BGH 10. November 2020
II ZR 211/19
GmbHG § 16 Abs. 1 S. 1

Einziehung eines nicht in der Gesellschafterliste ausgewiesenen Geschäftsanteils

letzte Aktualisierung: 03.12.2020
BGH, Urt. v. 10.11.2020 – II ZR 211/19

GmbHG § 16 Abs. 1 S. 1
Einziehung eines nicht in der Gesellschafterliste ausgewiesenen Geschäftsanteils

Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist durch die negative Legitimationswirkung des § 16
Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht gehindert, einen nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen
Einziehungsversuch aus der Gesellschafterliste entfernten, aber materiell bestehenden
Geschäftsanteil aus einem in der Person des materiell berechtigten Gesellschafters liegenden
wichtigen Grund einzuziehen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht (OLG Brandenburg, GmbHR 2020, 98) hat seine
Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Bis zum Tag der Beschlussfassung am 20. Oktober 2017 sei allein die
N. GmbH als Anteilsinhaberin mit einem Anteil von 12.500 €
eingetragen gewesen. Die Mitteilung über die Aufstockung des Geschäftsanteils
auf 25.000 € sei am 20. Oktober 2017, die in die Liste eingetragene Bildung der
Geschäftsanteile zu je 1 € am 23. Oktober 2017 und die Liste nach Anteilsübertragung
von Geschäftsanteilen mit einem Nennbetrag von insgesamt 5.000 € an
die H. GmbH am 24. Oktober 2017 in das Handelsregister aufgenommen
worden. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG gelte eine vom Erwerber
in Bezug auf das Gesellschaftsverhältnis vorgenommene Rechtshandlung als
von Anfang an wirksam, wenn die Liste unverzüglich nach Vornahme der Rechtshandlung
in das Handelsregister aufgenommen werde. ln der Gesellschafterversammlung
hätten die Gesellschafter N. GmbH und
H. GmbH ausdrücklich auf diese bereits angemeldete Anteilsübertragung
abgestellt. Sie hätten festgestellt, dass das "Stammkapital von 25.000 €
in Höhe von 25.000 € vertreten" sei, zugleich aber auch, dass der Kläger mit
einem Anteil von 12.500 € nicht erschienen sei. Sie hätten beschlossen, dass der
Geschäftsanteil des Klägers eingezogen werde. Da weder die zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung gültige, noch die geänderte Gesellschafterliste, deren Einstellung
in den Registerordner veranlasst worden sei, den Kläger als Gesellschafter
ausgewiesen habe, habe die Beklagte eine wirksame Einziehung seines Geschäftsanteils
am 20. Oktober 2017 nicht beschließen können.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zu
Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der Einziehungsbeschluss vom
20. Oktober 2017 sei ins Leere gegangen, weil die Einziehung einen nach der
Gesellschafterliste nicht existenten Geschäftsanteil betroffen habe. Eine Gesellschaft
mit beschränkter Haftung ist durch die negative Legitimationswirkung des
§ 16 Abs. 1 GmbHG nicht gehindert, einen nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen
Einziehungsversuch aus der Gesellschafterliste entfernten, aber
materiell bestehenden Geschäftsanteil aus einem in der Person des materiell berechtigten
Gesellschafters liegenden wichtigen Grund einzuziehen.

1. Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging nicht deshalb ins
Leere, weil der Geschäftsanteil des Klägers bereits am 17. April 2015 und am
30. August 2016 eingezogen worden war. Aufgrund der Entscheidung des Berufungsgerichts
vom 8. Mai 2019 steht rechtskräftig fest, dass diese Einziehungsbeschlüsse
nichtig waren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1997 - II ZR 41/96,
BGHZ 134, 364, 366; Urteil vom 13. Oktober 2008 - II ZR 112/07, ZIP 2008, 2215
Rn. 8).

