Versorgungsausgleich; gerichtlicher Vergleich; Abgeltungsklausel bzgl. Berufsunfähigkeitsrenten
letzte Aktualisierung: 18.1.2023
BGH, Beschl. v. 10.8.2022 – XII ZB 83/20
VersAusglG §§ 6, 27, 28;
Versorgungsausgleich; gerichtlicher Vergleich; Abgeltungsklausel bzgl.
Berufsunfähigkeitsrenten
a) Vereinbaren Ehegatten in einem gerichtlichen Vergleich mit allgemeiner Abgeltungsklausel, dass
Berufsunfähigkeitsrenten iSd § 28 VersAusglG vollständig der Unterhaltsberechnung zugrunde
gelegt werden, muss das Gericht gemäß § 26 FamFG aufklären, ob der Vergleich auch einen
(teilweisen) Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 6 VersAusglG beinhaltet, oder ob ein
(teilweiser) Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG geboten ist (im Anschluss
an Senatsbeschlüsse
84/13 –
b) Für einen Ausgleich eines Anrechts gemäß § 28 VersAusglG genügt es grundsätzlich, wenn der
Ausgleichsberechtigte die gesundheitlichen Voraussetzungen einer (teilweisen) Erwerbsminderungsrente
in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt.
c) Die Zahlungspflicht des ausgleichspflichtigen Ehegatten kann unter den Voraussetzungen des
§ 28 Abs. 3 VersAusglG iVm § 20 Abs. 3 VersAusglG und
der Rechtskraft der Ehescheidung und nicht erst mit der Rechtskraft der Entscheidung zum
Versorgungsausgleich beginnen.
d) § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FamGKG, wonach bei Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung für
jedes Anrecht 20 Prozent des Einkommens zugrunde zu legen ist, findet auf den Ausgleich gemäß
§ 28 VersAusglG auch dann keine Anwendung, wenn die Entscheidung hierüber nach der
Scheidung erfolgt. Bestehen bei einem Versorgungsträger aufgrund verschiedener Verträge mehrere
Anrechte, sind diese gebührenrechtlich gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 FamGKG gesondert zu
erfassen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten im Rahmen eines aus
dem Scheidungsverbund abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahrens um
den Ausgleich dreier privater Berufsunfähigkeitsrenten des Antragstellers.
Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und die Antragsgegnerin (im
Folgenden: Ehefrau) haben am 18. Juli 1989 die Ehe geschlossen. Der Scheidungsantrag
wurde am 2. Juli 2014 zugestellt.
Seit März 2002 bezog der Antragsteller aus drei Versicherungen bei der
Beteiligten zu 1 Berufsunfähigkeitsrenten in Höhe von zweimal je 667,23 erteljährlich
und einmal 145,36 waren nach den Feststellungen
des Oberlandesgerichts bis März 2022 befristet.
Vor dem Amtsgericht schlossen die Ehegatten im Scheidungsverbundverfahren
am 2. April 2019 einen Vergleich, wonach die Ehefrau auf rückständigen
Trennungsunterhalt verzichtet und keinen Zugewinnausgleich erhält, während
der Ehemann ihr seinen Miteigentumsanteil am ehelichen Haus überträgt und
sich ab April 2019 zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Höhe von monatlich
397 istet bis März 2022. Der Vergleich enthält zudem die
folgende
vermögensrechtlichen Ansprüche der Eheleute - seien sie bekannt oder unbekannt
-
Im gleichen Termin hat das Amtsgericht den Versorgungsausgleich abgetrennt
und die Ehe geschieden. Der Scheidungsbeschluss ist seit dem 2. April
2019 rechtskräftig.
