Vermögensbetreuungspflicht des Prokuristen; Strafbarkeit wegen Untreue bei Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot
letzte Aktualisierung: 2.3.2023
BGH, Urt. v. 10.1.2023 – 6 StR 133/22
Vermögensbetreuungspflicht des Prokuristen; Strafbarkeit wegen Untreue bei Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche
Begünstigungsverbot
Der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB kann erfüllt sein, wenn ein Vorstand
oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche
Begünstigungsverbot (
Arbeitsentgelt gewährt.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der Untreue freigesprochen.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rügen
der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die
vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben bereits mit der
Sachrüge Erfolg.
I.
Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten zur Last, als Vorstand beziehungsweise
als Personalleiter der V. AG den Betriebsratsmitgliedern
O. , Fr. , Wo. und Ble. unzulässig hohe Arbeitsentgelte gewährt zu
haben.
II.
1. Dem Urteil liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:
a) Der Angeklagte N. war seit 2005 Vorstand der V.
AG für den Bereich Personal. In dieser Funktion wurde er mit Beginn des
Jahres 2016 vom Angeklagten Bl. abgelöst. Der Angeklagte S. ,
dem 1997 Prokura erteilt worden war, wurde 2008 Leiter P.
Deutschland. Im Juli 2011 übernahm der Angeklagte R. diese Position von
S. ; er war ebenfalls Prokurist. Die Angeklagten waren für die Bemessung
der Betriebsratsvergütungen zuständig.
Bei der V. AG bestand seit 1991 eine
Sie befasste sich mit der Vergütung von für die Tätigkeit als Betriebsrat
freigestellten Arbeitnehmern. Ihr gehörten die Angeklagten als Vertreter der
Unternehmensseite an. Die Entscheidungen der Kommission setzten die Angeklagten
mit Schreiben an die Betriebsräte um, mit denen sie höhere Monatsentgelte
oder freiwillige Bonuszahlungen bewilligten. Von 2011 bis 2016 wurden in
dieser Weise Zahlungen an die freigestellten Betriebsräte O. , Fr. , Wo.
und Ble. veranlasst, die die Zahlungen an die betriebsverfassungsrechtlich
zutreffenden Vergleichsgruppen erheblich überstiegen. Hierdurch entstand der
V. AG ein Schaden von mehr als 4,5 Millionen Euro.
Die Angeklagten bewilligten folgende Zahlungen:
aa) Dem Betriebsrat O. wurden in den Jahren 2011 (durch die Angeklagten
N. und S. ) und 2012 bis 2015 (durch die Angeklagten
N. und R. ) jährlich Steigerungen des monatlichen
Entgelts auf zuletzt 17.000 Euro brutto bewilligt. Zudem bewilligten ihm die Angeklagten
N. und R.
432.600 Euro bis 560.000 Euro und die Angeklagten
Bl. und R. 2016 eine Zahlung von 374.000 Euro.
O. absolvierte nach dem Abschluss der Hauptschule eine Ausbildung
zum Industriekaufmann. Bei der V. AG wurde er als Montagewerker,
später als Beanstandungsbeheber beschäftigt. 2005 wurde er unter anderem
Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Aufsichtsrat. Im selben Jahr
wurde er in den Oberen Managementkreis berufen. Später absolvierte er ein
war er der Entgeltstufe
35 zugeordnet, die unterneh -Managementk
vorbehalten war.
bb) Dem Betriebsrat Fr. wurden von 2013 bis 2015 durch die Angeklagten
N. und R. sowie im Jahr 2016 durch die Angeklagten
Bl. und R. jährlich freiwillige Boni von 111.400 Euro bis
159.700 Euro gewährt.
Fr. hat Abitur und ist Radio- und Fernsehmechaniker, bei der V.
