Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne Erhaltungsmaßnahme; Maßstab der ordnungsgemäßen Verwaltung; Grundsatz der Maßstabskontinuität; Möglichkeit punktueller Änderung ohne Aufstellung einer Regelung für künftige gleichgelagerte Fälle
letzte Aktualisierung: 11.4.2024
BGH, Urt. v. 22.3.2024 – V ZR 87/23
Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne Erhaltungsmaßnahme; Maßstab der
ordnungsgemäßen Verwaltung; Grundsatz der Maßstabskontinuität; Möglichkeit punktueller
Änderung ohne Aufstellung einer Regelung für künftige gleichgelagerte Fälle
Beschließen die Wohnungseigentümer eine Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne
Erhaltungsmaßnahme, muss nicht zugleich eine entsprechende Regelung für alle künftigen gleich
gelagerten Fälle beschlossen werden (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 18. Juni 2010 – V ZR
164/09,
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung u.a. in ZWE
2023, 364 ff. veröffentlicht ist, entspricht der von der Beschlusskompetenz gedeckte
Beschluss über die Kostenverteilung ordnungsmäßiger Verwaltung. Zwar
müsse jeder Beschluss über die Kostenverteilung dem Gleichbehandlungsgrundsatz
genügen, weswegen der Grundsatz der Maßstabskontinuität Anwendung
finden und für alle gleich gelagerten Instandsetzungsmaßnahmen der gleiche
Kostenverteilungsschlüssel gelten müsse. Dies bedeute aber nicht, dass der angefochtene
Beschluss deshalb ordnungsmäßiger Verwaltung widerspreche, weil
er nicht zugleich festlege, dass auch in künftigen Fällen so verfahren werde wie
im Einzelfall beschlossen. Zwar habe der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung
vom 18. Juni 2010 (V ZR 164/09,
diese Auffassung vertreten. Der Gesetzgeber habe diese Rechtslage mit der Reform
aber ändern wollen. Nunmehr erfordere eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels
im Einzelfall nicht (mehr), dass die Wohnungseigentümer zugleich
beschlössen, in künftigen gleich gelagerten Fällen einen identischen Kostenverteilungsschlüssel
anzuwenden. Der Grundsatz der Maßstabskontinuität
habe erst bei späteren gleich gelagerten Fällen Bedeutung.
II.
Die Beklagte war in dem Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten.
Gleichwohl ist über die Revision des Klägers nicht durch Versäumnisurteil,
sondern durch Endurteil zu entscheiden, da sich die Revision, soweit sie zulässig
ist, auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts
als unbegründet erweist (vgl. Senat, Urteil vom 11. März 2022 - V ZR 77/21, NZM
2022, 425 Rn. 5 mwN).
1. Die Revision ist bereits unzulässig, soweit sie einen Verstoß gegen eine
qualifizierte Protokollierung des Versammlungsprotokolls rügt. Denn insoweit hat
das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen.
a) Zwar enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keinen Zusatz,
der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Es ist
aber anerkannt, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen
und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn
sich dies aus den Gründen klar ergibt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen,
wenn sich die von dem Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene
Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs
stellt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 11. März 2022 - V ZR 35/21, WM 2023,
1136 Rn. 7 mwN). Bei der Beschlussmängelklage nach dem Wohnungseigentumsgesetz
können die jeweils geltend gemachten Beschlussmängelgründe abtrennbare
Teile des Streitstoffs darstellen (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 2020
- V ZR 282/19,
2022, 403 Rn. 7).
b) Daran gemessen liegt eine wirksame Beschränkung vor. Das Berufungsgericht
hat die Revision lediglich im Hinblick auf die abweichend von dem
Landgericht Stuttgart (
eine ordnungsmäßige Verwaltung es erfordere, in dem Beschluss über eine Änderung
der Kostenverteilung für einen konkreten Einzelfall zugleich eine Rege-
lung für alle gleich gelagerten Erhaltungsmaßnahmen zu treffen. Soweit der Kläger
den Kostenbeschluss auch mangels ausreichender Protokollierung für ungültig
hält, hat sich das Berufungsgericht die einen Beschlussmangel verneinende
Begründung des Amtsgerichts zu eigen gemacht und auch keinen Grund für die
Zulassung der Revision gesehen. Damit hat es klar zu erkennen gegeben, dass
es diesen ohne Weiteres von dem restlichen Streitstoff abtrennbaren Beschlussmangel
nicht als zulassungsrelevant ansah.