Den abgetrennten Versorgungsausgleich hat das Amtsgericht durch Beschluss
vom 1. August 2019 geregelt. Dabei hat es unter anderem angeordnet,
dass ein Versorgungsausgleich hinsichtlich der drei Berufsunfähigkeitsrenten
des Ehemanns nicht stattfindet. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau
hat das Oberlandesgericht den Ehemann verpflichtet, zum Ausgleich seiner
drei Berufsunfähigkeitsrenten an die Ehefrau ab dem 2. April 2019 bis einschließ-
lich März 2022 monatlich 295,09
deentscheidung bis März 2022 seine hälftigen Ansprüche aus den drei Versicherungen
erfüllungshalber an die Ehefrau abzutreten. Hiergegen richtet sich die zugelassene
Rechtsbeschwerde des Ehemanns, mit der er die Wiederherstellung
der amtsgerichtlichen Entscheidung anstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen
hat (§ 70 Abs. 1 FamFG). Diese Zulassung enthält keine wirksame Beschränkung.
Zwar hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde im Tenor
ssache in Bezug auf die Frage, wann der
Anspruch auf eine schuldrechtliche Ausgleichsrente beginnt, grundsätzliche Be-
, weil
sich der Formulierung eine Beschränkung auf einen abgrenzbaren Teil des
Verfahrensstoffs nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen lässt (vgl.
Senatsbeschluss vom 27. Februar 2019 - XII ZB 183/16 -
Rn. 12).
Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil das
Beschwerdegericht seine Pflicht verletzt hat, die zur Feststellung der entscheidungserheblichen
Tatsachen erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen selbst
durchzuführen (§ 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG iVm § 26 FamFG).
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
die privaten Berufsunfähigkeitsrenten seien gemäß § 28 VersAusglG
auszugleichen. Der Leistungsfall liege in der Ehezeit und die Ehefrau erfülle nach
dem vom Familiengericht eingeholten Sachverständigengutachten seit dem
Ehezeitende die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI, da sie weniger als sechs Stunden
täglich arbeiten könne. Aus den gemäß § 28 Abs. 3 VersAusglG anzuwendenden
Regelungen über den Wertausgleich nach der Scheidung (§§ 20 bis 22
VersAusglG) und aus § 137 Abs. 2 Satz 2 FamFG folge zudem, dass maßgeblicher
Zeitpunkt für den Beginn der Ausgleichspflicht die Rechtskraft der Scheidung
sei.
Auch wenn eine Verrechnung rückständiger Ausgleichsansprüche mit
nachehelichem Unterhalt grundsätzlich in Betracht komme, setze dies jedoch
voraus, dass berechenbar sei, inwieweit unter Berücksichtigung des Ausgleichsanspruchs
ein zu hoher Unterhaltsbetrag gezahlt worden sei. Dies sei hier nicht
möglich, weil die Unterhaltszahlung auf einem Vergleich beruhe, welcher keine
Berechnungsgrundlage enthalte, und die Ehegatten darüber stritten, ob und inwieweit
die Berufsunfähigkeitsrenten der Unterhaltsberechnung zugrunde gelegen
hätten. Der Unterhaltsvergleich könne wegen Fehlens oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage
gemäß § 239 FamFG auch rückwirkend abgeändert werden.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Im Ansatz zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet ist
das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass durch Arbeit oder Vermögen
geschaffene Berufsunfähigkeitsversicherungen als Anrechte aus der privaten Invaliditätsvorsorge
grundsätzlich nach
Versorgungsausgleich unterliegen.
b) Das Beschwerdegericht hat allerdings nicht hinreichend geprüft, ob die
Vereinbarung der Beteiligten vom 2. April 2019 einem Ausgleich der Berufsunfähigkeitsrenten
entgegensteht. Denn nach
die Ehegatten Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich schließen, wodurch
es ihnen erlaubt wird, den Versorgungsausgleich anstelle der gesetzlichen
Teilung durch eine Vereinbarung zu gestalten. Dabei ist die Aufzählung der
Handlungsmöglichkeiten in § 6 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG nur beispielhaft, aber
nicht abschließend.