AG war er als Montagearbeiter und Güteprüfer beschäftigt, zuletzt in der
Entgeltgruppe 10. Mit der Wahl zum Vorsitzenden des Betriebsrats W. B.
später in den
. Auch er
cc) Der Angeklagte R. bewilligte 2013 dem Betriebsrat Wo. unter Umstufung
in die Entgeltgruppe 30, zugeordnet war, ein
monatliches Entgelt von 7.800 Euro und daneben einen freiwilligen Bonus von
81.000 Euro. Der Angeklagte N. und der gesondert Verfolgte
Wi. schlossen mit Wo. im Juli 2014 einen Arbeitsvertrag über
monatlichen Bezüge (Entgeltstufe 31) verbunden war. Die Angeklagten
N. und R. hoben 2014 und 2015 sein monatliches Entgelt auf
zuletzt 9.800 Euro an und gewährten ihm 2015 einen freiwilligen Bonus von
146.000 Euro. Die Angeklagten Bl. und R. veranlassten 2016 eine
freiwillige Bonuszahlung von 101.600 Euro.
Wo. absolvierte nach einem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum
Kfz-Mechaniker. In diesem Beruf arbeitete er bei der V. AG. Zwar ist er
auch geprüfter Personalfachkaufmann, wurde aber als solcher nicht beschäftigt.
In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Übernahme des stellvertretenden
Betriebsratsvorsitzes im W. W. wurde er als außertariflicher
dd) Dem Betriebsrat Ble. gewährten die Angeklagten
N. und R. von 2013 bis 2015 jährlich freiwillige Boni von
135.300 Euro bis 141.600 Euro, die Angeklagten Bl. und R. 2016
einen solchen von 98.000 Euro.
Ble. hat einen Hauptschulabschluss, aber keine Berufsausbildung. Er
arbeitete an der Montagelinie (Entgeltstufe 5 oder 6). Nachdem er Betriebsratsvorsitzender
im W. S.
b) Die Angeklagten hielten ihr Handeln für pflichtgemäß. Der Angeklagte
N. verließ sich auf die Einschätzung interner und externer Berater,
derzufolge das angewandte System rechtmäßig sei. Der Angeklagte
S. wurde von seinem Vorgänger als Leiter Personal Deutschland über den
Inhalt der rechtlichen Beratung informiert und fand ein bestehendes Vergütungssystem
vor. Der Angeklagte R. hatte den gleichen Wissenstand wie S.
und kannte die Auffassungen der internen und externen Berater. Dem Angeklagten
Bl.
in Ordnung.
2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagten hätten den objektiven
Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) erfüllt, jedoch ohne Vorsatz
gehandelt. Ihre irrige Überzeugung, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln,
stelle einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16
Abs. 1 StGB dar.
III.
Das Urteil hat keinen Bestand. Es begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen
Bedenken.
1. Das Landgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der
objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn
ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das
betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot einem Mitglied des Betriebsrats
ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.
a) Die hierfür erforderliche Vermögensbetreuungspflicht ergibt sich im Hinblick
auf das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft aus § 93 Abs. 1 AktG
(vgl. BGH, Urteile vom 12. Oktober 2016 5 StR 134/15,
vom 17. September 2009 5 StR 521/08,
2005 3 StR 470/04,
Rönnau/Seier/Lindemann, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2019,
vom 13. September 2010 1 StR 220/09,
Koch/Kudlich/Thüsing,
trifft eine Vermögensbetreuungspflicht bereits aus der Prokura als solcher
(vgl. Hessisches LAG, Urteil vom 9. Juni 2009 12 Sa 942/06, Rn. 39; Kindhäuser/
Hilgendorf, StGB, 9. Aufl., § 266 Rn. 35; Leitner/Rosenau/Jahn/Ziemann,
Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., StGB § 266 Rn. 74). Eine strafrechtliche
Ausfüllung dieser Vermögensbetreuungspflicht durch weitere namentlich
vermögensschützende Vorschriften, Satzungsbestimmungen, vertragliche Verpflichtungen,
