Zuständigkeit für Entscheidung bei Einziehung eines Erbscheins
letzte Aktualisierung: 9.6.2021
OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.1.2021 – 3 W 118/20
RPflG §§ 3 Nr. 2 lit. c, 16 Abs. 1 Nr. 7 u. Abs. 3, 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 u. Abs. 2
Zuständigkeit für Entscheidung bei Einziehung eines Erbscheins
1. Werden gegen die Einziehung eines Erbscheins Einwände erhoben, hat der Rechtspfleger das
Verfahren nach dem landesrechtlichen Richtervorbehalt des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nds. ZustVO-Justiz
dem Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen.
2. Hat statt des zuständigen Richters der unzuständige Rechtspfleger entschieden, ist die Sache –
unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit – vom Beschwerdegericht aufzuheben, an
das Nachlassgericht zurückzuverweisen und zugleich dem Richter vorzulegen.
GRÜNDE
I.
Die Beteiligten streiten über die Einziehung eines gemeinschaftlichen Erbscheins.
1. Die Beteiligten sind die einzigen Kinder der Erblasserin. Die Erblasserin hat mit privatschriftlichem
Testament vom 29. Dezember 2005 (Bl. 55 d.BA 9 IV 184/95) beide Beteiligte zu ihren Erben eingesetzt.
Auf Antrag des Beschwerdeführers hat das Nachlassgericht auf Basis dieses Testaments den
gemeinschaftlichen Erbschein vom 28. August 2019 erteilt, der beide Beteiligte als Erben zu je ½ ausweist.
Am 21. Februar 2020 hat die Beteiligte zu 2. das privatschriftliche Testament der Erblasserin vom 3. März
2008 (Bl. 63 d.BA 9 IV 184/95) bei dem Nachlassgericht abgeliefert; sie habe dieses in einem Umschlag
beim Auflösen der Wohnung der Erblasserin gefunden (Bl. 72, 111 d.A.). Die Beteiligte zu 2. geht davon
aus, dass das Testament vom 3. März 2008 richtig datiert und tatsächlich jünger als das Testament vom
29. Dezember 2005 sei, so dass der Erbschein einzuziehen sei. Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz
vom 23. April 2020 (Bl. 84 f. d.A.) Einwände gegen die Einziehung des Erbscheins erhoben; er zweifelt an,
dass das Testament vom 3. März 2008 tatsächlich zeitlich nach dem vom 29. Dezember 2005 errichtet
worden sei; es bestehe der Verdacht, dass das Datum auf dem vermeintlich jüngeren Testament
nachträglich angebracht worden sei.
2. Das Nachlassgericht hat durch angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin vom 4. Juni 2020 (Bl.
112–114 d.A.) den Erbschein vom 28. August 2019 eingezogen. Nach dem Testament vom 3. März 2008
hätten sich die Erbteile geändert. Das Datum auf diesem Testament stamme augenscheinlich von der
Erblasserin; es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, die dafür sprächen, dass das Datum erst später auf
dem Testament angebracht worden sei.
Der Beschwerdeführer hat gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 10. Juni 2020 zugestellten
Beschluss mit Schriftsatz vom 6. Juli 2020 – eingegangen am selben Tage – Beschwerde eingelegt. Es
könne nicht übergangen werden, dass ein Sachverständigengutachten unter anderem zur Frage der
Datierung des neuen Testaments beantragt worden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass es sich
zunächst um ein Testament ohne Datumsangabe gehandelt habe, sodass es ungültig sei, § 2247 Abs. 5
BGB. Nur die Zeichen des Datums seien bis in die Rückseite des Papiers durchgedrückt, nicht aber der
Rest der Schrift. Die Beteiligte zu 2. habe die Erblasserin stets bedrängt, in ihrem Sinne zu testieren. Das
Testament vom 29. Dezember 2005 habe die Erblasserin in Kopie beiden Beteiligten gegeben; das vom 3.
