Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungssteuer; verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Verwendung geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln
letzte Aktualisierung: 8.5.2025
BFH, Urt. v. 20.11.2024 – II R 38/22
BewG § 14 Abs. 1 u. 2;
Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und
Schenkungsteuer; verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verwendung geschlechterdifferenzierender
Sterbetafeln
Die Anwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln bei der Bewertung lebenslänglicher
Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer im Rahmen von § 14
Abs. 1 des Bewertungsgesetzes verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Übertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger aufgrund des notariellen Vertrags vom …2014 gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) der Schenkungsteuer unterliegt (unter 1.). Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs hat es den Kapitalwert des Vorbehaltsnießbrauchs zutreffend gemäß
1. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Schenkungsteuer jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Die Übertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags vom …2014 erfüllt diese Voraussetzungen. Die Übertragung der Geschäftsanteile auf den Kläger stellt eine freigebige Zuwendung dar, da sie nicht von einer Gegenleistung des Klägers abhängig war, sondern unentgeltlich erfolgte. Insbesondere waren nach § 4 des notariellen Vertrags vom …2014 während der Dauer des Nießbrauchs sämtliche mit den übertragenen Geschäftsanteilen verbundenen Lasten, die sonst auf die GmbH-Gesellschafter und damit auch auf den Kläger entfallen wären, abweichend von der gesetzlichen Lastenverteilung von V zu tragen.
2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass das FA bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG den Kapitalwert des Nießbrauchs des V zutreffend in Abzug gebracht hat.
a) Als steuerpflichtiger Erwerb im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG gilt nach
b) Aus § 25 Abs. 1 ErbStG a.F., wonach der Erwerb von Vermögen, dessen Nutzungen dem Schenker zustanden, ohne Berücksichtigung dieser Belastungen besteuert wurde und die Steuer, die auf den Kapitalwert dieser Belastungen entfiel, bis zu deren Erlöschen zinslos gestundet wurde, folgt nichts anderes. Die Vorschrift ist durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 (BGBl I 2008, 3018, BStBl I 2009, 140) aufgehoben worden und gilt nur noch für Erwerbsvorgänge, für die die Steuer bis zum 31.12.2008 entstanden ist (BFH-Urteil vom 28.05.2019 - II R 4/16,
3. Wie vom FG zu Recht erkannt, hat das FA den Kapitalwert des Nießbrauchs des V auch der Höhe nach zutreffend gemäß § 14 Abs. 1 BewG ermittelt.
a) Die Bewertung des bei der Zuwendung der GmbH-Anteile vorbehaltenen Nießbrauchs richtet sich gemäß
b) Nach Maßgabe dieser gesetzlichen Regelungen ist die Berechnung des Kapitalwerts des Nießbrauchs durch das FA nicht zu beanstanden.
aa) Das FA hat den Kapitalwert des Nießbrauchs in der Weise berechnet, dass es den der Höhe nach unstreitigen Jahreswert des Nießbrauchs an den übertragenen GmbH-Anteilen in Höhe von 42.036 € mit einem Vervielfältiger in Höhe von 8,431 multipliziert hat. Diese Berechnung entspricht den gesetzlichen Vorgaben aus § 14 Abs. 1 Satz 2 und 4 BewG. Im Hinblick darauf, dass die Übertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger mit Wirkung zum 01.05.2014 erfolgte, ergibt sich der anzuwendende Vervielfältiger aus der am 02.10.2012 veröffentlichten Sterbetafel 2009/2011 des Statistischen Bundesamtes (vgl.
bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine von § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG abweichende Bestimmung des Vervielfältigers nach
cc) Ebenso hat das FA zu Recht davon abgesehen, bei der Berechnung des Kapitalwerts des Nießbrauchs den vom Kläger geltend gemachten Vervielfältiger von 9,509 anzusetzen. Soweit der Kläger sich zur Begründung des von ihm errechneten Vervielfältigers darauf beruft, dass Sterbefälle, die innerhalb des Korrekturzeitraums des § 14 Abs. 2 BewG erfolgen, bei einer "schlichten" Anwendung des § 14 Abs. 1 BewG doppelt berücksichtigt würden und daher nur solche Sterbefälle in die Berechnung des "mathematisch richtigen" Vervielfältigers einfließen dürften, die nach Ablauf dieses Korrekturzeitraums eingetreten seien, vermag sich der Senat dieser Betrachtungsweise nicht anzuschließen. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass bei der (schätzweisen) Ermittlung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen hinsichtlich der voraussichtlichen Lebenserwartung auf die jeweils aktuelle Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes zurückzugreifen ist (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 39). Zwar ist die Nutzung oder Leistung gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen, wenn dieser geringer oder höher ist als der Wert, der sich nach Absatz 1 ergibt. Die Vorschrift ermöglicht jedoch lediglich den Ansatz eines "nachweislich" abweichenden Werts, was gleichzeitig bedeutet, dass es sich um einen tatsächlichen Wert handeln muss (BFH-Beschluss vom 17.05.2023 - II B 82/22, BFH/NV 2023, 945, Rz 13). Der Kläger knüpft demgegenüber mit seiner Wertermittlungsmethode nicht an einen nachweislich anderen Wert zum Wertermittlungsstichtag an, sondern legt seiner Berechnung des Vervielfältigers eine Verbindung aus tatsächlich zurückgelegter Lebenszeit (dem durch § 14 Abs. 2 BewG vorgegebenen Berichtigungszeitraum) und einer statistischen Lebenserwartung zu einem späteren Zeitpunkt (dem Ende des Berichtigungszeitraums) zugrunde. Damit ersetzt er die gesetzliche Typisierung durch eine andere Typisierung auf abweichenden Berechnungsgrundlagen, was in § 14 Abs. 4 Satz 1 BewG keine Grundlage findet. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es bei Anwendung der gesetzlichen Regelungen auch nicht zu einer Doppelerfassung von Sterbefällen (vgl. hierzu bereits BFH-Beschluss vom 17.05.2023 - II B 82/22, BFH/NV 2023, 945, Rz 15).
Hinzu kommt, dass die Argumentation des Klägers darauf hinausläuft, dass bei der Ermittlung des Kapitalwerts des Nießbrauchs von einer höheren Lebenserwartung des V auszugehen wäre als diejenige, die sich nach der gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 und 4 BewG maßgebenden Sterbetafel für 74-jährige Männer ergibt (13,28 Jahre statt 11,21 Jahre). Der Nachweis eines vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Werts mit der Begründung, es sei mit einer kürzeren oder längeren Lebensdauer zu rechnen, als sie den Vervielfältigern des § 14 Abs. 1 BewG entspricht, ist jedoch nach
4. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur verfassungsgerichtlichen Prüfung, ob § 14 Abs. 1 BewG mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar ist, kommt nicht in Betracht. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Ermittlung des Kapitalwerts von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen nach unterschiedlichen Vervielfältigern für Männer und Frauen gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstößt.
a) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Vorschrift konkretisiert und verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Geschlecht darf grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn die Regelung nicht unmittelbar auf eine nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt. An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich nur dann vereinbar, wenn und soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach entweder nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Ausnahmsweise können sie auch durch sonstige Sachgründe zu rechtfertigen sein, die jedoch von erheblichem Gewicht sein müssen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 14.04.2010 - 1 BvL 8/08,
b) Bestimmt der Gesetzgeber eine Gruppe nach sachlichen Merkmalen, die nicht in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannt sind, so ist diese Regelung an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Etwas anderes gilt, wenn der vom Gesetzgeber gewählte, durch Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht verbotene sachliche Anknüpfungspunkt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend nur für eine Gruppe zutrifft oder die differenzierende Regelung sich weitgehend nur auf eine Gruppe im Sinne einer faktischen Benachteiligung auswirkt, deren Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG untersagt ist (mittelbare Diskriminierung). Eine Anknüpfung an das Geschlecht kann deshalb auch dann vorliegen, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Personen eines Geschlechts trifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 18.06.2008 - 2 BvL 6/07,
c) Nach diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ist die durch § 14 Abs. 1 BewG vorgegebene Ermittlung des Kapitalwerts von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen nach unterschiedlichen Vervielfältigern für Männer und Frauen am Maßstab des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu messen.