den vom Landgericht herangezogenen Deutschen Corporate
Governance Kodex oder hierzu abgegebene Entsprechenserklärungen ist aus
Rechtsgründen nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober
2012 2 StR 591/11,
5 StR 521/08, aaO; vom 21. Dezember 2005 3 StR 470/04, aaO).
b) Diese Vermögensbetreuungspflicht wird verletzt, wenn einem Betriebsrat
ein Arbeitsentgelt bewilligt wird, das gegen das betriebsverfassungsrechtliche
Begünstigungsverbot (
Verfügung führt zu einem verbotenen Vermögensabfluss und ist nichtig (§ 134
BGB; vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2009 5 StR 521/08, aaO, Rn. 34;
BAG, Urteile vom 21. März 2018 7 AZR 590/16, Rn. 16; vom 8. November 2017
5 AZR 11/17, Rn. 31; Beschluss vom 20. Januar 2010 7 ABR 68/08, Rn. 10;
Fitting, BetrVG, 31. Aufl., § 37 Rn. 11). Sie überschreitet die in § 93 Abs. 1 AktG
normierten und auch der Prokura eigenen äußersten Grenzen des (unternehmerischen)
Ermessens und verletzt eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden
Vermögen.
Steht fest, dass gegen § 93 Abs. 1 AktG verstoßen worden ist, bleibt kein
Raum für die Prüfung, ob dieser Verstoß gravierend oder evident ist (vgl. BGH,
Urteil vom 12. Oktober 2016 5 StR 134/15, aaO; Rönnau,
aA Koch/Kudlich/Thüsing, aaO, S. 5). Auch das Einverständnis des Vermögensinhabers
steht der Pflichtverletzung nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September
2009 5 StR 521/08, aaO, Rn. 37; Esser, Die Begünstigung von Mitgliedern
des Betriebsrats, 2013, S. 185). Ein hierdurch verursachter Vermögensnachteil
ist nicht kompensiert; dies gilt selbst dann, wenn durch die Zahlungen
die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Unternehmens gefördert
worden sein sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 4 StR 561/17,
Rn. 38; Esser, aaO, S. 183; Rieble, CCZ 2008, 32, 35; Strauß,
1377; aA Koch/Kudlich/Thüsing, aaO, S. 5; Zwiehoff in FS Puppe, 2022, S. 1337,
1343, 1350).
c) Zutreffend hat das Landgericht auch die Kriterien für einen Verstoß gegen
des
Arbeitsentgelt nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher
Entwicklung zu bemessen ist eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für
Vergütungszwecke aus (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2009
5 StR 521/08, aaO, Rn. 33; Dzida/Mehrens,
soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stehen
(vgl. Fitting, aaO, § 37 Rn. 120; Byers,
ist unentgeltlich auszuüben, wobei im Interesse der Unabhängigkeit
ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. Fitting, aaO, § 37 Rn. 7). Dieser verbietet
es, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere
abzustellen. Vergleichbar ist vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme
ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt
hat und dafür in gleicher Weise wie der Betriebsrat fachlich und persönlich qualifiziert
war (vgl. BAG, Urteil vom 18. Januar 2017 7 AZR 205/15 mwN; LAG
Düsseldorf, Urteil vom 17. April 2019 7 Sa 1065/18, Rn. 152). Üblich ist eine
Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer
eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung
genommen hat. Diese Regeln gelten auch für Beförderungen (vgl. Fitting,
aaO, § 37 Rn. 8). Ein Aufstieg ist insbesondere nur dann betriebsüblich, wenn
die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht hat (vgl.
BAG, Urteile vom 22. Januar 2020 7 AZR 222/19, Rn. 22; vom 21. Februar 2018
7 AZR 496/16, Rn. 17; vom 18. Januar 2017 7 AZR 205/15, Rn. 16; Fitting,
aaO, § 37 Rn. 123). Die Zahlung einer höheren Vergütung setzt voraus, dass der
Betriebsrat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete
Position aufgestiegen ist (vgl. BAG, Urteil vom 22. Januar 2020 7 AZR 222/19,
Rn. 30 mwN). Darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstoßen gegen