Dass bei der Beschlussfassung am 20. Oktober 2017 unklar war, ob die
vorangehenden Einziehungsbeschlüsse wirksam waren und der Geschäftsanteil
noch bestand, steht der erneuten Einziehung nicht entgegen. Der neue
Beschluss ist erkennbar für den Fall gefasst, dass die Unwirksamkeit der früheren
Einziehungsbeschlüsse festgestellt wird und der Kläger damit entgegen der
im Vorprozess vertretenen Auffassung der Beklagten noch Inhaber der
Geschäftsanteile ist. In der neuerlichen Beschlussfassung liegt kein widersprüchliches
Verhalten der Beklagten; vielmehr hat sie ein anerkennenswertes
Interesse, Zweifel an der Wirksamkeit eines Einziehungsbeschlusses durch die
Neuvornahme des Beschlusses auszuräumen oder für den Fall des Fehlschlagens
eines Einziehungsversuchs wegen neu aufgetretener oder bekannt gewordener
Einziehungsgründe den Geschäftsanteil vorsorglich noch einmal einzuziehen.

2. Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging auch nicht deshalb
ins Leere, weil der eingezogene Geschäftsanteil mit der Nummer 2 in der
Gesellschafterliste nicht mehr einem Inhaber zugeordnet war. Es war nicht erforderlich,
dass die Gesellschaft vor der Einziehung eine korrigierte Gesellschafterliste
zum Handelsregister einreichte, in der der materiell berechtigte Gesellschafter
wieder als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils eingetragen war. Da
die im Geschäftsanteil verkörperte materiell-rechtliche Gesellschafterstellung
nicht von der Eintragung des einzuziehenden Geschäftsanteils in die Gesellschafterliste
abhängt, war auch die Wirksamkeit der Einziehung allein vom
materiellen Bestehen des Geschäftsanteils abhängig.

a) Durch die Löschung des Geschäftsanteils des Klägers aus der Gesellschafterliste
der Beklagten wurde dessen durch § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vermittelte
formale Gesellschafterstellung unabhängig von der Wirksamkeit der
ersten Einziehungsversuche beendet, so dass er der Beklagten gegenüber keine
Mitgliedschaftsrechte mehr geltend machen konnte.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt im Verhältnis zur Gesellschaft im Fall
einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer
Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in der im Handelsregister
aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Greift diese
Vermutung, stehen dem als Inhaber eines Geschäftsanteils in die Gesellschafterliste
Eingetragenen sämtliche Mitgliedschaftsrechte zu, ohne dass es auf
seine wahre Berechtigung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018
- II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 23; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17,
BGHZ 222, 323 Rn. 35). Diese Legitimationswirkung greift auch bei einem eingezogenen
Geschäftsanteil (BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17,
BGHZ 220, 207 Rn. 25 ff., 45; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222,
323 Rn. 38). Wird der Inhaber eines Geschäftsanteils nach dessen Einziehung in
der Gesellschafterliste gestrichen, kann der Gesellschafter ab dem Zeitpunkt der
Aufnahme einer ihn nicht mehr aufführenden Gesellschafterliste zum Handelsregister
seine mitgliedschaftlichen Rechte nicht länger ausüben (BGH, Urteil vom
2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 35).

Die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG greift nicht nur
bei der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte. Der in die im Handelsregister aufgenommene
Gesellschafterliste eingetragene Inhaber eines Geschäftsanteils darf
auch für mitgliedschaftliche Pflichten herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil
vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 35; zu § 16 Abs. 1
GmbHG aF BGH, Urteil vom 27. Januar 2015 - KZR 90/13, ZIP 2015, 678
Rn. 19 ff. mwN - Dentalartikel; Urteil vom 18. September 2018 - II ZR 312/16,
BGHZ 219, 327 Rn. 19 ff.). Der Senat hat bisher offengelassen, ob die Gesellschaft
bei der Einziehung statt auf den Listengesellschafter auch auf die Person
des materiell berechtigten Gesellschafters abstellen darf, weil § 16 Abs. 1 Satz 1
GmbHG seinem Wortlaut nach nur das Verhältnis des Gesellschafters zur Gesellschaft
(d.h. für die Geltendmachung von Mitgliedschaftsrechten) regelt und
daher im Verhältnis der Gesellschaft zum Gesellschafter (d.h. bei Mitgliedschaftspflichten,
Kaduzierung, Einziehung u.a.) die Gesellschaft neben einem in
der Liste eingetragenen den wahren Anteilsinhaber in Anspruch nehmen kann
(vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 222, 323 Rn. 71;
kritisch Lieder/Becker, GmbHR 2020, 441, 447 f.; Miller, ZIP 2020, 62, 64). Nicht
entschieden ist auch, ob aus diesen Gründen die sogenannte negative Legitimationswirkung
infolge des Streichens in der Gesellschafterliste nur bedeutet, dass
die Gesellschaft dem Gesellschafter keine Mitgliedschaftsrechte gewähren
muss, oder ob sie ihn nicht mehr als Gesellschafter behandeln darf.

b) Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging aber nicht schon
deshalb ins Leere, weil der Geschäftsanteil infolge der Streichung in der Gesellschaferliste
nicht mehr existent und der Kläger nicht mehr Inhaber des Geschäftsanteils
war. Zwar ist die formale Gesellschafterstellung des von der Einziehung
Betroffenen nach Streichung des Geschäftsanteils aus der Liste beendet. Dies
wirkt sich jedoch nicht auf die materielle Berechtigung des Gesellschafters aus,
auf die sich die Einziehung bezieht.

Materielle und formale Gesellschafterstellung können entkoppelt sein. Der
materiell Berechtigte, aber nicht mehr in der Gesellschafterliste Aufgeführte ist
zwar in der Ausübung seiner Rechte gegenüber der Gesellschaft gehindert, verliert
aber nicht seine materiell-rechtliche Gesellschafterstellung. Die materiellrechtliche
Gesellschafterstellung ist unabhängig von der Eintragung in der Gesellschafterliste
(BGH, Urteil vom 18. Oktober 2016 - II ZR 314/15, ZIP 2017, 14
Rn. 10; Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 35;
Urteil vom 15. Januar 2019 - II ZR 392/17, BGHZ 220, 377 Rn. 3, 38; Urteil vom
2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 39, 43; zu § 16 Abs. 1 GmbHG
aF BGH, Urteil vom 18. September 2018 - II ZR 312/16, BGHZ 219, 327 Rn. 38
mwN; Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts
und zur Bekämpfung von Missbräuchen [MoMiG], BT-Drucks. 16/6140, S. 37).
Auch wenn der Gesellschafter im Hinblick auf die negative Legitimationswirkung
keine Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Gesellschaft mehr geltend machen
kann, ist er als materiell Berechtigter Inhaber des Geschäftsanteils, so dass er
ihn beispielsweise wirksam abtreten und verpfänden kann und auch seine Gläubiger
den Geschäftsanteil pfänden können (vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 37;
BeckOK GmbHG/Wilhelmi, Stand: 1. Februar 2020, § 16 Rn. 25, 26; Verse in
Henssler/Strohn, GesR, 4. Aufl., § 16 GmbHG Rn. 10; Servatius in
Baumbach/Hueck, 22. Aufl., § 16 Rn. 14; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/
J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., § 16 Rn. 50, 92; Bayer in Lutter/Hommelhoff,
GmbHG, 20. Aufl., § 16 Rn. 30; MünchKommGmbHG/Heidinger, 3. Aufl., § 16
Rn. 172).

Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging danach nicht ins
Leere, weil der Geschäftsanteil in der Gesellschafterliste als eingezogen gestrichen
war, sondern betraf trotz Streichung in der Liste einen materiell-rechtlich
existenten Geschäftsanteil. Die vorausgegangenen Einziehungsbeschlüsse vom
17. April 2015 und vom 30. August 2016 waren, wie das Berufungsgericht in seinem
Urteil vom 8. Mai 2019 festgestellt hat, nichtig und konnten damit den
Geschäftsanteil des Klägers nicht vernichten.

c) Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 konnte gegenüber
dem Kläger gefasst werden, obwohl dieser mit seinem Geschäftsanteil nicht mehr
in der aktuellen Gesellschafterliste aufgenommen war. Dabei kann dahinstehen,
ob die negative Legitimationswirkung von § 16 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich bedeutet,
dass die Gesellschaft einen zwar materiell berechtigten, aber nicht in der
Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter weder in Anspruch nehmen
noch gegen ihn vorgehen darf. Jedenfalls nach einem möglicherweise gescheiterten
Einziehungsversuch kann die Gesellschaft vorsorglich erneut die Einziehung
eines Geschäftsanteils beschließen, auch wenn dieser Geschäftsanteil
nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragen oder einem Gesellschafter zugeordnet
ist.

aa) Die Gesellschaft muss einen materiell möglichen, vorsorglichen erneuten
Einziehungsbeschluss fassen können. Jedenfalls in diesem Fall ist daher die
vorherige Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste entbehrlich.

