Berechtigtes Interesse des Pflichtteilsberechtigten an der Grundbucheinsicht gem. § 12 Abs. 1 GBO
letzte Aktualisierung: 25.11.2020
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.8.2020 – 3 W 121/19
GBO § 12 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 2314, 2333, 2336 Abs. 2
Berechtigtes Interesse des Pflichtteilsberechtigten an der Grundbucheinsicht gem. § 12
Abs. 1 GBO
Ein Pflichtteilsberechtigter, der nach Eintritt des Erbfalls erbrechtliche Ansprüche prüfen möchte,
hat im Regelfall ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch i. S. v. § 12 Abs. 1
GBO. Ein solches kann nur im Einzelfall ausnahmsweise verneint werden. Für die Annahme eines
Ausnahmefalles genügt ein vom Erblasser angeordneter Pflichtteilsentzug nicht, wenn dessen
Wirksamkeit eher fernliegt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller hat gegenüber dem Grundbuchamt des Amtsgerichts Montabaur die Erteilung
eines amtlichen Grundbuchausdrucks für sämtliche im (Mit-)Eigentum seiner am xx.xx.20xx
verstorbenen Mutter stehenden Grundstücke im Grundbuchbezirk sowie einer Abschrift
sämtlicher Übertragungsverträge zu den Grundstücken beantragt. Er hat u.a. geltend gemacht,
im Hinblick auf seine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ein wirtschaftliches
Interesse daran zu haben, in Erfahrung zu bringen, ob die Erblasserin jemals (Mit-)Eigentümerin
von Grundstücken im Grundbuchbezirk gewesen sei. Diesen Antrag hat das Grundbuchamt mit
dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller
durch letztwillige Verfügung (notarielles Testament vom xx.xx.20xx, UR.Nr. xxx d. Notars xxx)
ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen und ihm sein gesetzlicher Pflichtteil gemäß § 2333
BGB entzogen sei. Dem Grundbuchamt obliege auch keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit die
Pflichtteilsentziehung aus den angegebenen Gründen im Testament und dem gegenteiligen
Sachvortrag des Antragstellers tatsächlich wirksam oder unwirksam sei. Dieser Umstand sei
vielmehr in einem besonderen Klageverfahren durch eine „Feststellungs- bzw. Anfechtungsklage“
geltend zu machen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der
Rechtspfleger nicht abgeholfen und die er dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.
II.
Die gemäß
13a, 23a Abs. 2 Nr. 8 GVG, § 4 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) GerOrgG Rheinland-Pfalz der Senat zu befinden
hat, führt zu dem angestrebten Erfolg, weil der Antragsteller ein berechtigtes Interesse gemäß §
12 Abs. 1 S. 1 GBO dargelegt hat.
1. Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch i.S.v.
auch in Form der Erteilung von Abschriften (§ 12 Abs. 2 GBO), ist gegeben, wenn ein
verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers vorliegt (vgl. auch
BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013, Az.: V ZB 120/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 21; OLG
München, Beschluss vom 14. Juni 2018, Az.: 34 Wx 188/18, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 11; OLG
Oldenburg, Beschluss vom 30. September 2013, Az.: 12 W 261/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr.
2; Böttcher, in: Meikel, GBO, 11. Aufl. 2015,
wirtschaftlicher Art ist für den Pflichtteilsberechtigten, der nach Eintritt des Erbfalls erbrechtliche
Ansprüche prüfen möchte, im Regelfall anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9.
September 2015, Az.: 3 Wx 149/15, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 15; OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 5. September 2013, Az.: 11 Wx 57/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 10 ff.; OLG Frankfurt,
Beschluss vom 17. Februar 2011, Az.: 20 W 72/11, dort Rdnr. 15; OLG München, Beschluss vom
13. Januar 2011, Az.: 34 Wx 132/10, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 12; KG Berlin, Beschluss vom
20. Januar 2004, Az.: 1 W 294/03, zitiert nach Juris; Wilsch, in: BeckOK GBO, 39. Ed. 1. Jun.
2020,
Davon geht auch der Senat aus.
2. Soweit das Grundbuchamt den Antrag gleichwohl unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller
durch letztwillige Verfügung ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen und ihm sein
gesetzlicher Pflichtteil gemäß
gefolgt werden.