das Begünstigungsverbot aus
27. Juli 2017 6 AZR 438/16; vom 18. Januar 2017 7 AZR 205/15; vom 4. November
2015 7 AZR 972/13; LAG Düsseldorf, Urteil vom 17. April 2019
7 Sa 1065/18, Rn. 149; Fitting, aaO, § 78 Rn. 22).
d) Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die
für die Bewilligungen maßgeblichen Vergleichspersonen nicht diesen Grundsätzen
entsprechend ausgewählt wurden. Denn diese haben zum Zeitpunkt der
Amtsübernahme weder ähnliche Tätigkeiten wie die betreffenden Betriebsräte
ausgeführt, noch waren sie in gleicher Weise qualifiziert.
Unzutreffend ist die von den Angeklagten in Anspruch genommene Auffassung,
wonach es bei besonderen Umständen abweichend von den vorbezeichneten
Grundsätzen auf eine individuelle hypothetische Ausnahmekarriere
des Betriebsrats als Manager ankomme und dementsprechende Vergleichspersonen
zu bestimmen seien. Hieran ändert nichts, dass die betreffenden Betriebsräte
nach ihrer Amtsübernahme die unternehmenseigene Managementprüfung
bestanden oder mit Vorständen und Managern auf Augenhöhe verhandelt (UA
S. 42, 44, 111) und als Betriebsrat komplexe Aufgaben wahrgenommen hätten
gewesen
seien (UA S. 45), Angebote zum Wechsel in Managementpositionen erhalten
oder in der Zusammenarbeit vergütungsrelevante Leistungen gezeigt hätten (UA
S. 111). Erst recht kann aus der Betriebsratstätigkeit als solcher nicht geschlussfolgert
werden, der Betriebsrat habe den Marschallstab im Tor
und könne fortan mit Führungskräften verglichen werden. Denn diese Maßstäbe
knüpfen in unzulässiger Weise an die Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solcher
an und finden keine Stütze im Betriebsverfassungsgesetz (vgl.
NK-ArbR/Waskow, 2016, BetrVG § 78 Rn. 25; Byers, aaO, S. 65; Dzida/Mehrens,
aaO, S. 755; Giesen,
Joussen,
ArbRAktuell 2017, 512, 513; ders. CCZ 2020, 338, 341; Zwiehoff, aaO, S. 1340;
aA Annuß,
204; Baade/Reiserer,
Thüsing,
2. Das Urteil hält gleichwohl sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu den objektiven Voraussetzungen
des Untreuetatbestandes genügen nicht den Anforderungen (vgl.
a) Bei einem Freispruch wegen fehlenden Vorsatzes muss das Tatgericht
die für erwiesen gehaltenen Tatsachen so darstellen, dass dem Revisionsgericht
eine Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler möglich ist. Die hierzu erforderliche
geschlossene Darstellung der äußeren Tatsachen hat insbesondere solche
zu umfassen, die einen Rückschluss auf innere Umstände zulassen können
(vgl. BGH, Urteile vom 18. Dezember 2012 1 StR 415/12, Rn. 25; vom 27. Februar
1991 3 StR 449/90,
§ 267 Rn. 165; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 267 Rn. 33a; MüKo-
StPO/Wenske, § 267 Rn. 487). Dem werden die Urteilsgründe im Hinblick auf
das bei der V. AG im Tatzeitraum geltende Vergütungssystem, die
Maßstäbe für einen Aufstieg in höhere Managementkreise und die für die Bemessung
von Bonuszahlungen maßgeblichen Kriterien nicht gerecht.
b) Das Landgericht hat das Vorliegen des objektiven Tatbestands der Untreue
darauf gestützt, den Betriebsräten seien unzulässig hohe Vergütungen in
Form von monatlichen Entgelten und Bonuszahlungen gewährt worden. Zwar hat
es festgestellt, in welcher Höhe die Angeklagten Bonuszahlungen und Steigerungen
der monatlichen Entgelte zu Gunsten der Betriebsräte bewilligten. Die Urteilsgründe
verhalten sich aber nicht dazu, an welchen Maßstäben sich die jeweilige
Entscheidung ausrichtete. Hierzu wäre mitzuteilen gewesen, nach welchem
System die Vergütung von Angestellten der V. AG generell geregelt
war
galten, nach welchen Maßstäben ein Aufstieg vorgesehen
und unter welchen Voraussetzungen das Entgelt ohne Wechsel der Entgeltgruppe
zu erhöhen war.