2. Soweit sie zulässig ist, ist die Revision unbegründet. Das Berufungsgericht
nimmt zu Recht an, dass der Beschluss über die Verteilung der Erhaltungskosten
der Dachflächenfenster nicht zu beanstanden ist.
a) Die Beschlusskompetenz für die Verteilung der Erhaltungskosten für die
Dachflächenfenster folgt aus
vom gleichen Tag in der Sache V ZR 81/23 entschieden hat, begründet diese
Vorschrift die Kompetenz der Wohnungseigentümer, für einzelne Kosten oder
bestimmte Arten von Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine
von dem gesetzlichen Verteilungsschlüssel oder von einer Vereinbarung abweichende
Verteilung zu beschließen. Das gilt auch dann, wenn dadurch der Kreis
der Kostenschuldner verändert wird, indem Wohnungseigentümer von der Kostentragung
gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden
(vgl. Senat, Urteil vom 22. März 2024 - V ZR 81/23, Rn. 8, zur Veröffentlichung
bestimmt). Dass hier aufgrund der beschlossenen Kostenverteilung nur der Kläger
die Instandsetzungskosten der allein in dem Bereich seines Sondereigentums
befindlichen Fenster zu tragen hat und die übrigen Wohnungseigentümer
abweichend von
steht daher - entgegen der Ansicht der Revision - der Beschlusskompetenz nicht
entgegen.
b) Von der Beschlusskompetenz zu trennen ist die Frage, ob der auf der
Grundlage von
ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Dies bejaht das Berufungsgericht
rechtsfehlerfrei.
aa) Den Wohnungseigentümern ist bei Änderungen des Umlageschlüssels
aufgrund des Selbstorganisationsrechts der Gemeinschaft ein weiter Gestaltungsspielraum
eingeräumt. Der Beschluss über eine Kostenverteilung muss lediglich
ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen (vgl. Senat, Urteil vom
16. September 2022 - V ZR 69/21,
für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten der
GdWE eine Änderung der bisherigen Verteilung, dürfen sie jeden Maßstab wählen,
der den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Wohnungseigentümer
angemessen ist und insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung
Einzelner führt. Werden Kosten von Erhaltungsmaßnahmen (§ 19
Abs. 2 Nr. 2 WEG), die nach dem zuvor geltenden Verteilungsschlüssel von allen
Wohnungseigentümern zu tragen sind, durch Beschluss einzelnen Wohnungseigentümern
auferlegt, entspricht dies jedenfalls dann ordnungsmäßiger Verwaltung,
wenn die beschlossene Kostenverteilung den Gebrauch oder die Möglichkeit
des Gebrauchs berücksichtigt (näher Senat, Urteil vom 22. März 2024
- V ZR 81/23, Rn. 14, zur Veröffentlichung bestimmt).
bb) Daran gemessen ist die beschlossene Änderung der Kostenverteilung
für den Austausch der Fenster, die sich allein in dem Bereich des Sondereigentums
des Klägers befinden, nicht zu beanstanden. Denn die Wohnungseigentümer
haben dabei die Gebrauchsmöglichkeit des Klägers berücksichtigt. Entgegen
der Ansicht der Revision haben die Wohnungseigentümer den ihnen eingeräumten
Gestaltungsspielraum nicht deshalb überschritten, weil sie dem Kläger
nicht nur die Kosten der Maßnahme auferlegt, sondern außerdem in dem zu TOP
3 gefassten Beschluss nicht das günstigste und wirtschaftlichste Angebot gewählt
haben. Selbst wenn unterstellt wird, dass es sich nicht um das günstigste
und wirtschaftlichste Angebot gehandelt hat, änderte dies nichts daran, dass die
Wohnungseigentümer die Gebrauchsmöglichkeit des Klägers bei der Kostenverteilung
berücksichtigen durften. Im Übrigen hat der Kläger den Beschluss zu
TOP 3 nicht angefochten, so dass die Entscheidung über die Auswahl des Angebots
bestandskräftig geworden ist.
