BGH 17. Dezember 2021
V ZR 44/21
BGB § 874 S. 1

Grunddienstbarkeit; schlagwortartige Bezeichnung im Grundbuch; Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung

letzte Aktualisierung: 11.2.2022
BGH, Urt. v. 17.12.2021 – V ZR 44/21

BGB § 874 S. 1
Grunddienstbarkeit; schlagwortartige Bezeichnung im Grundbuch; Bezugnahme auf die
Eintragungsbewilligung

Soll Inhalt eines durch eine Grunddienstbarkeit gesicherten Geh-, Fahr- und Leitungsrechts auch
das Recht zum Verweilen im Sinne eines Aufenthalts und eines beliebigen Hin- und Hergehens auf
dem dienenden Grundstück sein, muss dies im Grundbuch selbst zumindest schlagwortartig
eingetragen werden. Eine Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung gemäß § 874 Satz 1 BGB
genügt nicht.

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht meint, den Klägern stehe ein vorbeugender Unterlassungsanspruch
nach § 1027, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu, da das Bauvorhaben
der Beklagten die Ausübung der zu ihren Gunsten bestellten Grunddienstbarkeit
beeinträchtige, wenn nicht gar in weiten Teilen unmöglich mache. Die
Grunddienstbarkeit gewähre den Klägern das Recht zum Verweilen im Sinne eines
Aufenthalts und beliebigen Hin- und Hergehens auf dem ganzen dienenden
Grundstück. Der Begriff des Verweilens impliziere begrifflich einen Moment der
Erholung und des Müßiggangs. Etwas anderes folge nicht aus der Vorbemerkung
der Eintragungsbewilligung, denn darin werde der Inhalt der Grunddienstbarkeit
nicht abschließend geregelt. Der Inhalt der Eintragungsbewilligung sei Bestandteil
der Grundbucheintragung. Die Kläger müssten sich nicht unter Hinweis auf
§ 1020 Satz 1 BGB auf die Nutzung eines nach der geplanten Bebauung nur
noch verbleibenden Randstreifens verweisen lassen.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht
gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Kläger gegen die Beklagte
auf Unterlassen der Bebauung ihres Grundstücks nicht bejaht und ein Anspruch
der Beklagten auf Feststellung, dass die geplante Bebauung die Kläger
in ihren Rechten aus der Grunddienstbarkeit nicht verletzt, nicht verneint werden.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Der
Berechtigte einer Grunddienstbarkeit kann die Beseitigung bzw. die Unterlassung
der Beeinträchtigung der Dienstbarkeit verlangen (§ 1027 BGB i.V.m. § 1004
Abs. 1 BGB). Beeinträchtigung in diesem Sinn ist jede Störung oder Behinderung
der rechtmäßigen Ausübung der Dienstbarkeit. Dazu zählt auch die Vorenthaltung
des Grundstücks durch Aufbauten (vgl. § 1028 BGB sowie Senat, Urteil vom
22. Oktober 2010 - V ZR 43/10, BGHZ 187, 185 Rn. 18). Der Unterlassungsanspruch
aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ist schon dann gegeben, wenn, wie hier,
die Gefahr einer erstmaligen Beeinträchtigung besteht (vorbeugender Abwehranspruch;
vgl. Senat, Urteil vom 17. September 2004 - V ZR 230/03, BGHZ 160,
232, 236).

2. Das Berufungsgericht nimmt weiterhin rechtsfehlerfrei an, dass das
Recht zum Verweilen im Sinne eines Aufenthalts und eines beliebigen Hin- und
Hergehens auf dem dienenden Grundstück zulässiger Inhalt einer Grunddienstbarkeit
gemäß § 1018 BGB sein kann.

