OLG Hamm 02. März 2023
10 U 108/21
BGB §§ 195, 199, 2303

Verjährung von Pflichtteilsansprüchen; keine Kenntnis von der Beeinträchtigung bei irrtümlicher Annahme der Unwirksamkeit des Testaments

letzte Aktualisierung: 26.2.2024
OLG Hamm, Urt. v. 2.3.2023 – 10 U 108/21

BGB §§ 195, 199, 2303
Verjährung von Pflichtteilsansprüchen; keine Kenntnis von der Beeinträchtigung bei
irrtümlicher Annahme der Unwirksamkeit des Testaments

Die erforderliche Kenntnis von einer beeinträchtigenden Verfügung kann fehlen, wenn der
Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei
unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann,
wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.

Gründe

Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage um Pflichtteils- und
Pflichtteilsergänzungsansprüche.

Der Kläger ist das einzige Kind des am 00.00.2015 in J./Spanien verstorbenen Erblassers
N. X. (geb. 00.00.1933) aus dessen geschiedener erster Ehe mit Frau D. X.. Der in K.
geborene Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und hatte seinen letzten Wohnsitz in
W.. Dort betrieb er bis zum Eintritt in den Ruhestand eine eigene internistische Praxis.
Nach Beendigung seiner Berufstätigkeit hielt er sich zeitweilig in Spanien auf. Der
Erblasser war in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Aus dieser Ehe sind keine
Kinder hervorgegangen. Der Erblasser errichtete am 11.02.2009 in Spanien vor einem
dortigen Notar in spanischer Sprache ein Testament, durch das er frühere Testamente
ausdrücklich widerrief und die Beklagte zu seiner Alleinerbin einsetzte. Zuvor hatte der
Erblasser am 02.06.2003 und 13.04.2007 ebenfalls in Spanien abweichende notarielle
Testamente beurkunden lassen, in denen er den Kläger als Alleinerben eingesetzt hatte.
Ab dem Jahr 2009 wurde der Erblasser in der Neurologischen Klinik des I.-Hospitals in A.
behandelt. Im Jahr 2011 wurde der Erblasser in einer Klinik in P. wegen verschiedener
Knochenbrüche behandelt. Der Kläger wurde durch die Beklagte unmittelbar nach dem
Tod des Erblassers von dessen Versterben in Kenntnis gesetzt. Am 04.08.2015 erfuhr er
auch vom Testament des Erblassers vom 11.02.2009, weil er sich bei der in dem
Testament des Erblassers vom 02.06.2003 eingesetzten Testamentsvollstreckerin nach
dem Sachstand erkundigt hatte.

Der Kläger stellte am 07.06.2016 beim Amtsgericht P. einen Antrag auf Erteilung eines
Erbscheins, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweist (80 VI 374/16 AG P.). Den
Antrag stützte er auf das notarielle Testament vom 02.06.2003 und trug vor, der Erblasser
sei wegen einer fortschreitenden Demenzerkrankung seit dem Jahr 2006 nicht mehr
testierfähig gewesen. Das sei dadurch indiziert, dass der Erblasser seinen Hauptwohnsitz
von Spanien nach W. verlegt habe, ab dem Jahr 2007 Telefonanrufe nicht mehr selbst
angenommen habe und Besuche durch die Ehefrau des Erblassers abgeblockt worden
seien. Am 04.09.2017 beantragte die Beklagte ebenfalls beim Amtsgericht P. die Erteilung
eines Erbscheins mit der Begründung, sie sei aufgrund des Testaments vom 11.02.2009
Alleinerbin des Erblassers geworden. Mit Beschluss vom 30.10.2017 erachtete das
Amtsgericht P. die zur Begründung des Antrags der Beklagten erforderlichen Tatsachen für
festgestellt und führte zur Begründung aus, die vom Kläger geschilderten Tatsachen
begründeten keine Testierunfähigkeit des Erblassers. Hiergegen legte der Kläger
Beschwerde ein, der das Amtsgericht nicht abhalf. Nachdem der 15. Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Hamm im Beschwerdeverfahren durch Beschluss vom 03.07.2019 (15
W 37/18) ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen R. zur Frage der
Testierfähigkeit eingeholt hatte und die behauptete Testierunfähigkeit des Erblassers nicht
bestätigt worden war, nahm der Kläger seine Beschwerde mit Schriftsatz vom 13.09.2019
zurück. Zugleich forderte er die Beklagte unter Fristsetzung zum 31.10.2019 auf, Auskunft
über den Bestand des Nachlasses zu erteilen und den sich daraus ergebenden Pflichtteil
zu zahlen.

