BGH 26. April 2023
XII ZB 187/20
FamFG § 107

Einvernehmliche Ehescheidungen vor dem italienischen Zivilstandsbeamten

letzte Aktualisierung: 3.7.2023
BGH, Beschl. v. 26.4.2023 – XII ZB 187/20

FamFG § 107
Einvernehmliche Ehescheidungen vor dem italienischen Zivilstandsbeamten

Einvernehmliche Ehescheidungen vor dem italienischen Zivilstandsbeamten bedürfen auch unter
Geltung der Brüssel IIa-Verordnung zu ihrer Eintragung im Eheregister keiner Anerkennung nach
§ 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG (Anschluss an EuGH Urteil vom 15. November 2022 – C-646/20,
FamRZ 2023, 21).

Gründe:

I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die in Italien durch übereinstimmende
Erklärungen der Ehegatten vor dem Zivilstandsbeamten erfolgte Beendigung
der Ehe der Beteiligten zu 3 und 4 ohne weiteres Anerkennungsverfahren
im deutschen Eheregister zu beurkunden ist.
1. Die Beteiligte zu 3 hat die deutsche und die italienische Staatsbürgerschaft,
der Beteiligte zu 4 ist italienischer Staatsbürger. Die beiden schlossen am
20. September 2013 vor dem Standesamt Mitte von Berlin die Ehe, was im Eheregister
beurkundet wurde.

Am 30. März 2017 erschienen die Ehegatten vor dem Standesamt (Ufficio
di Stato Civile) in Parma und erklärten, keine minderjährigen, pflegebedürftigen
volljährigen, schwerbehinderten volljährigen oder wirtschaftlich unselbständigen
volljährigen Kinder zu haben, untereinander keine Vereinbarungen zur Übertragung
von Vermögen zu treffen und die einvernehmliche Trennung zu wollen.
Diese Erklärung bestätigten sie am 11. Mai 2017 persönlich vor dem Standesamt.
Am 15. Februar 2018 erschienen sie dort erneut, nahmen auf ihre Erklärungen
vom 30. März 2017 Bezug und erklärten, sie wünschten die Auflösung ihrer
Ehe. Ein Verfahren sei diesbezüglich nicht anhängig. Nachdem sie diese Erklärungen
gegenüber dem Standesamt Parma am 26. April 2018 bestätigt hatten,
stellte dieses der Beteiligten zu 3 am 2. Juli 2018 eine Bescheinigung gemäß
Art. 39 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 aus, in der die Scheidung der Ehe mit
Wirkung vom 15. Februar 2018 bestätigt wird.

Die Beteiligte zu 3 hat das Standesamt Mitte von Berlin (Beteiligter zu 1)
ersucht, diese Scheidung im deutschen Eheregister einzutragen. Das Standesamt
hat die Sache wegen Zweifeln, ob die Beurkundung zunächst eine Anerkennung
nach § 107 FamFG voraussetzt, über die Standesamtsaufsicht (Beteiligte
zu 2) dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Amtsgericht hat das
Standesamt mit Beschluss vom 1.
folgte außergerichtliche Priva
durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung
gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG
nnungsantrag der Beteiligten zu 3
wies die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung
mit der Begründung zurück, es handele sich nicht um eine anerkennungsbedürftige
Entscheidung. Über die hiergegen von der Beteiligten zu 3 eingelegte Beschwerde
wurde vom Kammergericht - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.

Auf die von der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Amtsgerichts
vom 1. Juli 2019 eingelegte Beschwerde hat das Kammergericht den amtsgerichtlichen
Beschluss abgeändert und das S
Italien erfolgten Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 3 und 4 durch die Senatsverwaltung
für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung abhängig zu
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten
zu 2, mit der diese die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses
erstrebt.

2. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 28. Oktober 2020
ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von
Art. 1 Abs. 1 lit. a, Art. 2 Nr. 4, Art. 21 Abs. 1, Art. 46 der Verordnung (EG)
Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in
Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung
(EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt,
ob es sich bei einer Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen
Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014
(DL Nr. 132/2014) um eine Entscheidung über die Scheidung einer Ehe im Sinne
der Brüssel IIa-Verordnung handelt. Der Europäische Gerichtshof hat diese
Frage mit Urteil vom 15. November 2022 - C-646/20 (FamRZ 2023, 21 ff.) bejaht.

