Auflösung einer § 6b-EStG-Rücklage bei Verschmelzung
letzte Aktualisierung: 4.2.2021
BFH, Urt. v. 29.4.2020 – XI R 39/18
EStG § 6b Abs. 1 u. 3 S. 1, 3 u. 5, Abs. 7; UmwStG §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 2 S. 1, 12 Abs. 3
Auflösung einer § 6b-EStG-Rücklage bei Verschmelzung
Wird eine GmbH unter Buchwertfortführung zu einem steuerlichen Übertragungsstichtag, der dem
Tag nachfolgt, zu dem auch das vierte reguläre Wirtschaftsjahr nach Bildung einer Rücklage nach
§ 6b EStG endet, verschmolzen, ist die Auflösung der Rücklage (§ 6b Abs. 3 Satz 5 EStG) in der
steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft vorzunehmen.
Entscheidungsgründe
B.
I. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Denn das FA hat die diesem Urteil zugrunde liegenden Bescheide nach einer Erörterung der möglicherweise bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Höhe des Zinssatzes (Vorlagebeschluss des FG Köln vom 12.10.2017 - 10 K 977/17,
Auf dieser Grundlage und mit Blick auf § 68 Satz 1 (i.V.m. § 121 Satz 1) FGO kann das angefochtene Urteil keinen Bestand mehr haben; allerdings ist der Senat an einer Sachentscheidung nicht i.S. des § 127 FGO gehindert, da sich zum Streitpunkt keine Änderungen ergeben haben und auch keine Verfahrensmängel im finanzgerichtlichen Verfahren festzustellen sind. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden unverändert die Grundlage für die Entscheidung des erkennenden Senats (zu dieser Verfahrenskonstellation z.B. Senatsurteil vom 21.10.2015 - XI R 28/14,
II. Die Sache ist spruchreif. Die Klage, die sich nach § 68 FGO nunmehr gegen die Änderungsbescheide vom 29.04.2020 richtet, ist unbegründet und daher abzuweisen. Das FG hat rechtsfehlerhaft dahin erkannt, dass der nach der Teilauflösung in der Steuerbilanz der B-GmbH verbliebene Rest der Rücklage auf die Klägerin im Zuge der Verschmelzung übergehen konnte; vielmehr war (auch) dieser Restbetrag mit Ablauf der Reinvestitionsfrist zum 30.06.2011 gemäß § 6b Abs. 3 Satz 5 EStG aufzulösen und --ebenfalls einkommens- und gewerbeertragswirksam-- ein Zuschlag (
1. Im Zuge der (rückwirkenden) Verschmelzung der B-GmbH auf die Klägerin konnte die vormals bei der B-GmbH gebildete Rücklage mit dem verbliebenen Teilbetrag nicht auf die Klägerin übergehen, da zu diesem Zeitpunkt die gesetzlichen Voraussetzungen für eine (zwingende) Auflösung der Rücklage erfüllt waren. Diese Auflösung ist (ebenso wie der Ansatz eines Zuschlags) bei der Steuerfestsetzung für das Streitjahr (gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der B-GmbH) einkommens- (§ 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes) und gewerbeertragserhöhend (§ 7 des Gewerbesteuergesetzes) zu berücksichtigen.
a) Nach
b) § 6b EStG räumt dem Steuerpflichtigen hinsichtlich der Übertragung stiller Reserven Wahlrechte ein. Der Steuerpflichtige kann stille Reserven unter den in § 6b EStG näher beschriebenen Voraussetzungen übertragen, er muss es aber nicht. Dementsprechend hängt es auch von seinem Willen ab, ob er die gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines in
aa) Auf dieser Grundlage konnte das FG im angefochtenen Urteil (ohne es zu erörtern) rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass die eigenständige Teilauflösung der Rücklage in der Steuerbilanz zum 30.06.2011 bei der B-GmbH --da man sie als Ausdruck einer wahlrechtsgetragenen Willensausübung ansehen kann-- jedenfalls nicht zwingend eine Gesamtauflösung der Rücklage zu diesem Stichtag zur Folge haben musste (s.a. die Konstellation, die dem BFH-Urteil vom 26.10.1989 - IV R 83/88,
bb) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das FG dahin erkannt, dass die Rücklage in der Steuerbilanz der B-GmbH in Höhe des zum 30.06.2011 noch ausgewiesenen Teilbetrages (833.281,00 €) nicht schon deshalb aufzulösen war, weil die Rücklage in der Handelsbilanz der B-GmbH zum 30.06.2011 vollständig aufgelöst wurde. Denn der Ansatz einer entsprechenden Rücklage in der Handelsbilanz hat (jedenfalls für nach dem 31.12.2009 beginnende Wirtschaftsjahre) keine bindende Wirkung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 EStG; s. z.B. Blümich/Schießl, § 6b EStG Rz 218, 278; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 12.03.2010, BStBl I 2010, 239 Rz 14).
c) Die Einkommen der B-GmbH als der übertragenden und der Klägerin als der übernehmenden Gesellschaft sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Umwandlungssteuergesetzes in der im Streitjahr maßgebenden Fassung (UmwStG 2006) so zu ermitteln, als ob das Vermögen der B-GmbH mit Ablauf des Stichtags der Bilanz, die dem Vermögensübergang zugrunde liegt (steuerlicher Übertragungsstichtag), auf die Klägerin übergegangen wäre. Dies gilt auch für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006).
aa) Ausgangspunkt für die Ermittlung des steuerlichen Übertragungsstichtags ist der handelsrechtliche Umwandlungsstichtag. Dies ist der Zeitpunkt, von dem an die Geschäfte der B-GmbH als für Rechnung der Klägerin vorgenommen gelten (
Die übertragende Gesellschaft hat zum Übertragungsstichtag eine Gewinnermittlungsbilanz aufzustellen, die der Übertragungsbilanz gedanklich vorgeschaltet ist und das Ergebnis der laufenden Geschäftstätigkeit der übertragenden Gesellschaft bis zum steuerlichen Übertragungsstichtag ausweist (z.B. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 2 UmwStG Rz 18a). Aufgrund der Buchwertfortführung entsprach die Gewinnermittlungsbilanz der B-GmbH zum 30.06.2011 ihrer steuerlichen Schluss- bzw. Übertragungsbilanz (vgl. allgemein BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1314 Rz 03.01).