a) Nach § 1018 Alt. 1 BGB kann ein Grundstück mit einer Grunddienstbarkeit
in der Weise belastet werden, dass der jeweilige Eigentümer eines anderen
Grundstücks es in einzelnen Beziehungen benutzen darf (sog. Benutzungsdienstbarkeit).
Eine Benutzungsdienstbarkeit ist auch mit einer Kombination verschiedenartiger
Befugnisse zur Nutzung des dienenden Grundstücks zulässig
(Senat, Beschluss vom 6. November 2014 - V ZB 131/13, WM 2015, 935 Rn. 17).
b) Entgegen der Ansicht der Revision wird mit dem Recht zum Begehen
und Verweilen kein umfassendes Nutzungsrecht des Berechtigten begründet,
das nur als Nießbrauch (§ 1030 BGB) eingeräumt werden könnte (zur Abgrenzung
zwischen Nießbrauch und Grunddienstbarkeit vgl. Senat, Urteil vom
20. März 2020 - V ZR 317/18, BGHZ 225, 136 Rn. 18 f. mwN). Dem Dienstbarkeitsberechtigten
werden mit einem solchen Nutzungsrecht nicht dieselben Nutzungsbefugnisse
eingeräumt, die auch dem Eigentümer zustehen. Das Recht,
das dienende Grundstück zu begehen und darauf zu verweilen, bleibt vielmehr
gegenüber den Befugnissen des Grundstückseigentümers aus § 903 BGB zurück.
Ob dem Eigentümer des mit einer Grunddienstbarkeit belasteten Grundstücks
noch eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeit verbleibt, ist ohne
Belang (vgl. Senat, Urteil vom 20. März 2020 - V ZR 317/18, aaO Rn. 17 ff.).

c) Eine Dienstbarkeit mit diesem Inhalt verstößt nicht gegen § 1019 BGB.
Nach dieser Vorschrift ist als Inhalt der Grunddienstbarkeit zwar nur eine Belastung
zulässig, die für die Benutzung des herrschenden Grundstücks Vorteil bietet.
Es genügt aber jeder - wenn auch nur mittelbare - wirtschaftliche Vorteil für
die Benutzung des herrschenden Grundstücks nach dessen Lage, Beschaffenheit
und Zweckbestimmung (vgl. Senat, Urteil vom 24. September 1982
- V ZR 96/81, NJW 1983, 115, 116; Urteil vom 20. März 2020 - V ZR 317/18,
BGHZ 225, 136 Rn. 24 mwN). Für die Benutzung des herrschenden Grundstücks
kann es wirtschaftlich vorteilhaft sein, wenn die auf dem dienenden Grundstück
vorhandene Grünfläche umfassend zum Gehen und Verweilen zum Zwecke der
Erholung genutzt werden kann. Handelt es sich - wie hier - bei dem herrschenden
Grundstück um ein Wohngrundstück, liegt auch in der Annehmlichkeit des Wohnens
neben einer Grün- und Erholungsfläche ein wirtschaftlicher, den Wohnwert
beeinflussender Vorteil für die Benutzung des Grundstücks (vgl. Senat, Urteil
vom 24. September 1982 - V ZR 96/81, NJW 1983, 115, 116 mwN).

3. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, hier
sei ein umfassendes Recht zum Verweilen im Sinne eines Aufenthalts und eines
beliebigen Hin- und Hergehens Inhalt der Grunddienstbarkeit. Ausgehend davon,
dass sich aus der Eintragungsbewilligung ein solches umfassendes Recht der
Kläger zum Verweilen auf dem gesamten dienenden Grundstück ergibt, hätte
dieses Recht, um zur Entstehung zu gelangen, zumindest schlagwortartig in das
Grundbuch selbst eingetragen werden müssen.