Der Kläger hat sodann mit der am 28.12.2019 zugestellten Stufenklage seine
Pflichtteilsansprüche gerichtlich geltend gemacht.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und sich auf ein
Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Kläger berufen.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die
Klage sei unbegründet, weil der geltend gemachte Anspruch verjährt sei. Sämtliche
Pflichtteilsansprüche verjährten gem. § 195 BGB in drei Jahren, beginnend mit dem
Schluss des Jahres 2015. In diesem Jahr habe der Kläger von den seinen
Pflichtteilsanspruch begründenden Umständen, nämlich dem Eintritt des Erbfalls und dem
ihn enterbenden notariellen Testament zu Gunsten der Beklagten vom 11.02.2009
Kenntnis erlangt. Diese Kenntnis sei nicht infolge eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums des
Klägers zu verneinen. Der Regelungsgehalt des notariellen Testaments sei einfach zu
erkennen und klar. Es liege auch kein Irrtum über eine die Testierfähigkeit des Erblassers
hindernde Demenzerkrankung vor. Darüber habe der Kläger allenfalls Mutmaßungen
anstellen können. Der Kläger habe erst nach Ablauf der Verjährungsfrist Klage erhoben.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren
weiterverfolgt. Er trägt vor, das Landgericht habe die Klage zu Unrecht mit der Begründung
abgewiesen, die Ansprüche des Klägers seien verjährt. Es habe unzutreffend
angenommen, der Kläger habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis vom Bestehen seines
Pflichtteilsanspruchs erlangt. Das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass er bis
zur abschließenden Klärung im Erbscheinsverfahren vor dem Amtsgericht P. und dem
Beschwerdeverfahren gerade nicht über sichere Kenntnis aller tatbestandlichen
Voraussetzungen verfügt habe. Aufgrund der schweren Demenz des Vaters sei er davon
ausgegangen, dass das letzte Testament des Vaters mangels Testierfähigkeit unwirksam
gewesen sei. Frühere Testamente, in denen er zum Alleinerben berufen gewesen sei,
seien deshalb nicht wirksam widerrufen worden. Der Kläger habe erst am 25.08.2019 mit
dem Zugang des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens vom
24.07.2019 Kenntnis davon erlangen können, dass eine fehlende Testierfähigkeit nicht
sicher festzustellen gewesen sei. Danach hätte die dreijährige Verjährungsfrist erst mit
Ablauf des Jahres 2019 zu laufen begonnen. Die am 06.11.2019 erhobene Stufenklage
habe den Lauf der Verjährung rechtzeitig gehemmt. Das Argument des Landgerichts, der
Kläger hätte parallel zum laufenden Erbscheinsverfahren Klage auf Feststellung seiner
Alleinerbschaft erheben müssen, verkenne die Bedeutung des Erbscheinsverfahrens, in
dem der Amtsermittlungsgrundsatz gelte. Es bestehe bei dieser Vorgehensweise die
Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Deshalb hätte das
Erbenfeststellungsverfahren ausgesetzt werden müssen. Es hätten auch von Beginn an
ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments bestanden. Die bloße Kenntnis vom
der beeinträchtigenden Verfügung des Vaters habe daher nicht ausgereicht.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bochum vom 04.11.2021 abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen,
1. Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 00.00.2015 in J./Spanien
verstorbenen Erblassers N. X. zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines
Bestandsverzeichnisses nebst entsprechenden Verträgen und Belegen, welches folgende
Punkte umfasst:
a. alle beim Erbfall vorhandenen Sachen, Immobilien und Forderungen (Aktiva)
b. alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und
Erbfallschulden)
c. alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat,
einschließlich Pflicht- und Anstandsschenkungen und ehebezogenen Zuwendungen
d. alle ungeklärten Zuwendungen und Veräußerungen des Erblassers zu Lebzeiten, deren
Umstände es nahelegen, es handele sich wenigstens zum Teil um eine Schenkung
e. den Güterstand, in dem der Erblasser verheiratet war;
2. den Rechtsstreit für die Entscheidung über die weiteren Stufen der erhobenen
Stufenklage an das Landgericht Bochum zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor, schon die Kenntnis des
Klägers vom Tod des Vaters und von dem Testament vom 11.02.2009 im Jahr 2015 habe
den Lauf der Verjährungsfrist in Gang gesetzt. Der Kläger habe zunächst von der
grundsätzlichen Testierfähigkeit des Vaters ausgehen müssen. Die Beklagte bestreitet,
dass sich der Kläger überhaupt in einem Irrtum befunden habe, und behauptet, der Kläger
habe zwischen 2007 und 2010 keinen direkten Kontakt zum Erblasser gehabt. Er habe
deshalb keine zuverlässigen Informationen zu dessen Gesundheitszustand gehabt. Die
Behauptungen zur fehlenden Testierfähigkeit im Erbscheinsverfahren seien ins Blaue
hinein erfolgt. Wenn der Kläger davon ausgegangen sei, dass er erst nach Abschluss des
Erbscheinsverfahrens seine Pflichtteilsansprüche habe geltend machen können, sei er
einem unbeachtlichen Rechtsirrtum erlegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich gem. § 141 ZPO angehört. Die Akten 80 VI 374/16
Amtsgericht P. lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt
worden.

Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg und führt in entsprechender Anwendung des §
538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO auf Antrag des Klägers zur Aufhebung des Urteils und des
Verfahrens zur weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits an das
Landgericht (vgl. dazu Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 538 Rn. 48).
1. Die vor einem deutschen Gericht erhobene Klage ist zulässig. Die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ist gegeben.

Die internationale Zuständigkeit unterliegt wegen ihrer besonderen Bedeutung
grundsätzlich der Überprüfung von Amts wegen durch das Berufungsgericht. Dem steht
die Regelung des § 513 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, nach dessen Wortlaut die Berufung
nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine
Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 513
Rn. 8 m.w.Nw.). Die internationale Zuständigkeit folgt grundsätzlich der örtlichen
Zuständigkeit (Geimer in: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020,
Internationale Zuständigkeit Rn. 1265).

Ob die Beklagte ihren Wohnsitz in Spanien oder in Deutschland hat, kann offen bleiben. In
(vermögensrechtlichen) Rechtsstreitigkeiten, in denen die internationale Zuständigkeit
durch rügelose Einlassung des Beklagten gem. § 39 ZPO begründet werden kann, darf
das Berufungsgericht nämlich die internationale Zuständigkeit nur auf Rüge prüfen (BGH,
Urteil vom 13. Juli 1987 – II ZR 280/86 –, BGHZ 101, 296-307). Eine Zuständigkeitsrüge
hat die Beklagte indessen nicht erhoben.