März 2008 habe sie gegenüber dem Beschwerdeführer nicht erwähnt. Vorsorglich werde das jüngere
Testament angefochten, weil der Erblasserin offensichtlich nicht mehr bewusst gewesen sei, dass sie
bereits im Jahr 2005 ausdrücklich über ihre Immobilien verfügt habe. Hilfsweise halte der
Beschwerdeführer an seinem Erbscheinsantrag fest, lediglich erweitert um einen
Testamentsvollstreckungsvermerk. Hilfsweise beantrage er, die Beteiligte zu 2. als Alleinerbin
auszuweisen, wenn die Verfügung über die Grundstücke als Vermächtnis zu seinen Gunsten zu werten
sein sollten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 28. August, 15. September und
4. November 2020 (Bl. 146, 149–151, 173–176 d.A) Bezug genommen.
Die Beteiligte zu 2. ist der Ansicht, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht
erforderlich sei; es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das Datum nachträglich oder durch Dritte
angebracht worden sei. Auch daraus, dass nicht mehr die beiden älteren Enkel der Erblasserin, sondern
nunmehr deren beiden jüngeren Enkelkinder mit einem Vermächtnis bedacht seien, zeige, dass das
Testament jünger sei als dasjenige aus dem Jahr 2005. Eine Anfechtung wegen Irrtums scheide aus; die
Erblasserin habe mit der Teilungsanordnung erreichen wollen, dass die Beteiligte zu 2. – die Eigentümerin
eines angrenzenden Grundstücks sei – das Nachlassgrundstück so teilen könne, dass beide Immobilien
eine Einheit bildeten. Das bessere Verhältnis der Erblasserin zur Beteiligten zu 2. beruhe auch darauf,
dass der Beschwerdeführer nach dem Tod seines Vaters Pflichtteilsansprüche geltend gemacht habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 (Bl. 158–161 d.A.) Bezug
genommen.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss der Rechtspflegerin vom 11. November 2020 nicht
abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der eingezogene
Erbschein sei auch deshalb unrichtig, weil er keinen Testamentsvollstreckungsvermerk enthalte, der aber
nach dem Testament vom 8. März 2008 erforderlich sei, da danach die Beteiligte zu 2. das mit zwei
Häusern bebaute Nachlassgrundstück teilen solle. Die Frage der Höhe der Erbteile sei in einem neuen
Erbscheinsverfahren neu zu beurteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 11.
November 2020 (Bl. 207 f. d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil der angefochtene Beschluss vom hier funktionell
unzuständigen Rechtspfleger erlassen worden und daher aufzuheben ist.
1. Zur Entscheidung über die Einziehung von Erbscheinen ist beim Nachlassgericht funktionell
grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig, § 3 Nr. 2 lit. c RPflG i.V.m. § 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG. Es gibt
jedoch bundes- und landesrechtliche Richtervorbehalte. Der bundesrechtliche Richtervorbehalt des § 16
Abs. 1 Nr. 7 RPflG ist in Niedersachsen nicht anwendbar (a); nach dem landesrechtlichen Richtervorbehalt
des § 14 Abs. 1 Satz 2 ZustVO-Justiz ist hier funktionell der Nachlassrichter zuständig (b).
a) Der Richtervorbehalt
Satz 1 Nr. 5 RPflG sind die Landesregierungen ermächtigt, Richtervorbehalte aufzuheben, soweit sie
(unter anderem) Geschäfte nach
Erbscheinen.
Das Land Niedersachsen hat diese Befugnis dem Ministerium für Justiz übertragen (§ 1 Nr. 7 der
Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen auf den Gebieten der Rechtspflege und der
Justizverwaltung [Subdelegationsverordnung-Justiz] vom 6. Juli 2007). Dieses hat von der
Ermächtigungsgrundlage durch die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit
und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) vom 18. Dezember 2009 Gebrauch gemacht. Nach § 14 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 ZustVO-Justiz sind die Richtervorbehalte unter anderem für die Geschäfte nach § 16 Abs. 1
Nr. 7 RPflG aufgehoben, also auch für die Einziehung von Erbscheinen.
b) Der niedersächsische Verordnungsgeber hat – auf Basis der Öffnungsklausel des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr.