aa) Zwar führt die Heranziehung der nach dem Geschlecht differenzierenden Sterbetafeln im vorliegenden Fall nicht zu einer Benachteiligung des Klägers aufgrund seines eigenen Geschlechts im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, denn die Ermittlung des Kapitalwerts des Nießbrauchs bei der Festsetzung der Schenkungsteuer erfolgt im Streitfall nicht in Abhängigkeit von seinem Geschlecht, sondern dem Geschlecht (und Lebensalter) des V als Nießbrauchsberechtigten. Wäre Empfänger der zugewendeten nießbrauchsbelasteten Anteile eine Frau, wäre für den vorbehaltenen Nießbrauch kein anderer Kapitalwert zu berücksichtigen als derjenige, der im Streitfall beim Kläger in Ansatz gebracht worden ist.
bb) Indem § 14 Abs. 1 BewG zur Bestimmung der Vervielfältiger, die bei der Ermittlung des Kapitalwerts eines lebenslänglichen Nießbrauchs anzuwenden sind, unmittelbar an die sich aus den Sterbetafeln ergebende statistisch unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen anknüpft (vgl.
d) Nach Auffassung des Senats ist diese geschlechterbedingte Differenzierung im Rahmen der Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
aa) Die Verwendung der geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln im Rahmen von § 14 Abs. 1 BewG dient einem legitimen Ziel mit Verfassungsrang, nämlich die Kapitalwerte lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit zutreffenden Werten zu erfassen und entsprechend dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz der Besteuerung zugrunde zu legen. Im Hinblick auf die der Erbschaft- und Schenkungsteuer zugrunde liegende gesetzgeberische Belastungsentscheidung, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs und die dadurch eintretende Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erwerbers zu besteuern, erfordert eine gleichheitsgerechte Belastung der Steuerpflichtigen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG, dass für die zu einer Erbschaft oder Schenkung gehörenden Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die deren Werte zutreffend und in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. Eine diesem Gebot genügende Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist wegen der beschriebenen Belastungsentscheidung des Gesetzgebers nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am tatsächlichen (gemeinen) Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert. Nur dieser bildet den durch den Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit zutreffend ab und ermöglicht eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Belastungsentscheidung (vgl. hierzu BVerfG-Beschluss vom 07.11.2006 - 1 BvL 10/02,
bb) Die Verwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln ist zur Förderung des verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsziels, eine möglichst realitätsgerechte Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu gewährleisten, auch geeignet und erforderlich.
Da sich die Vergleichsgruppe der Frauen von der Vergleichsgruppe (gleichaltriger) Männer ausweislich der Sterbetafeln durch eine statistisch höhere Lebenserwartung unterscheidet, führt die Verwendung geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Vervielfältiger bei der Ermittlung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen zu genaueren und in ihrer Relation realitätsgerechteren Bewertungsergebnissen als die Verwendung von um das Geschlecht bereinigten Vervielfältigern. Es ist nicht ersichtlich, dass eine ebenso realitätsgerechte Schätzung der voraussichtlichen Dauer lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen durch eine andere, gleich wirksame Regelung auf der Bewertungsebene, die nicht an das Geschlecht der jeweils berechtigten Person anknüpft, erreicht werden könnte. Da die statistische Lebenserwartung ausgehend von einem bestimmten Lebensalter je nach Geschlecht unterschiedlich hoch ist, kann der tatsächliche Wert lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen vielmehr nur bei Zugrundelegung geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Sterbetafeln und daraus abgeleiteten Vervielfältigern annäherungsweise ermittelt werden.
cc) Die mit der Verwendung geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Sterbetafeln verfolgten verfassungsrechtlichen Ziele stehen nicht außer Verhältnis zu den mit einer solchen Regelung verbundenen Nachteilen.