Zugleich waren die Wirtschaftsgüter der B-GmbH auch in der Bilanz der Klägerin auf den 30.06.2011 auszuweisen. Wenn (wie im Streitfall) der steuerliche Übertragungsstichtag mit dem regulären Bilanzstichtag der Übernehmerin zusammenfällt, sind die Wirtschaftsgüter und sonstigen Bilanzpositionen des übertragenden Rechtsträgers somit doppelt, nämlich sowohl in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft als auch in der steuerlichen Jahresbilanz der Übernehmerin aufzuführen (vgl. z.B. van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl., § 2 Rz 45).
bb) Da der übernehmende Rechtsträger mit Wirkung ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag (hier: 01.07.2011) in die steuerliche Rechtsstellung der Überträgerin eintritt (§ 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006; s.a. BFH-Urteil vom 22.11.2018 - VI R 50/16,
(1) Allerdings hat das FG angenommen, dass die Rücklage zum Ende der Reinvestitionsfrist "bei der B-GmbH nicht mehr vorhanden war". Es fehle eine gesetzliche Grundlage für die Auffassung, dass das letzte reguläre Wirtschaftsjahr der B-GmbH eine logische Sekunde vor Ablauf des 30.06.2011 geendet habe und der Vermögensübergang auf die Klägerin erst im Anschluss daran in der letzten Sekunde des 30.06.2011 erfolgt sei. Dies betreffe gerade die Fälle, in denen (wegen der Identität der Zeitpunkte) die Steuerbilanz zur Umwandlungsbilanz erklärt werden könne (es werden nicht zwei Bilanzen erstellt – s. dazu etwa das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1314 Rz 03.01); im Übrigen bestehe keine chronologische Reihenfolge, auch wenn in der Literatur angenommen werde, dass die Gewinnermittlungsbilanz der Umwandlungsbilanz "gedanklich" vorgeschaltet sei. Nicht zuletzt würde es der Wertung von § 6b Abs. 3 Satz 5 EStG widersprechen, den Reinvestitionszeitraum von 48 Monaten wegen der Verschmelzung zu verkürzen; vielmehr finde in entsprechender Anwendung der zu § 6 Abs. 3 EStG ergangenen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 23.04.2009 - IV R 9/06,
(2) Dieser Ansicht, die auch in der Literatur geteilt wird (z.B. Jachmann-Michel in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 6b Rz 31; von Glasenapp, Betriebs-Berater --BB-- 2019, 562; Prinz/Ludwig, Finanz-Rundschau 2019, 493, 498; Blümich/Schießl, § 6b EStG Rz 293; Weiss, GmbH-Rundschau 2019, 438; derselbe,
Es liegt in der Konsequenz der Rechtsauffassung des FG, zwar eine "chronologische Reihenfolge" des Ablaufs für denselben Zeitpunkt abzulehnen, zugleich aber einen solchen zu postulieren (verschmelzungsbedingte Übertragung der Rücklage vor dem Abschlusszeitpunkt); auch diese Annahme kann nicht erklären, warum für alle (übrigen) Wirtschaftsgüter gilt, dass tatsächlich ein Ausweis sowohl bei der Übertragenden als auch bei der Übernehmerin erfolgt (s. FG Berlin-Brandenburg, Urteil in
Es kommt entgegen der im angefochtenen Urteil geäußerten Ansicht auch nicht zu einer Verkürzung des von § 6b EStG eingeräumten Reinvestitionszeitraums um eine logische Sekunde; denn die Übertragungsbilanz der B-GmbH war auf die letzte Sekunde des 30.06.2011 aufzustellen, nicht auf einen davor liegenden (fiktiven) Zeitpunkt. Nichts anderes würde auch ohne Verschmelzung gelten, wenn die Rücklage wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist aufgelöst würde. Insoweit kommt auch der vom FG im angefochtenen Urteil angeführte sog. Verklammerungsgedanke nicht zur Anwendung. Denn durch die Verklammerung von Rumpf-Wirtschaftsjahren beim Übertragenden und beim Übernehmer soll in der Situation der unentgeltlichen Betriebsübertragung sichergestellt werden, dass die Reinvestitionsfrist einen Zeitraum von 48 Monaten umfassen kann, was zugleich gewährleistet, dass der Rechtsnachfolger bezüglich der Rücklage gemäß § 6b EStG tatsächlich in die Rechtsposition des Betriebsübergebers eintritt (s. BFH-Urteil in
2. Rechtsfehler des FA bei der Berechnung des Auflösungs- und des Zuschlagsbetrages sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Zur Zinshöhe --soweit bei der Berechnung auch die Jahre bis 2009 angesprochen sind-- schließt sich der erkennende Senat den Ausführungen des X. Senats des BFH zu
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:29.04.2020
Aktenzeichen:XI R 39/18
Rechtsgebiete:
Einkommens- und Körperschaftssteuer
Sonstiges Steuerrecht
Umwandlungsrecht
EStG § 6b Abs. 1 u. 3 S. 1, 3 u. 5, Abs. 7; UmwStG §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 2 S. 1, 12 Abs. 3