5 RPflG – statt des Richtervorbehalts nach
des Gebrauchs der Öffnungsklausel vorgeschriebenen anderen Richtervorbehalt geschaffen (vgl. OLG
Braunschweig, Beschluss vom 10. August 2020 – 3 W 92/20 –, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.). Die
Aufhebung des Richtervorbehaltes ist nur für einvernehmliche Verfahren vorgesehen; für den Fall, dass
gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden, sieht
Vorlagepflicht an den Richter vor (Schmid, RPflG, 1. Auflage 2012, § 19, Rn. 2). Ein solches streitiges
Verfahren liegt vor, wenn zwischen widerstreitenden, im Verfahren klar zum Ausdruck gebrachten
Positionen verschiedener Beteiligter zu entscheiden ist. Dabei kommt es weder auf einen förmlichen
Antrag noch auf die förmliche Beteiligtenrolle der Vertreter der widerstreitenden Interessen an. Insoweit
sind maßgeblich allein die im Verfahren zum Ausdruck gebrachten unterschiedlichen Rechtspositionen
(Gierl, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 352e FamFG, Rn. 6; Krätzschel, in: Firsching/Graf,
Nachlassrecht, 11. Auflage 2019, § 38 Rn. 16). Diese Vorlagepflicht ist in § 14 Abs. 1 Satz 2 ZustVO-Justiz
umgesetzt worden. Danach hat der Rechtspfleger das Verfahren dem Richter zur weiteren Bearbeitung
vorzulegen, soweit gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden (vgl.
Krätzschel, a.a.O., § 38, Rn. 16, § 39, Rn. 5).
Dies ist hier der Fall, denn der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 23. April 2020 Einwände gegen
die Einziehung des Erbscheins erhoben; er zweifelt an, dass das Testament vom 3. März 2008 tatsächlich
zeitlich nach dem vom 29. Dezember 2005 errichtet worden sei; es bestehe der Verdacht, dass das Datum
auf dem vermeintlich jüngeren Testament nachträglich angebracht worden sei. Aufgrund des Schriftsatzes
vom 23. April 2020 hätte der Rechtspfleger die Sache gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 ZustVO-Justiz dem
Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorlegen müssen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.
August 2020 – 3 W 92/20 –, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.).
2. Hat – wie hier – statt des zuständigen Richters der unzuständige Rechtspfleger entschieden, ist die
Sache – unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit – vom Beschwerdegericht aufzuheben, an
das Nachlassgericht zurückzuverweisen und zugleich dem Richter vorzulegen (OLG Braunschweig, a.a.O.
m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 61 Abs. 1 Satz 1
GNotKG. Danach ist für den Wert eines Beschwerdeverfahrens der Antrag des Beschwerdeführers
maßgeblich. Der Beschwerdeführer möchte hier erreichen, dass es bei dem Erbschein vom 28. August
2019 verbleibt, nach dem der gesamte Nachlass zu je ½ auf die Beteiligten aufgeteilt würde und nicht –
wie nach dem Testament vom 3. März 2008 – nur das Immobilienvermögen, während die Beteiligte zu 2.
das Mobiliarvermögen allein erhielte. Der Wert des Mobiliarvermögens beträgt nach Angaben der
Beteiligten zu 2. im Erbscheinsverfahren ca. 40.000,00 € (Bl. 89 d.A.), so dass das Interesse des
Beschwerdeführers am Erhalt des ursprünglichen Erbscheins mit 20.000,00 € zu beziffern ist.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Braunschweig
Erscheinungsdatum:13.01.2021
Aktenzeichen:3 W 118/20
Rechtsgebiete:
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform
RPflG §§ 3 Nr. 2 lit. c, 16 Abs. 1 Nr. 7 u. Abs. 3, 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 u. Abs. 2