a) § 874 BGB lässt zur Entlastung des Grundbuchs eine Bezugnahme auf
die Eintragungsbewilligung nur zur näheren Bezeichnung des Inhalts des Rechtes
zu. Der wesentliche Inhalt des Benutzungsrechts muss zumindest schlagwortartig
im Grundbuch selbst gekennzeichnet sein (vgl. Senat, Urteil vom
22. September 1961 - V ZB 16/61, BGHZ 35, 378, 382; Urteil vom 29. September
2007 - V ZR 25/06, WM 2006, 2226 Rn. 13; Urteil vom 21. Dezember 2012
- V ZR 221/11, NJW 2013, 1963 Rn. 11; Urteil vom 20. März 2020 - V ZR 317/18,
BGHZ 225, 136 Rn. 7). Der Rechtsinhalt muss aufgrund objektiver Umstände
erkennbar und für einen Dritten verständlich sein, so dass dieser in der Lage ist,
die hieraus folgende höchstmögliche Belastung des Grundstücks einzuschätzen
oder zumindest eine ungefähre Vorstellung davon zu gewinnen, welche Bedeutung
die Dienstbarkeit für das Eigentum haben kann (vgl. Senat, Beschluss vom
13. September 2018 - V ZB 2/18, ZfIR 2019, 274 Rn. 15). Enthält eine Dienstbar-
keit - wie hier - eine Kombination verschiedener Befugnisse, ist der verschiedenartige
Inhalt der Dienstbarkeit im Grundbuch selbst anzugeben (vgl. Senat, Beschluss
vom 6. November 2014 - V ZB 131/13, WM 2015, 935 Rn. 17). Soll Inhalt
eines durch eine Grunddienstbarkeit gesicherten Geh-, Fahr- und Leitungsrechts
auch das Recht zum Verweilen im Sinne eines Aufenthalts und eines beliebigen
Hin- und Hergehens auf dem dienenden Grundstück sein, muss dies deshalb im
Grundbuch selbst zumindest schlagwortartig eingetragen werden. Eine Bezugnahme
auf die Eintragungsbewilligung gemäß § 874 Satz 1 BGB genügt nicht.
b) Der vorliegende Eintrag im Grundbuch entspricht in Bezug auf die Nutzungsart
des Verweilens diesen Anforderungen nicht. Eingetragen ist ein Geh-,
Fahr- und Leitungsrecht. Mit der Bezeichnung als Gehrecht ist das Recht zum
Verweilen entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht schlagwortartig
angegeben. Ein Gehrecht ist zwar nicht ohne Weiteres mit einem Wegerecht
gleichzusetzen, dies allerdings deshalb, weil das Wegerecht, anders als das
Gehrecht, auch das Befahren mit einem üblichen Fahrzeug umschließt (vgl. Senat,
Urteil vom 18. September 2020 - V ZR 28/20, NJW 2021, 1397 Rn. 7).
Ebenso wie mit einem Wegerecht verbindet der unbefangene Betrachter mit
einem Gehrecht nächstliegend aber nur das Recht, das dienende Grundstück zu
überqueren, nicht hingegen die Befugnis, sich auf der gesamten Fläche aufzuhalten
und beliebig hin- und herzugehen. Das bedeutet, dass der Berechtigte auf
dem belasteten Grundstück nur verweilen darf, um das Gehrecht in verkehrsüblicher
Weise ausführen zu können (zum Fahrrecht vgl. Senat, Urteil vom 30. April
1965 - V ZR 17/63, WM 1965, 1009, 1011). Das dienende Grundstück muss in
diesem Fall nicht von Baulichkeiten freigehalten werden. Das gilt, anders als die
Revisionserwiderung meint, auch dann, wenn der Ausübungsbereich des Gehrechts
nicht - was möglich ist (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 16. Februar 1984
- V ZB 8/83, BGHZ 90, 181, 183; Urteil vom 4. Dezember 2015 - V ZR 22/15 WM
2016, 1089 Rn. 36) - festgelegt worden ist. Auch dann gewährt das Gehrecht nur
ein Überquerungsrecht, und der Berechtigte muss bei der Wahl der Trasse das
Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks schonen (§ 1020 Satz 1
BGB).

Das Recht zum Verweilen im Sinne eines Aufenthalts und beliebigen Hinund
Hergehens auf dem dienenden Grundstück geht demgegenüber über ein
bloßes Gehrecht hinaus. Es schränkt den Eigentümer des dienenden Grundstücks
erheblich mehr ein, als dies in der schlagwortartigen Bezeichnung Geh-,
Fahr- und Leitungsrecht zum Ausdruck kommt.

c) Die Eintragungsbewilligung, die das Recht zum Verweilen gewährt, hat
einen weitergehenden Inhalt als der Eintrag im Grundbuch. Insoweit ist die Bezugnahme
auf die Eintragungsbewilligung gemäß § 874 BGB unzulässig. Der
nicht zulässig in Bezug genommene Teil der Eintragungsbewilligung, die das
Recht zum Verweilen betrifft, wirkt nicht als Eintragung; das Recht hat allein den
aus dem Eintragungsvermerk ersichtlichen Inhalt (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober
2007 - V ZR 211/06, BGHZ 174, 61 Rn. 19 mwN; Beschluss vom 6. November
2014 - V ZB 131/13, WM 2015, 935 Rn. 23 ff.).

III.
Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist
nicht zur Endentscheidung reif, weil weitere Feststellungen zu treffen sind. Sie ist
daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Es hat zu prüfen, ob die von
der Beklagten geplante Bebauung, auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes
der schonenden Rechtsausübung (§ 1020 Satz 1 BGB), die Grunddienstbarkeit,
soweit sie entstanden ist, beeinträchtigt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

17.12.2021

Aktenzeichen:

V ZR 44/21

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

NJW-RR 2022, 594-596

Normen in Titel:

BGB § 874 S. 1