Darüber hinaus ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht, welche
Regeln für sowie die
Teilnahme am galten und welche Entgelterhöhungen
und Sachleistungen damit verbunden waren.
Mit Blick auf die gewährten Boni lässt sich dem Urteil schließlich nicht entnehmen,
welche Maßstäbe den Entscheidungen der Angeklagten
N. , Bl. und R. über die Gewährung von Bonuszahlungen
und über deren Höhe zugrunde lagen. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang
auch, ob und in welcher Höhe dem Betriebsrat O. im Jahr 2011
oder für dieses Jahr ein Bonus bewilligt worden ist.
c) Der Senat kann wegen dieser unzureichenden Feststellungen nicht beurteilen,
ob wie vom Landgericht angenommen die Bewilligung der Arbeitsentgelte
den aufgezeigten betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht.
Dies betrifft sowohl die Einordnung in Entgeltgruppen zumal, wenn
m
als auch die Gewährung von Boni. Zwar können letztere
zum Arbeitsentgelt im Sinne von
vom 29. April 2015 7 AZR 123/13; Fitting, aaO, § 37 Rn. 127). Hierzu ist aber
erforderlich, dass sich der Bonus als eine (zusätzliche) Gegenleistung für die erbrachte
Arbeit darstellt. Es kommt darauf an, ob diese Leistung als Fortzahlung
des Arbeitsentgelts für die Dauer der Freistellung des Betriebsrats anzusehen ist
(vgl. BAG, Urteil vom 29. April 2015 7 AZR 123/13, Rn. 16). Zur Beantwortung
dieser Frage wäre mitzuteilen gewesen, nach welchen Regeln über die Gewährung
von Boni und deren Höhe für die zutreffenden Vergleichspersonen und die
Betriebsräte entschieden wurde.
3. Darüber hinaus begegnet die Beweiswürdigung zum Vorsatz der Angeklagten
N. , S. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft
nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht
grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung erweist sich aber etwa dann
als rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom
14. Juli 2022 6 StR 227/21, Rn. 36; vom 11. März 2021 3 StR 316/20,
der Fall.
Im Hinblick auf die Angeklagten N. , S. und R.
hat das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des
§ 266 Abs. 1 StGB ausschließlich auf die Einstufung der Betriebsräte in bestimmte
Entgeltstufen und die damit verbundene Höhe ihrer Bezüge abgestellt.
So hat es etwa bei dem Angeklagten S. dessen fehlenden Vorsatz damit
begründet, dass sich aus der von ihm bewillig
des Monatsgehalts des Betriebsrats O. um weitere 500 Euro von
12.400 Euro auf 12.900 Euro
(UA S. 115, 117); auch bei der Prüfung des Vorsatzes der
Angeklagten N. und R. hat das Landgericht allein die Einordnung
der Betriebsräte in bestimmte Entgeltstufen in den Blick genommen. Die
den Betriebsratsmitgliedern über ihre jeweiligen Grundgehälter hinaus gewährten
Bonuszahlungen hat es bei der Prüfung des Vorsatzes hingegen vollständig außer
Betracht gelassen. Dies erweist sich als lückenhaft.
