BGH 11. Januar 2024
V ZB 63/22
BeurkG § 51 Abs. 3; BNotO § 18 Abs. 1 u. 2; NotAktVV § 40

Entscheidung des Notars über Einsicht eines Beteiligten in notarielle Nebenakte; pflichtgemäßes Ermessen; Befreiung des Notars von der Verschwiegenheit

letzte Aktualisierung: 8.3.2024
BGH, Beschl. v. 11.1.2024 – V ZB 63/22

BeurkG § 51 Abs. 3; BNotO § 18 Abs. 1 u. 2; NotAktVV § 40
Entscheidung des Notars über Einsicht eines Beteiligten in notarielle Nebenakte;
pflichtgemäßes Ermessen; Befreiung des Notars von der Verschwiegenheit

Der Notar, der von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit worden ist, entscheidet nach
pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang er einem Beteiligten Einsicht in die
Nebenakte gestattet; er ist zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte berechtigt, aber nicht
verpflichtet.

Gründe:

I.
Die Beteiligten sind Geschwister und die befreiten Vorerben ihrer am
5. August 2016 verstorbenen Mutter (nachfolgend: Erblasserin). Am 2. Juni 2016
beurkundete der Notar einen Grundstücksübertragungsvertrag, mit dem die Erblasserin
der Beteiligten zu 2 eine Eigentumswohnung schenkte (UR-Nr. 721/2016
MV). Mit notarieller Urkunde vom selben Tag erteilte die Erblasserin der Beteiligten
zu 2 eine Generalvollmacht (UR-Nr. 722/2016 MV). Die Beteiligten streiten
vor dem Landgericht darüber, ob der Grundstücksübertragungsvertrag wegen
Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin unwirksam ist. Das Landgericht ordnete die
Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens an. Beide Beteiligten
erklärten, den Notar von seiner Verschwiegenheit auch im Hinblick auf die
Einsicht in die Nebenakten zu befreien. Die Präsidentin des Landgerichts als Aufsichtsbehörde
erteilte anstelle der Erblasserin dem Notar am 6. Juli 2020 die Befreiung
von der Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 18 Abs. 2 Halbs. 2 BNotO
zu der Urkundenrolle Nr. 721/2016 MV (Grundstücksübertragungsvertrag), soweit
dies erforderlich ist, um den Beweisbeschluss des Landgerichts zum Zustand
und zur Medikation der Erblasserin im Mai/Juni 2016 auszuführen.

Der Beteiligte zu 1 hat bei dem Notar beantragt, ihm die Einsichtnahme in
die Nebenakte zu dem Grundstücksübertragungsvertrag insoweit zu gewähren,
als daraus Umstände und Wahrnehmungen zur Geschäftsfähigkeit der Erblasserin
hervorgingen. Ferner hat er den Notar aufgefordert, Auskunft darüber erteilen,
ob sich in den Nebenakten schriftliche Aufzeichnungen bzw. Vermerke über den
Gesundheitszustand der Erblasserin und über die Art und Weise der Feststellung
der Geschäftsfähigkeit befinden, sowie die vorbezeichneten Aufzeichnungen zur
Einsicht zu geben. Schließlich hat er die umfassende Einsicht in die auf den
Grundstücksübertragungsvertrag bezogene Nebenakte sowie die Erteilung einer
beglaubigten Ablichtung verlangt. Der Notar hat mit Entscheidung vom 5. August
2021 die Anträge abgelehnt. Der dagegen gerichteten Beschwerde, mit der der
Beteiligte zu 1 seine Anträge auf Einsicht und Auskunft auf die Nebenakte zu der
Urkundenrolle Nr. 722/2016 MV (Generalvollmacht) erstreckt hat, hat der Notar
nicht abgeholfen und ergänzend erklärt, dass er in die Nebenakte zu dem Grundstücksübertragungsvertrag
einen Vermerk über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit
der Erblasserin nicht aufgenommen habe; es finde sich dort lediglich
ericht hat die Beschwerde
zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der
Beteiligte zu 1 sämtliche Anträge weiter.

