BGH 06. März 2020
V ZR 2/19
BGB §§ 123 Abs. 1, 444

Beweislast des Grundstückskäufers bei „unsichtbaren Mängeln“

letzte Aktualisierung: 17.12.2020
BGH, Urt. v. 6.3.2020 – V ZR 2/19

BGB §§ 123 Abs. 1, 444
Beweislast des Grundstückskäufers bei „unsichtbaren Mängeln“

Die in einem Grundstückskaufvertrag enthaltene Erklärung des Verkäufers, ihm seien keine
unsichtbaren Mängel bekannt, rechtfertigt keine Abweichung von dem Grundsatz, dass den Käufer
die Darlegungs- und Beweislast für die unterbliebene Aufklärung über offenbarungspflichtiger
Umstände trifft (Bestätigung von Senat, Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 100/02, NJW 2003,
2380).

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten den Kaufvertrag wirksam
angefochten, weil die Beklagten ihnen vor und bei Vertragsschluss arglistig verschwiegen
hätten, dass ein Teil der auf dem Grundstück befindlichen Räumlichkeiten
mangels einer bauaufsichtsrechtlichen Genehmigung nicht zu Wohnzwecken
genutzt werden dürfe. Die Beklagten hätten zwar behauptet, den Klägern
bereits bei der ersten Besichtigung erklärt zu haben, dass der Anbau nicht
als Wohnraum genehmigt, aber ein Antrag auf Nutzungsänderung gestellt sei,
und den Klägern bei einer weiteren Besichtigung auch einen Lageplan übergeben
zu haben, aus dem die baurechtliche Situation zu erkennen gewesen sei.
Diese Behauptungen hätten sie aber nicht bewiesen. Zwar seien die Kläger für
das Vorliegen einer arglistigen Täuschung - was auch die Verletzung einer Offenbarungspflicht
umfasse - darlegungs- und beweisbelastet. Hier sei aber bereits
aufgrund des notariellen Kaufvertrages der von den Klägern zu erbringende
Beweis einer Verletzung der Aufklärungspflicht geführt. So heiße es in dem
Kaufvertrag, dass der Fernseher aus dem "Wohnzimmer" mitverkauft sei. Wei-
ter sei nach dem Vertrag der Grundbesitz in dem Zustand verkauft worden, in
dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe. Die notarielle Urkunde
enthalte an keiner Stelle einen Hinweis auf die unerlaubte Wohnnutzung des
Anbaus und eine (vermeintliche) Offenlegung dieses Umstands gegenüber den
Klägern sowie des von den Beklagten eingeleiteten bauaufsichtlichen Verfahrens
über eine Nutzungsänderung. Die Behauptung der Beklagten, die Kläger
seien über die fehlende Genehmigung der Nutzung der Garage als Wohnraum
unterrichtet worden, werde daher durch die Vertragsurkunde widerlegt. Für den
Inhalt der Urkunde spreche die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit.

Vor diesem Hintergrund hätten die Beklagten beweisen müssen, dass eine Aufklärung
der Kläger erfolgt sei. Das Landgericht sei nach durchgeführter Beweisaufnahme
rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass den Beklagten
dies nicht gelungen sei. Gegen die Darstellung der Beklagten sprächen
auch die weiteren, aus der Aktenlage objektiv erkennbaren Umstände. Unrichtig
sei etwa auch die in dem Notarvertrag enthaltene Erklärung der Beklagten,
dass ihnen unsichtbare Mängel nicht bekannt seien. Das Vorbringen der Beklagten
als wahr unterstellt, hätte spätestens an dieser Stelle ein Hinweis auf
den baurechtswidrigen Zustand erfolgen müssen.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht
gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Aufklärungspflicht
durch die Beklagten nicht angenommen werden.

1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht
davon aus, dass im Falle einer wirksamen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
ein Anspruch der Kläger auf Rückabwicklung des Vertrages (§ 812 Abs.
1 Satz 1 Alt. 1 BGB) und auf Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsätzen
der Haftung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2
Nr. 1 BGB) in Betracht kommt (vgl. Senat, Urteil vom 3. Mai 2002 - V ZR
175/01, NJOZ 2002, 1888, 1889 mwN).

