats auf
mögliche mit der Übertragung des Grundstücks verbundene steuerliche Unwägbarkeiten
hinzuweisen.

a) Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Rechtsanwalts
richten sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des einzelnen
Falls. In den Grenzen des ihm erteilten Auftrags ist der Rechtsanwalt grundsätzlich
zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung
des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen
belehren und vor Irrtümern bewahren. Er hat dem Mandanten diejenigen
Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziele führen, und den Eintritt von
Nachteilen oder Schäden zu verhindern, die voraussehbar und vermeidbar sind.
Dazu hat er ihn auch über mögliche Risiken aufzuklären (BGH, Urteil vom 21.
Juni 2018 - IX ZR 80/17, WM 2018, 1988 Rn. 8).

Das dem Beklagten als Allgemeinanwalt erteilte Mandat beschränkte
sich auf die zivilrechtliche Beratung der Klägerin bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung.
Eine steuerrechtliche Beratung, die einen zugleich als
Fachanwalt für Steuerrecht tätigen Rechtsanwalt treffen kann (vgl. BGH, Urteil
vom 22. Oktober 1987 - IX ZR 175/86, NJW 1988, 563, 565; vom 23. November
1995 - IX ZR 225/94, NJW 1996, 842, 845), oblag dem Beklagten, dessen Auf-
trag sich auf Fragen des Zugewinnausgleichs beschränkte, nicht. Die zivilrechtliche
Beratung der Klägerin durch den Beklagten lässt keine Fehler erkennen.

b) Dem Beklagten ist indessen als Pflichtverletzung vorzuwerfen, die
Klägerin nicht über die Notwendigkeit der Beteiligung eines Steuerberaters bei
Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung unterrichtet zu haben.

aa) Bei einem gegenständlich beschränkten Mandat kann der Rechtsanwalt
zu Hinweisen und Warnungen außerhalb des eigentlichen Vertragsgegenstandes
verpflichtet sein. Voraussetzung derartiger Pflichten ist, dass die dem
Mandanten drohenden Gefahren dem Anwalt bekannt oder für ihn offenkundig
sind oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängen;
Voraussetzung ist weiter, dass der Anwalt Grund zu der Annahme hat, dass der
Auftraggeber sich der Gefahren nicht bewusst ist (BGH, Urteil vom 21. Juni
2018, aaO Rn. 12).

bb) Der Beklagte war verpflichtet, die Klägerin bei der Beratung über die
Scheidungsfolgenvereinbarung wegen der dort vorgesehenen Grundstücksübertragung
und der damit gemäß § 22 Nr. 2, § 23 EStG möglicherweise verbundenen
steuerlichen Belastungen auf die Notwendigkeit der Einschaltung
eines Steuerberaters hinzuweisen. Die Gefahr einer der Klägerin nicht bewussten
steuerlichen Belastung drängte sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des
Mandats auf.

(1) Grundsätzlich umfasst das einem Allgemeinanwalt erteilte Mandat
nicht die Beratung und Belehrung in Steuersachen, weil Mandanten zwischen
einer anwaltlichen Beratung in Steuersachen und auf anderen Rechtsgebieten
unterscheiden (Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der
Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 301). Deswegen können von einem Allgemeinanwalt
keine Spezialkenntnisse auf dem Gebiet des Steuerrechts verlangt
werden (Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts,
9. Aufl., Rn. 561). Allerdings muss der Rechtsanwalt bei ordnungsgemäßer
Bearbeitung eines familienrechtlichen Mandats typischerweise auftretende
steuerlich bedeutsame Fragestellungen erkennen und, wenn er die Beratung
nicht selbst übernimmt, den Mandanten insoweit zur Klärung an einen Steuerberater
verweisen (vgl. RG JW 1932, 2855; BGH, Urteil vom 18. Juni 1968 - VI
ZR 160/66, DNotZ 1970, 48, 50; Jungk in Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung,
6. Aufl., Kap. IV. Rn. 74; Greger/Heinemann in Vollkommer/
Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl., § 28 Rn. 107; Hübner,
NJW 1989, 5, 7; Vill, aaO Rn. 302).

(2) Der Beklagte hätte hier erkennen können und müssen, dass die
Übertragung eines Mietshauses im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung
nachteilige steuerliche Auswirkungen für die von ihm beratene Mandantin
haben konnte. Im familienrechtlichen Schrifttum war geraume Zeit vor der hier
erfolgten Eigentumsübertragung darauf hingewiesen worden, dass die Leistung
von Grundbesitz an Erfüllungs statt für Zugewinnausgleichsansprüche eine entgeltliche
Veräußerung im Sinne des § 22 Nr. 2, § 23 EStG bilden kann (Karasek,
FamRZ 2002, 590 ff; Schröder, FamRZ 2002, 1010; Feuersänger, FamRZ
2003, 645 ff; Engels, FF 2004, 285 ff; Münch, ZNotP 2005, 2 ff). Zusätzlich war
in der einschlägigen Kommentarliteratur zum Zeitpunkt der Beratung ausdrücklich
betont worden, dass die Übertragung eines Grundstücks an den Ehegatten
unter Anrechnung auf den Zugewinnausgleich ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft
bilden kann (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 70. Aufl., 2011, § 1378 Rn. 2;
MünchKomm-BGB/Koch, 6. Aufl., § 1378 Rn. 43). Dem Beklagten
ist als Pflichtwidrigkeit anzulasten, einen Hinweis auf die bei dieser Sachlage
gebotene Hinzuziehung eines Steuerberaters zur Klärung der steuerlichen Fragen
versäumt zu haben.