II.
Das Beschwerdegericht verneint einen Anspruch des Beteiligten zu 1 gegen
den Notar auf Einsicht in dessen Nebenakten aus § 51 Abs. 3 BeurkG. Der
Beteiligte zu 1 sei als Rechtsnachfolger der Erblasserin zwar anspruchsberechtigte
Person im Sinne dieser Vorschrift. Soweit er die Einsicht in die kompletten
Nebenakten verlange, liege aber schon die dafür erforderliche Entbindung von
der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Erblasserin nicht vor. Soweit der
Notar hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin von der Verschwiegenheitspflicht
entbunden worden sei, bestehe keine Pflicht zur Gewährung der Einsicht
in die Nebenakte. § 51 Abs. 3 BeurkG regele ein Recht auf Einsicht in die
notarielle Nebenakte nicht. Der Notar sei bei Vorliegen des Einverständnisses
aller Beteiligten nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Einsichtnahme in die
Nebenakte zu gestatten. Etwas anderes folge nicht aus der Entscheidung des
Bayerischen Oberlandesgerichts vom 2. Juli 1992 (BayObLGZ 1992, 220) zu
dem Einsichtsrecht eines Urkundsbeteiligten bei Niederlegung von Feststellungen
des Notars zu der Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten in einem Aktenvermerk
statt in der Niederschrift. Der Beteiligte zu 1 sei nicht Urkundsbeteiligter.
Der Notar habe zudem erklärt, in der Nebenakte nur handschriftlich notiert zu
haben, dass die Erblasserin voll geschäftsfähig sei. Daraus ergebe sich kein
Recht auf Einsichtnahme in weitere Bestandteile der Nebenakte.
Das Auskunftsverlangen des Beteiligten zu 1 habe der Notar mit der Eruf
Erteilung einer Ablichtung der Nebenakte
stehe dem Beteiligten zu 1 ebenfalls nicht zu. Da den Notar keine Pflicht zur
Gewährung von Einsicht in die Nebenakte treffe, sei er erst recht nicht zur Erteilung
von Ablichtungen verpflichtet.

III.
Die infolge der Zulassung statthafte (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 FamFG i.V.m.
§ 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO und § 54 Abs. 2 Satz 2 BeurkG) Rechtsbeschwerde
ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Sie hat in der Sache keinen Erfolg.
Ein im Rahmen der Notarbeschwerde allein zu prüfendes pflichtwidriges Handeln
des Notars (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2021 - V ZB 25/21, DNotZ
2022, 271 Rn. 5) liegt nicht vor.

1. Das Beschwerdegericht lehnt es zu Recht ab, den Notar zur Gewährung
der Einsicht in die Nebenakten zu verpflichten.

a) Das Recht auf Einsicht beschränkt sich nach § 51 Abs. 3 BeurkG auf
die Urschrift derjenigen Urkunden, von denen die in § 51 Abs. 1 BeurkG bezeichneten
Personen Ausfertigungen oder Abschriften verlangen können. Ob daneben
ein Recht auf Einsicht in die Nebenakten des Notars besteht, ist gesetzlich nicht
geregelt; § 13 FamFG, in dem - wie früher in § 34 FGG - die Einsichtnahme in
Gerichtsakten geregelt ist, ist nicht anwendbar (vgl. Senat, Beschluss vom
31. Januar 2013 - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711 Rn. 17 zu § 22 Abs. 1 DONot;
BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 273 zu
§ 34 FGG).

b) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, der Notar sei deshalb
verpflichtet, dem Beteiligten zu 1 Einsicht in die Nebenakten zu gewähren,
weil er umfassend, jedenfalls aber im Hinblick auf die Frage nach der Geschäftsfähigkeit
der Erblasserin, von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden worden
sei.