Hinsicht keine Einschränkung ihrer Dispositionsbefugnis auf (vgl. Senatsbeschluss
vom 30. April 2014 - XII ZB 668/12 -
aa) Im Rahmen ihrer umfassenden Dispositionsbefugnis können die Ehegatten
nicht nur - ausdrücklich oder konkludent - einen gegenseitigen vollständigen
oder teilweisen Ausschluss des Versorgungsausgleichs der von ihrer Abrede
erfassten wechselseitigen Anrechte vereinbaren (vgl. Senatsbeschluss vom
30. April 2014 - XII ZB 668/12 -
für den Fall, dass der an sich unterhaltsberechtigte Ehegatte gegen seinen geschiedenen
Ehegatten auch einen Anspruch auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich
hat, einen Ausschluss des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs
bei vollständiger Berücksichtigung der dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich
unterliegenden Anrechte bei der Berechnung des Unterhalts vereinbaren,
begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Eine solche Vereinbarung steht im
Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juni
2014 - XII ZB 658/10 -
Haben die Ehegatten eine Vereinbarung nach
ist das Gericht nach § 6 Abs. 2 VersAusglG an diese Vereinbarung
gebunden, wenn die formellen Voraussetzungen nach § 7 VersAusglG erfüllt sind
und die Vereinbarung materiell-rechtlich zum einen einer richterlichen Inhaltsund
Ausübungskontrolle am Maßstab der §§ 138, 242 BGB standhält (§ 8 Abs. 1
VersAusglG) und zum anderen (§ 8 Abs. 2 VersAusglG) keinen unzulässigen
Vertrag zu Lasten des beteiligten Versorgungsträgers darstellt (vgl. Senatsbeschluss
vom 30. April 2014 - XII ZB 668/12 -
bb) Gemäß § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung
der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen
durchzuführen. Diese Verpflichtung gilt nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auch im
Beschwerdeverfahren.
(1) Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, im Rahmen
pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen
anzustellen. Zwar lassen sich die Anforderungen, die dabei an Umfang
und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters zu stellen sind, nur in
sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen (vgl.
163 =
nachgegangen zu werden. Eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht besteht
jedoch insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher
bei sorgfältiger Prüfung hierzu Anlass geben. Die Ermittlungen sind erst
dann abzuschließen, wenn von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die
Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (vgl. Senatsbeschluss
(2) Trägt danach der ausgleichspflichtige Ehegatte im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens
auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich hinreichende
tatsächliche Anhaltspunkte für einen gerichtlichen Vergleich der Ehegatten vor,
wonach die dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterfallenden Anrechte
bereits vollständig bei der Berechnung des Unterhalts des Ausgleichsberechtigten
berücksichtigt wurden (vgl. Wendl/Dose/Schmitz Das Unterhaltsrecht
in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 10 Rn. 263 mwN), wird das Be-
schwerdegericht seiner Verpflichtung, die zur Feststellung der entscheidungserheblichen
Tatsachen erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen selbst durchzuführen,
nicht gerecht, wenn es diesen Anhaltspunkten nicht nachgeht.
cc) Gemessen daran rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht
seine Verpflichtung verletzt hat, die zur Feststellung der entscheidungserheblichen
Tatsachen erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen
selbst durchzuführen (§ 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG iVm § 26 FamFG).
(1) Die Rechtsbeschwerde verweist zu Recht darauf, der Ehemann habe
während des Beschwerdeverfahrens wiederholt darauf hingewiesen, dass seine
Berufsunfähigkeitsrenten bei der Unterhaltsberechnung im Vergleich vom 2. April
2019 vollständig berücksichtigt worden seien. Zudem habe er eine nachvollziehbare
Berechnung des Unterhalts auf der Grundlage der Einkommensverhältnisse
der Ehegatten vorgelegt und sich für den Inhalt des Vergleichs auf das Zeugnis
der erstinstanzlichen Familienrichterin berufen. Hinzu kommt, dass das Vorbringen
des Ehemanns durch die Befristung des nachehelichen Unterhalts bis zum
Wegfall der Berufsunfähigkeitsrenten und den Ausschluss des schuldrechtlichen
Versorgungsausgleichs durch das Amtsgericht gestützt wird. Bei dieser Sachlage
wird es der Aufklärungs- und Ermittlungspflicht des Beschwerdegerichts nicht
gerecht, dass es den Inhalt des gerichtlichen Vergleichs der Ehegatten vom
2. April 2019 nicht weiter aufgeklärt hat. Denn trifft das Vorbringen des Ehemanns
zu, kommt sowohl eine Auslegung des gerichtlichen Vergleichs dahingehend
in Betracht, dass er zugleich einen (konkludenten) Ausschluss des schuldrechtlichen
Versorgungsausgleichs nach § 6 VersAusglG enthält, als auch ein
(teilweiser) Ausschluss des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs nach § 27
VersAusglG. Dabei dürfte insbesondere auch die im Vergleich enthaltene Abgeltungsklausel
zu berücksichtigen sein, zu der das Beschwerdegericht bislang
keine Feststellungen getroffen hat.
