Verhältnis zwischen Vorsorgevollmacht und Betreuerbestellung; Ungeeignetheit des Bevollmächtigten; Vorrang der Anordnung von Kontrollbetreuung vor Vollbetreuung bei mangelhafter Vollmachtsausübung
letzte Aktualisierung: 11.4.2024
BGH, Beschl. v. 13.12.2023 – XII ZB 334/22
BGB §§ 1814 Abs. 3, 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3
Verhältnis zwischen Vorsorgevollmacht und Betreuerbestellung; Ungeeignetheit des
Bevollmächtigten; Vorrang der Anordnung von Kontrollbetreuung vor Vollbetreuung bei
mangelhafter Vollmachtsausübung
a) Eine Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers nicht entgegen, wenn der
Bevollmächtigte ungeeignet erscheint, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen,
insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch
jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet (im Anschluss an
Senatsbeschluss vom 16. November 2022 – XII ZB 212/22 –
b) Lässt sich die Gefahr für das Wohl des Betroffenen durch die Bestellung eines Kontrollbetreuers
nach
einzurichten (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2014 – XII ZB 301/13 – FamRZ
2014, 738 und vom 13. April 2011 – XII ZB 584/10 –
Gründe:
I.
Die im Jahr 1946 geborene Betroffene leidet an einer Demenz. Die Beteiligten
zu 1 und 2 sind Brüder und die Enkel der Betroffenen. Die Betroffene hatte
dem Beteiligten zu 1 seit August 2012 mehrfach (Vorsorge-)Vollmachten erteilt,
zuletzt im Juli 2020.
Auf Anregung des Beteiligten zu 1 wurde im September 2020 ein Betreuungsverfahren
eingeleitet. Der zwischenzeitlich mandatierte Verfahrensbevollmächtigte
der Betroffenen reichte am 8. Dezember 2020 eine vom Ortsgericht
beglaubigte Vorsorgevollmacht zur Akte, welche die Betroffene dem Beteiligten
zu 2 am 6. Oktober 2020 erteilt hatte. Zudem widerrief er alle dem Beteiligten
zu 1 eventuell erteilten Vollmachten der Betroffenen.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Geschäftsfähigkeit
der Betroffenen am 6. Oktober 2020 hat das Amtsgericht die Betroffene
persönlich angehört und durch Beschluss festgestellt, dass die dem Beteiligten
zu 2 erteilte Vorsorgevollmacht vom 6. Oktober 2020 wirksam sei und
die dem Beteiligten zu 1 erteilten Vollmachten wirksam widerrufen worden seien.
Ferner hat das Amtsgericht die Beteiligte zu 3 zur berufsmäßigen Kontrollbetreuerin
mit dem Aufgabenkreis en gegenüber
dem Beteiligten zu 2 und Überwachung der Vorsorgevollmacht vom
6. bestellt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten
zu 1 hat das Landgericht nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses zur Fähigkeit
der Betroffenen, den von ihr Bevollmächtigten hinreichend zu überwachen,
sowie nach persönlicher Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1, mit der er weiter geltend
macht, dass die ihm erteilten Vollmachten nicht wirksam widerrufen und die Vollmacht
für den Beteiligten zu 2 am 6. Oktober 2020 nicht wirksam erteilt worden
seien.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Dieses hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Betroffene
habe den Beteiligten zu 2 am 6. Oktober 2020 wirksam bevollmächtigt
und die dem Beteiligten zu 1 erteilten Vollmachten wirksam widerrufen. Es bestünden
keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene zu diesen
Zeitpunkten geschäftsunfähig gewesen sei. Das folge aus den umfangreichen
und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen. Eine fortgeschrittene
Demenz oder eine andere schwere psychische Erkrankung hätten weder
zum Zeitpunkt der Begutachtung noch zum 6. Oktober 2020 festgestellt werden
können. Ausweislich eines im Beschwerdeverfahren eingeholten ärztlichen
Zeugnisses bestehe bei der Betroffenen allerdings inzwischen eine Demenzerkrankung
mit leichter bis mittelschwerer Ausprägung, aufgrund derer die Betroffene
mittlerweile nicht mehr dazu in der Lage sei, den von ihr bevollmächtigten
Beteiligten zu 2 hinreichend zu überwachen. Angesichts der erheblichen Streitigkeiten
zwischen den Enkeln der Betroffenen sei die Einrichtung einer Kontrollbetreuung
erforderlich. Diese hätten die Betroffene Schriftstücke mit widersprüchlichem
Inhalt unterzeichnen lassen, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.