2. Die gem. § 254 ZPO zulässige Stufenklage ist auf der Auskunftsstufe begründet.
a) Auf die vom Kläger geltend gemachten Pflichtteilsansprüche ist deutsches Erbrecht
anwendbar.
aa) Die EU-ErbrechtsVO, die an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers
anknüpft, ist hier allerdings nicht einschlägig, weil sie erst nach dem Erbfall zum
17.08.2015 in Kraft getreten ist.

bb) Gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB in der bis zum 16.08.2015 geltenden Fassung bestimmt
sich das anzuwendende Erbrecht nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers. Dieses
Erbstatut gilt für den gesamten Nachlass unabhängig von Art und Lage der einzelnen
Nachlassgegenstände (sog. Nachlasseinheit). Der Erblasser ist unstreitig deutscher
Staatsangehöriger. Dass der Erblasser noch eine andere Staatsangehörigkeit außer der
deutschen besessen hat, ist nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

b) Die Voraussetzungen für den Pflichtteilsanspruch gem. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB liegen
vor. Der Auskunftsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 2314 BGB. Unstreitig ist der
Kläger gem. § 2303 BGB als Abkömmling des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Die
Beklagte ist durch das notarielle Testament vom 11.02.2009, dessen Wirksamkeit
zwischen den Parteien nicht mehr in Streit steht, zur Alleinerbin bestimmt worden. Das
Testament ist auch formwirksam. Nach Art. 1 des Haager Übereinkommens über das auf
die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht ist eine letztwillige Verfügung
hinsichtlich ihrer Form gültig, wenn diese dem innerstaatlichen Recht eines Staates
entspricht, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser im Zeitpunkt, in dem er letztwillig
verfügt hat, entspricht. Danach genügt das notarielle Testament des Erblassers den
Formvorschriften der §§ 2231 f. BGB. i.V.m. § 32 BeurkG.

c) Der Pflichtteilsanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Die Verjährungsfrist für den
Pflichtteilsanspruch gem. § 2303 BGB beträgt gem. § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt
gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist
und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Das gilt
auch für den Auskunftsanspruch (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom
5. Mai 2015 – 3 U 98/14 –, juris).

aa) Vorliegend hat der Kläger vom Tod des Erblassers und der letztwilligen Verfügung vom
11.02.2009, durch die er enterbt worden ist, bereits im Jahr 2015 Kenntnis erhalten.
Unstreitig wurde er durch die Beklagte unmittelbar nach dem Tod des Erblassers von
dessen Versterben in Kenntnis gesetzt. Am 04.08.2015 erfuhr er auch vom Testament des
Erblassers vom 11.02.2009, weil er sich bei der in dem früheren Testament des Erblassers
vom 02.06.2003 ursprünglich eingesetzten Testamentsvollstreckerin nach dem Sachstand
erkundigt hatte. Gleichwohl ist die dreijährige Verjährungsfrist nicht bereits mit dem
31.12.2018 abgelaufen. Vielmehr konnte der Ablauf der Frist durch die am 07.11.2019
anhängig gewordene und am 28.12.2019 zugestellte Klage noch gehemmt werden.

bb) Denn der Kläger hat erst mit der Übersendung des Gutachtens des in dem
Nachlassverfahren (80 VI 374/16 AG P. = 15 W 37/18 und 15 W 40/21 OLG Hamm)
beauftragten Sachverständigen R. am 21.08.2019 Kenntnis von der Wirksamkeit des
Testaments erlangt.

Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung setzt voraus, dass der
Pflichtteilsberechtigte den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt
hat. Dazu ist eine in die Einzelheiten gehende Prüfung der Verfügung und eine fehlerfreie
Bestimmung ihrer rechtlichen Natur nicht erforderlich. Ebenso wenig kommt es darauf an,
ob die Vorstellungen des Pflichtteilsberechtigten über den beim Erbfall vorhandenen
Nachlass und seinen Wert zutreffen. Die erforderliche Kenntnis kann jedoch fehlen, wenn
der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte
Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das
gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu
weisen sind (BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 – IV ZR 134/94 –, juris; OLG München,
Urteil vom 22. November 2021 – 33 U 2768/21 –, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.
Januar 2008 – I-7 U 2/07 –, juris).

Im vorliegenden Fall bestanden derartige Bedenken gegen die Wirksamkeit des
Testaments, die nicht von vornherein von der Hand zu weisen waren.