(2) Dabei steht einer Auslegung des gerichtlichen Vergleichs - anders
als das Beschwerdegericht meint - nicht entgegen, dass er keine formulierten
Grundlagen enthält. Denn auch in einem solchen Fall ist im Wege einer interessengerechten
Auslegung, die weitere Umstände der getroffenen Vereinbarung
berücksichtigt, zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Beteiligten insoweit
eine bindende Regelung getroffen haben (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom
5. Dezember 2012 - XII ZB 670/10 -
=
Zwar ist die Ermittlung des Inhalts und der Bedeutung von Individualvereinbarungen
grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Die Auslegung durch den
Tatrichter kann jedoch vom Rechtsbeschwerdegericht darauf überprüft werden,
ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder
allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze
verletzt sind oder ob die Auslegung auf im Rechtsbeschwerdeverfahren
gerügten Verfahrensfehlern beruht (vgl. Senatsbeschlüsse
=
Vorliegend hat das Beschwerdegericht wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt
gelassen, indem es das Vorbringen des Ehemanns einschließlich
des Beweisangebots ebenso übergangen hat wie die sich aus den erstinstanzlichen
Akten ergebenden Anhaltspunkte für die Unterhaltsberechnung.
c) Die angefochtene Entscheidung ist auch deswegen rechtsfehlerhaft,
weil das Beschwerdegericht eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs
nach § 27 VersAusglG nicht hinreichend geprüft hat.
Gemäß § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise
nicht statt, soweit er grob unbillig wäre, was nur der Fall ist, wenn die gesamten
Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
Dies kommt nach der Rechtsprechung des Senats insbesondere dann in
Betracht, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte an dem im Versorgungsausgleich
auszugleichenden Anrecht bereits auf andere Weise partizipiert hat
(vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. August 2016 - XII ZB 84/13 - FamRZ 2016,
2000 Rn. 26 zu aus dem ungeteilten Anrecht bezogenen und im Rahmen einer
Unterhaltsberechnung berücksichtigten Leistungen und vom 21. September
2016 - XII ZB 453/14 -
an einer Abfindung).
Hat der an sich unterhaltsberechtigte Ehegatte - wie hier - gegen seinen
geschiedenen Ehegatten einen Anspruch auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich,
so mindert die Zahlung der Ausgleichsrente die Leistungsfähigkeit des
Ausgleichspflichtigen sowie die Bedürftigkeit des Ausgleichsberechtigten mit der
Folge, dass ein Unterhaltsanspruch nicht mehr oder nur in verminderter Höhe
besteht. Hat der Ausgleichspflichtige Leistungen auf einen Unterhaltstitel zu erbringen,
erscheint es hiernach regelmäßig unbillig, ihn auf einen Bereicherungsanspruch
zu verweisen, den er erst nach einem erfolgreichen Abänderungsantrag
realisieren kann. Der Ausgleichspflichtige müsste in diesem Fall zunächst
die rückständige Ausgleichsrente in voller Höhe leisten, obwohl er keine Gewissheit
hätte, seine Ansprüche auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Unterhalts
auch später durchsetzen zu können. Allerdings wird dem Ausgleichspflichtigen
zur Vermeidung dieses treuwidrigen Ergebnisses nach Zahlung der rückständigen
Ausgleichsrente ein aus Treu und Glauben folgender Anspruch auf Erstattung
eines Teils der gezahlten Rente eingeräumt, dessen Höhe sich danach bemisst,
inwieweit sich der Unterhaltsanspruch ermäßigt hätte, wenn die Rente
schon während des fraglichen Zeitraums an den ausgleichsberechtigten Ehegatten
gezahlt worden wäre. Da der Ausgleichspflichtige demnach die auf die rückständige
Rente zu erbringenden Zahlungen in der fraglichen Höhe sofort nach
Zahlung zurückfordern könnte, kann er dies bereits im Rahmen des § 27
VersAusglG dem Anspruch des Ausgleichsberechtigten entgegenhalten (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 25. Juni 2014 - XII ZB 658/10 -
mwN und vom 2. Februar 2011 - XII ZB 133/08 -
mwN).