cc) Entgegen der Ansicht der Revision entspricht der Beschluss auch insoweit
ordnungsmäßiger Verwaltung, als die Wohnungseigentümer allein über
die Kostentragung für den Austausch der Dachflächenfenster im Bereich des
Sondereigentums des Klägers entschieden haben, ohne zugleich eine Regelung
für die Behandlung künftiger gleich gelagerter Fälle zu treffen.
(1) Richtig ist allerdings, dass nach der Rechtsprechung des Senats zu
einer einzelnen Instandsetzungsmaßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung dann
widersprechen konnte, wenn er zu einer verdeckten Änderung der Teilungserklärung
führte. Dies beruhte auf der Überlegung, dass die für einen Einzelfall beschlossene
abweichende Kostenverteilung den Grundsätzen ordnungsmäßiger
Verwaltung nur dann entsprechen könne, wenn für alle gleich gelagerten Instandsetzungsmaßnahmen
unter dem Gesichtspunkt der Maßstabskontinuität eine
entsprechende abweichende Kostenverteilung beschlossen werde. Dann werde
aber durch die Änderung der Kostenverteilung für einen Einzelfall letztlich eine
allgemeine Regelung getroffen und damit eine verdeckte Änderung der Teilungserklärung
vorgenommen, die von
Kostenverteilung für einen Einzelfall ermögliche, gerade nicht gedeckt sei (vgl.
Senat, Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 164/09,
(2) Welche Folgerungen aus dieser Entscheidung für das seit dem 1. Dezember
2020 geltende Recht zu ziehen sind, ist umstritten. Vereinzelt wird angenommen,
dass bereits der Beschluss, der einem Sondereigentümer erstmals einzelne
Kosten auferlege, eine Regelung über vergleichbare Folgefälle enthalten
müsse, was
der Maßstabskontinuität für einen auf der Grundlage von § 16 Abs. 2
Satz 2 Alt. 1 WEG gefassten Beschluss, der erstmals für einzelne Kosten eine
abweichende Verteilung festlege, nicht von Bedeutung sei; dass der Gleichbehandlungsgrundsatz
unter dem Gesichtspunkt der Maßstabskontinuität bei künftigen
Beschlüssen über die Verteilung gleichartiger Kosten zu berücksichtigen
sei, stehe - anders als nach
mit den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Verwaltung nicht
mehr entgegen (vgl. Bärmann/Becker, WEG, 15. Aufl., § 16 Rn. 147 f.;
BeckOGK/Falkner, WEG [1.5.2023], § 16 Rn. 232 f.; BeckOK WEG/Bartholome
[1.1.2024], § 16 Rn. 114; Grüneberg/Wicke, BGB, 83. Aufl.,
Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2023],
Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 6 Rn. 27; Grüner in Hügel,
Wohnungseigentum, 5. Aufl., § 8 Rn. 48; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform
2020, Rn. 711; Müller/Fichtner, Praktische Fragen des Wohnungseigentums,
7. Aufl., § 24 Rn. 41 f.; Neumann in Münchener Handbuch des Wohnungseigentumsrecht,
8. Aufl., § 8 Rn. 18; Greiner,
2021, 68, 69).
(3) Richtigerweise muss dann, wenn die Wohnungseigentümer nach § 16
Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WEG in der seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung
eine Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne Erhaltungsmaßnahme beschließen,
nicht zugleich eine entsprechende Regelung für alle künftigen gleich
gelagerten Fälle beschlossen werden.