2. Weiterhin legt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler zugrunde, dass
die objektive Seite einer arglistigen Täuschung regelmäßig gegeben ist, wenn
Räume als Wohnraum angepriesen werden, obwohl die für eine solche Nutzung
notwendige baurechtliche Genehmigung nicht vorliegt. Denn die Baubehörde
kann die Nutzung jedenfalls bis zur Erteilung der Genehmigung untersagen -
und zwar unabhängig davon, ob eine Genehmigung unter Zulassung einer
Ausnahme hätte erteilt werden können (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 - V
ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 10 mwN). Nach den - von den Beklagten nicht
angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die Motorradgarage
erkennbar als Wohnraum genutzt und der Kaufgegenstand auch mit dieser
Nutzung angepriesen, obwohl die erforderliche bauaufsichtsrechtliche Genehmigung
nicht vorlag.

3. Für den Fall unterbliebener Aufklärung geht das Berufungsgericht ferner
zu Recht von dem Vorliegen der subjektiven Seite arglistigen Handelns seitens
der Beklagten aus. Arglistig handelt ein Verkäufer, wenn er den Fehler
mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend
in Kauf nimmt, dass sein Vertragspartner den Mangel nicht kennt und bei
Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen
hätte (Senat, Urteil vom 14. Juni 2019 - V ZR 73/18, ZIP 2019, 2115 Rn. 11
mwN). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagten haben ausweislich
der Feststellungen des Berufungsgerichts eine Kenntnis von den bauordnungswidrigen
Zuständen nicht in Abrede gestellt. Auch dies nehmen die Beklagten
im Rahmen des Revisionsverfahrens hin.

4. Die Revision rügt indessen zu Recht, dass dem Berufungsgericht ein
Rechtsfehler insoweit unterlaufen ist, als es den Beklagten die Beweislast für
die von ihnen behauptete Aufklärung über die bauordnungswidrige Wohnnutzung
zugewiesen hat.

a) Im Ausgangspunkt sieht das Berufungsgericht noch zutreffend, dass
derjenige, der einen Vertrag wegen arglistiger Täuschung anficht, die Darlegungs-
und Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Umstände, die den Arglisttatbestand
ausfüllen, trifft (vgl. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2000 - V ZR
285/99, NJW 2001, 64, 65), wozu bei einer Täuschung durch Verschweigen
auch die fehlende Offenbarung gehört (vgl. zur parallel gelagerten Fragestellung
im Rahmen des § 444 BGB: Senat, Urteil vom 12. November 2010 - V ZR
181/09, BGHZ 188, 43 Rn. 12). Bei der behaupteten unterbliebenen Offenbarung
handelt es sich um eine negative Tatsache; dem Käufer kommen daher
Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute.
Er muss, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen, nicht alle theoretisch
denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen; es reicht vielmehr
aus, die von dem Verkäufer in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise substantiiert
darzulegende Aufklärung ausräumen, d. h. zu widerlegen. Gelingt
dies, ist der Beweis der negativen Tatsache erbracht (vgl. Senat, Urteil vom 27.
Juni 2014 - V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 13; Urteil vom 12. November
2010 - V ZR 181/09, BGHZ 188, 43 Rn. 12; Urteil vom 30. April 2003 - V ZR
100/02, NJW 2003, 2380, 2382 a.E.).

b) Das Berufungsgericht hat diese Beweislastregel jedoch fehlerhaft angewandt.
Entgegen seiner Auffassung ist es aufgrund des Inhalts des notariellen
Kaufvertrages nicht gerechtfertigt, von dem geschilderten Grundsatz abzuweichen
und den Beklagten die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass sie die
Kläger über den bauordnungswidrigen Zustand des Kaufobjekts aufgeklärt haben.

aa) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Erklärung der Beklagten zu unsichtbaren
Mängeln. Der Senat hat bereits entschieden, dass die in einem
Grundstückskaufvertrag enthaltene Erklärung des Verkäufers, ihm seien keine
unsichtbaren Mängel bekannt, keine Abweichung von dem Grundsatz rechtfertigt,
dass den Käufer die Darlegungs- und Beweislast für die unterbliebene Aufklärung
über offenbarungspflichtiger Umstände trifft (Senat, Urteil vom 30. April
2003 - V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382). Einer solchen Erklärung kommt
kein Beweiswert in Bezug auf eine von dem Verkäufer behauptete Aufklärung
zu. Hat diese Aufklärung stattgefunden, liegt es nämlich nahe, dass der Verkäu-
fer nicht länger von einem "unsichtbaren" Mangel ausgegangen ist.