3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.
Sie ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist nach § 74
Abs. 6 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil sie wegen
der fehlenden Ermittlungen noch nicht zur Endentscheidung reif ist.
4. Sollte das Beschwerdegericht auf der Grundlage der erforderlichen
Ermittlungen nicht einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 6
VersAusglG oder eine Beschränkung gemäß § 27 VersAusglG feststellen können,
weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde begegnet es keinen
rechtlichen Bedenken, soweit das Beschwerdegericht davon ausgegangen ist,
für einen Ausgleich gemäß § 28 VersAusglG genüge es, wenn - wie hier - der
ausgleichsberechtigte Ehegatte wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung
keiner vollschichtigen Berufstätigkeit mehr nachgehen kann und die gesundheitlichen
Voraussetzungen einer (teilweisen) Erwerbsminderungsrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt (vgl. OLG Stuttgart Beschluss vom
10. September 2020 - 16 UF 53/20 - juris Rn. 21 zur Beamtenversorgung;
OLG Karlsruhe
Kapitel 3 Rn. 187 und 190; Soergel/Koch Bürgerliches Gesetzbuch 13. Aufl.
§ 28 VersAusglG Rn. 4 f. und 29; MünchKommBGB/Ackermann-Sprenger
8. Aufl. VersAusglG § 28 Rn. 7; NK-BGB/Götsche 4. Aufl. § 28 VersAusglG
Rn. 9; Holzwarth in Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 7. Aufl. § 28
VersAusglG Rn. 5; Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 351).
Für dieses weite Verständnis spricht bereits der Wortlaut des § 28
VersAusglG
Voraussetzungen einer anderen als der auszugleichenden Invaliditätsversorgung
vorliegt. Dies wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung. Zwar ist dort
missverständlich formuliert, dass
ausgleichspflichtigen Person die Ausgleichspflicht auslöse, sodass es gerechtfertigt
sei, dies spiegelbildlich auch bei der ausgleichsberechtigten Person als
Voraussetzung für die Teilhabe zu verlangen (BT-Drucks. 16/10144 S. 69). Andererseits
beruht die Entscheidung gegen eine interne Teilung und für einen
schuldrechtlichen Ausgleich des Anrechts darauf, dass die ausgleichsberechtigte
Person auch bei eigener Invalidität von einer internen Teilung des Anrechts nicht
zwingend profitieren würde. Eine Leistung aus diesem Anrecht würde sie nämlich
nur dann erhalten, wenn auch die in ihrer Versorgung vertraglich vereinbarten
Voraussetzungen für die Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit erfüllt wären. Sei die
ausgleichsberechtigte Person aber nicht erwerbstätig, könne sie keine Leistung
aus einem solchen Anrecht erhalten. Zum anderen wären aufwendige Gesundheitsprüfungen
erforderlich, da oftmals bestimmte Risiken ausgeschlossen
seien (BT-Drucks. 16/10144 S. 69). Damit sollte nach der gesetzgeberischen Intention
die Erfüllung der Invaliditätsvoraussetzungen nach Maßgabe der auszugleichenden
Versorgung gerade nicht Voraussetzung der Anwendung des § 28
VersAusglG sein.