II.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 hat keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2020, 1215 ff.
veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei
der Vereinbarung der Eheleute über die Auflösung ihrer Ehe vor dem italienischen
Zivilstandsbeamten nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 1 des italienischen
Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) handele
es sich um eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO, weil
diese nach Art. 12 Abs. 3 Satz 4 des Dekrets an die Stelle einer gerichtlichen
Entscheidung trete und konstitutive Wirkung habe. Einer Anerkennung nach
§ 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG bedürfe es daher gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 FamFG
iVm Art. 21 Abs. 2 Brüssel IIa-VO für die Eintragung in das Eheregister nicht.
Dem stehe die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom
20. Dezember 2017 (C-372/16 - NJW 2018, 447) nicht entgegen, wonach es sich
bei Privatscheidungen nicht um Entscheidungen im Sinne der Verordnung (EG)
Nr. 1259/2010 (Rom III) und der Brüssel IIa-Verordnung handele, weil hierunter
nur Scheidungen zu verstehen seien, die entweder von einem staatlichen Gericht
oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen
würden. Letzteres sei indes bei einer Ehescheidung nach Art. 12 des italienischen
Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014 der Fall, weil die Mitwirkung
eines Zivilstandsbeamten in einem solchen Verfahren zwingend sei.
Dessen Aufgabe gehe über eine bloße Warn-, Klarstellungs-, Beweis- oder Beratungsfunktion
hinaus, weil er Kontrollpflichten hinsichtlich des Vorliegens der
Voraussetzungen der Scheidung habe.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
Die Eintragung der Ehescheidung der Beteiligten zu 3 und 4 in das Eheregister
ist nicht von einer Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung gemäß
§ 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG abhängig.

a) Gemäß § 5 Abs. 1 PStG sind Registereinträge fortzuführen, indem sie
nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes durch Folgebeurkundungen
und Hinweise ergänzt und berichtigt werden. Dies gilt auch für das Eheregister
als einem der vom Standesamt geführten Personenstandsregister (§§ 3 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, 16 PStG). In dieses ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PStG als
Folgebeurkundung zum Eheeintrag auch eine spätere Aufhebung oder Scheidung
der Ehe aufzunehmen. Lehnt das Standesamt die Vornahme einer Amtshandlung
ab, so kann es gemäß § 49 Abs. 1 PStG auf Antrag der Beteiligten oder
der Aufsichtsbehörde durch das Gericht dazu angewiesen werden. Als Ablehnung
gilt dabei auch, wenn das Standesamt in Zweifelsfällen von sich aus die
Entscheidung des Gerichts darüber herbeiführt, ob eine Amtshandlung vorzunehmen
ist (§ 49 Abs. 2 PStG).

Grundlage für eine Folgebeurkundung im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 PStG kann auch eine im Ausland ergangene rechtskräftige Entscheidung
sein. Eine Entscheidung, durch die eine Ehe im Ausland für nichtig erklärt, aufgehoben,
dem Ehebande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden
oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen
den Beteiligten festgestellt wird, wird nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG in
Deutschland grundsätzlich allerdings nur anerkannt, wenn die zuständige Landesjustizverwaltung
festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung
vorliegen (zu den Anerkennungshindernissen vgl. § 109 FamFG). Dieses
Anerkennungsverfahren ist jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - eine ausländische
Behörde entsprechend den von ihr zu beachtenden Normen in irgendeiner
Form, und sei es auch nur registrierend, mitgewirkt hat, auch für sogenannte Privatscheidungen
eröffnet (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020,
1811 Rn. 17 mwN). Im Heimatstaat beider Ehegatten durchgeführte Auslandsscheidungen
- auch Privatscheidungen - sind dabei zwar gemäß § 107 Abs. 1
Satz 2 FamFG vom obligatorischen Anerkennungsverfahren ausgenommen. Die
Anwendung dieser Norm ist aber von vornherein ausgeschlossen, wenn - wie
hier - wenigstens einer der beiden Ehegatten neben der gemeinsamen Staatsangehörigkeit
des ausländischen Entscheidungsstaats auch die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020,
1811 Rn. 19 mwN).