Daher sei nicht gewährleistet, dass der Bevollmächtigte die Vertretung der Betroffenen
allein an ihrem Wohl ausrichte. Im Übrigen verfüge die Betroffene über
nicht unerhebliche Vermögenswerte, deren Verwaltung komplex und aufwändig
sein dürfte, so dass die Eignung des Beteiligten zu 2 fraglich erscheine.
2. Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung
nach § 74 Abs. 5 FamFG, weil das Beschwerdegericht - wie die Rechtsbeschwerde
zutreffend rügt - keine hinreichenden Feststellungen zur Eignung des
Beteiligten zu 2 als Vorsorgebevollmächtigter getroffen hat.
a) Ein Betreuer darf nach
2022:
ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen
durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB; bis 31. Dezember 2022:
Eine wirksame Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers
grundsätzlich entgegen. Eine Betreuung kann aber gleichwohl erforderlich sein,
wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen
zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der
Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des
Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels
Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet
erscheint. Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Bevollmächtigten
durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem
Ermessen (Senatsbeschluss vom 16. November 2022 - XII ZB 212/22 -
oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestehen und sich die Gefahr für das Wohl
des Betroffenen durch die Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815
Abs. 3, 1820 Abs. 3 FamFG (bis 31. Dezember 2022:
hinreichend abwenden lässt, ist eine Vollbetreuung einzurichten (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 26. Februar 2014 - XII ZB 301/13 -
vom 13. April 2011 - XII ZB 584/10 -
lediglich Mängel bei der Vollmachtausübung vor, die behebbar sind, erfordert
der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels
eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken
(Senatsbeschluss 29. März 2023 - XII ZB 515/22 -
Rn. 21 mwN).
b) Das Beschwerdegericht hat sich mit der Frage, ob der Beteiligte zu 2
geeignet ist, die Angelegenheiten der Betroffenen zu besorgen, nicht näher befasst,
sondern lediglich ausgeführt, dass die Betroffene über nicht unerhebliche
Vermögenswerte verfüge, deren Verwaltung komplex und aufwändig sein dürfte,
so dass die Eignung des Beteiligten zu 2 fraglich erscheine. Die sowohl von der
Kontrollbetreuerin als auch vom Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren geäußerten
Bedenken hinsichtlich der Eignung des Beteiligten zu 2 hat es in seinem
Beschluss dagegen nicht aufgegriffen. Es hat allerdings in einer Verfügung an
das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass die inzwischen vorliegenden Erkenntnisse
der Kontrollbetreuerin bezüglich der Eignung des Beteiligten zu 2 einen Widerruf
der Vollmacht rechtfertigen dürften, der indes (noch) nicht vom Aufgabenkreis
umfasst sei. Diesen erheblichen Zweifeln an der Eignung des Beteiligten
zu 2 hätte das Beschwerdegericht jedoch selbst nachgehen müssen, weil im
Falle fehlender Eignung des Vorsorgebevollmächtigten statt einer Kontrollbetreuung
eine Vollbetreuung für die Betroffene einzurichten wäre.
3. Die angefochtene Entscheidung kann mithin keinen Bestand haben.
Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil noch weitere Ermittlungen
durchzuführen sind, so dass die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen
ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Frage, ob die Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung bzw.