Die Anwendung des § 28 VersAusglG auch auf die nur teilweise Verminderung
der Erwerbsfähigkeit wird durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 VersAusglG bestätigt,
wonach Anrechte dem Ausgleich un
Invalidität, insbesondere wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähig-
. Hiermit sollte ausdrücklich jede anspruchsbegründende
Einschränkung der Arbeits- und Dienstfähigkeit vor dem Erreichen
der Regelaltersgrenze erfasst werden (vgl. BT-Drucks. 16/10144 S. 46; Soergel/
Koch BGB 13. Aufl. § 28 VersAusglG Rn. 4 f.).
b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, begegnet es ebenfalls keinen
rechtlichen Bedenken, soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, die Zahlungspflicht
des Ehemanns beginne bereits mit der Rechtskraft der Ehescheidung
und nicht erst mit der Rechtskraft der Entscheidung über den zuvor abgetrennten
Versorgungsausgleich (vgl. OLG Karlsruhe
Gemäß § 28 Abs. 3 VersAusglG gelten für die Durchführung des Ausgleichs
die §§ 20 bis 22 VersAusglG entsprechend. Daher findet gemäß § 20
Abs. 3 VersAusglG iVm
Anwendung. Hieraus ergibt sich, dass ein Anspruch aus § 28 VersAusglG unter
den dort genannten Voraussetzungen auch für vor der Rechtskraft der Entscheidung
zum Versorgungsausgleich liegende Zeiträume bestehen kann. Dies wird
zudem von
Ansprüche keine Abtretung verlangt werden kann. Dies aber setzt die Möglichkeit
rückständiger Ansprüche aus § 28 VersAusglG voraus.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass es sich bei
dem Ausgleich gemäß § 28 VersAusglG um einen Wertausgleich bei der Scheidung
handelt. Zwar ist bei Forderungen, deren Höhe durch einen richterlichen
Gestaltungsakt bestimmt wird, die Fälligkeit bis zur Rechtskraft der gerichtlichen
Gestaltungsentscheidung aufgeschoben (vgl. zum Zinsanspruch BGH Urteil vom
4. Juli 2013 - III ZR 52/12 -
BGB 81. Aufl. § 286 Rn. 13 und § 315 Rn. 17). Anders als bei der internen Teilung
nach § 10 Abs. 1 VersAusglG (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 26. Januar
2011 - XII ZB 504/10 -
2014 - XII ZB 353/12 -
Abs. 1 VersAusglG jedoch nicht von einer Gestaltungsentscheidung abhängig.
Dies hat der Senat zum Anspruch gegen den Versorgungsträger der Hinterbliebenenversorgung
gemäß § 25 VersAusglG bereits entschieden (Senatsbeschlüsse
vom 16. August 2017 - XII ZB 327/16 -
mwN und vom 22. Juni 2022 - XII ZB 584/18 - juris Rn. 18). Auch wenn § 28
Abs. 1 VersAusglG im Gegensatz zu § 25 VersAusglG nicht die Formulierung
, sondern die Formulierung ist dieser nicht von
einer gerichtlichen Gestaltungsentscheidung abhängig. Der Gesetzgeber hat
sich beim Ausgleich privater Invaliditätsversorgungen bewusst gegen einen Ausgleich
im Wege der internen Teilung entschieden (BT-Drucks. 16/10144 S. 69)
und die Durchführung gemäß § 28 Abs. 3 VersAusglG den Regeln der schuldrechtlichen
Ausgleichszahlungen unterworfen. Soweit teilweise in der Literatur
vertreten wird, der Anspruch entstehe erst mit der Rechtskraft der Entscheidung
zum Versorgungsausgleich (Borth Versorgungsausgleich 9. Aufl. Kapitel 3
Rn. 191; MünchKommBGB/Ackermann-Sprenger 8. Aufl. § 28 Rn. 16), vermag
dies daher nicht zu überzeugen.
5. Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 und Abs. 2 FamGKG.
a) § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FamGKG, wonach bei Ausgleichsansprüchen
nach der Scheidung für jedes Anrecht 20 Prozent des Einkommens zugrunde zu
legen ist, findet auf den Anspruch aus § 28 VersAusglG auch dann keine Anwendung,
wenn die Entscheidung - wie hier - über den aus dem Verbund abgetrennten
Versorgungsausgleich zeitlich nach der Scheidung erfolgt. Die Formulierung
sich auf die amtliche Überschrift vor § 20 VersAusglG und umfasst lediglich die
in Abschnitt 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes genannten Ansprüche aus
§§ 20 bis 26 VersAusglG (vgl. KG
vom 16. August 2010 - 8 WF 155/10 - juris Rn. 1; OLG Köln Beschluss vom
27. August 2018 - 10 UF 79/18 - juris Rn. 6; Schneider in Schneider/Volpert/
Fölsch FamGKG 3. Aufl. § 50 Rn. 17 ff.; Schneider
Rahm/Künkel Handbuch Familien und Familienverfahrensrecht [Stand: September
2021] Verfahrenswert Rn. 149). § 28 VersAusglG fällt nicht hierunter
(OLG Koblenz
VersAusglG auf einzelne in §§ 20 bis 26 VersAusglG genannte Vorschriften äneichs
(BeckOGK/Fricke [Stand: 1. Mai 2022] VersAusglG § 28
Rn. 104 f., 121).
b) Bei der Wertbemessung ist von drei Anrechten auszugehen. Nach
der überwiegend vertretenen und zutreffenden Auffassung sind mehrere bei einem
Versorgungsträger aufgrund verschiedener Verträge bestehende Anrechte
gebührenrechtlich gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 FamGKG gesondert zu berücksichtigende
Anrechte, auch wenn sie - wie hier - in einer einheitlichen
Auskunft vom Versorgungsträger mitgeteilt wurden (vgl. OLG Brandenburg
juris Rn. 18 ff.; OLG Bamberg
Handbuch Familien und Familienverfahrensrecht [Stand: September 2021] Verfahrenswert
Rn. 151; Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 597;
Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 3. Aufl. § 50 Rn. 40 ff.;
BeckOGK/Schüßler VersAusglG [Stand: 1. Mai 2022] § 1 Rn. 63.1; vgl. auch
OLG Dresden AGS 2014, 480, 481 und Borth in Dutta/Jacoby/Schwab FamFG
4. Aufl. Anhang zur Vorbemerkung vor § 217 Rn. 22; aA OLG Brandenburg Beschluss
vom 8. November 2011 - 10 UF 63/11 - juris Rn. 14; OLG Stuttgart
dem Regelungszweck, die gebotene getrennte Sachprüfung auch gebührenrechtlich
zu erfassen (vgl. BeckOGK/Schüßler VersAusglG [Stand: 1. Mai
2022] § 1 Rn. 63.1). Auch vorliegend hatte der Ehemann drei einzelne unter getrennten
Vertragsnummern geführte Verträge abgeschlossen, die in den Auskünften
und Instanzentscheidungen mit ihren jeweiligen Einzelwerten ausgewiesen
sowie gesondert festgestellt und tenoriert worden sind (vgl. hierzu Schneider
in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 3. Aufl. § 50 Rn. 41 f.).
Nachdem das Amtsgericht den Verfahrenswert für die Ehescheidung auf
7.098 , errechnet sich insoweit für die drei im Verfahren der
Rechtsbeschwerde noch relevanten Anrechte ein Wert von (gerundet) 2.129
c) Gemäß § 50 Abs. 2 FamGKG sind für das Verfahren über die Abtretung
von Versorgungsansprüchen 500 zu addieren. Dies gilt auch bei einer Verbindung
des Antrags auf Abtretung mit dem Hauptsacheverfahren (vgl. BeckOGK/
Fricke [Stand: 1. Mai 2022] VersAusglG § 21 Rn. 43 zur schuldrechtlichen Ausgleichsrente).
d) In der Regel besteht kein Anlass, gemäß § 50 Abs. 3 FamGKG wegen
Unbilligkeit einen abweichenden Wert festzusetzen. Diese Vorschrift will die Festsetzung
eines höheren oder eines niedrigeren Verfahrenswerts in Ausnahmefällen
ermöglichen, um zu verhindern, dass es zu unvertretbar hohen oder zu unangemessen
niedrigen Kosten kommt (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020
- XII ZB 531/19 -
Fall.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:10.08.2022
Aktenzeichen:XII ZB 83/20
Rechtsgebiete:
Ehegatten- und Scheidungsunterhalt
Versorgungsausgleich
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Kindes- und Verwandtenunterhalt
VersAusglG §§ 6, 27, 28; FamGKG § 50