aa) Richtig ist im Ausgangspunkt, dass die Nebenakte des Notars (§ 40
NotAktVV) von der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 18 BNotO erfasst ist (näher
Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711
Rn. 20 mwN). Deshalb besteht Einigkeit darüber, dass der Notar den in § 51
Abs. 1 BeurkG bezeichneten Personen Einsicht in Dokumente der Notarakte gewähren
darf, wenn alle Beteiligten, denen gegenüber er gemäß § 18 Abs. 1
BNotO zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, ihr Einverständnis erklären. Fehlt die
Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht aber, darf die Einsicht nicht gewährt
werden (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 168/12, DNotZ
2013, 711 Rn. 18; BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ
109, 260, 273; Eickelberg in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 51 Rn. 6;
BeckOGK/Regler, BeurkG [1.10.2023], § 51 Rn. 63; BeckOK BeurkG/Kleba
[1.9.2023], § 51 Rn. 26; Eschwey/Sander, BNotO, 11. Aufl., § 18 Rn. 50;
Grziwotz/Heinemann, BeurkG, 3. Aufl., § 51 Rn. 45; Staudinger/Hertel, BeurkG
[2023], Rn. 649; Weingärtner/Ulrich, DNotO/NotAktVV, 14. Aufl., § 22 DONot
Rn. 13), und der Notar darf und muss diese verweigern.

bb) Wie weit die Entbindung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht
durch die Präsidentin des Landgerichts als Aufsichtsbehörde für die Erblasserin
gemäß § 18 Abs. 2 Halbs. 2 BNotO (vgl. dazu BGH, Beschluss vom
20. April 2009 - NotZ 23/08, DNotZ 2009, 876 Rn. 6) reicht, kann dahinstehen.
Denn jedenfalls hat der Notar die Einsicht in die Nebenakten insgesamt verweigert.
Ein pflichtwidriges Verhalten, das der Notarbeschwerde zum Erfolg verhelfen
könnte, liegt darin nicht.

(1) Ob der Notar bei Einverständnis aller Beteiligten lediglich berechtigt
oder auch verpflichtet ist, Einsicht in die Nebenakte zu gewähren, hat der Bundesgerichtshof
bislang offengelassen (vgl. Senat, Beschluss vom
31. Januar 2013 - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711 Rn. 17; BGH, Urteil vom
30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 273). Das wird unterschiedlich
beurteilt. Die ganz überwiegende Ansicht verneint grundsätzlich eine Pflicht
des Notars, einem Beteiligten bzw. dessen Rechtsnachfolgern die Einsicht in die
notarielle Nebenakte zu gestatten. Die Gewährung der Einsicht, auch hinsichtlich
ihres Umfangs, stehe im Ermessen des Notars (BeckOGK/Regler, BeurkG
[1.10.2023], § 51 Rn. 62 f.; Eickelberg in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 51
Rn. 6; Frenz/Miermeister/Bremkamp, BNotO, 5. Aufl., § 18 Rn. 28; Frenz/Miermeister/
Ellefret, aaO § 22 DONot Rn. 16; Mack in Schöneberg-Wessel/Plottek/
Sikora, BNotO [2023], § 18 Rn. 24; Winkler, BeurkG, 21. Aufl., § 51 Rn. 37; Klingler,
RNotZ 2013, 57, 68 f.; Naumann, MittBayNot 2002, 524 f.; Regler, MittBayNot
2022, 205, 207 f.). Insbesondere bestehe kein Einsichtsrecht in die komplette
Akte und auch nicht hinsichtlich der von dem Notar selbst gefertigten Aufzeichnungen,
Anmerkungen und Vermerke (vgl. BeckOGK/Regler, aaO Rn. 63; Mack,
aaO Rn. 26). Nur vereinzelt wird ein Anspruch eines Beteiligten auf Einsicht in
die notarielle Nebenakte in analoger Anwendung von § 51 Abs. 1 BeurkG (vgl.
Lerch, BeurkG, 5. Aufl., § 22 DONot Rn. 7; anders allerdings ders., BeurkG,
5. Aufl., § 51 Rn. 15) oder aus § 18 BNotO (vgl. HK-NotarR/Strauß [2022], § 40
NotAktVV Rn. 15) hergeleitet.