des Vollmachtwiderrufs nach
begründete Zweifel an ihrer Geschäftsfähigkeit bestanden, ist nach § 26
FamFG von Amts wegen aufzuklären. Insoweit bedarf es nicht zwingend einer
förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
nach
über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen (Senatsbeschluss
vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 -
mwN). Bedient sich der Tatrichter aber sachverständiger Hilfe, obliegt ihm
die Aufgabe, das Gutachten sorgfältig und kritisch zu überprüfen (Senatsbeschlüsse
vom 16. Juni 2021 - XII ZB 554/20 -
vom 29. Juli 2020 - XII ZB 106/20 -
Vorliegend hat die Sachverständige in ihrem Gutachten auf den Arztbrief
eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 13. August 2020 Bezug genommen
und festgestellt, dass sich daraus keine Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit
der Betroffenen ableiten ließen. Am 8. September 2020 hatte
derselbe Facharzt allerdings eine nervenärztliche Bescheinigung ausgestellt, in
der er die Betroffene als nicht geschäftsfähig erachtete. Zudem hat er schriftlich
erklärt, diese Bescheinigung nach eigener Untersuchung und Diagnosestellung
erstellt zu haben. Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass es fraglich
sei, ob der Facharzt die Betroffene vor Ausstellung der Bescheinigung erneut
gesehen und die Symptomatik persönlich eingeordnet habe. Sollte dies nicht
der Fall gewesen sein, könne das Attest vom 8. September 2020 nicht Grundlage
für eine Beurteilung der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen sein. Es wäre
dann davon auszugehen, dass der persönliche Eindruck des Facharztes vom
13. August 2020 weiter Bestand habe. Um sicherzustellen, dass das Sachverständigengutachten
insoweit auf zutreffenden Tatsachenannahmen basiert,
wird das Beschwerdegericht aufzuklären haben, ob die Bescheinigung vom
8. September 2020 auf einer erneuten Untersuchung der Betroffenen beruht, die
Anlass gegeben hat, eine vom ersten Arztbrief abweichende Einschätzung abzugeben.
Aus demselben Grund bedarf der Aufklärung, ob die Behauptung des Beteiligten
zu 1 zutreffend ist, das Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie
und Psychotherapie vom 18. November 2020, auf welches das Sachverständigengutachten
gestützt sei, beruhe nicht auf einer vorherigen Untersuchung der
Betroffenen. Vielmehr ergebe sich aus den Patientenunterlagen, dass erst am
19. November 2020 eine Testung der Betroffenen und die psychiatrische Befunderhebung
durchgeführt worden seien.
Darüber hinaus wird das Beschwerdegericht der Behauptung des Beteiligten
zu 1 nachzugehen haben, eine Neurologin habe nach einer Untersuchung
und Testung der Betroffenen am 6. November 2020 die Erstellung eines Attests
über deren Geschäftsfähigkeit abgelehnt, weil eine solche nach dem Untersuchungsergebnis
nicht mehr zu bescheinigen gewesen sei. Wäre diese Behauptung
zutreffend, hätte eine Fachärztin für Neurologie die Geschäftsfähigkeit der
Betroffenen im maßgeblichen Zeitraum anders beurteilt, als es die Sachverständige
getan hat. In diesem Fall bestünde ein offener Widerspruch zwischen dem
Sachverständigengutachten und der Einschätzung der Fachärztin, der eine ergänzende
Stellungnahme der Sachverständigen oder die Einholung eines weiteren
Gutachtens (vgl. Senatsbeschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 242/19 -
b) Sollte ein (Kontroll-)Betreuer zu bestellen sein, gibt die Zurückverweisung
dem Beschwerdegericht zudem Gelegenheit, nach
ein Gutachten über die Notwendigkeit der Maßnahme einzuholen, nachdem die
Vorschrift des § 281 Abs. 1 Nr. 2 FamFG aF, der für die Bestellung eines Kontrollbetreuers
die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses genügen ließ, mit Wirkung
zum 1. Januar 2023 gestrichen wurde (vgl. näher BT-Drucks. 19/24445
S. 247 und 333). Vor diesem Hintergrund bedarf die Rüge der Rechtsbeschwerde,
das vom Beschwerdegericht eingeholte ärztliche Zeugnis vom
24. Mai 2022 genüge nicht den Anforderungen aus
mehr.
c) Schließlich weist der Senat darauf hin, dass die in der amtsgerichtlichen
Beschlussformel enthaltene Feststellung zur Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht
des Beteiligten zu 2 und des Widerrufs der dem Beteiligten zu 1 erteilten Vollmachten
unzulässig ist. Über die Wirksamkeit dieser Willenserklärungen ist als
Vorfrage im Rahmen der Entscheidung über die Einrichtung einer Betreuung zu
befinden. Diese Vorfragen sind einem gesonderten Feststellungsausspruch nicht
zugänglich.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:13.12.2023
Aktenzeichen:XII ZB 334/22
Rechtsgebiete:
Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 1814 Abs. 3, 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3