Denn die sich aus der Eingruppierung in eine bestimmte höhere Entgeltstufe
ergebende Vergütung des Betriebsrats oder die Aufstockung seiner monatlichen
Zahlungen etwa um einen Betrag von 500 Euro mögen zwar für sich gesehen
nicht außergewöhnlich hoch gewesen sein. In die erforderliche Gesamtwürdigung
(vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2022 4 StR 28/22, Rn. 9; vom
8. Juni 2022 2 StR 503/21, Rn. 11; vom 6. September 2006 5 StR 156/06,
Rn. 16) hätte das Landgericht gegebenenfalls nach den gebotenen Feststellungen
über eine Bonuszahlung an O. für das Jahr 2011 aber einstellen
müssen, dass die zusätzliche Gewährung eines Bonus die jährlichen Zuwendungen
auf teils sehr hohe sechsstellige Beträge ansteigen ließ. Diese für Arbeitnehmer
außergewöhnlichen Zahlungen können ein gewichtiges Indiz für den Vorsatz
sein.
IV.
Die Freisprüche der Angeklagten haben daher keinen Bestand. Eine Aufrechterhaltung
von Feststellungen kommt nicht in Betracht, weil die Angeklagten
deren rechtsfehlerfreies Zustandekommen nicht überprüfen lassen konnten.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes
hin:
1. Sollte das neue Tatgericht wiederum die von den Ermittlungsbehörden
als vergleichbar erachteten Personen berücksichtigen wollen, wird es deren berufliche
Qualifikation darstellen und sorgfältig beurteilen müssen, vor allem, wenn
wie bei den für O. ausgewählten Vergleichspersonen T. und We.
diese im Gegensatz zum Betriebsratsmitglied nicht über eine abgeschlossene
Berufsausbildung verfügen. Zudem wird das neue Tatgericht Feststellungen
dazu treffen müssen, welche arbeitsvertragliche Bedeutung die Berufung der
Angeklagten in die verschiedenen Managementkreise hatte (vgl. Schrader/Klagges/
Siegel/Lipski, aaO; Bachner/Engesser Means, aaO, S. 427). Einem damit
verbundenen Statuswechsel kann indizielle Wirkung beim subjektiven Tatbestand
zukommen.
2. Sofern auch das neue Tatgericht die objektiven Voraussetzungen einer
Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB als gegeben erachtet, wird es Gelegenheit
haben, eingehender als bislang geschehen zu prüfen, ob es sich bei einer etwaigen
Fehlvorstellung der Angeklagten zur Rechtmäßigkeit ihres Handelns um einen
Irrtum über tatsächliche Umstände (
(
vom 17. September 2009 5 StR 521/08, aaO, Rn. 47; vom 21. Dezember 2005
3 StR 470/04, Rn. 85). Gegebenenfalls wird zu bedenken sein, dass ausreichende
Unrechtseinsicht hat, wer bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet,
Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteile vom
24. März 2021 6 StR 240/20,
2 StR 24/99,
dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte (vgl. BGH, Urteil vom
3. April 2008 3 StR 394/07, Rn. 41).
Sofern das neue Tatgericht zur Annahme eines Verbotsirrtums gelangt, ist
der Frage nach dessen Vermeidbarkeit besonderes Augenmerk zu widmen. Das
Vertrauen auf eingeholten anwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unlichen
Flankenschutz für die tatsächliche Handhabung (UA S. 123) bieten soll,
wird besonders kritischer Würdigung bedürfen (vgl. BGH, Urteil vom 3. April
2008 3 StR 394/07, Rn. 40). Mit Blick auf die zahlreichen Wortmeldungen in
der Fachöffentlichkeit im Vorfeld und während der verfahrensgegenständlichen
Taten, welche die von den Angeklagten angewandten Bemessungskriterien für
die Vergütung von Betriebsräten teils auch speziell für die V. AG
für unzulässig erachteten (vgl. etwa Dzida/Mehrens, aaO, S. 755; Rieble, aaO,
S. 34; Rüthers, aaO, S. 195; Schweibert/Buse, aaO, S. 1080), läge die Unvermeidbarkeit
jedenfalls nicht auf der Hand.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:10.01.2023
Aktenzeichen:6 StR 133/22
Rechtsgebiete:Aktiengesellschaft (AG)
Normen in Titel:StGB § 266 Abs. 1; BetrVG § 78 S. 2