2. Auch im Blick auf die Schadensbemessung ist die angefochtene Entscheidung
nicht zu beanstanden.

a) Soweit das Berufungsgericht den Steuerschaden in Anwendung von
§ 287 ZPO mit 11.164 € veranschlagt, werden von der Revision keine Rügen
erhoben. Rechtsfehler sind insofern nicht ersichtlich.

b) Erstattungsfähig sind ferner die der Klägerin erwachsenen Gutachterkosten
in Höhe von 2.499 €.

aa) Ausgangspunkt jeder Schadensberechnung bildet die Differenzhypothese.
Ob und inwieweit ein nach §§ 249 ff BGB zu ersetzender Vermögensschaden
vorliegt, beurteilt sich nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden
Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die
ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Die Differenzhypothese umfasst zugleich
das Erfordernis der Kausalität zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis
und einer dadurch eingetretenen Vermögensminderung. Nur eine Vermögensminderung,
die durch das haftungsbegründende Ereignis verursacht ist, das
heißt ohne dieses nicht eingetreten wäre, ist als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen.
Nach der Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht
werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Dabei ist zu beachten,
dass zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs nur die pflichtwidrige
Handlung hinweggedacht, nicht aber weitere Umstände hinzugedacht werden
dürfen. Die sich aus der Äquivalenz ergebende weite Haftung für Schadensfolgen
grenzt die Rechtsprechung durch die weiteren Zurechnungskriterien der
Adäquanz des Kausalverlaufs und des Schutzzwecks der Norm ein (BGH, Urteil
vom 6. Juni 2013 - IX ZR 204/12, WM 2013, 1323 Rn. 20).

bb) Danach hat der Beklagte den gesamten durch die pflichtwidrige
Handlung adäquat verursachten Schaden der Klägerin zu tragen. Bildet - wie
hier - eine Vermögensverletzung den Haftungsgrund, sind diejenigen adäquat
verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers
zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich
und zweckmäßig waren (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR
249/02, WM 2004, 475, 478 unter cc). Dazu können selbst die Kosten eines
objektiv unberechtigten Rechtsstreits gehören, falls der Geschädigte ihn vernünftigerweise
für erforderlich halten durfte, um den Schaden abzuwenden oder
gering zu halten (BGH, Urteil vom 14. Juni 2012 - IX ZR 145/11, BGHZ 193,
297 Rn. 48). Im Streitfall war die Beauftragung des Sachverständigen zweckmäßig,
weil das von ihm erstellte Wertgutachten im Einspruchsverfahren zu
einer Minderung der Steuerlast führte. Mithin sind die Gutachterkosten, die in
einem angemessenen Verhältnis zu der erzielten Steuerminderung stehen, als
sachgerechte Aufwendungen der Rechtsverfolgung von dem Beklagten zu erstatten.

3. Jedoch kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden, soweit es
einen Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen
Schaden als erwiesen erachtet.

a) Im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen oder steuerlichen Beratern
gilt die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur,
wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine
bestimmte Entschließung des zutreffend unterrichteten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit
zu erwarten gewesen wäre. Voraussetzung sind danach tatsächliche
Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater
aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte
tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten (BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - IX ZR
197/14, WM 2015, 1622 Rn. 25). Kommen mehrere objektiv gleich vernünftige
Verhaltensweisen in Betracht, hat der Mandant grundsätzlich den Weg zu bezeichnen,
für den er sich entschieden hätte (BGH, aaO Rn. 27). Ist für die behauptete
Vorgehensweise notwendigerweise die Bereitschaft Dritter erforderlich,
den beabsichtigten Weg mitzugehen, muss der Mandant dessen Bereitschaft
hierzu im damaligen maßgeblich Zeitpunkt darlegen und beweisen (BGH,
aaO Rn. 28).

b) Nach diesen Grundsätzen findet hier die Vermutung beratungsgerechten
Verhaltens keine Anwendung. Es mag zwar sein, dass für die Klägerin zur
Vermeidung des Steuernachteils die Alternative der Übertragung des anderen
Mietshauses auf den Ehemann nahelag. Diese Alternative erforderte jedoch die
Bereitschaft des Ehemannes, diese anstelle der tatsächlich übertragenen Immobilie
zu übernehmen. Ob diese Bereitschaft bestand, ist bislang nicht geklärt.
Deswegen findet die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens keine Anwendung.

III.
Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Dieses wird in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung zu
klären haben, ob der Ehemann mit der Übereignung des anderen Mietshauses
einverstanden gewesen wäre. Die Vernehmung des Notars als Zeuge hat das
Erstgericht dahin gewürdigt, dass der Ehemann der Klägerin gerade am Erwerb
des ihm tatsächlich übertragenen Grundstücks interessiert gewesen sei. Soweit
der Ehemann der Klägerin in Einklang mit einer schriftlichen Erklärung bekundet
hat, ihm sei "letztlich egal" gewesen, welche Immobilie er erhalte, hat das
Erstgericht die Aussage als unglaubhaft eingestuft hat. Von dieser Würdigung
darf das Berufungsgericht nicht ohne eigene Anhörung der Zeugen abweichen
(vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2012 - I ZR 125/11, GuT 2012, 181 Rn. 6;
Urteil vom 30. September 2014 - VI ZR 443/13, NJW 2015, 74 Rn. 23 jeweils

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

09.01.2020

Aktenzeichen:

IX ZR 61/19

Rechtsgebiete:

Einkommens- und Körperschaftssteuer
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 675, 249; ZPO § 287; EStG §§ 22 Nr. 2, 23