Im Regelfall verursacht das Auseinanderfallen von formaler und materieller
Gesellschafterstellung für die Gesellschaft keine Schwierigkeiten, weil ihr
Geschäftsführer gemäß § 40 Abs. 1 GmbHG berechtigt und verpflichtet ist, eine
unzutreffende Gesellschafterliste zu korrigieren, unabhängig davon, wer sie eingereicht
hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - II ZR 21/12, ZIP 2014,
216 Rn. 33). Sie kann damit den Inhaber eines Geschäftsanteils, wenn der
Geschäftsführer die Überzeugung gewinnt, dass er zu Unrecht gelöscht oder
sonst nicht als Anteilsinhaber aufgenommen ist, vor einem Einziehungsbeschluss
wieder in eine Gesellschafterliste aufnehmen und diese einreichen.

Wenn nach einem Einziehungsversuch vorsorglich erneut die Einziehung
beschlossen werden soll, ist dies nicht ohne weiteres möglich. Denn die Wiederaufnahme
des Anteilsinhabers in die Gesellschafterliste setzt voraus, dass die
Gesellschaft durch ihren Geschäftsführer die Löschung für unrichtig hält. Solange
nicht rechtskräftig über die Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses entschieden
ist, darf sie diesen und die darauf beruhende Löschung in der Gesellschafterliste
aber für zutreffend erachten. Damit liegen die Voraussetzungen für eine
Änderung der Gesellschafterliste, ihre Unrichtigkeit, aus der Sicht des Geschäftsführers
nicht vor. Bei einer Neueintragung müsste die Gesellschaft sich auch ein
widersprüchliches Verhalten vorwerfen lassen. Bei einer vorsorglichen
Beschlussfassung ist dagegen der Beschluss nur für den Fall gefasst, dass der
Geschäftsanteil noch besteht, und steht nicht im Widerspruch dazu, dass der
vorangehende Einziehungsbeschluss für wirksam erachtet wird. Eine lediglich
vorsorgliche Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste ist, anders als die vorsorgliche
Annahme der materiellen Gesellschafterstellung als Voraussetzung
des erneuten Einziehungsbeschlusses, nicht möglich.

Wird eine Einziehung vorsorglich wiederholt, weil Zweifel an der Wirksamkeit
der ersten Einziehung bestehen, ein Einziehungsgrund indes fortbesteht, ist
es der Gesellschaft auch nicht zumutbar, vor der Einziehung allein zur Schaffung
einer formalen Einziehungsgrundlage eine neue Liste zum Handelsregister einzureichen,
die den materiell Berechtigten als Inhaber des einzuziehenden
Geschäftsanteils ausweist. Dem Gesellschafter würde in diesem Fall seine formale
Gesellschafterstellung einschließlich der damit verbundenen Möglichkeit,
seine Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Gesellschaft auszuüben, wieder eingeräumt,
obwohl ein wichtiger Grund in seiner Person zur Einziehung berechtigt.
Damit würde ermöglicht, dass er den Betrieb der Gesellschaft durch obstruktive
Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte stört (vgl. BGH, Urteil vom 20. November
2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 39). Die Begründung der formalen
Gesellschafterstellung würde dem von der Einziehung betroffenen Gesellschafter
zudem erleichtern, sich durch Übertragung seines Geschäftsanteils der Einziehung
zu entziehen.

bb) Der Normzweck des § 16 Abs. 1 GmbHG steht der Einziehung eines
nach unwirksamer Einziehung bestehenden, aber nicht mehr in der Gesellschafterliste
eingetragenen Geschäftsanteils nicht entgegen.