Zwar kann im Einzelfall das Vorliegen eines Interesses wirtschaftlicher oder tatsächlicher Natur
verneint werden, wenn etwa dem Pflichtteilsberechtigten seit vielen Jahren der Erbfall und auch
der Umstand, dass er von der Erbfolge ausgeschlossen war, bekannt waren und es in diesem Fall
an der besonderen Darlegung eines berechtigten Interesses fehlt (vgl. bei ca. 70 Jahren
zurückliegendem Erbfall OLG München, Beschluss vom 13. Januar 2011, Az.: 34 Wx 132/10,
zitiert nach Juris). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben, liegt
insbesondere entgegen der Auffassung des Grundbuchamtes nicht in dem Umstand eines von
der Erblasserin im notariellen Testament vom xx.xx.20xx erwähnten Entzug des Pflichtteils. An
eine Ablehnung des berechtigten Interesses nach
allenfalls dann zu denken gewesen, wenn ganz offenkundig eine wirksame Pflichtteilsentziehung
vorläge und somit das Bestehen erbrechtlicher Ansprüche abwegig wäre. So liegen die Dinge hier
nicht. Im notariellen Vertrag heißt es im Zusammenhang mit der Pflichtteilsentziehung konkret:
Ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen ist mein Sohn (...) Darüber hinaus entziehe ich
ihm sein gesetzliches Geldpflichtteil gem.
angegriffen hat (Zeuge: (...) und Nachbar (...)) und andererseits er gegen meinen Willen einen
ehrlosen aber auch unsittlichen Lebenswandel im Sinne des § 2333 Ziff. 5 BGB führt.
Der Notar hat mich auf die Beweispflicht des Erben für diese Tatbestände hingewiesen, dennoch
wünsche ich keine näheren Angaben zu machen.
Zur Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung ist neben der Entziehungserklärung auch die Angabe
eines (zutreffenden) Kernsachverhalts erforderlich,
darum, dass der Erblasser zum Ausdruck bringt, unter welchen der im Gesetz angeführten
Entziehungstatbestände er seinen Entziehungsgrund einordnet; sondern es kommt auf eine
(gewisse) Konkretisierung des Grundes oder der Gründe an, auf die er die Entziehung stützen
will. Eine derartige konkrete Begründung in dem Testament, die nicht in die Einzelheiten zu gehen
braucht, ist schon deshalb unverzichtbar, weil die Entziehung anderenfalls im Einzelfall am Ende
auf solche Vorwürfe gestützt werden könnte, die für den Erblasser nicht bestimmend waren,
sondern erst nachträglich vom Erben erhoben und vom Richter für begründet erklärt werden (vgl.
BGH, Urteil vom 27. Februar 1985, Az.: IVa ZR 136/83, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 19; Saarl.
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 12. Dezember 2017, Az.: 5 W 53/17, zitiert nach Juris, dort
Rdnr. 29). Es ist eher fernliegend, dass der Inhalt des Testaments der Erblasserin dem gerecht
werden würde. Trotz des erfolgten Hinweises des Notars auf die Beweispflicht des Erben bleibt
es hinsichtlich Anzahl, Ausmaß und konkreter Hergänge bereits unklar, was die Erblasserin mit
den genannten mehrfachen tätlichen Angriffen gemeint haben mag. Eine konkrete Zeitangabe
oder die Benennung eines Zeitraums, in dem sich die Vorgänge abgespielt haben sollen, fehlt. In
welchem Zusammenhang die benannten Zeugen zu den angegebenen Geschehnissen stehen
sollen und welche greifbaren Angaben sie aus eignen Wahrnehmungen machen könnten, ist dem
Testament nicht zu entnehmen. Soweit einer der benannten Zeugen als „Nachbar“ bezeichnet
wurde, lässt sich daraus nichts hinreichend Konkretes ableiten. Die Bezugnahme auf einen
ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel erschöpft sich im Wesentlichen in der Benennung der
zum damaligen Zeitpunkt geltenden Norm und einer Wiedergabe des Gesetzestextes. Die
formgerechte Angabe eines Entziehungsgrundes lässt sich aus alledem nicht ableiten.
Daher kann bei der vorliegend durchzuführenden Abwägung dem Antragsteller nicht die
Möglichkeit entzogen werden, zur Prüfung etwaiger erbrechtlicher Ansprüche und als Grundlage,
ob bzw. inwieweit er solche Ansprüche ggf. geltend machen möchte, über sein Einsichtsrecht
nach
3. Der Antragsteller ist auch nicht gehalten, vorrangig einen Auskunftsanspruch auf dem
Zivilrechtsweg geltend zu machen,
zu entnehmen, zumal der Pflichtteilsberechtigte ein berechtigtes Interesse daran haben kann, die
Richtigkeit ihm vorliegender Informationen oder erteilter Auskünfte durch eine eigene
Einsichtnahme in das Grundbuch zu verifizieren (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5.
September 2013, Az.: 11 Wx 57/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 11).
4. Nach alledem hat die Beschwerde des Antragstellers Erfolg.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (
besteht Anlass für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Zweibrücken
Erscheinungsdatum:12.08.2020
Aktenzeichen:3 W 121/19
Rechtsgebiete:
Grundbuchrecht
Kostenrecht
Pflichtteil
GBO § 12 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 2314, 2333, 2336 Abs. 2