Hieran vermag auch die von dem Berufungsgericht herangezogene Vermutung
der Vollständigkeit und Richtigkeit der Kaufvertragsurkunde nichts zu
ändern. Sie erstreckt sich nur auf die vollständige und richtige Wiedergabe der
getroffenen Vereinbarungen. Dagegen gilt sie nicht für die bei Besichtigungen
und Vertragsverhandlungen erteilten Informationen; diese bedürfen nicht der
notariellen Vereinbarung und nehmen daher an der Vermutung der Vollständigkeit
und Richtigkeit der notariellen Urkunde nicht teil (vgl. Senat, Urteil vom 15.
Juli 2011 - V ZR 171/10, VersR 2012, 452 Rn. 17 insoweit nicht abgedruckt in
BGHZ 190, 272; Urteil vom 13. Juni 2008 - V ZR 114/07, NJW 2008, 2852 Rn.
17; Urteil vom 30. April 2003 - V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382).

bb) Auch die weiteren von dem Berufungsgericht herangezogenen Bestimmungen
des Kaufvertrags rechtfertigen keine Umkehr der Beweislast. Für
die dem Käufer obliegende Beweisführung, dass ihm bestimmte Informationen
von dem Verkäufer vor Vertragsschluss nicht gegeben worden seien, kann der
Inhalt des Kaufvertrags nur eine - je nach den Umständen mehr oder minder
große - indizielle Bedeutung haben (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 - V ZR
171/10, aaO; Urteil vom 30. April 2003 - V ZR 100/02, aaO). Es kommt daher
nicht mehr darauf an, dass die Vereinbarung, der Grundbesitz werde in dem
Zustand verkauft, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe,
ohnehin keine Rückschlüsse darauf zulässt, welche Informationen den Klägern
in Bezug auf die Zulässigkeit der Wohnraumnutzung vor Vertragsschluss gege-
ben worden sind, und dass der Begriff "Wohnzimmer" unter "Gegenstand des
Kaufvertrages" in erster Linie zur Individualisierung des mitverkauften Fernse-
hers verwendet worden sein dürfte.

c) Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist entscheidungserheblich.
Es beschränkt seine Aussage, an der Beweiswürdigung des Landgerichts bestünden
keine Zweifel, ausdrücklich darauf, dass den Beklagten nicht der Beweis
für ihre Behauptung gelungen sei, die Kläger im Rahmen der vorvertraglichen
Verhandlungen wahrheitsgemäß über den baurechtlichen Zustand des
Kaufobjekts aufgeklärt zu haben. Ob es - wie vom Landgericht angenommen -
den Klägern gelungen ist, die von den Beklagten behauptete Aufklärung zu widerlegen,
hat das Berufungsgericht hingegen nicht geprüft.

III.
Der angefochtene Beschluss kann hiernach keinen Bestand haben. Er ist
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat
vorsorglich auf Folgendes hin:

Die bei den Klägern liegende Beweislast für die unterbliebene Offenbarung
kehrt sich auch dann nicht um, wenn die Aufklärung dazu gedient haben
soll, einen zuvor durch aktives Tun der Beklagten hervorgerufenen Irrtum zu
beseitigen (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2014 - V ZR 55/13, NJW 2014, 3296
Rn. 14 mwN).

Das Berufungsgericht wird daher zunächst zu prüfen haben, ob es den
Klägern auf der Grundlage der bisherigen Beweiserhebung nach seiner Überzeugung
gelungen ist, die von den Beklagten behauptete Aufklärung - durch
einen Hinweis anlässlich des ersten Besichtigungstermins und die spätere Vorlage
des Lageplans (Anlage B 1) - auszuräumen. Wenn sich das Berufungsgericht
von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen
vermag, ist es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht gebunden,
sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nicht nur berechtigt, sondern
verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 2019 - V ZR 255/17, NJW 2019,
3147 Rn. 65).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

06.03.2020

Aktenzeichen:

V ZR 2/19

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
Beurkundungserfordernis
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 123 Abs. 1, 444