Der Kläger hatte im Erbscheinsverfahren vorgetragen, er gehe von einer die
Testierfähigkeit des Erblassers ausschließenden Demenz aus, weil er seit dem Jahr 2007
Veränderungen wahrgenommen habe, wobei ihm deutliche Anzeichen für eine dementielle
Verwirrtheit allerdings erst im Jahr 2011 aufgefallen seien (Bl. 3 der Beiakte 80 VI 374/16
AG P.). Dass der Kläger mangels eines näheren Kontakts zum Erblasser in der Zeit
zwischen 2007 und 2010 keine detaillierteren Tatsachen zum Zustand des Erblassers im
Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 2009 benennen konnte, diese ihm vielmehr
erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durch das Sachverständigengutachten bekannt
geworden sind, ist unerheblich. Denn immerhin hat der Sachvortrag des Klägers den 15.
Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Beschwerdeverfahren zur Einholung eines
Sachverständigengutachtens bewogen.

Erstmals hatte der Senat dort bereits mit einer Verfügung des Berichterstatters vom
15.02.2018 darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Klägers zu der Frage der
Testierfähigkeit des Erblassers als noch ausreichend erscheine, um diese Frage von Amts
wegen weiter aufzuklären (Bl. 103/104 Beiakte 80 VI 374/16 AG P.). Sodann hatte der
Berichterstatter mit Verfügung vom 03.01.2019 darauf hingewiesen, dass sich aus den
zwischenzeitlich beigezogenen Behandlungsunterlagen des Hausarztes des Erblassers
erhebliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende kognitive Beeinträchtigung des
Erblassers bereits im Jahre 2009 ergeben – deshalb werde die Einholung eines
gerontopsychiatrischen Sachverständigengutachtens in Erwägung gezogen (Bl. 132
Beiakte 80 VI 374/16 AG P.).

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung durch den gerichtlich beauftragten
Sachverständigen R. waren die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen die
Wirksamkeit des Testaments auch durchaus berechtigt.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die Bedenken des Klägers zwar nicht in
dem Sinne bestätigt, dass für den hier maßgeblichen Zeitraum Februar 2009 mit der
nötigen Sicherheit eine Testierunfähigkeit des Erblassers festgestellt werden konnte. Nach
den Ergebnissen der Begutachtung war der Erblasser aber im Oktober 2008 wegen einer
akuten Dekompensation in stationärer psychiatrischer Behandlung. In dem
Entlassungsbericht vom 24.10.2008 seien – so der Sachverständige - kognitive Defizite
des Erblassers beschrieben worden (Gutachten S. 16/18). Mangels anderer Informationen
sei aber davon auszugehen, dass die aufgrund der Behandlung eingesetzte Besserung bis
Februar 2009 angehalten habe (Gutachten S. 48). Im Februar 2009 sei die Demenz zwar
sicherlich weiter fortgeschritten gewesen. Es lasse sich aber nicht feststellen, wie sehr die
kognitive Verfassung des Erblassers eingeschränkt gewesen sei (Gutachten S. 47). Damit
hat der Sachverständige eine Testierunfähigkeit des Erblassers jedoch nicht mit Sicherheit
ausgeschlossen.

d) Gegenüber dem Auskunftsanspruch kann sich die Beklagte nicht auf ein
Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB berufen. Insoweit ergibt sich aus der Natur des
Auskunftsanspruchs ein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts. Der Auskunftsschuldner
ist nach Treu und Glauben zur Vorleistung verpflichtet (BGH, Urteil vom 3. Februar 1978 –
I ZR 116/76 –, juris).

III.
Die Kostenentscheidung bleibt dem landgerichtlichen Schlussurteil vorbehalten (vgl. OLG
Köln, Urteil vom 18. März 1987 – 2 U 99/86 –, juris). Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die
Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

02.03.2023

Aktenzeichen:

10 U 108/21

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB §§ 195, 199, 2303