(1) Die Regelung soll zum einen zur Missbrauchs- und Geldwäschebekämpfung
Transparenz über die Anteilseigner bewirken und damit Vermögensverschiebungen
mit kriminellem Hintergrund auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage
verhindern. Zum anderen dient sie der Rechtssicherheit und -klarheit, indem
innerhalb der Gesellschaft eindeutige Verhältnisse geschaffen werden, wer im
Verhältnis zur Gesellschaft berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss
vom 24. Februar 2015 - II ZB 17/14, ZIP 2015, 732 Rn. 20; Beschluss vom
26. Juni 2018 - II ZB 12/16, ZIP 2018, 1591 Rn. 21; Urteil vom 20. November
2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 35, 41; BT-Drucks. 16/6140 S. 37;
Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie,
BT-Drucks. 18/11555, S. 173). Der Einziehung eines bestehenden,
aber nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragenen Geschäftsanteils steht
dieses Ziel nicht entgegen, weil die Liste nach erneuter wirksamer Einziehung
der materiellen Rechtslage entspricht und damit sowohl eine zutreffende Darstellung
der Anteilseigner nach außen als auch Rechtssicherheit nach innen herstellt.

(2) Dass die formale und die materielle Gesellschafterstellung bis zur Fassung
eines wirksamen Einziehungsbeschlusses möglicherweise auseinanderfallen
und damit eine korrekte Nachvollziehung der Entwicklung nicht möglich ist,
ist auch unter Berücksichtigung des Normzwecks hinnehmbar.

Es bestünde auch dann ein den Normzweck des § 16 Abs. 1 GmbHG beeinträchtigender
Schwebezustand, wenn man verlangen würde, dass vor der Einziehung
eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht werden
muss, in der der Gesellschafter wieder als Inhaber des einzuziehenden
Geschäftsanteils eingetragen ist (so Miller, ZIP 2020, 62, 64). Die materielle
Berechtigung ist nach einer ersten, möglicherweise unwirksamen Einziehung unklar,
so dass der Schwebezustand schon vorher besteht und ungewiss ist, ob die
Eintragung des Gesellschafters in eine neu eingereichte Liste den materiellen
Zustand richtig wiedergibt. Wenn der erste Einziehungsbeschluss wirksam war,
würde eine Aufnahme in die Gesellschafterliste vor erneuter Einziehung unzutreffend
einen nicht existenten Geschäftsanteil ausweisen.

Durch die erneute wirksame Einziehung fielen nach Voreintragung des
materiell berechtigten Gesellschafters materielle und die formale Gesellschafterstellung
zunächst wieder auseinander und müssten durch neuerliche Aufnahme
einer geänderten Liste angepasst werden.

cc) Der Zulässigkeit eines vorsorglichen Einziehungsbeschlusses ohne
Voreintragung des betroffenen Gesellschafters steht auch nicht entgegen, dass
die Gesellschaft sich durch die vorschnelle Einreichung einer Gesellschafterliste
ohne den betroffenen Gesellschafter nach den ersten Einziehungen selbst in die
Lage gebracht hat, dass der vorsorglich einzuziehende Geschäftsanteil formell
nicht mehr besteht.

Die Einreichung einer neuen Liste war verfrüht, weil sie nach § 40 Abs. 1
Satz 1 GmbHG das Wirksamwerden der Veränderung voraussetzt. Ein Einziehungsbeschluss
wird mit der Mitteilung an den Betroffenen aber nur wirksam,
wenn er nicht nichtig ist oder für nichtig erklärt wird (BGH, Urteil vom 24. Januar
2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 8). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
im Vorprozess war der Einziehungsbeschluss nichtig. Vor Ablauf
der Anfechtungsfrist und gegebenenfalls des Anfechtungsprozesses konnte der
Geschäftsführer nicht sicher davon ausgehen, dass er nicht für nichtig erklärt
wird.

Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers führt nach § 40 Abs. 3
GmbHG aber nur zur Schadensersatzverpflichtung des Geschäftsführers und
hindert eine erneute Beschlussfassung der Gesellschafter nicht.

III. Das Berufungsurteil ist nicht aus anderen Gründen richtig.

1. Der Kläger war ausweislich der Feststellung des Berufungsgerichts zur
Gesellschafterversammlung am 20. Oktober 2017 geladen worden, so dass insoweit
kein Nichtigkeitsgrund besteht. Die Rechte des von der Einziehung betroffenen
Gesellschafters müssen durch Ladung wie ein Gesellschafter gewahrt
werden, wenn die Gesellschaft ihn hinsichtlich der Einziehung wieder als Gesellschafter
behandeln will (vgl. OLG Brandenburg, GmbHR 1998, 1037, 1038;
Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl., § 48 Rn. 14; Wagner, GmbHR 2016, 463, 468).