Eines Anerkennungsverfahrens bedarf es hingegen nicht, wenn die betreffende
Auslandsentscheidung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (außer
Dänemark, vgl. Art. 2 Nr. 3 Brüssel IIa-VO) ergangen ist. Denn gemäß § 97
Abs. 1 Satz 2 FamFG bleiben Regelungen in Rechtsakten der Europäischen
Union von den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) unberührt.
Liegt daher eine Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO vor,
wird sie in Deutschland anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens
bedarf. Zur Fortführung des Eheregisters genügt dann die Vorlage einer
Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO. Die Brüssel IIa-Verordnung ist vorliegend
nach den Übergangsbestimmungen in Art. 100 Abs. 1 und 2 der Verordnung
(EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren
betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen
(ABl. EU Nr. L 178 S. 1 - Brüssel IIb-Verordnung) anwendbar, weil die
Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO über die Vereinbarung der Ehescheidung
der Beteiligten zu 3 und 4 vor dem 1. August 2022 ausgestellt wurde.

b) Um eine Entscheidung im Sinne der Brüssel IIa-Verordnung handelt es
sich bei der hier verfahrensgegenständlichen einvernehmlichen Ehescheidung
vor dem italienischen Zivilstandsbeamten nach Maßgabe des Art. 12 des italienischen
Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014.

aa) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierzu auf den Vorlagebeschluss
des Senats in seinem Urteil vom 15. November 2022 ausgeführt, Art. 2
Nr. 4 der Brüssel IIa-Verordnung sei - namentlich für die Anwendung von Art. 21
Abs. 1 dieser Verordnung - dahin auszulegen, dass die von einem Standesbeamten
eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung errichtete
Scheidungsurkunde über die Vereinbarung der Ehegatten über die Ehescheidung,
die sie vor dem Standesbeamten gemäß der in diesem Mitgliedstaat gelim
Sinne der
Verordnung darstelle, wenn dem Standesbeamten nicht nur die Aufgabe der Dokumentation
der Erklärung zukomme, sondern er eine Prüfungspflicht hinsichtlich
der gesetzlichen Voraussetzungen der Ehescheidung habe (EuGH Urteil vom
15. November 2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 53 ff.).

(1) Aus Art. 1 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1, 3 und 4 Brüssel
IIa-VO ergebe sich, dass auch die Entscheidung einer Behörde eines Mitgliedstaats
im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung über eine Ehescheidung ohne
Rücksicht auf ihre Bezeichnung eine Entscheidung in Ehescheidungssachen
sein könne, sofern das Recht des Mitgliedstaats auch nicht gerichtlichen Behörden
Zuständigkeiten in Ehescheidungssachen zuweise (EuGH Urteil vom 15. November
2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 47 ff.).

Allerdings gelte die Brüssel IIa-Verordnung nur für Ehescheidungen, die
entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde oder
unter deren Kontrolle ausgesprochen würden. Reine Privatscheidungen wie etwa
solche, die durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht
erfolgten, seien hingegen nicht erfasst. Voraussetzung sei auch bei einvernehmlichen
Ehescheidungen, dass die zuständige Behörde oder das Gericht
nach dem nationalen Verfahrensrecht eine Prüfung der Scheidungsvoraussetzungen
anhand des nationalen Rechts vornehme und feststelle, ob ein von freiem
Willen der Ehegatten getragenes, wirksames Einvernehmen über die Scheidung
gegeben sei (EuGH Urteil vom 15. November 2022 - C-646/20 - FamRZ 2023,
21 Rn. 53 ff.).

(2) Diesen Anforderungen genüge das Verfahren der Eheauflösung nach
Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September
2014 (DL Nr. 132/2014). Denn der auf dieser Grundlage tätige Standesbeamte
habe sich zu vergewissern, dass das von den Eheleuten erklärte Einvernehmen
zur Scheidung gültig, von freiem Willen getragen und in Kenntnis der
Sachlage erteilt worden sei. Er prüfe den Inhalt der Scheidungsvereinbarung anhand
der geltenden Rechtsvorschriften auf das Vorliegen der Voraussetzungen
für eine solche Privatscheidung. Aus Art. 12 des Gesetzesdekrets Nr. 132/2014
gehe auch hervor, dass der Standesbeamte die Ehescheidung nur aussprechen
dürfe, wenn die Voraussetzungen hierfür zweifelsfrei vorlägen (EuGH Urteil vom
15. November 2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 63 ff.).

bb) Dem schließt sich der Senat an. Die Fortschreibung des Eheregisters
durch Eintragung der Ehescheidung der Beteiligten zu 3 und 4 ist damit, wie das
Kammergericht zutreffend entschieden hat, ohne vorherige Anerkennung nach
§ 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorzunehmen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

26.04.2023

Aktenzeichen:

XII ZB 187/20

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

FamFG § 107