(a) Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des
ergibt sich nicht, dass bei einer erstmaligen Änderung der Kostenverteilung für
einzelne Kosten zugleich eine entsprechende Regelung für alle gleich gelagerten
Fälle beschlossen werden muss. Durch die Neufassung von § 16 Abs. 2 Satz 2
WEG sollen die Wohnungseigentümer einfacher als bisher eine nach den jeweiligen
Umständen sinnvolle und gerechte Kostenverteilung beschließen können
(vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 27). Der Gesetzgeber hat deswegen bewusst auf
bisherige nach
und aufgrund der Vielgestaltigkeit möglicher Beschlüsse über die Kostenverteilung
von besonderen inhaltlichen Vorgaben abgesehen (vgl. BTDrucks.
19/18791 S. 56). Dem liefe es zuwider, wenn bei einer Beschlussfassung
über eine abweichende Verteilung einzelner Erhaltungskosten zugleich eine Regelung
für alle künftigen gleich gelagerten Fälle zu treffen wäre. Durch ein solches
Erfordernis würde der den Wohnungseigentümern eingeräumte Gestaltungsspielraum
bei der Kostenverteilung eingeschränkt und eine Verteilung für
eine bestimmte Art von Kosten vorgegeben. Zu Recht verweist das Berufungsgericht
darauf, dass nach der Gegenansicht eine Änderung der Verteilung einzelner
Erhaltungskosten der GdWE nur möglich wäre, wenn künftige gleich gelagerte
Fälle von vornherein ausgeschlossen wären (vgl. Grüner in Hügel, Wohnungseigentum,
5. Aufl., § 8 Rn. 48 und bereits Bonifacio,
Eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 16 Abs. 2 Satz 2
Alt. 1 WEG lässt sich jedoch weder dem Gesetz entnehmen noch entspricht dies
dem Willen des Gesetzgebers. In der Gesetzesbegründung wird im Gegenteil
gerade die abweichende Verteilung der Kosten eines Austauschs einzelner
Fenster als Beispiel für die Reichweite von § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WEG hervorgehoben
(vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 56).
(b) Eine andere Betrachtung ist auch nicht im Hinblick auf einen wirkungsvollen
Rechtsschutz der Wohnungseigentümer geboten (so aber LG Stuttgart,
zuvor für eine einzelne Instandsetzungsmaßnahme beschlossene Änderung der
Kostenverteilung zu berücksichtigen ist, kann nämlich ohnehin nicht hypothetisch
für künftige Fälle beurteilt werden, sondern nur für eine konkrete Maßnahme oder
einen bereits gefassten, konkreten Beschluss. Denn hierfür sind die jeweiligen
Umstände des Einzelfalles in den Blick zu nehmen, die erst im Hinblick auf eine
konkrete Maßnahme und nicht hypothetisch ermittelt werden können (vgl. bereits
Häublein,
im Hinblick auf eine konkrete Maßnahme möglich.
dd) Die Rüge der Revision, die Eigentümer hätten vor Beschlussfassung
darauf hingewiesen werden müssen, dass der beabsichtigte Beschluss zu einer
„Selbstbindung“ der GdWE im Sinne eines künftigen „Gleichbehandlungszwangs“
führe und eine verdeckte Änderung der Teilungserklärung darstelle, die
Wirksamkeitsbedenken unterliege, kann nach alledem schon deswegen keinen
Erfolg haben, weil die beschlossene Änderung der Kostenverteilung keinen Wirksamkeitsbedenken
unterlag und die Frage, wie in künftigen Fällen zu verfahren
ist, durch den Beschluss nicht zwingend vorgegeben wird, sondern zu gegebener
Zeit anhand der dann maßgeblichen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden
ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:22.03.2024
Aktenzeichen:V ZR 87/23
Rechtsgebiete:
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
WEG § 16 Abs. 2 S. 2