(2) Die zuerst genannte Ansicht trifft zu. Der Notar, der von der Pflicht zur
Verschwiegenheit befreit worden ist, entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen,
ob und in welchem Umfang er einem Beteiligten Einsicht in die Nebenakte
gestattet; er ist zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte berechtigt, aber
nicht verpflichtet.

(a) Im Ausgangspunkt gilt für die Nebenakte des Notars seit dem
29. Oktober 2020 die Vorschrift des § 40 NotAktVV (vgl. Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 der
Verordnung über die Führung notarieller Akten und Verzeichnisse sowie zur Änderung
der Verordnung über die notarielle Fachprüfung vom 13. Oktober 2020,
BGBl. I 2246), die die frühere Vorschrift des § 22 DONot ersetzt. Nach § 40 Abs. 1
Satz 1 NotAktVV kann der Notar Nebenakten führen; soweit dies zur Vornahme
eines Amtsgeschäfts geboten ist, muss eine Nebenakte geführt werden (§ 40
Abs. 1 Satz 2 NotAktVV). Nebenakten enthalten diejenigen Unterlagen, die im
sachlichen Zusammenhang mit einem Amtsgeschäft anfallen, aber nicht Bestandteil
der Urkundensammlung werden (vgl. BeckOK BNotO/Sauer [1.8.2023],
§ 40 NotAktVV Rn. 2; HK-NotarR/Strauß [2022], § 44 NotAktVV Rn. 1). Die
Grundsätze der Aktenführung ergeben sich aus § 35 BNotO. Der Notar muss die
Verfügbarkeit, die Integrität und die Transparenz der Akten gewährleisten (vgl.
BT-Drucks. 18/10607 S. 53). Damit die Nebenakten zu einem späteren Zeitpunkt
nach Abschluss des Amtsgeschäfts zur Verfügung stehen, sind sie zu archivieren
(§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NotAktVV). Der Notar führt die Nebenakte im Rahmen
dieser Vorgaben in eigener Verantwortung und in pflichtgemäßem Ermessen.
Welche Unterlagen er in die Nebenakte aufnimmt, entscheidet er danach, welche
Informationen für das jeweilige Amtsgeschäft von Bedeutung sind (vgl.
BeckOGK/Regler, BeurkG [1.10.2023], § 51 Rn. 61, 62; Eschwey/Sauer, BNotO,
11. Aufl., § 40 NotAktVV Rn. 7; Klingler in Armbrüster/Preuß, Beurk, 9. Aufl., § 40
NotAktVV Rn. 48; Frenz/Miermeister/Ellefret, BNotO, 5. Aufl., § 22 DONot Rn. 3;
HK-NotarR/Strauß [2022], § 40 NotAktVV Rn 1; Regler, MittBayNot 2022, 205,
207). § 40 Abs. 2 NotAktVV enthält lediglich eine unverbindliche und nicht abschließende
Aufzählung möglicher Inhalte. Neben den in dem Katalog des § 40
Abs. 2 NotAktVV genannten personenbezogenen Daten sowie dem Schriftverkehr
mit Beteiligten und Dritten zählen dazu insbesondere auch Entwürfe oder
Anmerkungen, die dem Notar als Gedächtnisstütze und zur Selbstkontrolle dienen.
Alle diese Unterlagen sind in erster Linie für interne Zwecke und nicht zur
Einsicht eines Beteiligten bestimmt (vgl. BeckOK BeurkG/Kleba [1.9.2023], § 40
NotAktVV Rn. 1; Frenz/Miermeister/Ellefret, BNotO, 5. Aufl., § 22 DONot Rn. 3).