2. Der Kläger ist zur Erhebung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen
den Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 befugt, obwohl er im Zeitpunkt
der Beschlussfassung über die Einziehung nicht mehr als Inhaber eines
Geschäftsanteils in der Gesellschafterliste der Beklagten eingetragen war.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass
dem Gesellschafter die Anfechtungsbefugnis für die Klage gegen seinen Ausschluss
oder die Einziehung seines Geschäftsanteils trotz sofortiger Wirksamkeit
erhalten bleibt, um der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzmöglichkeit
Geltung zu verschaffen (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11,
BGHZ 192, 236 Rn. 24; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323
Rn. 41; beide mwN). Diese Rechtsschutzmöglichkeit hängt nicht von der Eintragung
des materiell berechtigten, von einem Einziehungsbeschluss betroffenen
Gesellschafters als Inhaber eines Geschäftsanteils in der Gesellschafterliste ab
(vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2019 - II ZR 234/18, juris; Urteil vom 2. Juli
2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 41). Das gilt nicht nur dann, wenn
zwischen der Einziehung und der Erhebung der Anfechtungsklage eine von der
Gesellschaft eingereichte geänderte Gesellschafterliste, in der der betroffene
Gesellschafter nicht mehr eingetragen ist, im Handelsregister aufgenommen worden
ist. Der Rechtsschutz muss auch dann gewährleistet werden, wenn der
Geschäftsanteil bereits im Zeitpunkt der Einziehung in der Gesellschafterliste
nicht mehr geführt wird, da der Gesellschafter in gleicher Weise in seiner
materiellen Gesellschafterstellung betroffen ist, wie ein Gesellschafter, dessen
Geschäftsanteil nach der Einziehung, aber vor Klageerhebung aus der Gesellschafterliste
gestrichen wurde.

Dem steht nicht entgegen, dass, wie der Senat zur Rechtslage vor dem
MoMiG bereits ausgeführt hat, die Anfechtungsbefugnis nur dem nach § 16
Abs. 1 GmbHG aF zu bestimmenden rechtlichen, nicht auch dem wirtschaftlichen
Gesellschafter oder dem Treugeber zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober
2008 - II ZR 112/07, ZIP 2008, 2215 Rn. 11), weil damit nicht die Frage beantwortet
wird, wem die Anfechtungsbefugnis zusteht, wenn eine formale Gesellschafterstellung
nicht mehr begründet ist.

IV. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die
Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3 ZPO), weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist. Das Berufungsgericht
wird zu prüfen haben, ob die Einziehung aus anderen Gründen unwirksam
ist.

Das Landgericht hat die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses vom
20. Oktober 2017 festgestellt, weil im Zeitpunkt der Einziehung festgestanden
habe, dass die Beklagte das dem Kläger zustehende Einziehungsentgelt nicht
aus freiem Vermögen habe begleichen können. Dies ist im rechtlichen Ausgangspunkt
zutreffend. Auszahlungen an ausgeschiedene Gesellschafter dürfen nicht
zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen (BGH, Urteil vom
4. August 2020 - II ZR 171/19, ZIP 2020, 1757 Rn. 31 mwN). Nach der Rechtsprechung
des Senats ist ein Einziehungsbeschluss entsprechend § 241 Nr. 3
AktG wegen eines Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 3 GmbHG
nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt
nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen
der Gesellschaft gezahlt werden kann (BGH, Urteil vom 26. Juni 2018
- II ZR 65/16, ZIP 2018, 1540 Rn. 13 mwN). Dazu ist eine Entscheidung durch
den Senat nicht möglich, weil die Parteien zu dieser Frage im Berufungsrechtszug
umfangreich vorgetragen haben und das Berufungsgericht dazu, von seinem
Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen getroffen hat.

Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht darüber hinaus Gelegenheit,
gegebenenfalls auch von der Revisionserwiderung aufgeworfenen Nichtigkeitsgründen
nachzugehen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

10.11.2020

Aktenzeichen:

II ZR 211/19

Rechtsgebiete:

Aktiengesellschaft (AG)
GmbH
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

GmbHG § 16 Abs. 1 S. 1