Bei der gebotenen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Fallkonstellation die Anwendung der geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln für den Steuerpflichtigen steuerlich günstiger oder ungünstiger auswirken kann. So ist der zu versteuernde Kapitalwert bei der Zuwendung eines Nießbrauchs an eine Frau aufgrund ihrer statistisch längeren Lebenserwartung höher zu bewerten als bei der Zuwendung eines Nießbrauchs an einen Mann, was zu einer entsprechend höheren Schenkungsteuer führt. Spiegelbildlich wirkt sich bei einer Schenkung unter Abzug des Kapitalwerts des Nießbrauchs die Anwendung der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Vervielfältiger zum Nachteil aus, wenn es sich bei dem Schenker um einen Mann handelt, da der Kapitalwert des Nießbrauchs aufgrund seiner kürzeren Lebenserwartung in geringerem Maße steuermindernd in Abzug zu bringen ist als bei einer Schenkung durch eine Frau.
dd) Danach ergibt die gebotene Abwägung, dass das verfassungsrechtliche Erfordernis einer möglichst genauen Erfassung der Kapitalwerte für Zwecke der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit das Interesse an einer geschlechtsneutralen Bewertung überwiegt. Ließe man die statistisch unterschiedliche Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern aus außersteuerlichen Gründen wegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG außer Betracht, indem man der Bewertung eine um das Geschlecht bereinigte und somit auf einem Mittelwert basierende Sterbetafel zugrunde legte, hätte dies zur Folge, dass der mit einer Erbschaft oder Schenkung verbundene Vermögenszuwachs nicht mehr (annäherungsweise) gemäß seinem tatsächlichen Wert erfasst und der daraus resultierende Zuwachs an Leistungsfähigkeit im Rahmen der Bemessungsgrundlage nicht mehr hinreichend genau abgebildet werden würde. Bei der Abwägung ist zudem zu berücksichtigen, dass der sich bei Verwendung geschlechtsspezifischer Vervielfältiger ergebende höhere Kapitalwert des Zuwendungsnießbrauchs einer Frau lediglich Ausdruck einer höheren Bereicherung ist, weil statistisch betrachtet mit der höheren Lebenserwartung eine längere Dauer der Berechtigung einhergeht. Durch die Anwendung der geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln im Rahmen des § 14 Abs. 1 BewG soll daher gerade eine wirtschaftliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen erreicht werden (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2013 - 2 C 47.11, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report 2014, 394, Rz 32).
ee) Es handelt sich zwar um eine rein statistische Gleichbehandlung, weil die tatsächliche Lebensdauer von der bei der Bildung der Vervielfältiger unterstellten durchschnittlichen Lebensdauer abweichen kann. Gleichwohl legt der Gesetzgeber mit der Anknüpfung an die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Lebenserwartung im maßgebenden Bewertungszeitpunkt realitätsgerecht den typischen Fall zugrunde, was insbesondere durch die Heranziehung der jeweils aktuellsten Sterbetafel im Rahmen von § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG erreicht wird (vgl. Begründung zum Reichsbewertungsgesetz, RStBl 1935, 161, 163; vgl. auch BFH-Urteil vom 31.10.1969 - III R 45/66,
5. Auch ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Anwendungsbereich des vom Kläger angeführten primärrechtlichen Grundsatzes der Entgeltgleichheit aus Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Streitfall nicht eröffnet (vgl. z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Kowalska/Freie und Hansestadt Hamburg vom 27.06.1990 - C-33/89, EU:C:1990:265).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:20.11.2024
Aktenzeichen:II R 38/22
Rechtsgebiete:
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
BewG § 14 Abs. 1 u. 2; GG Art. 3 Abs. 3 S. 1; ErbStG § 12 Abs. 1