(b) Das Gesetz sieht ein Einsichtsrecht eines Urkundsbeteiligten in die
notarielle Nebenakte nicht vor. Aus der eigenverantwortlichen Führung der
Nebenakte folgt im Gegenteil, dass der Notar auch über die Gewährung von Einsicht
eines Beteiligten in die Nebenakte eigenverantwortlich entscheidet; eine
Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht trifft ihn nicht.

(aa) § 51 Abs. 3 BeurkG ist auf die Nebenakte des Notars nicht entsprechend
anwendbar. Es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen
Regelungslücke. Eine der Vorschrift des § 51 Abs. 3 BeurkG entsprechende Regelung
hat der Gesetzgeber für die Nebenakte bewusst nicht geschaffen. Er hat
vielmehr mit Inkrafttreten des Beurkundungsgesetzes die das Einsichtsrecht eines
Beteiligten in die Akten des Notars regelnde Vorschrift des Art. 22 Abs. 1 des
bayerischen Notariatsgesetzes vom 9. Juni 1899 (Bereinigte Sammlung des bayerischen
Landesrechts, Bd. III S. 41) aufgehoben (vgl. Drucks. V/3282 S. 15 unter
§ 60 Ziff. 7) und zuletzt auch bei der Neuregelung von § 40 NotAktVV davon
abgesehen, ein solches Einsichtsrecht (wieder) einzuführen.

(bb) Das Einverständnis aller Beteiligten, denen gegenüber der Notar gemäß
§ 18 BNotO zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, zur Einsichtnahme in die
Nebenakte alleine genügt nicht, um einen Anspruch auf Einsicht zu begründen.
Ein solcher Anspruch kann entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht
damit begründet werden, der Notar werde im Auftrag der Urkundsbeteiligten tätig
und die notarielle Verschwiegenheitspflicht gemäß § 18 BNotO diene nur deren
Schutz. Der Notar steht, obwohl § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BNotO von dem
chen Vertragsverhältnis. Anders als der Rechtsanwalt nimmt der Notar seine
Amtsgeschäfte aufgrund seiner Eigenschaft als unabhängiger Träger eines öffentlichen
Amtes auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege wahr (§ 1
BNotO; vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ
109, 260, 273 mwN). Das gilt nicht nur für die Urkundstätigkeit, sondern auch für
die sonstige Amtstätigkeit des Notars.

(cc) Aus dem Umstand, dass die Nebenakte des Notars nach dem Willen
des Gesetzgebers auch dem öffentlichen Interesse dient, ergibt sich ebenfalls
nicht, dass ein Recht eines Beteiligten auf Einsicht besteht. Hierzu heißt es in
den Gesetzesmaterialien lediglich (BRNebenakten
liegt im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege, weil sie den
Nachweis von Tatsachen erlaubt, die sich nicht unmittelbar aus der Urkunde oder
anderweitig zu verwahrenden Dokumenten ergeben. Die Nebenakten können
dadurch wertvolle Auslegungshinweise liefern und bei Bedarf Hintergründe beligten
einen Anspruch gegen den Notar auf Einsicht in die Nebenakte gewähren
wollte, ergibt sich daraus nicht. Dem öffentlichen Interesse wird vielmehr dadurch
Genüge getan, dass der Notar verpflichtet ist, eine Nebenakte zu führen, wenn
dies geboten ist. Die Aufsichtsbehörde (§ 93 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 BNotO) und
die Notarkammer (§ 67 Abs. 1 BNotO) haben ein unbeschränktes Recht auf Einsicht
in die Notarakte. Insoweit liegt die Führung von Nebenakten zugleich im
Interesse des Notars, um ggf. nachweisen zu können, dass er seine Amtspflichten
ordnungsgemäß erfüllt hat (BR-Drucks. 420/20 S. 60; BeckOK
BNotO/Hushahn [1.8.2023], § 35 Rn. 1; BeckOK BeurkG/Kleba [1.9.2023], § 40
NotAktVV Rn. 1; Frenz/Miermeister/Frohn, BNotO 5. Aufl., § 35 Rn. 2; HKNotR/
Strauß [2022], § 40 NotAktVV Rn. 1). Soweit es in einem Rechtsstreit auf
die von dem Notar getroffenen Feststellungen ankommt, kann der von der Verschwiegenheitspflicht
entbundene Notar als Zeuge vernommen werden. Die
Nebenakte steht dem Notar zur Vorbereitung seiner Aussage zur Verfügung.

c) Der Beteiligte zu 1 kann nicht mit der Begründung Einsicht in die
Notarakten verlangen, diese enthielten Feststellungen des Notars zur Geschäftsfähigkeit
der Erblasserin, die, wegen deren schwerer Erkrankung nach § 11
Abs. 2 BeurkG in die Niederschriften hätten aufgenommen werden müssen.

aa) Nach § 11 BeurkG soll die Beurkundung abgelehnt werden, falls einem
Beteiligten nach Überzeugung des Notars die Geschäftsfähigkeit fehlt (§ 11
Abs. 1 Satz 1 BeurkG). Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines
Beteiligten soll der Notar in der Niederschrift feststellen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BeurkG).
Ist ein Beteiligter schwer krank, so soll dies in der Niederschrift vermerkt
und angegeben werden, welche Feststellungen der Notar über die Geschäftsfähigkeit
getroffen hat (§ 11 Abs. 2 BeurkG). Zweck des Vermerks ist in erster Linie
die Beweissicherung. Bei einem späteren Rechtstreit, der die Geschäftsfähigkeit
eines Beteiligten zum Gegenstand hat, soll den Beteiligten die Beweisführung
über das Bestehen bzw. das Fehlen der erforderlichen Geschäftsfähigkeit ermöglicht
werden (vgl. Piegsa in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 11 Rn. 35).

bb) Das Bayerische Oberlandesgericht hat ein Einsichtsrecht eines Beteiligten
in den Aktenvermerk des Notars bejaht, wenn dieser entgegen § 11
BeurkG Feststellungen über die Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten anlässlich
einer Beurkundung nicht in der Niederschrift, sondern in einem von der Urkunde
getrennten Aktenvermerk niedergelegt hat. In diesem Fall beurteile sich das
Recht auf Einsichtnahme in den Aktenvermerk ausschließlich danach, ob dem
Gesuchsteller ein Recht auf Einsicht in die Urkunde selbst zustehe. Habe dieser
das Recht auf Erteilung einer Ausfertigung der Urkunde nach § 51 Abs. 1 BeurkG,
sei er auch berechtigt, eine beglaubigte Abschrift des Aktenvermerks zu verlangen.
Deren Erteilung sei insbesondere nicht davon abhängig, dass in einem solchen
Fall sämtliche Beteiligte den Notar von einer dann nicht bestehenden Verschwiegenheitspflicht
entbänden (BayObLGZ 1992, 220 ff.).

cc) Es kann dahinstehen, ob diese Ansicht zutrifft (ablehnend Eickelberg
in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 51 Rn. 7; Piegsa in Armbrüster/Preuß,
aaO § 11 Rn. 44; Staudinger/Hertel, BeurkG [2023], Rn. 339, 649; Mack in
Schöneberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO [2023], § 18 Rn. 25; Winkler, BeurkG,
21. Aufl., § 51 Rn. 41; Kanzleiter, DNotZ 1993, 434, 436; zustimmend Weingärtner/
Ulrich, DONot/NotAktVV, 14. Aufl., § 22 DONot Rn.14). Um die Einsicht in
den Vermerk, dessen Inhalt er kennt, geht es dem Beteiligten zu 1 nicht.

(1) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts wäre der Beteiligte zu 1
zwar Berechtigter im Sinne des § 51 Abs. 3 BeurkG. Er ist Rechtsnachfolger der
Erblasserin, die ihrerseits Berechtigte im Sinne des § 51 Abs. 1 BeurkG war. Bei
mehreren Gesamtrechtsnachfolgern stehen jedem einzelnen die Befugnisse des
§ 51 BeurkG zu (OLG Karlsruhe, DNotZ 2008, 139 Rn. 14; BeckOGK/Regler,
BeurkG [1.10.2023], § 51 Rn. 35).

(2) Der Beteiligte zu 1 verlangt aber keine Einsicht in den nach Auskunft
des Notars in der Nebenakte zu dem Grundstückskaufvertrag enthaltenen handschriftlichen
Vermerk über die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin. Er meint viel-
- über ein Recht auf bloße Einsicht
in diesen Vermerk hinaus - ein Recht auf vollständige Einsichtnahme in die
Nebenakte mit allen die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin betreffenden Indizien,
den Schluss zulasse, dass die dahingehende
Erkenntnis des Notars, auch bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der
Beurkundung, auf anderen Einträgen in der Nebenakte beruhe. Diese Ansicht
trifft nicht zu. Selbst wenn der Notar einen Vermerk über die Geschäftsfähigkeit
der Erblasserin gemäß § 11 Abs. 2 BeurkG in die Niederschrift hätte aufnehmen
müssen, berechtigt § 51 Abs. 3 BeurkG den Beteiligten zu 1 jedenfalls nicht dazu,
die komplette notarielle Nebenakte einzusehen und nach weiteren Inhalten zu
durchsuchen, die er für die Klärung der Frage der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin
im Zeitpunkt der Beurkundung benötigt und von denen er nicht weiß, ob es
sie gibt.2. Das Beschwerdegericht lehnt es auch zu Recht ab, den Notar anzuweisen,
dem Beteiligten zu 1 Auskunft darüber zu erteilen, ob und in welcher Form
sich in den Nebenakten Vermerke über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit
der Erblasserin befinden. Ob ein dahingehender Auskunftsanspruch besteht,
kann offenbleiben. Rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht nämlich an,
dass der Notar die verlangte Auskunft jedenfalls erteilt hat. Die Erklärung des
Notars, dass ein Vermerk über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin
nicht in die Nebenakte aufgenommen worden sei, dort fände sich ledigder
Rechtsbeschwerde nicht widersprüchlich. Hält der Notar Feststellungen nach
§ 11 Abs. 1 oder Abs. 2 BeurkG nicht für geboten, kann er gleichwohl für rein
interne Zwecke als Erinnerungsstütze einen Vermerk über die Geschäftsfähigkeit
eines Beteiligten in die Nebenakte aufnehmen. Über den Inhalt des internen Vermerks
hat der Notar dem Beteiligten zu 1 Auskunft erteilt. Dass die Auskunft unvollständig
ist, weil die Nebenakte weitere Vermerke über Feststellungen zu Geschäftsfähigkeit
der Erblasserin enthält, vermutet der Beteiligte zu 1 nur. Anhaltspunkte
dafür bestehen nicht.3. Weil der Notar aus den unter 1. genannten Gründen (vgl. Rn. 14 ff.)
nicht verpflichtet ist, dem Beteiligten zu 1 Einsicht in die Nebenakten zu gewähren,
nimmt das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei an, dass er auch die Erteilung
von Ablichtungen verweigern durfte.

IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO, § 54
Abs. 2 BeurkG i.V.m. § 84 FamFG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

11.01.2024

Aktenzeichen:

V ZB 63/22

Rechtsgebiete:

Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

NotBZ 2024, 379

Normen in Titel:

BeurkG § 51 Abs. 3; BNotO § 18 Abs. 1 u. 2; NotAktVV § 40